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FDP in der Pandemie: Christian Lindner und sein Stachelschwein-Problem


FDP unter Druck
Das Stachelschwein-Problem


21.02.2022Lesedauer: 6 Min.
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP): Wohin steuern die Liberalen?Vergrößern des Bildes
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP): Wohin steuern die Liberalen? (Quelle: Florian Gaertner/photothek.de/imago-images-bilder)

Der öffentliche Eindruck lautet: Die FDP setzt sich ständig in der Koalition durch. Doch viele Anhänger der Liberalen sind von der Regierung enttäuscht – und auch intern wird über den künftigen Kurs der Partei gerätselt.

Wenn man Vivien Wysocki nach der FDP fragt, gibt es Kritik im Stakkato. Ihr erster Satz lautet: "Ich bin seit der Corona-Pandemie schon ein wenig enttäuscht." Rumms. Dann schiebt sie nach: "Die Partei hat zu oft Angst vor Gegenwind." Rumms. "In der Opposition war sie getrieben von möglichen Stimmungen in der Bevölkerung. Jetzt, in der Regierung, ist sie eingekeilt zwischen ihren Oppositionspartnern." Rumms.

Wysocki findet den Auftritt der FDP oft zu mutlos, zu blass, zu unkonkret.

Die 26-Jährige hat ein Mode-Start-up in Berlin, gilt als Politik-Influencerin auf Instagram und bezeichnet sich selbst als liberal. Aufgeschlossen, digital, freiheitsliebend. Eigentlich könnte jemand wie Wysocki der Prototyp einer jungen FDP-Wählerin sein. Eigentlich. Denn Wysocki ist skeptisch, was die Liberalen und ihren Auftritt angeht. Sie sagt t-online: "Vielen ist gar nicht klar, wofür die FDP, abgesehen von den alten Stereotypen der Reichen-Partei, eigentlich steht."

Wysocki ist mit ihrer Haltung nicht allein. Die eigenen Sympathisanten beginnen langsam, an ihrer Partei zu zweifeln. Ausgerechnet jetzt, nachdem die Liberalen endlich regieren.

Da sind erst einmal jene Wähler, die sich abgewandt haben. Im ZDF-"Politbarometer" und ARD-"Deutschlandtrend" fiel die FDP zuletzt auf neun Prozent – und damit jeweils den schlechtesten Wert seit fast einem Jahr. Auch im Vergleich zum Ergebnis der Bundestagswahl (11,5 Prozent) hieße das: Mehr als jeder fünfte Wähler hat sich seit dem Herbst verabschiedet.

Und jene, die weiterhin die Liberalen wählen würden, sind auch alles andere als zufrieden. Das "Politbarometer" ermittelte im Januar, dass 68 Prozent der SPD-Wähler die Arbeit der neuen Koalition gut finden, bei den Grünen waren es ähnlich viele. Und bei der FDP? Gerade einmal 42 Prozent.

Das ist ein bemerkenswert schlechter Wert – zumal die meisten Deutschen glauben, dass sich die Liberalen bislang am stärksten mit ihren Positionen in der Regierung durchgesetzt haben.

Unerbittliche Verhandlungen

Früher hatte man bei der FDP die Sorge, als reine Funktionspartei wahrgenommen zu werden. Auch deshalb gab sich Parteichef Christian Lindner in den Koalitionsverhandlungen recht unerbittlich, verankerte wichtige FDP-Positionen wie den Ausschluss von Steuererhöhungen. Und beanspruchte das mächtige Finanzministerium für sich – es war eine indirekte Bedingung dafür, dass die Partei mitregiert.

Jetzt, da die Pandemie langsam unter Kontrolle zu sein scheint, stellt sich bei den Liberalen eine neue Frage: Wie schützt man den eigenen inhaltlichen Kern und verprellt gleichzeitig nicht den Koalitionspartner? Vor der Frage stehen zwar alle Parteien in Regierungskoalitionen, doch auf die FDP trifft sie besonders zu.

Sie ist nicht nur der kleinste Koalitionspartner, man kann man sich bei ihr auch nie ganz sicher sein, was die eigene Zukunft angeht: 2013 flog die Partei schon einmal aus dem Bundestag. Dann, nach dem Wiedereinzug, schrammten die Liberalen in der Corona-Pandemie immer wieder an der Fünf-Prozent-Hürde entlang.

Zur Bundestagswahl hatten sich die Umfragen wieder verbessert. Das Wahlergebnis war zwar zum zweiten Mal in Folge zweistellig, doch wie fragil die eigene Beliebtheit ist, hat niemand bei den Liberalen vergessen. Die Folge ist nun eine Corona-Regierungspolitik, die um die eigene Sichtbarkeit kämpft – und das dauerhafte politische Überleben sichern soll.

Mancher in der Partei witzelt bereits, es sei wie bei einem Stachelschwein: Sobald man sich den inhaltlichen Positionen der FDP zu sehr annähere und die Grenzen verschwimmen, werde der politische Gegner, manchmal auch der Regierungspartner, gepikst. Hier sind wir, da bleibst du. Hauptsache, es gibt ein Mindestmaß an Abstand.

Nicht mehr ganz so zackig

Die Suche nach dem Abstand ließ sich in diesen Tagen beim neuen Generalsekretär Bijan Djir-Sarai beobachten. Es ging um den 20. März, also jenen Tag, an dem alle Corona-Maßnahmen auslaufen sollen. Die FDP hatte zuletzt bereits auf eine Aufhebung vieler Regeln gedrängt. Djir-Sarai verkündete also: "In einem weiteren Schritt sollten mit dem 20. März alle Maßnahmen gefallen sein. Ich habe bereits ausdrücklich gesagt, dass ich eine Verlängerung der derzeitigen Regelungen für absolut falsch halte." Klar und eindeutig klang das: Die Partei der Freiheit setzt den Einschränkungen ein Ende.

Erst auf Nachfrage eines Journalisten schwächte Djir-Sarai seine Aussage ab, sie war dann weit weniger zackig: Es sei "allerdings möglich", dass die Bundesländer "rechtliche Rahmenbedingungen" schafften, um etwa die Maskenpflicht beizubehalten. Es war wohl auch ein Zugeständnis an den Koalitionspartner.

Zu viel Abstand darf es dann doch nicht sein, sonst wirkt es schnell wie eine kleine Regierungskrise. Denn bei den Grünen und der SPD ist mancher bereits genervt von den harschen Forderungen einer Aufhebung aller Maßnahmen.

Auf den ersten Blick sieht es gut aus für die FDP: Die Omikron-Welle scheint ihren Scheitelpunkt überwunden zu haben, die Lage auf den meisten Intensivstationen ist unter Kontrolle. Es ist ein Triumph für die Partei, wo mancher jetzt gern argumentiert: Seht her, wir haben es ja seit Monaten schon gesagt, dass alles nicht so schlimm wird. Mancher sieht darin auch die Chance, sich von Grünen und der SPD – und deren dauerwarnendem Gesundheitsminister Karl Lauterbach – abzusetzen.

Doch das betrifft nur die aktuelle Bekämpfung der Pandemie. Weniger klar ist die Haltung der FDP bei der allgemeinen Impfpflicht: Es lag an der FDP, dass die Ampel keinen gemeinsamen Gesetzesentwurf vorlegte. Stattdessen folgen nun mehrere Gruppenanträge: Einer sieht keine Impfpflicht vor, in einem wird eine Pflicht ab 18 Jahren gefordert, ein weiterer eine ab 50 Jahren. Abgestimmt wird darüber wahrscheinlich im März.

Über die Impfpflicht wird besonders intensiv bei den Liberalen diskutiert. Die Überlegung dazu geht so: Wenn man sich jetzt mehrheitlich dafür ausspricht und der große Schrecken der Pandemie aber mit der Omikron-Welle endet, wird die FDP immer die Partei sein, die leichtfertig mit Grünen und SPD eine so weitreichende Regelung beschlossen hat.

