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Kretschmann-Nachfolge in Baden-Württemberg: Wird es Cem Özdemir?


Cem Özdemir
Er wird es, wenn er sich traut


26.12.2023Lesedauer: 5 Min.
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Cem Özdemir: Wird er der neue Kretschmann? (Quelle: IMAGO/imago-images-bilder)

Winfried Kretschmann hört demnächst als Ministerpräsident in Baden-Württemberg auf. Seine Nachfolge ist für die Grünen von höchster Bedeutung. Viele trauen sie nur Cem Özdemir zu. Doch traut er sich?

Als Cem Özdemir Ende November in Karlsruhe auf der Bühne des Grünen-Parteitags steht, ist erst nicht ganz klar, wer da genau redet. Özdemir, der Landwirtschaftsminister? Seine "großartig arbeitenden Landwirte" erwähnt er nur ein einziges Mal. Also eher nicht.

Özdemir, der Parteipolitiker? Schon eher, jedenfalls geht es in seiner Rede sehr grundsätzlich um den Kurs der Grünen. "Es reicht nicht", ruft Özdemir an einer Stelle, "dass wir nur die überzeugen, die bereits überzeugt sind." Allerdings hat Özdemir, der früher mal Grünen-Chef war, gar kein wichtiges Amt mehr im Parteiapparat.

Özdemir hält eine Rede, wie es nur jemand tut, der in der Politik noch etwas vorhat. Nach gut zehn Minuten streut er selbst einen Hinweis ein, in welcher Rolle er hier wohl spricht: Özdemir zitiert Hannah Arendt, und damit genau die politische Philosophin, ohne die kaum eine Rede des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann auskommt.

Es ist die wohl meistzitierte Denkerin in der Villa Reitzenstein, dem Amtssitz des Regierungschefs von Baden-Württemberg. Demnächst muss dort ein neuer Ministerpräsident einziehen, weil der 75 Jahre alte Kretschmann aufhören wird. Und Özdemir, so kann man das interpretieren, probiert sich hier im baden-württembergischen Karlsruhe schon mal aus.

Cem Özdemir klingt nicht zufällig wie bei einer Bewerbungsrede. Wenn er will, könnte er bei der nächsten Landtagswahl als Kretschmann-Nachfolger antreten. Viele Grüne wollen ihn, niemand in der Partei steht ihm mehr im Weg. Das ist nach allem, was man hört, inzwischen ausgemachte Sache. Die einzige Frage ist: Traut er sich auch?

Es geht um die grüne Zukunft

Wenn Baden-Württemberg Anfang 2026 wählt, wird die Ära Winfried Kretschmann nach 15 Jahren zu Ende gehen. Kretschmann, gelernter Lehrer, führte die Grünen 2011 nicht nur erstmals in die Landesregierung. Er verdoppelte dabei den Stimmenanteil der Grünen und ließ sie auch in der Regierung weiter wachsen. Aus 12 Prozent wurden aus dem Stand 24 Prozent, fünf Jahre später waren es schon 30 Prozent und bei der letzten Wahl 2021 fast 33 Prozent.

Einen Großteil des Erfolges verdanken die Grünen damit nicht ihren Wahlprogrammen, sondern Kretschmann persönlich, das wissen sie selbst. Seinem landesväterlichen Studienratswesen. Und seinem ultrapragmatischen grünen Konservatismus, der selbst im schwarzen Baden-Württemberg kaum jemanden verschreckt.

Die Suche nach einem möglichen Nachfolger ist deshalb mehr als eine Routineoperation. Sie entscheidet mit über die Zukunft der Grünen im Südwesten. Und womöglich nicht nur dort.

Für die Grünen ist Winfried Kretschmann der einzige Ministerpräsident, den sie haben. Mit der Beinfreiheit, die ihm das beschert, geht er linken Grünen zwar mitunter mächtig auf die Nerven. Für die Realos aber ist er der Beweis, dass pragmatisches Dunkelgrün immer noch erfolgversprechender ist als die reine Lehre, das linke Quietschgrün.

Der Erfolg in Baden-Württemberg – er ist damit immer auch ein wichtiges Argument für alle Realos im grünen Richtungskampf.

Der praktizierende Schwabe

Gerüchte, dass Cem Özdemir irgendwann Kretschmanns Nachfolge antreten könnte, gibt es schon lange. Özdemir wurde vor 58 Jahren in Baden-Württemberg geboren, in Bad Urach in der Schwäbischen Alb. Er ist ein "praktizierender Schwabe", wie er oft erwähnt, natürlich auch bei seiner Rede in Karlsruhe. Gute Voraussetzungen also.

Genauso wichtig: Özdemir ist das, was man ein politisches Schwergewicht nennt. Bis 2018 war er zehn Jahre lang Bundeschef der Grünen. Er ist nach wie vor einer der bekanntesten Politiker, den sie überhaupt haben.

Bei der vergangenen Bundestagswahl gewann Özdemir in seinem Wahlkreis Stuttgart mit 40 Prozent der Stimmen als erster Grüner ein Direktmandat. In manchen Beliebtheitsumfragen rangierte er dieses Jahr vor Annalena Baerbock und Robert Habeck. Obwohl – oder gerade weil – die beiden viel stärker in den Schlagzeilen waren.

Özdemir wäre deshalb wohl gut ohne seine aktuellen Schlagzeilen um die gekürzten Dieselsubventionen für die Bauern ausgekommen. Wie sehr ihm die Sache noch schadet, ob mittelfristig überhaupt, lässt sich nur schwer sagen. Immerhin versichert er, sich gegen die massiven Kürzungen immer gewehrt zu haben und dagegen anzukämpfen. Möglich, dass er glimpflich davonkommt, wenn die Ampel sie zum Teil doch zurücknimmt.

Özdemirs Rivalen

Ein Grund zu frohlocken war das Agrarschlamassel für seine Rivalen jedenfalls nicht. Sie haben sich dem Vernehmen nach damit abgefunden, dass Özdemir es macht, wenn er denn will. Nachdem sich zwei der Rivalen dieses Jahr in Stellung gebracht und die Stimmung getestet hatten.

Andreas Schwarz etwa, der Fraktionschef der Grünen im Stuttgarter Landtag. Er traut sich die Aufgabe zu, das ist ein offenes Geheimnis. Schwarz, 44 Jahre alt, teilt jedoch das Schicksal aller Fraktionschefs: In der breiten Bevölkerung kennt sie kaum jemand. Selbst in Baden-Württemberg nicht. Also wird es wohl erstmal eher ein Ministeramt.

Das hat der andere potenzielle Kandidat schon jetzt: Danyal Bayaz. Er wechselte Mitte 2021 vor der Bundestagswahl nach Stuttgart, wo er seitdem Kretschmanns Finanzminister ist. Vorher war Bayaz Bundestagsabgeordneter für die Grünen, der sich mit seinem Engagement im Wirecard-Untersuchungsausschuss eine gewisse Bekanntheit erarbeitete.

Bayaz, erst 40 Jahre alt, könnte genau wie Schwarz auf das höchste Amt noch warten. Aber auch er zitiert in letzter Zeit auffallend oft Hannah Arendt und stünde wohl bereit. Nur dann allerdings, wenn Özdemir es nicht macht. Das betonen alle Grüne, mit denen man spricht.

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Es kommt also auf Cem Özdemir an. Dass er lieber Ministerpräsident in seiner Heimat wäre als Landwirtschaftsminister in Berlin, davon gehen inzwischen eigentlich alle aus. Viele Grüne haben aufmerksam registriert, dass er dieses Jahr auffallend oft Termine in Baden-Württemberg wahrgenommen hat. Nur geht er auch das Risiko ein, es nicht zu werden? Kein Ministerpräsident, sondern nur Landesminister? Oder nicht mal das?

Es läuft gerade nicht

Vor dem Einzug in die Villa Reitzenstein steht natürlich auch für Cem Özdemir die Wahl. Und ob die Grünen noch einmal stärkste Kraft werden, ist längst nicht ausgemacht. Es läuft gerade nicht rund für die Grünen, auf Bundesebene sowieso nicht, aber auch in Baden-Württemberg gibt es Ermüdungserscheinungen.

In Umfragen stehen die Grünen dort nicht mehr bei 32, sondern nur noch bei 22 Prozent. Die AfD hat sich auf 20 Prozent verdoppelt, und die CDU liegt mit 29 Prozent klar auf Platz eins. Ob ein Kandidat Cem Özdemir das drehen könnte? Da sind sich selbst Grüne nicht sicher. Sicher sind sich aber viele: Wenn es jemand könnte, dann er.

Dafür aber müsste er sich klar für Baden-Württemberg entscheiden. Eine Doppelstrategie, mit der er sich offenhält, einfach in Berlin weiterzumachen, halten viele Grüne für ausgeschlossen. Zu oft ist das schiefgegangen, bei Norbert Röttgen 2012 in Nordrhein-Westfalen, aber vor allem kürzlich bei Nancy Faeser in Hessen. Das Problem: Für besonders risikobereit halten sie Özdemir bei den Grünen eher nicht.

Sie wollen bald eine Entscheidung

Ausgeschlossen scheint auch, dass Özdemir früher in die Villa Reitzenstein wechselt, um 2026 mit einem Amtsbonus in die Wahl zu gehen. Kretschmann hat immer wieder betont, seine Amtszeit beenden zu wollen. Und vor allem hat der Koalitionspartner CDU einen solchen Wechsel ausgeschlossen, um es den Grünen nicht leichter zu machen.

Spekulationen, Özdemir könnte erstmal für ein kleineres Amt nach Stuttgart gehen, weisen sie bei den Grünen zurück. Da habe er doch eine größere Bühne als Bundesminister, heißt es. Und es brächte nebenbei größere Umbauten im Stuttgarter Kabinett mit sich. Die Unruhe würde den Grünen vor der Wahl nicht helfen.

Mancher Grüner in Stuttgart ist ohnehin schon genervt von der Unruhe der Nachfolgedebatte, die verlässlich aufploppt, wenn Özdemir sich dort blicken lässt. Sie wollen bald eine Entscheidung, manche so schnell wie möglich. Um Klarheit zu haben, auch Ruhe, und um die Kampagne planen zu können.

Am 9. Juni wird nicht nur in Europa gewählt, sondern auch in den baden-württembergischen Kommunen. Spätestens danach soll die Entscheidung getroffen werden, so lautet der Plan. Nicht mehr allzu viel Zeit für Cem Özdemir.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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