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Arbeitspflicht für Flüchtlinge? Woran das in Deutschland wirklich scheitert


Migrationsdebatte
Woran die Arbeitspflicht für Flüchtlinge wirklich scheitert

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

19.10.2023Lesedauer: 5 Min.
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Flüchtlinge in ErstaufnahmeeinrichtungVergrößern des Bildes
Flüchtlinge in der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen: So leicht ist das mit der Arbeitspflicht in der Praxis gar nicht. (Quelle: Boris Roessler/dpa/dpa-bilder)

Eine Arbeitspflicht für Flüchtlinge? Das ist gerade eine beliebte Forderung in der Politik. Dabei gibt es sie eigentlich schon – zumindest auf dem Papier.

Die Schlagzeilen klangen deftig. "Landkreise fordern Arbeitspflicht für alle Flüchtlinge". Wer gesund sei und nicht gehandicapt, müsse arbeiten, verlangte vergangene Woche in der "Bild" der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager. "Eine Arbeitspflicht muss her."

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der um deftige Forderungen selten verlegen ist, spricht sich schon länger dafür aus, dass Asylbewerber verstärkt zu gemeinnützigen Arbeiten herangezogen werden. Und zwar nicht nur in Bayern, sondern bitte deutschlandweit.

Ende vergangener Woche diskutierte somit auch die Ministerpräsidentenkonferenz über die Arbeitspflicht. Und am heutigen Donnerstagnachmittag kommt die Pflicht im Deutschen Bundestag an. Die Unionsfraktion hat einen entsprechenden Antrag gestellt.

Die Debatte um die Arbeitspflicht ist gerade überall. Sie scheint für manche ein ideales Mittel zu sein, um Anreize für Migration zu reduzieren: weniger Hängematte, mehr Maloche – das ist die Idee. Doch so einfach ist es nicht. Es gibt schon eine recht weitgehende Arbeitspflicht für Asylbewerber. Sie scheitert nur in der Realität oft an ganz praktischen Problemen.

Der unscheinbare Paragraf 5

"Arbeitsgelegenheiten" steht über dem Paragrafen 5 des Asylbewerberleistungsgesetzes, das für Flüchtlinge gilt, die im Asylverfahren stecken, geduldet sind oder ausreisepflichtig. Es ist ein eher unscheinbarer Titel für das, was der Paragraf alles enthält. Aufnahmeeinrichtungen, aber auch staatliche, kommunale und gemeinnützige Träger "sollen" Arbeitsgelegenheiten zur Verfügung stellen, heißt es dort im ersten Absatz. 80 Cent in der Stunde bekommen Flüchtlinge für die Arbeit.

Der entscheidende Satz folgt im vierten Absatz: "Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet." Bei "unbegründeter Ablehnung einer solchen Tätigkeit" werden die Leistungen gekürzt.

Schon im Paragrafen 5 deutet sich jedoch ein wichtiger Grund an, warum diese Pflicht in der Praxis oft nicht greift. Denn die Arbeitsgelegenheiten bei staatlichen, kommunalen und gemeinnützigen Trägern darf es nur geben, "sofern die zu leistende Arbeit sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet werden würde".

Es ist das klassische Problem, das es auch mit 1-Euro-Jobs gibt. Sie sollen nicht mit regulären Firmen konkurrieren, die die gleiche Arbeit für wesentlich mehr Geld machen müssen, um ihre Löhne zu zahlen. Bei der Pflege von Parks etwa muss genau geschaut werden, ob das nicht Gartenbaufirmen die Arbeit wegnehmen könnte. Da achteten Firmen und Verbände selbst sehr genau darauf, heißt es aus der Praxis.

"Eine komplexe Herausforderung"

In Bremen zum Beispiel sind sie bei der Arbeitspflicht auch deshalb skeptisch. "Erfahrungsgemäß ist die Schaffung eines Arbeitsmarktes, der nicht in Konkurrenz steht zu den Angeboten der Privatwirtschaft oder denen der freien Wohlfahrtspflege, eine komplexe Herausforderung", sagt ein Sprecher des SPD-geführten Senats für Arbeit, Soziales, Jugend und Integration t-online.

Heißt: Im Grunde bräuchte es eine eigene Bürokratie, um solche Jobs überhaupt erst in großem Maßstab zu finden. Eine Pflicht scheitert vielerorts schon daran, dass es längst nicht genug solcher Arbeitsgelegenheiten gibt. Und zwar nicht nur aus fehlendem Engagement, sondern auch aus grundsätzlichen Überlegungen.

"Es müssen aus unserer Sicht unbedingt Verdrängungseffekte vermieden werden", heißt es aus Bremens Sozialsenat. "Es darf nicht dazu kommen, dass die neu zu schaffenden Angebote in Konkurrenz zum Mindestlohnsektor stehen und dadurch ohnehin schon gering bezahlte Beschäftigung verdrängen." Beschäftigungsangebote hält man in Bremen zwar grundsätzlich für richtig, solche Arbeitsgelegenheiten gibt es trotzdem nur in jeder fünften Einrichtung, leichte Hausmeistertätigkeiten zumeist.

