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FDP nach NRW-Debakel in der Krise: Christian Lindner in Angst


FDP-Krise
Hat er sich verzockt?


Aktualisiert am 16.05.2022Lesedauer: 5 Min.
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FDP-Chef Christian Lindner: Die Liberalen bestimmen die Ampelpolitik – mehr als es angemessen ist?Vergrößern des Bildes
FDP-Chef Christian Lindner: Die Liberalen bestimmen die Ampelpolitik – mehr als es angemessen ist? (Quelle: IMAGO / photothek)

Bei der NRW-Wahl erlebt die FDP erneut ein Debakel. Und auch im Bund profitiert die Partei nicht davon, dass sie mitregiert. Deshalb wächst die Unruhe – und beginnt die Suche nach neuen Rettern.

Joachim Stamp ist ein Mann, der in den vergangenen Wochen oft lächelte. Vor allem bei seinen Wahlkampfterminen. Da versuchte er, möglichst zuversichtlich auszusehen. Stamp, 51 Jahre, blaue Augen, Uferglatze, ist Vize-Ministerpräsident sowie Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen. Und der dortige Spitzenkandidat der FDP bei der Landtagswahl.

Die Liberalen waren zwar bereits vor Wochen in den Umfragen abgerutscht, doch Stamp ließ sich davon nicht beirren. Er lächelte einfach weiter. Warten wir es doch mal ab, da kann noch viel passieren. Das war seine Botschaft.

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Bis zum Sonntagabend, Punkt 18 Uhr. Dann konnte nicht mehr viel passieren. Denn dann wurde die erste ARD-Prognose für das Wahlergebnis veröffentlicht. Die Säulen von CDU und SPD auf den Bildschirmen wuchsen in die Höhe. Erst bei 35 Prozent für die Union und bei 27,5 Prozent für die SPD hielten die Balken an. Die Grünen stoppten früher bei gut 18 Prozent, aber immerhin ein sattes Plus. Und die FDP? Da wuchs fast nichts, es war ein Miniatur-Balken. Fünf Prozent. Und damit nicht einmal halb so viel wie vor fünf Jahren.

Später zeigten mehrere Fotos das Gesicht des liberalen Spitzenkandidaten. Sein Lächeln war verschwunden. Joachim Stamp sah verzweifelt aus.

Nicht einmal mehr ein kleiner Prinz

Und es war ein weiterer schwarzer Wahlsonntag für die Liberalen: Erst verpasste die FDP im März den Einzug in den Landtag von Saarbrücken, dann gab es vor einer Woche erhebliche Verluste bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Und nun das: Bei der dritten Landtagswahl in Folge senkten die Wähler bei der FDP ihre Daumen. Ein Schwund von fast acht Prozentpunkten im bevölkerungsreichsten Bundesland mit seinen fast 18 Millionen Einwohnern. Es ist eine Zäsur für die gesamte Partei.

Das hat auch damit zu tun, dass Christian Lindner aus NRW kommt – und die Partei 2017 erst hier zu einem Wahltriumph und in die Regierung führte und das Ganze schließlich im vergangenen Jahr im Bund wiederholen konnte.

Und jetzt?

Sieht es nicht nur in den Ländern schlecht für die Liberalen aus. Auch auf Bundesebene wächst der Druck. In etlichen Umfragen steht die FDP bei neun Prozent, bei der Bundestagswahl erreichte sie noch 11,5 Prozent. Ein Trend wird erkennbar – und er zeigt nach unten.

Dabei galt die FDP in den Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen noch als großer Ampel-Gewinner. Weder ein Tempolimit noch Steuererhöhungen schafften es in den Koalitionsvertrag. Ganz so, wie es die Partei wollte. Lindner setzte sich sogar gegen Robert Habeck durch, er bekam das mächtige Finanzministerium. Vor fünf Monaten war der FDP-Chef auf seine Art ein König in der Koalition. Und heute? Da wirkt er nicht einmal mehr wie ein kleiner Prinz.

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Mit der schwindenden Zustimmung in der Bevölkerung bröckelt auch die Macht der Liberalen. In der FDP macht sich Unruhe breit. Viele fragen sich, wie weit sich die Abwärtsspirale noch nach unten schrauben kann. Intern wird bereits diskutiert, ob es zu einem Kurswechsel in der Ampelregierung kommen könnte.

Doch zunächst versuchten die Liberalen in Berlin am Sonntagabend noch, sich Mut zu machen. Der Vize-Parteichef Johannes Vogel sagte im "ZDF": "Wir sollten auf keinen Fall weniger mutig werden." Das eine sei Düsseldorf, das andere eben Berlin, so sieht er das.

Und tatsächlich lag die NRW-Niederlage unter anderem an zwei regionalen Faktoren. Da war zum einen die in der Corona-Politik eher glücklos agierende FDP-Bildungsministerin Yvonne Gebauer. Und da war zum anderen ein Wahlkampf, den SPD und CDU weitgehend unter sich ausmachten – und in dem FDP-Spitzenkandidat Stamp sich mit eigenen Positionen kaum Gehör verschaffte.

