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Verteidigungsminister Pistorius: "Die Gefahr, dass ich abhebe, besteht nicht"


Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Verteidigungsminister Pistorius
"Das gehört auch zur Wahrheit"


Aktualisiert am 18.06.2023Lesedauer: 12 Min.
Boris Pistorius in einem Leopard 2 A6 der Bundeswehr. Seit fünf Monaten ist der Verteidigungsminister im Amt. (Quelle: Ann-Marie Utz/dpa)Vergrößern des Bildes
Boris Pistorius in einem Leopard 2 A6 der Bundeswehr. Seit fünf Monaten ist der Verteidigungsminister im Amt. (Quelle: Ann-Marie Utz/dpa) (Quelle: Ann-Marie Utz/dpa)

Was sind die größten Baustellen der Bundeswehr? Warum wurden Sie als Fußballer "Kamikaze" genannt? Wollen Sie Olaf Scholz beerben? Im großen Interview mit t-online geht Verteidigungsminister Boris Pistorius keiner Frage aus dem Weg.

Boris Pistorius ruft extra an, um sich zu entschuldigen. Er stehe im Stau und komme ein paar Minuten später. Sorry! War ja auch schon ein ereignisreicher Tag, dieser vergangene Mittwoch. Morgens hat er dem Kanzler mit einem Ständchen zum Geburtstag gratuliert, danach mit dem halben Kabinett die Nationale Sicherheitsstrategie der Regierung vorgestellt, dann folgte Termin auf Termin. So wie es beinahe an jedem Tag seit dem 19. Januar ist, als er das Amt des Verteidigungsministers von seiner glücklosen Vorgängerin Christine Lambrecht übernahm.

Dann ist Pistorius da, nur ein paar Minuten zu spät. Noch mal eine Entschuldigung, ein fester Händedruck, die kurze Rückfrage, welcher Termin nach dem Interview ansteht. Ah, da sind ein paar Minuten Luft. Also wird die Verspätung natürlich nachgeholt. Los geht’s. Der Verteidigungsminister gehört offenbar zu jenen Menschen, die weniger aus der Ruhe Kraft tanken als vielmehr im Austausch mit anderen.

t-online: Herr Pistorius, haben Sie eigentlich schon Karl-Theodor zu Guttenberg heimlich um Rat gefragt?

Boris Pistorius: Nein.

Er könnte Ihnen erzählen, wie es ist, als Verteidigungsminister vom Umfrage-Olymp in die Tiefe zu stürzen – und Sie damit vorwarnen.

Nicht nötig. Ich weiß auch so, dass das passieren kann. Mir ist bewusst, dass sich Umfragewerte auch schnell wieder ändern können.

Sie sind derzeit der beliebteste Politiker. Auch wenn Sie um die Risiken von Höhenflügen wissen: Fürchten Sie nicht trotzdem den Moment, in dem der demoskopische Honeymoon endet?

Nein, diesen Moment fürchte ich nicht. Ich war überrascht, dass ich kurz nach Amtsantritt in Umfragen vorne lag, freue mich über die derzeitige Zustimmung und sehe sie vor allem als Ansporn für die vielen großen Aufgaben, die vor mir liegen.

Und trotzdem: Wie schützen Sie sich davor, beim Blick auf die Umfragen nicht doch mal abzuheben?

Die Gefahr, dass ich abhebe, besteht nicht. Der Tod meiner Frau hat mich vor Jahren gelehrt, dass sich das Leben sehr schnell fundamental verändern kann. Inzwischen bin ich 63 Jahre alt, habe Höhen und Tiefen hinter mir und dank einer großartigen Familie, einer Beziehung mit meiner Lebensgefährtin, in der andere Dinge wichtig sind und guten Freunden ein stabiles Umfeld. Das erdet zuverlässig.

Sollten Sie so beliebt bleiben, könnten Sie allerdings Olaf Scholz gefährlich werden.

Come on!

Es sind in der SPD schon Stimmen zu hören, die sagen, Sie wären womöglich 2025 der bessere Kanzlerkandidat.

Diese Stimmen vernehme ich nicht. Auch nicht aus der SPD.

