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Lars Klingbeil wird wohl SPD-Chef – wie hat er das geschafft?


Neue SPD-Spitze
Der unwahrscheinliche Herr Klingbeil

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 06.11.2021Lesedauer: 6 Min.
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Lars Klingbeil: Er wird wohl SPD-Chef.Vergrößern des Bildes
Lars Klingbeil: Er wird wohl SPD-Chef. (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)

Lars Klingbeil wird wohl SPD-Chef. Vor Kurzem hätte er das selbst nicht für möglich gehalten – und seine internen Kritiker schon gar nicht. Wie hat er das geschafft?

In der Lüneburger Heide ist Lars Klingbeil schon länger ein Star. Es ist Mitte September, noch anderthalb Wochen bis zur Wahl. Für Klingbeil reiht sich gerade Termin an Termin an Termin. In einem Café macht er so etwas wie eine Pause für SPD-Generalsekretäre im Endspurt: Er gibt zwei Journalisten ein Interview. Immerhin bestellt er einen Minztee.

Soll ja beruhigend wirken.

Doch nach einer dreiviertel Stunde ist schon wieder Schluss mit Beruhigung, Klingbeil verabschiedet sich, der nächste Termin, so ist das eben, ständig auf Zack. So sehr, dass der Kellner seinen großen Moment verpasst. "Ist Herr Klingbeil schon weg?", fragt der Mann mit hängenden Schultern. Er wollte doch noch ein Handyfoto mit ihm machen, fürs Internet.

Aber Pustekuchen, zu spät. Klingbeils Karriere als Werbegesicht für ein Café ist vorbei, bevor sie überhaupt begonnen hat. Man kann nicht alles haben. Wenige Monate und eine Bundestagswahl später sind seine professionellen Aussichten trotzdem nicht so schlecht: Lars Klingbeil wird wohl SPD-Chef.

Dabei haben ihm selbst in der eigenen Partei lange Zeit viele abgesprochen, über die notwendige Durchsetzungsfähigkeit für die Spitzenpolitik zu verfügen. Bei Klingbeil ist es ähnlich wie bei anderen Menschen, die irgendwie immer gut gelaunt, stets nahbar und chronisch verbindlich daherkommen: Man unterschätzt sie leicht. Doch Parteichef wird niemand, der ab und zu mal schüchtern die Hand hebt.

Klingbeils "traurige Augen"

Dass Klingbeil mit seinen 43 Jahren nun bald oben angekommen ist, war trotzdem lange nicht absehbar. Noch vor wenigen Monaten wurde er für seine Arbeit von Parteifreunden hart angegriffen. Und zwar in einer SPD, die sich öffentliche Totenstille verordnet hatte. Quasi als letzten Weg, um die Partei irgendwie am Leben zu erhalten.

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Doch Ende April reicht es dem rheinland-pfälzischen SPD-Chef Roger Lewentz mit der Totenstille. In der "Süddeutschen Zeitung" beklagt er sich lautstark: "Wir verpassen gerade den Wahlkampfstart und handeln uns einen Rückstand ein, der dann später nicht mehr aufzuholen ist." Der Schuldige aus seiner Sicht: Lars Klingbeil, Generalsekretär, und damit in der traditionellen Parteienlogik für Attacken auf den Gegner zuständig.

Die SPD ist zu dieser Zeit in den Umfragen bei 15 Prozent erstarrt und wird das noch eine ganze Weile bleiben. Erfahrene Wahlkämpfer der alten Schule werden hinter vorgehaltener Hand deshalb noch sehr viel deutlicher: Die SPD-Spitze stehe gar nicht auf dem Platz, der Generalsekretär sei kaum erkennbar. Wenn der "mit seinen traurigen Augen vor den Kameras steht", dann sei klar: "Das ist kein Angreifer."