Länder fordern keine Pflicht mehr

Andere Bundesländer sind offensichtlich ebenso wenig überzeugt wie Bremen. Die unionsgeführten Bundesländer hatten in ihrem Entwurf für das Beschlusspapier der Ministerpräsidentenkonferenz zwar formuliert, die Regelungen müssten so verändert werden, "dass eine Pflicht zur Arbeitsaufnahme gilt, sobald arbeitsfähige Geflüchtete aus der Erstaufnahmeeinrichtung an die Kommunen zugewiesen werden".

Im eigentlichen Beschluss ist von dieser Pflicht jedoch nichts mehr übrig geblieben. Dort heißt es nur noch, den Geflüchteten müssten "Arbeitsgelegenheiten zugewiesen werden können". Die bestehenden Möglichkeiten zu gemeinnützigen Arbeiten "sollen in breitem Maß genutzt werden".

Selbst Markus Söder formulierte für Bayern in einer Protokollnotiz keine eigene Forderung nach einer Pflicht. Dort heißt es nur, es sei "dafür zu sorgen, dass mehr Asylbewerber gemeinnützige Arbeit leisten".

Auf Nachfrage, welche gesetzlichen Änderungen sich die Staatsregierung vorstelle, stellt sich heraus: In Bayern stören sie sich genau an der Klausel, die Konkurrenz zu regulären Jobs verhindern soll. Die zu leistende Arbeit müsse "sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet werden", referiert das Integrationsministerium die Rechtslage und folgert: "Dies schränkt die Möglichkeiten an Arbeitsgelegenheiten unnötigerweise erheblich ein."

Union will Pflicht beschließen

Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU will nun noch eine Arbeitspflicht für einen etwas anderen Personenkreis. Mit einem Antrag im Bundestag fordert sie an diesem Donnerstag neue Regeln für anerkannte Flüchtlinge, die keinen Job haben.

Unter dem Titel "Arbeitsmarktintegration Schutzberechtigter voranbringen – Gemeinnützige integrative Dienste einführen" heißt es dort, das Integrationsprogramm solle so ergänzt werden, dass "die tatsächliche Heranführung an den Arbeitsmarkt ein selbstverständlicher Bestandteil des Integrationsprozesses wird". Dazu brauche es "einen niedrigschwelligen und verpflichtenden Ansatz".

Aus Sicht der Union bieten sich dazu "gemeinnützige Tätigkeiten als regelmäßiger Bestandteil des Integrationskonzeptes" an. "Dies können unterstützende Tätigkeiten in Einrichtungen der Daseinsvorsorge sein, etwa Pflege- und Gartenarbeiten in öffentlichen Grünanlagen, Reinigungs- und Instandhaltungsarbeiten in Gemeinden oder unterstützende Tätigkeiten in der Jugend-, Kranken- und Altenhilfe."

Grüne: "Ideologische Planwirtschaft"

Aus Sicht der Kritiker würde das jedoch dieselben Probleme mit sich bringen wie bei den Arbeitsgelegenheiten. "Damit würde die Union Gartenbauunternehmen, Reinigungsfirmen und Handwerksbetriebe aus dem Markt drängen", sagt Andreas Audretsch t-online, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen. "Mit dieser ideologischen Planwirtschaft stiftet die Union Unfrieden in Kommunen und in Betrieben gleichermaßen."

Audretsch verweist zudem auf die ohnehin hohe Belastung der Kommunen. "Friedrich Merz will, dass vor Ort ein Riesen-Bürokratie-Apparat aufgebaut wird, um Geflüchtete planwirtschaftlich Pflichtarbeit zuzuweisen", sagt er. "Jetzt die Kommunen mit solchem Bürokratie-Irrsinn zu überladen, wäre gerade in der aktuellen Situation unverantwortlich."

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Die Grünen fordern hingegen seit Wochen etwas anderes, das die Union ablehnt: die bestehenden Arbeitsverbote für alle Flüchtlinge abzuschaffen und nicht nur zu reduzieren, wie es gerade geplant ist. "Arbeitsverbote müssen fallen, bislang überbürokratische Genehmigungsverfahren zur Arbeitsaufnahme wären dann überflüssig", sagt Audretsch. "Das ist eine konkrete Entlastung für Kommunen und Landkreise."

Zur Wahrheit gehört aber auch: Mit ihrer Forderung nach einer kompletten Abschaffung konnten sich die Grünen bisher in der Ampelregierung nicht durchsetzen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Gespräche
  • gesetze-im-internet.de: Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
  • bundestag.de: Antrag der Fraktion CDU/CSU: Arbeitsmarktintegration Schutzberechtigter voranbringen – Gemeinnützige integrative Dienste einführen, Drucksache 20/8733
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