Das können wir uns nicht vorstellen.

Umfragewerte sind Momentaufnahmen. Es wäre töricht, solche Rückschlüsse zu ziehen. Ich beschäftige mich damit nicht.

Die SPD liegt in Umfragen bei bestenfalls 20 Prozent. Da könnten irgendwann die Rufe nach einem Retter lauter werden.

Ich würde das Pferd andersherum aufzäumen: Mir geht es als Verteidigungsminister darum, die Zeitenwende als Chance zu begreifen. Das heißt zum Beispiel, dass wir die Bundeswehr besser ausstatten und sie fit machen für die neuen Herausforderungen. Wenn es uns in der Regierung gelingt, mit unserer Politik zu überzeugen, dann müssen wir uns alle auch über die Zustimmung der Wählerinnen und Wähler keine Sorgen machen.

Sie sind seit fünf Monaten im Amt. Was war Ihre schlechteste Erfahrung, was Ihre beste?

Begeistert war ich von der Kaltstartfähigkeit der Bundeswehr bei der Evakuierungsmission im Sudan. Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Beschäftigte haben ihr Wissen eingebracht, angepackt und zum Teil bis in die frühen Morgenstunden für den Erfolg gekämpft. Eine tolle Erfahrung, die mich nachhaltig beeindruckt hat.

Und die schlechteste?

Negativ aufgefallen ist mir, wie sehr Verwaltungsprozesse im Ministerium die vielen hervorragenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelrecht ausbremsen. Da gab es Vorlagen, die drei Monate von einer Hierarchiestufe zur nächsten wanderten, bevor sie final unterzeichnet wurden. Verantwortung wurde atomisiert. Das versuche ich zu ändern, zum Beispiel mit einem Planungs- und Führungsstab und anderen Maßnahmen.

Boris Pistorius: Er will die Bundeswehr reformieren.
Boris Pistorius (SPD) (Quelle: Florian Gaertner/imago-images-bilder)

Der Bodenständige

Boris Pistorius wurde am 14. März 1960 in Osnabrück geboren. Nach einer Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann und dem Jurastudium arbeitete er zunächst als Anwalt, wechselte dann aber in die Politik. Für die SPD war er unter anderem von 2006 bis 2013 Oberbürgermeister seiner Heimatstadt und anschließend Innenminister von Niedersachsen. Dort erwarb er sich den Ruf, hart gegen Islamisten vorzugehen. Im Januar 2023 wurde Pistorius überraschend Nachfolger der zurückgetretenen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Privat ist Pistorius mit der Politologin Julia Schwanholz liiert, zuvor war er mehrere Jahre mit der Ex-Frau von Altkanzler Gerhard Schröder, Doris Schröder-Köpf, zusammen. Seine erste Frau Sabine starb 2015 an einer Krebserkrankung; aus dieser Ehe stammen zwei Töchter.

Was sind Ihre drei größten Baustellen als Verteidigungsminister?

Geld. Beschaffung. Personal.

Fangen wir beim Personal an. Die Bundeswehr hat momentan rund 183.000 Soldatinnen und Soldaten. Bis 2031 sollen es 203.000 werden. Wie soll das gehen?

Wir können nicht zaubern. Wir hatten in der Corona-Zeit weniger Bewerbungen, weil wir zum Beispiel nicht auf Messen präsent waren. Viele potenzielle Bewerberinnen und Bewerber haben sich in dieser Zeit umorientiert. Diesen Trend versuchen wir jetzt wieder umzukehren. Ob wir es schaffen, bis 2031 zusätzliche 20.000 Stellen zu besetzen, das lässt sich jetzt noch nicht abschätzen. Vielleicht müssen wir auch die Zielmarke hinterfragen.

Aber selbst wenn es am Ende weniger sein müssen: Wo sollen all die Leute herkommen?

