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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach Asyl-Urteil SPD knöpft sich Dobrindt vor

Die Union will Asylbewerber weiter an den deutschen Außengrenzen zurückweisen – trotz einer Gerichtsentscheidung. In der SPD wächst der Unmut – auch über CSU-Innenminister Alexander Dobrindt.
In der SPD mehren sich die Stimmen, die eine Kurskorrektur bei den Zurückweisungen von Migranten an deutschen Grenzen fordern. Der Bundestagsabgeordnete Sebastian Roloff sagte t-online: "Die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zurückweisungen an der Grenze sind nicht neu und jetzt gerichtlich bestätigt."
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) müsse in jedem Fall ein rechtlich einwandfreies Vorgehen sicherstellen, "gerade mit Blick auf das Vertrauen der Bevölkerung und unsere Reputation bei den europäischen Nachbarn", so Roloff, der auch Mitglied im SPD-Bundesvorstand ist.
Noch deutlicher wird sein SPD-Kollege Lars Castellucci. "Das Bundesinnenministerium ist offensichtlich weder ausreichend in die Abstimmung mit unseren Partnerländern gegangen, noch hat es einen klar rechtssicheren Weg für Zurückweisungen eingeschlagen", sagte der SPD-Innenexperte. "Wer sich auf Recht und Ordnung beruft, muss Recht und Ordnung einhalten."
Es gelte, unbedingt zu verhindern, dass Migranten im Grenzgebiet untertauchen, sagte Castellucci. Als Alternative zu Zurückweisungen schlägt er vor, Dublin-Verfahren grenznah und beschleunigt durchzuführen, wie es die frühere Innenministerin Nancy Faeser initiiert hatte.
Verwaltungsgericht: Zurückweisungen rechtswidrig
Das Verwaltungsgericht Berlin hatte am Montag in einem Eilverfahren entschieden, die Zurückweisung bei Grenzkontrollen auf deutschem Gebiet sei rechtswidrig. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für einen Asylantrag der Betroffenen zuständig sei, dürften sie nicht vorgenommen werden.
Die SPD verweist seit Monaten darauf, dass Zurückweisungen von Asylsuchenden an deutschen Außengrenzen EU-Recht verletzten. Im Wahlkampf hatten die Genossen der Union vorgeworfen, sie nehme EU-Rechtsbrüche billigend in Kauf. CDU/CSU hingegen haben eine andere Rechtsauffassung und argumentieren, Zurückweisungen seien im EU-Rahmen grundsätzlich möglich. Im Koalitionsvertrag einigten sich Union und SPD darauf, Zurückweisungen vorzunehmen, aber nur "in Abstimmung" mit den europäischen Nachbarn.
Aus SPD-Sicht ist dies nun offenbar nicht ausreichend erfolgt: Der SPD-Abgeordnete Macit Karaahmetoğlu fordert nun die schwarz-rote Regierung dazu auf, die getroffenen Maßnahmen eingehend zu überprüfen: "Weder kann die junge Bundesregierung riskieren, den Eindruck zu erwecken, ihr seien geltende Gesetze egal, noch können wir noch mehr Uneinigkeit in Europa wollen." Präzise und einvernehmliche Absprachen mit den Nachbarländern seien "unabdingbar", so Karaahmetoğlu, der im Innenausschuss des Deutschen Bundestags sitzt.
Auch die rechtspolitische Sprecherin der SPD, Carmen Wegge, fordert Konsequenzen aus dem Urteil: "Friedrich Merz hat heute gesagt, dass der Beschluss die Bundesregierung möglicherweise einschränkt." Doch Wegge widerspricht: "Aus unserer Sicht müssen wir den Beschluss sehr ernst nehmen." Das Handeln an den Grenzen müsse "selbstverständlich" im Einklang mit dem Europarecht sein.
Union: "Kein Grund, unsere Politik grundlegend zu ändern"
Die Union hingegen stärkt ihrem Innenminister Dobrindt ausdrücklich den Rücken und sieht keinen Grund, die Praxis der Zurückweisungen anzupassen. "Diese eine Entscheidung ist für uns kein Grund, da unsere Politik deswegen grundlegend zu ändern", sagte Steffen Bilger, Parlamentarischer Geschäftsführer der Union, vor Journalisten.
Innenminister Dobrindt habe "die volle Unterstützung unserer Fraktion", so Bilger. "Wir sind überzeugt, dass wir mit guten rechtlichen Argumentationen diese Migrationswende eingeleitet haben, auch bezüglich der Zurückweisung an den Grenzen."
Es handle sich um eine Einzelfallentscheidung in einem Eilverfahren, argumentierte Bilger. Es sei klar gewesen, dass Veränderungen in der Asylpolitik zu vielen Gerichtsentscheidungen führen würden. Bilger betonte aber auch: "Wenn man immer auf die hören würde, die rechtliche Bedenken äußern, dann hätte sich in der Migrationspolitik in Deutschland mal gar nichts geändert."
CSU: "Auch wir wollen Rechtssicherheit"
CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann sagte in Berlin: "Was wir brauchen, ist eine grundsätzliche Entscheidung durch ein Obergericht, die uns Rechtssicherheit verschafft. Auch wir wollen Rechtssicherheit." Seiner Auffassung nach bedeutet der Hinweis des Verwaltungsgerichts, die Entscheidung sei nicht anfechtbar, im Umkehrschluss nicht, dass es nach der Eilentscheidung kein Hauptsacheverfahren gibt.
"Es wird in der Hauptsache eine Entscheidung geben", sagte Hoffmann, auch wenn die ein bisschen brauchen werde. Und die werde dann über die Instanzen auch anfechtbar sein.
Nach Darstellung des Berliner Verwaltungsgerichts ist es aber unwahrscheinlich, dass es nach dem Eilverfahren noch zu einem Hauptsacheverfahren kommen wird. "Das Asylgesetz trifft für Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz in Eilverfahren eine Sonderregelung", sagte eine Gerichtssprecherin. Eine Beschwerde ist demnach nicht vorgesehen.
"Diese Regelung des Bundesgesetzgebers bezweckt die Beschleunigung gerichtlicher Eilverfahren in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz", sagte die Sprecherin. In Asylverfahren befasse sich ein Gericht daher bereits im Eilverfahren tiefer mit dem Fall. Und da die Kläger im Eilverfahren Recht bekommen haben, könnten die Kläger nun sofort eine sogenannte Erledigungserklärung abgeben. Dann gäbe es kein Hauptsacheverfahren mehr.
Dieser Erledigungserklärung könnte das Bundesinnenministerium zwar auch widersprechen. "In dem Fall beschäftigt sich das Gericht aber lediglich mit der Frage, ob der Rechtsstreit erledigt ist oder nicht", erklärte die Sprecherin. Eine weitere inhaltliche Prüfung des Falles erfolge erst, wenn das Gericht zu dem Ergebnis komme, dass dies nicht der Fall sei. Zusätzliche Argumente, warum ihre Argumentation stichhaltig sei, könnte die Union also erst einmal gar nicht anführen.
- Eigene Recherchen
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa