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Wie die AfD im Bundestag das Hammelsprung-Gate in Szene setzte


Bundesverfassungsgericht angerufen
Wie die AfD das Hammelsprung-Gate in Szene setzte

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 15.08.2019Lesedauer: 4 Min.
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Die AfD hat gezählt: 93 Abgeordnete waren es um 1.27 Uhr bei der strittigen Sitzung. Weil es trotzdem weiterging, will sie nun in der Nacht beschlossene Gesetze von Karlsruhe aufheben lassen, erklärten Stephan Brandner (links) und Bernd Baumann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion.Vergrößern des Bildes
Die AfD hat gezählt: 93 Abgeordnete waren es um 1.27 Uhr bei der strittigen Sitzung. Weil es trotzdem weiterging, will sie nun in der Nacht beschlossene Gesetze von Karlsruhe aufheben lassen, erklärten Stephan Brandner (links) und Bernd Baumann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa-bilder)

Die AfD zieht vors Bundesverfassungsgericht, um eine Nachtsitzung des Bundestags für verfassungswidrig erklären zu lassen. Vorher hatte die Fraktion andere Möglichkeiten ausgelassen hat, ihren Willen zu bekommen.

Es war 0.59 Uhr am 28. Juni und Beatrix von Storch hatte im Bundestag gerade zu Rechten von Lesben, Schwulen und Transsexuellen weltweit gesprochen, als es Unruhe gab hinter dem nächsten Redner. Wolfgang Kubicki (FDP) machte den Platz des Sitzungspräsidenten frei für Claudia Roth (Grüne). Ablösung im Sitzungsvorstand. Dann stand auch Wolfgang Wiehle von der AfD von seinem Schriftführerplatz daneben auf und übergab an Benjamin Strasser von der FDP. Gut 20 Minuten später sollte das eine entscheidende Rolle spielen.

Dann kam der Moment, der nach dem Willen der AfD das Verfassungsgericht beschäftigen soll. Die Partei will per einstweiliger Verfügung beim Bundesverfassungsgericht Gesetze für verfassungswidrig erklären lassen, die in dieser Nacht noch beschlossen wurden.

Um 1.26 Uhr, es sollte über die Anpassung des Datenschutzrechts an EU-Recht abgestimmt werden, meldete sich Jürgen Braun, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion. Er hatte einen Antrag zur Geschäftsordnung: Der nach 16 Stunden Sitzung in allen Fraktionen spärlich besetzte Bundestag sei nicht beschlussfähig, das müsse geprüft werden.

Das war der Moment, in dem der Sitzungsvorstand gefragt war: Wenn er sich einig ist, dass der Bundestag beschlussfähig ist, geht es weiter. Die Grüne Roth, Strasser von der FDP und Josef Oster von der CDU waren um 1.27 Uhr einer Meinung: Kein Hammelsprung nötig zur Feststellung der Beschlussfähigkeit.

Der Hammelsprung
Der sogenannte Hammelsprung kann bei Zweifeln an der Beschlussfähigkeit des Bundestags oder unklaren Stimmverhältnissen zum Einsatz kommen. Die Abgeordneten verlassen dann den Plenarsaal und betreten ihn durch drei Türen wieder, die mit "Ja", "Nein", und "Enthaltung" markiert sind. An jeder Tür zählen zwei Schriftführer die Abgeordneten. Der Name "Hammelsprung" rührt von einem Bild über der "Ja"-Tür, das eine Geschichte aus der griechischen Sagenwelt zeigt. Darauf sind Hammel zu sehen.

Noch eine halbe Stunde zuvor war der Bundestag kaum besser besetzt, aber zu der Zeit hätte AfD-Abgeordneter Wiehle als Schriftführer widersprechen können. Der Sitzungsvorstand wäre sich nicht einig gewesen, es hätte den Hammelsprung gegeben und die Sitzung wäre wegen zu weniger Abgeordneter vorbei gewesen.

