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Friedrich Merz: CDU-Chef träumt vom Kanzleramt


Ein Jahr Friedrich Merz als CDU-Chef
Ein Mann auf der Suche


Aktualisiert am 16.12.2022Lesedauer: 4 Min.
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Friedrich Merz: Wohin führt er die CDU? (Quelle: IMAGO/Christian Spicker)

Die Ampel schwächelt, Friedrich Merz träumt vom Kanzleramt. Doch seine schwierigste Aufgabe hat er auch nach einem Jahr als CDU-Chef noch nicht gelöst.

Es gibt Momente, in denen Friedrich Merz eine gute Figur macht. Meist ereignen sie sich um kurz nach 9 Uhr unter der gläsernen Reichstagskuppel, wenn sich der Bundestag zu einer Regierungserklärung versammelt.

Auf dieser Bühne kann Oppositionsführer Merz alle paar Wochen seine Stärken ausspielen: Scharf greift er ein ums andere Mal den Bundeskanzler an, rhetorisch gekonnt und häufig so treffsicher, dass er Olaf Scholz mitunter aus der hanseatischen Reserve locken kann.

Merz schafft in diesen Momenten einen Spagat: Er gibt sich staatsmännisch in Fragen von Krieg und Frieden und zugleich aggressiv in seiner Kritik am Krisenmanagement des Kanzlers.

Das ist nicht nur für die Demokratie gut, die solche Momente der Reibung zwischen Kanzler und Oppositionschef braucht, sondern auch für Merz selbst: Er kann so seinen Anspruch untermauern, selbst das Amt des Regierungschefs ausfüllen zu können.

Doch diese Momente waren 2022 selten. Und so mehrten sich zum Ende des Jahres wieder Zweifel, ob Merz das denn wirklich kann: Kanzler. Abseits der großen Bühne unter der Reichstagskuppel konnte er deutlich weniger punkten, als er selbst und viele in seiner Partei es sich erhofft hatten.

Beim Spagat verrenkt

Denn als Hoffnungsträger war Friedrich Merz ja vor einem Jahr, am 17. Dezember 2021, gestartet. Damals wählte ihn eine CDU zum Chef, die am Boden lag. Mit einem Negativrekordergebnis von 24,1 Prozent bei der Bundestagswahl abgestraft, nach 16 Jahren mit Angela Merkel an der Macht auf die Oppositionsbank geschickt, inhaltlich von den Merkel-Jahren für jedermann spürbar ausgezehrt.

Merz schaffte es im Moment der tiefen Krise doch noch an die Spitze der Partei. Dass er den Job unbedingt wollte, zeigte er schon allein dadurch, dass er drei Anläufe nahm. Kurz nachdem er es endlich geschafft hatte, schnappte er sich auch den Chefposten in der Bundestagsfraktion von CDU und CSU. Nun war er die unangefochtene Nummer eins der Union – und der natürliche Kanzlerkandidat bei der nächsten Wahl 2025.

Doch die Sehnsüchte, die sich mit der Wahl von Merz verbunden hatten, haben sich für viele Anhänger bislang nicht erfüllt. Der Chef sollte der Partei wieder ein konservatives Profil verleihen und zugleich eine überfällige Modernisierung verpassen. Nach seinem ersten Jahr erweckt Merz allerdings den Eindruck, dass er sich bei diesem schwierigen Spagat verrenkt.

Am deutlichsten wird das auf dem Feld der Migrationspolitik, die in der Union unter Merkel zu schweren Verwerfungen vor allem zwischen CDU und CSU geführt hat. Merz irritierte Freund und Feind mit einer brachialen Äußerung, als er im September vor einem "Sozialtourismus" durch Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine warnte.

Auch wohlmeinende Abgeordnete aus der Fraktion rieben sich verwundert die Augen. Sozialtourismus ist eine Vokabel, die in der Vergangenheit vor allem aus AfD und zuvor NPD zu hören war. Nebenbei beschädigte Merz seine eigene Ukraine-Politik, die eigentlich durch eine im Vergleich zu Scholz klarere Unterstützung des Landes geprägt ist.