Bloß kein "potentes Getue"

Zu wenig Attacke, zu stromlinienförmig, und überhaupt und sowieso: viel zu soft. Es ist eine Kritik, die Klingbeil kennt, weil sie ihn schon lange begleitet. Doch sie scheint ihn nicht sonderlich zu bewegen. Dieses "potente Getue", dieses "auf andere andauernd draufzutreten, ist ein völlig antiquiertes Politikmodell, letztes Jahrhundert", hat er der "Zeit" einmal gesagt.

Das ist ein bisschen lustig, weil Klingbeil sich im Wahlkampf nun wirklich nicht gerade zurückhält. Der Union wirft er quasi in jedem Interview vor, eine "Chaostruppe" zu sein, im "puren Panikmodus" und "einfach kaputt". Seine Kritiker scheinen das nur nicht mitzubekommen. Vielleicht weil er nie laut dabei wird. Oder es sind wirklich die "traurigen Augen", wer weiß das schon.

In Wahrheit aber meint Klingbeil mit dem "potenten Getue" nicht zuletzt den Umgang in der SPD selbst. Denn so solidarisch sich die Genossen die Gesellschaft auch erträumen – ihre eigene Partei glich bisher nur selten einem Bullerbü. Klingbeil will das anders, und nach allem, was man hört, macht er es auch anders.

Modern statt Macho. Beteiligung statt Basta. Freundlich statt frustriert.

In einer SPD, die sich jahrelang selbst zerfleischt hat und des eigenen Frusts überdrüssig ist, wird moderner Führungsstil zu einer Stärke und ist keine Schwäche mehr. Die Gesellschaft hat sich gewandelt und die SPD mit ihr. Auch weil die Partei oft genug vor dem Abgrund stand und sich wandeln musste, um überhaupt noch eine Chance zu haben. Die Voraussetzungen waren also gut, zumindest was das angeht. Aber von allein funktioniert Modernisierung eben auch nicht, Klingbeil und andere haben darauf hingearbeitet.

Er hat sich gewissermaßen selbst den Weg an die Spitze bereitet.

"Manche sagen, das ist Gerdgas"

Was an einem Abend Mitte September in der Stadthalle von Walsrode passiert, ist deshalb nicht ganz frei von Ironie. Lars Klingbeil hat Gerhard Schröder für einen Auftritt in seinen Wahlkreis eingeladen. Ausgerechnet ihn. Denn breitbeiniger als beim Altkanzler geht's in der SPD des Jahres 2021 kaum mehr.

"Ein anderer Typus Politiker aus einer anderen Zeit", so hat Klingbeil Schröder einmal beschrieben. Das wiederholt er in Walsrode zwar nicht. Er erwähnt aber freimütig, dass er als Schüler gegen die Bildungspolitik des damaligen Ministerpräsidenten demonstriert hat. Das Motto: "Schüler immer blöder dank Gerhard Schröder". Später arbeitete Klingbeil in dessen Wahlkreisbüro. Heute nennt er Schröder einen Freund.

Daran ändert auch nichts, dass der Altkanzler in Walsrode partout nicht die Botschaften aufsagen will, die Klingbeil ihm vorher aufgetragen hat. Stattdessen scherzt Schröder über seinen Job als Putins Erdgas-Lobbyist ("Manche sagen, das ist Gerdgas") und über die Bedeutung von Wahlprogrammen ("Ich habe nicht mal jedes Programm gelesen, an dem ich angeblich mitgearbeitet habe").

Es sind nicht ganz die Botschaften des Lars Klingbeil. Der erzählt gerne die Geschichte von der SPD, die sich durch die Arbeit am Wahlprogramm mit sich selbst versöhnt habe. Der Abend ist ein Ausflug ins Gestern, aber einer, der sein Publikum findet und somit auch Klingbeil hilft. Also lässt er Schröder einfach Schröder sein. Und nimmts mit Humor.

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Man kann das rückgratlos finden. Oder politisch klug.