Denn die Geschäftsordnung sieht in Paragraf 45 tatsächlich vor, dass der Bundestag dann beschlussfähig ist, wenn mehr als die Hälfte seiner 709 Mitglieder da sind. Das kann auf Antrag überprüft werden, wenn die Beschlussfähigkeit "vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht" wird. Nicht wenige im Bundestag glauben, dass Braun den Antrag erst gestellt hat, als die Grüne Roth die Sitzung leitete und aus den eigenen Reihen niemand mehr im Vorstand saß. Erst so ergab sich die Möglichkeit, dass die AfD eine Ablehnung kassieren konnte und deshalb nun Karlsruhe anruft.

"AfD missbraucht Verfassungsgericht als Propagandabühne"

Marco Buschmann, Erster Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, unterstellt der AfD bei der Klage unredliche Absichten: "Sie will nur ein weiteres Mal die demokratischen Institutionen verunglimpfen. Sie missbraucht das Verfassungsgericht als Propagandabühne."

Ohne eine Auszählung wurde das Gesetz dann mit den Stimmen der Union und der SPD angenommen, neben AfD stimmten auch FDP, Grüne und Linke dagegen. Aber auch aus deren Reihen war das Murren groß über das Vorgehen der AfD.

Wenn die AfD Zweifel gehabt habe, ob die Regierungskoalition zu dieser Zeit wirklich auch eine Stimmenmehrheit hatte, hätte sie namentliche Abstimmung beantragen können. "Das hätte klar dokumentiert, welche Abgeordneten teilnehmen", so Buschmann. Die AfD beantragte das nicht.

AfD-Zählung: 93 Abgeordnete waren da

Aus der AfD waren es nach deren eigenen Angaben zu dieser Zeit etwa zwölf von 91 Abgeordneten anwesend, insgesamt saßen nach der Zählung noch 93 Abgeordnete im Parlament. Es ist allerdings überhaupt nicht ungewöhnlich, dass Gesetze nachts auch mit so wenigen Abgeordneten beschlossen werden.

Wenn die AfD Erfolg haben sollte mit ihren Anträgen vor Gericht, dann müssten über die Gesetze noch einmal abgestimmt werden. Es gilt als sicher, dass die Gesetze dann in einer Sitzung erneut beschlossen werden.

Der Ältestenrat und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hatten die Rechtmäßigkeit des Vorgehens in der Nacht später bestätigt: Das Präsidium sei "einhellig der Auffassung, dass der Sitzungsvorstand die Vorschriften der Geschäftsordnung über die Feststellung der Beschlussfähigkeit korrekt angewendet hat", so Schäuble.

2009 hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil (2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07) schon einmal festgehalten, dass die Zahl der anwesenden Abgeordneten nicht ausschlaggebend ist: Ohne Rücksicht auf diese Zahl gelte der Bundestag so lange als beschlussfähig, wie nicht die Beschlussunfähigkeit festgestellt wird. Gegen diese Regelung gebe es keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die AfD erklärt, sie sehe das anders. Ihr Abgeordneter Stephan Brandner sprach am Mittwoch davon, man habe "mal wieder in den Abgrund des Parlamentarismus der deutschen Nachkriegsgeschichte geschaut."

Organklage als weitere Option

Auf Journalistenfragen bei der Pressekonefrenz, was ihr "Budenzauber" mit dem Gang nach Karlsruhe eigentlich solle, reagierten die AfD-Politiker mit Unverständnis: Es liege ein "eklatanter Verstoß" gegen die Geschäftsordnung des Bundestags und wohl auch gegen das Grundgesetz vor.

Der AfD-Prozessbevollmächtigte Ulrich Vosgerau sagte, die in der Nacht noch beschlossenen Gesetze seien verfassungswidrig zustande gekommen. Karlsruhe solle Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier per einstweiliger Anordnung untersagen, die drei in der Nacht beschlossenen Gesetze zu unterzeichnen und auszufertigen. Sollten diese nicht gestoppt werden, werde die AfD in Karlsruhe eine Organklage wegen der Verletzung der Rechte des Bundestags anstrengen.

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