Angriff auf Kosten des Koalitionspartners

Spricht sich die FDP jedoch dagegen aus und im Herbst wird wegen einer Mutation und einer zu geringen Impfquote ein erneuter Lockdown verhängt, könnte das wiederum die eigenen Anhänger erzürnen: "Unsere Wähler wollen dann lieber die Impfpflicht, als noch mal wochenlang zu Hause sitzen", sagt jemand aus der Partei.

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Es ist eine Zwickmühle. Auch deshalb wollen sich viele aus der Fraktion seit Wochen nicht festlegen. Sie haben Sorge, am Ende auf der falschen Seite zu stehen.

Stattdessen fokussiert sich die Partei auf klare Angriffe, teilweise auf Kosten der Regierungspartner. Kürzlich wurde RKI-Chef Lothar Wieler von FDP-General Djir-Sarai öffentlich unter Druck gesetzt, als dieser gerade die Verkürzung des Genesenenstatus verkündet hatte. Der Koalitionspartner schäumte noch Wochen später, doch bei den Liberalen ahnte mancher: Damit ist mal wieder genug Abstand hergestellt.

Ein Anruf bei Gerhart Baum. Der ehemalige Innenminister der FDP kennt es, unter einem SPD-Kanzler zu regieren – damals jedoch noch in einem Zweier-Bündnis, ohne die Grünen.

Baum sieht die Angriffe aus seiner Partei auf Wieler kritisch: "Wenn mir damals ein Kabinettskollege in die Parade gefahren wäre und einen Chef meiner Behörden, beispielsweise den Leiter des Bundeskriminalamts, kritisiert hätte, dann hätte ich das aber zum Thema im Kabinett gemacht."

Baum hätte es wohl verstanden, wenn sich Gesundheitsminister Lauterbach, dem Wieler untersteht, gewehrt hätte. Kritik könne man schon äußern, so Baum, aber intern. Man dürfe ein gutes Vertrauensverhältnis und gegenseitigen Respekt "nicht aufs Spiel" setzen.

Baum glaubt zudem, dass eine Impfpflicht gar kein so heißes Eisen für die Partei ist, wie mancher intern zu glauben scheint. "Wenn man beidreht, und dafür gibt es gute Gründe, muss man sagen, warum man das tut. Und man sollte auch Fehleinschätzungen eingestehen."

Über die Ausrichtung der FDP in Zukunft entscheiden maßgeblich zwei Männer: Der Generalsekretär Djir-Sarai, der sich bereits in den vergangenen Wochen immer wieder über die Corona-Politik geäußert hatte. Und der frisch gewählte Fraktionsvorsitzende Christian Dürr. Dürr, der sich intern einen guten Ruf als Haushaltspolitiker gemacht hat, muss künftig die Mehrheiten unter den Abgeordneten organisieren.

Dass das nicht einfach wird, weiß Bernd Lück. Seit 2003 regiert der FDP-Politiker schon – allerdings als Bürgermeister das kleine Örtchens Ketzin in Brandenburg. Er sagt: "Als ich ins Amt kam, merkte ich schnell, wie ich an die Grenzen komme: Wenn man nur stur auf seinen eigenen Prinzipien beharrt, wird das nichts." Gerade in Regierungsverantwortung merke man als Liberaler, dass man permanent Kompromisse machen müsse.

Und auch unabhängig von Corona sei es spannend, wie die Partei ihre Ziele verfolge. Bürgermeister Lück sagt über seinen Parteichef: "Ich kann noch nicht ganz nachvollziehen, was Herr Lindner mit seinem Kurs vorhat." Eine Finanzpolitik, die in den nächsten vier Jahren nicht die freiheitlichen Prinzipien verleugnet? Das, glaubt Lück, werde noch spannend.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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