"Das müsste eigentlich jeder begriffen haben"

Merz entschuldigte sich, machte aber rasch weiter mit seiner Kritik, Deutschland gewähre Geflüchteten zu großzügige Unterstützung. Ein vermeidbarer Fehler. "Mit solchen Parolen stärken wir doch nur unsere Gegner am rechten Rand, das müsste eigentlich jeder begriffen haben", sagt ein Mitglied der Fraktion. Für viele CDUler ist das schließlich eine Lektion aus dem großen Migrationsstreit Merkel/Seehofer mit der CSU aus dem Jahr 2018 – auch der habe lediglich der AfD Auftrieb gegeben.

Merz hat den Konflikt bislang nicht auflösen können, bisher konnte er in der Fraktion keine einheitliche Linie herstellen, mit der man den Ampel-Plänen zur Neuausrichtung der Migrationspolitik hätte gegenübertreten können.

Was wurde aus jünger und weiblicher?

Der Richtungsstreit hat handfeste Gründe. Die Wahlanalysen nach der vergeigten Bundestagswahl hatten gezeigt, wie groß die Gefahr für die CDU ist, Wähler an die Grünen zu verlieren. Zudem sterben der Partei Jahr für Jahr viele Wähler weg. Deshalb versprach der mittlerweile 67 Jahre alte Merz, die Partei auch frischer, jünger und attraktiver zu machen.

Doch viel ist daraus bislang nicht geworden. Auf dem Parteitag wurde eine schrittweise Frauenquote beschlossen, mit der niemand richtig glücklich war. Merz selbst warb nur halbherzig dafür.

Zudem erfand er das Amt der Vize-Generalsekretärin, für das er die 35-jährige Christina Stumpp vorgesehen hatte – ein Gesicht, das die Partei jünger und weiblicher wirken lassen soll, als sie ist. Von Stumpp war bislang allerdings wenig zu sehen.

Verluste an zwei Fronten

So wirkt die Partei nach einem Jahr mit Merz an der Spitze weiter auf der Suche nach der richtigen Richtung. Harte Linie bei der Migration, um rechts zu punkten? Moderne Themen und frische Gesichter, die anschlussfähig wären für ein grün-bürgerliches Publikum? Ein neues Grundsatzprogramm, das manche dieser Fragen klären könnte, soll erst 2024 stehen.

Bei vier Landtagswahlen unter Parteichef Merz gewann die CDU in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen hinzu, was vor allem den beliebten Amtsinhabern Daniel Günther und Hendrik Wüst zugeschrieben wurde – beide liberaler und moderner als Merz.

Im Saarland setzte es im Frühjahr dagegen eine herbe Klatsche. Als die Ampel im Oktober mächtig strauchelte, versuchte Merz, aus der Landtagswahl in Niedersachsen ein Referendum über die Krisenpolitik der Bundesregierung zu machen, doch seine CDU verlor deutlich – und laut Wählerbefragungen fast im gleichen Umfang an die Grünen und die AfD. Auch dort zeigte sich der Spagat, den Merz meistern muss.

Parteifreunde liegen vor ihm

In den Umfragen auf Bundesebene liegt die Union seit Monaten zwar stabil vorn und damit deutlich vor SPD und Grünen, doch mit den Werten knapp unter 30 Prozent ist man weder in der Partei- noch in der Fraktionsspitze glücklich. Die zunehmende Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung in der Bevölkerung landet nach Meinung der Kritiker bislang nicht in ausreichendem Maße auf dem Konto der Union.

Das gilt auch für Merz selbst. In den Beliebtheitserhebungen rangiert er zum einen stets deutlich hinter Olaf Scholz und den Grünen-Ministern Robert Habeck und Annalena Baerbock, zum anderen sogar hinter manchen Parteifreunden.

Im Forsa-Politikerranking aus dem Dezember etwa liegen die erwähnten CDU-Ministerpräsidenten Günther und Wüst deutlich vor ihm. Und einige Punkte Vorsprung hat auch ein gewisser Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef dürfte seine eigene Antwort auf die Frage haben, wer in der Union am ehesten Kanzlerformat besitzt.

Verwendete Quellen
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