Wir wollen zum Beispiel den Frauenanteil steigern und die Bundeswehr als Arbeitgeberin insgesamt attraktiver machen: Dazu gehört, den Bedürfnissen der jungen Generation entgegenzukommen. Viele Rekrutinnen und Rekruten favorisieren eine bestimmte Teilstreitkraft, wollen aber gleichzeitig einen Bundeswehrstandort in der Nähe ihres Wohnortes. Für uns eine echte Herausforderung. Gleichzeitig müssen wir flexibler werden, wenn es darum geht, die Verträge von Zeitsoldaten zu verlängern oder wenn jemand vom militärischen Bereich in den zivilen der Bundeswehr wechseln will. Da gibt es noch viele Stellschrauben.

Schweden hat gegen den Nachwuchsmangel die Wehrpflicht wieder eingeführt. Warum ist das kein Weg für Deutschland?

Vielleicht wird die Wehrpflicht auch für Deutschland wieder eine Option sein. Im Moment ist sie das nicht. Derzeit ist die Wehrpflicht, die nur für Männer gilt, ausgesetzt. Würden wir sie wieder einführen wollen, müssten wir das Grundgesetz ändern, um die gesamte junge Generation zu erreichen. Und zur Wahrheit gehört: Die Bundeswehr hat gerade weder das Geld, noch das Personal, noch die Kasernen, um Wehrpflichtige ausbilden zu können. Wir brauchen unsere Ressourcen gerade für andere Dinge: für die Unterstützung der Ukraine und für die Stärkung der Landes- und Bündnisverteidigung.

Schweden hat eine Art Wehrpflicht light, bei der ganze Jahrgänge gemustert werden, die Wehrtauglichen aber dann selbst entscheiden können, ob sie in die Armee wollen. Was halten Sie davon?

Wir brauchen keine Musterung, um junge Menschen für die Bundeswehr zu begeistern. Im Übrigen erscheint mir der Aufwand dafür auch sehr groß. Dann hielte ich es für sinnvoller, junge Menschen für einen Freiwilligen-Wehrdienst zu gewinnen.

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Was schwebt Ihnen vor?

Sinnvoll wären erleichterte Zugänge in die Bundeswehr: Junge Frauen und Männer könnten für eine gewisse Zeit am Truppenalltag teilnehmen, quasi wie bei einem Praktikum, dabei die Abläufe und verschiedenen Bereiche kennenlernen. So könnten wir das Interesse junger Menschen an einer Verpflichtung wecken. Wir prüfen gerade, unter welchen Bedingungen so etwas möglich sein könnte.

Warum sollte ein 18-Jähriger zur Bundeswehr gehen?

Weil kaum ein Beruf diesen wichtigen Auftrag bietet: Die Sicherheit und Freiheit der Menschen in Deutschland und Europa zu verteidigen. Viele junge Menschen wollen nach der Schulzeit etwas Sinnstiftendes tun. Wer sich für die Bundeswehr entscheidet, hat die Einstellung: Ich möchte dieses Land verteidigen können und bin dafür bereit, alles zu geben.

Was ist mit dem verpflichtenden Dienstjahr für alle, das in der Politik immer mal wieder diskutiert wird?

Das ist eine wichtige Debatte. Am Ende geht es hier um eine Generation, deren Zukunft angesichts der prekären Sicherheitslage, des Klimawandels und anderer Herausforderungen ungewisser ist als die mancher vergangenen Generationen. Deshalb dürfen wir diesen jungen Menschen nicht ohne Weiteres eine Dienstpflicht aufzwingen. Eine Debatte darüber wäre hilfreich, müsste dann allerdings von ihnen selbst angestoßen werden.

Länder wie Frankreich, Dänemark und Spanien gestatten es EU-Bürgern, in ihre Streitkräfte einzutreten. Warum macht Deutschland das nicht?

Der Ansatz ist interessant. Dafür müsste man aber das Soldatengesetz ändern. Ich könnte mir vorstellen, dass es dafür sogar eine Mehrheit im Bundestag gibt. Für zivile Bedienstete gibt es diese Möglichkeit in der Bundeswehr übrigens auch jetzt schon.

Und warum nutzen Sie diese Mehrheit nicht jetzt? Vielleicht gibt es sie in ein paar Jahren nicht mehr.

Warten Sie mal ab.

Wie sieht es mit Migranten aus, die in Deutschland geboren sind, aber keinen deutschen Pass haben?

