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Landtagswahlen | Störaktionen im Wahlkampf: "So noch nie erlebt"


Störungen und Gewalt im Wahlkampf
"Das haben wir so noch nie erlebt"

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 05.05.2022Lesedauer: 3 Min.
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Mit Trillerpfeifen und Megafonen: Protest bei einem Auftritt von Kanzler Olaf Scholz am Tag der Arbeit in Düsseldorf.Vergrößern des Bildes
Mit Trillerpfeifen und Megafonen: Protest bei einem Auftritt von Kanzler Olaf Scholz am Tag der Arbeit in Düsseldorf. (Quelle: Panama Pictures/imago-images-bilder)

Pfiffe, Eierwürfe und Morddrohungen: Politiker-Auftritte rund um die Landtagswahlen in NRW und Schleswig-Holstein werden immer wieder massiv gestört. Dahinter steckt Strategie und vor allem eine treibende Kraft.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) nahm es in Düsseldorf mit Humor, Friedrich Merz platzte in Olpe der Kragen: "In Moskau wären Sie von der Sicherheitspolizei schon abgeführt worden", rief er auf der Bühne. Der Grund für Merz‘ Ausraster: Wie Scholz zwei Tage zuvor musste der CDU-Chef gegen eine Lärmwand anreden. Ein Teil des Publikums pfiff und brüllte so laut und anhaltend, dass er nicht mehr zu verstehen war.

Die Störaktionen sind keine Ausnahmen. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, wo in diesen Wochen Landtagswahlen anstehen, sind sie zur Regel geworden. Es habe "massive Störungen" bei mehreren Wahlkampfveranstaltungen gegeben, sagt Matthias Kissing, Sprecher der Grünen in Schleswig-Holstein, im Gespräch mit t-online. "Das haben wir so noch nie erlebt, das ist ein Novum." Von "Störfällen, wie wir sie bisher nicht kannten" spricht auch die SPD in NRW.

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Angriff auf Kevin Kühnert in Detmold, Morddrohungen in Recklinghausen

Dabei bleibt es nicht immer nur bei Pfiffen und Brüllerei, auf Anfrage von t-online listet die Polizei NRW neben Störaktionen auch härtere Vorfälle auf: In Detmold hatte eine Frau Ende April SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert angegriffen – zuerst schlug sie gegen sein Bierglas, dann bewarf sie ihn mit rohen Eiern. Die Polizei schätzt das als versuchte Körperverletzung ein. In Recklinghausen bedrohte ein Mann eine Kandidatin der SPD: Er habe "Mordgedanken" am SPD-Stand gehabt, schrieb er auf Facebook. In Lübeck versprühten Unbekannte vor einem Wahlkampfauftritt von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Buttersäure. Der Auftritt wurde abgesagt, die Polizei ermittelt.

Hinter den Protesten bei Wahlkampfveranstaltungen sieht der Verfassungsschutz in NRW vor allem eine treibende Kraft: die Szene der Impf- und Corona-Maßnahmen-Gegner – die nun, nach der Aufhebung aller Corona-Regeln, auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern ist. "Ein aktuelles Themenfeld für die Corona-Protestler-Szene sind Störungen von Wahlkampfveranstaltungen", erklärt der Verfassungsschutz NRW auf Anfrage von t-online. Ein sehr breites politisches Spektrum sei davon betroffen, was zeige, dass die Szene eine "zutiefst demokratieverachtende Ideologie" transportiere.

Ob Corona oder Ukraine – Hauptsache Widerstand

Inhaltlich richteten sich jene, die einst gegen Impf- und Maskenpflicht demonstrierten, neu aus, analysiert der Verfassungsschutz NRW weiter. Im Fokus stünden nun vermehrt der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sowie die damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Entwicklungen wie gestiegene Lebenshaltungskosten, Gas- und Ölpreise.

Auffallend sei dabei, dass vor allem pro-russische Narrative und Desinformation verbreitet würden. So grenze sich die Szene gegen die von ihr als "Mainstream" klassifizierte Solidarisierung mit der angegriffenen Ukraine ab und beziehe eine Gegenposition, "die sich nahtlos an die Widerstanderzählungen der Pandemie anknüpfen lässt".

Auch für mindestens zwei der krasseren Vorfälle sind Maßnahmengegner verantwortlich: Nach dem Eierwurf auf Kevin Kühnert gab die Tatverdächtige laut Polizei als Motiv die Coronapolitik der SPD an. Der Mann, der über "Mordgedanken" am SPD-Stand schrieb, sei außerdem als "Vielschreiber im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie" in Erscheinung getreten.

Ob der Buttersäure-Anschlag auf die Baerbock-Veranstaltung in Schleswig-Holstein auf Corona-Protestler zurückzuführen ist, ist noch Gegenstand von Ermittlungen. Her gab es vorab Aufrufe zu Störaktionen in Telegram-Kanälen der Szene.

Verschärfte Maßnahmen bei Wahlfinale

In einigen Parteizentralen denkt man angesichts der massiven Störungen und Angriffe über Konsequenzen für die an diesem und dem nächsten Wochenende stattfindenden Großveranstaltungen rund um die Landtagswahlen statt.

Die Grünen in Schleswig-Holstein stimmen sich zurzeit besonders eng mit der Polizei, dem Landes- sowie dem Bundeskriminalamt ab. Für eine Veranstaltung mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck an diesem Freitag habe der Kreisverband nach Rücksprache mit der Polizei bereits zusätzliche Ordner organisiert, sagt Grünen-Sprecher Kissing.

Auch die SPD in NRW diskutiert verschärfte Sicherheitsmaßnahmen, will sich aber noch nicht offiziell dazu äußern. Man sei außerdem wegen der Störaktionen mit "allen demokratischen Parteien" im Gespräch, sagt ein Sprecher. "Klar ist: Wir wollen uns solidarisieren." Nicht Teil dieses Solidaritätsbündnisses ist allein die rechtspopulistische bis rechtsextreme AfD, die in der Pandemie der Arm der Corona-Protest-Szene in den Landesparlamenten wie im Bundestag war.

Entspannter reagiert hingegen die CDU in NRW. Josef Hovenjürgen, CDU-Generalsekretär in NRW, verurteilt die Aktionen zwar deutlich. Den Störern gehe es allein ums Stören, nicht um Inhalte oder den Austausch von Argumenten. Mit Tröten und Trillerpfeifen wollten sie jeden Dialog unmöglich machen. Aber Konsequenzen in Sicherheitsfragen will die CDU vorerst nicht ziehen. "Eine Demokratie muss dies ertragen können, und sie kann das auch."

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Grünen in Schleswig-Holstein, SPD und CDU in NRW
  • Anfragen an die Landespolizeien und den Verfassungsschutz
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