Wie in einer Sandkastengrube

Doch gleichzeitig schlägt sich bei Landtagswahlen immer auch ein genereller Trend nieder. Die Leitfrage lautet: Wie stehen die Parteien insgesamt da? Die regionalen Spitzenkandidaten und die Bundesparteien hängen dabei eng zusammen, sie ergeben das Gesamtbild. Und bei der FDP ist das im Moment alles andere als harmonisch.

Am vergangenen Freitag, direkt vor der wichtigen NRW-Wahl, gab es im Bundestag die passende Szene dazu. Die Chefin des Verteidigungsausschusses, FDP-Frau Marie-Agnes Strack-Zimmermann, hatte Kanzler Olaf Scholz eingeladen. Es sollte eine Sternstunde des Parlamentarismus werden: Der Regierungschef tauscht sich mit den Abgeordneten über die Ukraine-Politik und die Waffenlieferungen aus.

Doch gegen Ende der Sitzung, als der Kanzler noch im Raum war, verließ eine Gruppe von FDP-Abgeordneten um den verteidigungspolitischen Sprecher Marcus Faber den Raum. Faber stellte sich anschließend vor eine ARD-Kamera und sagte: "Leider wurden viele Fragen nicht beantwortet, deswegen haben wir als Freie Demokraten um kurz nach 9 entschieden, dass wir die Sitzung jetzt verlassen." Es klang, als redete da ein Oppositionspolitiker. Entsprechend groß war die Aufregung: Lässt die FDP jetzt den Kanzler auflaufen? Ernsthaft?

Hektik in Berlin. FDP-Fraktionschef Christian Dürr soll sich eingeschaltet haben – es gab massiven Druck. Wenige Stunden später kündigte Faber an, dass er bereit sei, von seinem Amt als verteidigungspolitischer Sprecher zurückzutreten. Intern munkelte mancher, dass Faber seiner Kollegin Strack-Zimmermann, die ohnehin medial sehr präsent ist, den PR-Erfolg mit dem Kanzler nicht gönnen wollte. Auf manchen Beobachter wirkte es, als gehe es bei den Liberalen bisweilen zu wie im Sandkasten: Keiner gönnt dem anderen den größeren Bagger.

Das Finanzministerium als Dienstleistungsressort

Dass die Partei in der Öffentlichkeit derzeit nicht reüssiert, liegt aber eben auch an der politischen Gesamtsituation. Als Christian Lindner so vehement dafür kämpfte, selbst Finanzminister zu werden, dominierte die Corona-Politik noch die Schlagzeilen. Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat sich das Bild dramatisch verschoben.

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Nun dominieren neben Olaf Scholz vor allem Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck die Schlagzeilen. Beide Ressorts waren in den vergangenen Jahren oft nur noch ein Schatten ihrer selbst, wichtig war neben dem Kanzleramt vor allem das Finanzministerium. Doch nun wirkt es oft, als hechele Lindner den aktuellen Ereignissen hinterher und müsse am Ende nur das Geld zur Verfügung stellen. Der Finanzminister ist kein Antreiber, sondern ein Getriebener. Der Geldbeutel gehe fast immer auf, das wichtigste Ministerium sei eine Art Dienstleistungsressort, so sehen es die Kritiker.

Das hat Folgen: Momentan, so heißt es intern, sei gar nicht klar, wofür die FDP in der Regierung überhaupt gebraucht werde – vom simplen Beschaffen einer Mehrheit im Parlament mal abgesehen.

Christian Lindner hat schon einmal erlebt, wohin es führt, wenn seine Partei im Bund untergeht. In den Jahren vor 2013 war das, bevor die Liberalen aus dem Bundestag flogen. Angela Merkel nahm damals wenig Rücksicht auf ihren Koalitionspartner. In höchsten FDP-Zirkeln hat man sich damals geschworen, dass sich das nicht wiederholen dürfe.

Die Partei, so heißt es, brauche nun erst einmal ein klares Profil. Einerseits staatstragend, niemand will als Saboteur der Ampelkoalition im Bund auffallen. Andererseits jedoch auch unverwechselbar. Die Ideen sind vielfältig: Justizminister Marco Buschmann gilt als Talent, er könnte in der Gesellschaftspolitik für einen liberalen Stempel sorgen. Auch Verkehrsminister Volker Wissing gilt als Kandidat für eine unverwechselbarere Handschrift in der Koalition.

Wissing und Buschmann sollen den Abwärtstrend der Partei stoppen, weil der eigene Parteichef nicht als knausriger Finanzminister der Koalition gelten will, während ein blutiger Krieg in Europa stattfindet. Gut möglich, dass deshalb auch über bestimmte Projekte von Wissing und Buschmann nochmal mit den Koalitionspartnern verhandelt werden soll.

Ob sich die Abwärtsspirale der FDP stoppen lässt, wird sich spätestens im Herbst zeigen. Dann steht die nächste Nagelprobe bevor: In Niedersachsen wird am 9. Oktober ein neuer Landtag gewählt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Hochrechnungen der "ARD" am Wahlabend
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