Mehr als ein Viertel der Menschen in Deutschland hat eine Migrationsgeschichte. Diese Vielfalt der Gesellschaft sollte auch in der Bundeswehr abgebildet sein. Deshalb will ich den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund steigern. Zumal ich glaube: Jede Organisation wird durch Vielfalt besser – also auch durch mehr Frauen und mehr Eingewanderte oder deren Nachkommen. Diese Erfahrung habe ich auch als Landesinnenminister in Niedersachsen bei der Polizei gemacht. Prinzipiell ist für mich auch vorstellbar, dass jemand ohne deutschen Pass in die Bundeswehr kommt. Ich halte es aber für falsch, wie es einige diskutieren, die Staatsbürgerschaft nach einer bestimmten Zeit in der Bundeswehr quasi als "Prämie" zu vergeben. Das sollte nicht gekoppelt sein.

Kommen wir zur zweiten Baustelle: dem Beschaffungswesen. Was ist dabei eigentlich der Kern des Problems?

Man kann Rüstungsgüter und Material für die Bundeswehr nicht mal eben wie ein Paar Schuhe im Internet bestellen oder im Laden um die Ecke kaufen. Der Grund ist simpel: Es gibt keine Bestände. Kein Rüstungsunternehmen hat Leopard-Panzer in beliebiger Zahl vorrätig in der Halle stehen. Stattdessen müssen sie sie erst produzieren. Und das dauert eben bis zu drei Jahre. Daran lässt sich nichts ändern. Das soll natürlich nicht heißen, dass wir selbst nichts tun können, um die Prozesse zu beschleunigen. Wir müssen die Produkte, die wir brauchen, zügiger bestellen.

Wenn es um die legendär langwierigen Prozesse bei der Bundeswehr geht, steht häufig das Beschaffungsamt in Koblenz im Mittelpunkt des Interesses.

Es ist zu einfach, eine Behörde für Versäumnisse der Vergangenheit verantwortlich zu machen. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Es sind vor allen Dingen die Abläufe und die eigenen Regelungen gewesen, die uns gebremst haben. Und im Übrigen ist unser Problem nicht das Bestellen von Waffensystemen, die es schon gibt. Den Leopard-Panzer können wir bestellen, dann ist er rund zwei Jahre später da. Problematisch waren in der Vergangenheit immer die Entwicklungslösungen ...

… also die Projekte, bei denen die Bundeswehr ein Produkt nach eigenen Wünschen konfiguriert hat ...

… und von diesen Vorhaben gab es viel zu viele. Hinzu kam: Anders als heute hatten alle Beteiligten mehr Zeit, aber wenig Geld. Häufig waren die Ansprüche an das neue Produkt so hoch, dass sie in kurzer Zeit kaum erfüllt werden konnten.

Die legendäre Sehnsucht nach der Goldrandlösung?

Ja. In einigen Fällen hat man sogar im Laufe des Entwicklungs- oder Produktionsprozesses nachträglich noch zusätzliche Anforderungen an das Produkt formuliert und so die Herstellung weiter verzögert. Gleichzeitig hat man sich an – selbst auferlegte – Regeln gehalten, die gesetzlich gar nicht vorgeschrieben waren. Am Ende hat man sich häufig selbst Fesseln angelegt und dadurch ausgebremst.

Das heißt: Sie machen Entbürokratisierung, indem Sie sich künftig nur noch an die Regeln halten, an die Sie sich halten müssen?

Genau, weil es uns deutlich schneller macht.

Was wollen Sie denn im Beschaffungswesen erreichen – eine Halbierung der Zeiten?

Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Aber klar ist: Der Faktor Zeit ist genauso wichtig wie die Tatsache, dass wir primär bereits auf dem Markt existierende Produkte kaufen wollen.

Sie haben eben gesagt, dass Sie die Kaltstartfähigkeit im Fall der Evakuierungen aus dem Sudan beeindruckt hat. Bei der Landesverteidigung sieht es allerdings deutlich schlechter aus. Wann ist die Bundeswehr für das, wofür sie ursprünglich mal geschaffen wurde, kaltstartfähig?