Der Mann, der mit Kühnert und mit Schröder kann

Irgendeine Ebene findet Klingbeil mit praktisch jedem. Es ist die Qualität, die eigentlich alle an ihm schätzen: zwischen den unterschiedlichsten Menschen und Positionen vermitteln zu können. Mit dieser Fähigkeit gelingt ihm auch das Kunststück, nicht nur den Basta-Altkanzler zu seinen Freunden zu zählen, sondern auch die linke Nachwuchshoffnung Kevin Kühnert. Also zwei Genossen, die sich inhaltlich nicht ferner stehen könnten – und die sich ganz nebenbei nicht ausstehen können.

Klingbeil selbst ist nicht gerade der natürliche Verbündete eines Kevin Kühnert. Er gehört dem rechten SPD-Flügel an, dem Seeheimer Kreis. Kühnert haben die Seeheimer lange Zeit nicht mal zu ihren Wahlpartys eingeladen. Das Verhältnis zwischen Kühnert und Klingbeil könnte theoretisch auch einem Flügelkampf in Miniatur gleichen. Stattdessen hat Klingbeil einmal gesagt: "Unsere Freundschaft hat dazu beigetragen, dass die SPD ihre Zerrissenheit überwinden konnte."

Und das ist vermutlich nicht mal so übertrieben, wie es klingt.

Denn es waren zwar die beiden Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die mit ihrem unprätentiösen Vorschlag, ihren einstigen Gegner Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten zu machen, den Wahlerfolg begründet haben. Klingbeil aber war derjenige, so sehen es viele, der mit seiner vermittelnden Art die nötige Geschlossenheit organisiert hat. Schon weil er die Befindlichkeiten an der Spitze länger kennt.

Es war Martin Schulz, der den bis dahin geschätzten, aber eher unbekannten Fachpolitiker Klingbeil nach der katastrophalen Wahl 2017 zum Generalsekretär machte. Ihm sei versprochen worden, eine Oppositionspartei zu übernehmen, scherzt Klingbeil noch heute manchmal. Die Partei abseits der Regierung zu modernisieren, das war der Plan. Es kam anders.

Klingbeil musste plötzlich die nächste ungeliebte große Koalition mitverhandeln. Zwei Jahre später dann erlebte er mit, wie die Partei ihre Chefin Andrea Nahles absägte. Er organisierte die Nachfolge, einen endlosen Mitgliederentscheid, an deren Ende schon wieder eine Überraschung für viele Genossen wartete: Esken und Walter-Borjans wurden es, und nicht der Funktionärsfavorit Scholz. Doch auch mit ihnen fand Klingbeil eine Ebene. Natürlich.

Zwei schwierige Aufgaben

Bald wird es mehr noch als sonst an Klingbeil sein, Überraschungen zu vermeiden. Böse Überraschungen jedenfalls. Anfang Dezember wird ein Parteitag das neue Führungsduo wählen. Saskia Esken will anders als Norbert Walter-Borjans weitermachen, nachdem sie längere Zeit auch mit einem Ministeramt geliebäugelt hatte.

Auf Klingbeil und Esken warten gleich zwei schwierige Aufgaben: Sie müssen die Partei zusammenhalten, die zu verarbeiten hat, dass sie auch in einer Ampelregierung längst nicht so viel durchsetzen kann, wie sie gerne durchsetzen würde. Ohne Konflikte dürfte das kaum ablaufen.

Und sie müssen die Partei für jüngere Wählerschichten attraktiver machen. Denn bei denen kam die SPD trotz ihres guten Gesamtergebnisses bei der Wahl ziemlich schlecht an. Was umso alarmierender ist, weil sich die SPD durchaus um sie bemüht hat. Klingbeil vorneweg – mit wenig Erfolg.

Gut möglich also, dass Lars Klingbeil auch künftig den einen oder anderen Minztee gebrauchen kann. Ruhiger jedenfalls dürfte es für ihn nicht werden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche und Gespräche in Berlin, Soltau und Walsrode
  • "Zeit": Echte Freunde?
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