Wir sind es bereits in Teilen, aber noch nicht in der vollen Breite. Aber daran arbeiten wir.

Wenn Deutschland angegriffen würde, könnten wir uns Stand jetzt nicht selbst verteidigen?

Würde Deutschland angegriffen, wäre das ein Nato-Bündnisfall. Es geht deshalb nicht um die Frage, ob wir uns allein verteidigen könnten, weil es ein solches Szenario nicht gibt. Landesverteidigung ist immer auch Bündnisverteidigung.

Apropos Bündnisverteidigung: Deutschland hat der Nato für 2025 eine erste Division zugesagt, für 2027 eine zweite, also insgesamt rund 30.000 Soldatinnen und Soldaten. Der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, warnte bereits, dass die Bundeswehr dieses Ziel nicht schaffe.

Inspekteur Mais hat aber auch gesagt: "Wenn wir nichts tun." Und das ist ja nicht der Fall.

Sie sagen: Wir schaffen das?

Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinbekommen, aber leicht wird es nicht!

Prognosen zufolge wird Deutschland das Ziel der Nato, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, auch in den kommenden Jahren nicht erreichen. Klingt nicht wirklich nach der vom Kanzler ausgerufenen Zeitenwende.

Ich kenne die von Ihnen genannten Prognosen nicht. Und wenn es sie gäbe, wären sie falsch. Wir werden das Zwei-Prozent-Ziel erreichen. So, wie wir es bei der Errichtung des Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden beschlossen und gesetzlich geregelt haben.

Das müssen Sie erklären.

Es geht darum, das Zwei-Prozent-Ziel im Durchschnitt der nächsten Jahre zu erreichen. Außerdem werden wir das Sondervermögen in die Berechnung mit einbeziehen. Die zwei Prozent setzen sich also aus dem jährlichen Verteidigungsetat und den jeweiligen Ausgaben aus dem Sondervermögen zusammen.

Was allerdings bedeutet: Sie müssen die 100 Milliarden Euro Sondervermögen schnell ausgeben, damit Sie in den nächsten Jahren das Zwei-Prozent-Ziel erreichen.

Da widerspreche ich nicht. Spannend wird es, wenn das Sondervermögen weg ist.

Wann wird das der Fall sein?

Wenn wir gut sind, dann im Jahr 2027, ich halte 2028 für etwas realistischer.

Sie wollen den Wehretat allerdings so erhöhen, dass er unabhängig vom Sondervermögen das Zwei-Prozent-Ziel erreicht. Finanzminister Christian Lindner will dagegen sparen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie für 2024 mehr Geld zur Verfügung haben als die rund 50 Milliarden Euro in diesem Jahr?

Angesichts der äußerst schwierigen Finanzlage bin ich ehrlich gesagt nicht sehr zuversichtlich. Rund 20 Milliarden Euro im Haushalt des nächsten Jahres sind bislang nicht gedeckt, darüber hinaus gibt es zusätzliche Anmeldungen weiterer Ressorts. Mir ist angesichts dieser schwierigen Rahmenbedingungen wichtig, dass ich inklusive des Sondervermögens im nächsten Jahr zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für militärische Ziele ausgeben kann.

Wie hoch müsste der Etat 2024 denn sein, damit Sie dieses Ziel auch tatsächlich erreichen?

Darüber sprechen wir gerade. Entscheidend ist für mich, dass ich nichts einsparen muss …

… aber Sie wollen doch eigentlich mehr Geld, jetzt sind Sie schon mit dem Status quo zufrieden?

Es wäre ein wichtiger erster Schritt, wenn wir als einziges Ministerium jetzt kein Geld einsparen müssten. Aber es muss allen klar sein: Eine besser aufgestellte Bundeswehr kostet auch Geld. Und deshalb bleibt die Finanzierung des laufenden Betriebs – angesichts eines erhöhten Aufwandes und gestiegener Preise – eine Herausforderung. Deshalb könnte ich mit dem sich abzeichnenden Ergebnis ehrlicherweise nicht zufrieden sein.

Das heißt aber: Sie rechnen nicht mehr damit, dass Sie die zehn Milliarden Euro, die Sie öffentlich für nächstes Jahr zusätzlich fordern, auch tatsächlich bekommen.

Die Haushaltslage ist schwierig, und die Gespräche laufen noch.

In der Nationalen Sicherheitsstrategie, die die Regierung in dieser Woche vorgestellt hat, kommt die Bundeswehr 31 Mal vor …

… Sie haben schon durchgezählt?

Ja. Uns ist allerdings aufgefallen, dass Sie für die Strategie keine Einführungsworte geschrieben haben – anders als der Kanzler und die Außenministerin.

Ich kann Sie beruhigen: Damit kann ich leben.

Aber müsste die Nationale Sicherheitsstrategie nicht federführend vom Verteidigungsministerium entwickelt werden – und nicht vom Außenministerium?

Das bin ich schon mal gefragt worden.

Und was haben Sie geantwortet?

Mein Ministerium hat mit die wichtigsten inhaltlichen Beiträge zur Nationalen Sicherheitsstrategie geliefert, naheliegenderweise. Das ist mir wichtig – und nicht, wer auf irgendwelchen Fotos zu sehen ist.

Und trotzdem fragen wir uns, warum Sie sich von der Außenministerin die Show stehlen lassen?

Sie können sich das gern fragen. Mir ist es egal, solange die Inhalte gut sind. Das Verteidigungsministerium hat die Punkte untergebracht, die uns und mir wichtig sind.

Zum Schluss noch ein paar privatere Fragen: Sie hatten schon viele politische Ämter, das aktuelle ist das zeitintensivste. Hatten Sie seit Amtsantritt überhaupt schon einen freien Tag?

Ja.

Einen richtig freien Tag?

Ja!

Aber auf Ihr Handy mussten Sie trotzdem gucken, oder?

Na klar, anders geht es in meinem Job nicht.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer glücklosen Vorgängerin Christine Lambrecht?

Ja, hatte ich gelegentlich.

Sie sind nach Boris Pasternak benannt, haben selbst Russisch gelernt, waren bereits als Jugendlicher in der Sowjetunion. Haben Sie dadurch einen anderen Blick auf Russland als viele Bürger?

Möglicherweise weniger auf Russland als auf die russischen Menschen. Der wesentliche Unterschied ist: Wenn man Russisch spricht, hat man einen besseren Zugang zu den Menschen. Aber auch der ändert nichts daran, dass ich es schrecklich finde, in welche Richtung sich die russische Politik in den vergangenen Jahren entwickelt hat.

Sie sind noch nicht so lange mit Ihrer derzeitigen Partnerin zusammen. Wegen Ihres neuen Amtes mussten Sie aber sofort nach Berlin ziehen und sind jetzt nahezu rund um die Uhr eingespannt. Wie sehr belastet das eine noch recht junge Beziehung?

Machen Sie sich darüber keine Sorgen: Wir bekommen das ganz hervorragend miteinander hin und wir fühlen uns in Berlin sehr wohl.

Als Fußballer wurden Sie angesichts Ihrer eher forschen Spielweise "Kamikaze" genannt …

… der Name kommt daher, dass ich Verteidiger und Libero war, ich also abräumen musste. Ich war schnell, athletisch und konnte die Gegner aufhalten. Dabei habe ich mich selten geschont. Aber das will ich schon noch erwähnen: Ich bin trotz meiner robusten Spielweise nie vom Platz gestellt worden.

Was kann man denn vom Fußball für die Politik lernen?

Teamarbeit.

Das müssen Sie jetzt sagen.

Nein, es ist so: Auf jeder Position braucht es jemanden, der seinen Job gut macht und sich damit in den Dienst der Mannschaft stellt. Aber es braucht natürlich auch einen, der weiß, wo die Mannschaft hinwill. Deshalb ist der Trainer so wichtig.

Die Frage drängt sich nun auf: Ist die Ampel ein gutes Team?

Ja.

Das sagen Sie ohne Schmunzeln?

Natürlich.

Herr Pistorius, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Boris Pistorius im Bundesverteidigungsministerium in Berlin
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