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Tagesanbruch: Die Einsamkeit der Macht & das TV-Duell zur Hessen-Landtagswahl


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 17.10.2018Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Kanzlerin MerkelVergrößern des Bildes
Kanzlerin Merkel (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Heute male ich Ihnen ein Bild. Auf diesem Bild sehen Sie eine lange, lange Treppe; und dazu gibt es eine Geschichte, die mit einem schönen Satz beginnt: Macht macht Freude. Man ackert sich jahrelang durch Hierarchien, leistet Extra-Arbeit, macht Unmögliches möglich, opfert Kraft, Freizeit, häufig den Kontakt zu Freunden und manchmal auch die Gesundheit, um Projekte, Pläne, Strategien voranzutreiben. Man wirbt um Vertraute, baut ein Netzwerk auf, das beim Vorankommen hilft, steht Kämpfe durch, wehrt Angriffe ab – und dann, irgendwann, ist der Tag gekommen, da steht man ganz oben. Auf der obersten aller Treppenstufen. Endlich am Ziel. Endlich kann man all das umsetzen, was man sich schon immer erhofft hat, kann selbst die Entscheidungen treffen, statt von den Entscheidungen anderer abhängig zu sein, kann seinen Willen durchsetzen und sich kreativ verwirklichen, kann begabte Menschen fördern, Großartiges schaffen, vielleicht die Welt oder das Land oder das Unternehmen ein kleines bisschen besser machen.

Und das versucht man dann, jahrelang. Man macht und tut – aber irgendwann, nachdem der Zauber des Anfangs verflogen, mancher Erfolg erkämpft und manche Schlacht geschlagen ist, stellt man fest: Ganz so leicht, wie man sich das gedacht hat, ist das Leben auf der obersten Treppenstufe nicht. Alle schauen permanent zu einem herauf: Was macht der oder die dort oben, warum macht er/sie das so und nicht anders/besser/schneller? Außerdem stellt man fest, dass es links und rechts weitere Treppen gibt, auf denen andere Chefs stehen, die bei all den Plänen mitreden wollen. Und dann gibt es da auch noch die Leute auf den unteren Stufen der eigenen Treppe, die selbst gerne auf die oberste Stufe klettern möchten und alles daran setzen, einen hinunterzuschubsen. Die müssen also alle zurückgedrängt werden, was viel Kraft und Aufmerksamkeit kostet.

Irgendwann stellt man vielleicht fest: Man ist mehr damit beschäftigt, sich an der obersten Treppenstufe festzuklammern, als neue Pläne, Projekte, Strategien zu verfolgen. Dann rufen einem die Leute von ganz unten auf der Treppe auch noch zu: Komm endlich runter von da oben, deine Zeit ist vorbei! Aber das will man nicht hören, denn man hat sich ja längst daran gewöhnt, ganz oben zu stehen. Die Aussicht ist gut dort oben, und es ist einfach zu schön, wenn man niemanden mehr über sich hat. Und überhaupt: Man kann doch eh selbst alles am besten. Also hält man sich die Ohren zu und bleibt einfach stehen, klammert sich fest und verschiebt alle weiteren Großprojekte auf den Sankt Nimmerleinstag oder, noch besser, delegiert sie in eine Kommission, wo sie dann gemütlich zerredet werden, was einen von dem Zwang befreit, selbst etwas tun zu müssen.

Das ist die Arroganz der Macht, und Sie, liebe Leserin und lieber Leser, können sich nun aussuchen, wen Sie in diesem Bild auf die oberste Treppenstufe setzen wollen; sei es eine Kanzlerin, ein Parteichef, ein Bundestrainer, den Vorstandsvorsitzenden einer Bank oder eines Autokonzerns oder meinethalben auch einen Chefredakteur.

"Die Autoren der Studie 'How power corrupts relationships' haben fünf Gründe für die Einsamkeit der Mächtigen identifiziert“, lese ich in der "Zeit": "Erstens verändert Macht die Einstellung gegenüber anderer Leute Großzügigkeit. Zweitens zerstört Macht auf Dauer die Fähigkeit, anderen zu vertrauen, und fördert den Zynismus. Drittens leidet die Verbindlichkeit gegenüber anderen Menschen (was, ins Privatleben übertragen, auch Liebesbeziehungen und Ehen betreffen kann). Viertens: Macht schädigt Beziehungen in dem Moment, in dem sie das größte Potenzial hätten, sich zu entwickeln. Denn die kritischen Überlegungen liefen meist nicht wissentlich ab, sondern unbewusst und in Sekundenbruchteilen. 'Mächtige sind nicht die ganze Zeit misstrauisch', schreiben die Autoren, 'aber in dem Moment, in dem jemand versucht, Nähe durch Freundlichkeit herzustellen, kommt ihnen die Macht dazwischen.' Und wozu führt das fünftens? Politiker, Unternehmer, leitende Angestellte: Sie alle treffen, reden, beraten sich am liebsten mit ihresgleichen, bilden Machtzirkel und Netzwerke ohne Einfluss von außen. Sie schotten sich ab. Oder wie die Forscher schreiben: "Sie werden zu Architekten ihrer eigenen Einsamkeit."

Man muss kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass es nicht zuträglich ist, wenn Menschen zu lang allein auf der obersten Treppenstufe verharren.

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Die deutsche Nationalmannschaft hat mit frischem Personal und einem überzeugenden Charaktertest Joachim Löw vorerst aus der Schusslinie genommen. Zwar musste sich die DFB-Auswahl nach einer couragierten Vorstellung vor den Toren von Paris am Ende unglücklich Weltmeister Frankreich geschlagen geben, bot dabei aber über weite Strecken ihre beste Leistung seit langer Zeit. Mein Kollege Luis Reiß berichtet aus Paris.

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WAS STEHT AN?

Was ist die größte Bedrohung für unsere Sicherheit, unser Leben in Frieden und relativem Wohlstand? Nein, nicht irgendwelche irregeleiteten Bundespolitiker oder betrügerischen Konzerne. Es sind erstens der Klimawandel, zweitens die absehbare Überbevölkerung des Globus und drittens das weltweite Arsenal an Atomwaffen. Denn nach jahrelangen Abrüstungsbemühungen wird inzwischen wieder kräftig aufgerüstet, und in einigen Staaten sind die Massenvernichtungswaffen Experten zufolge alles andere als sicher. Auf der Konferenz der Gesellschaft für Sicherheitspolitik in Berlin diskutieren Politiker, Regierungsberater und Wissenschaftler heute über diese schwelende Gefahr. Und später stellen die Vereinten Nationen in New York ihren neuen Weltbevölkerungsbericht vor.

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Die Bundeskanzlerin befasst sich heute mit einem Problem, das nicht CSU heißt: Am frühen Nachmittag gibt sie im Bundestag eine Regierungserklärung zum EU-Gipfel ab. Anschließend fliegt sie nach Brüssel, wo das Treffen der Staats- und Regierungschefs am Abend beginnt – und sich fast ausschließlich um den Brexit dreht: Nachdem eine Einigung mit den Briten gescheitert ist, müssen die 27 verbliebenen EU-Staaten entscheiden, ob sie ihre harte Haltung aufgeben sollten. Sollten sie nicht, finde ich. Die britische Forderung – offiziell austreten und keine Pflichten mehr übernehmen, aber dank Sonderregeln weiter vom offenen Markt profitieren – ist inakzeptabel. Die EU muss ihre Exklusivität schützen, sonst könnten sich bald weitere Mitgliedstaaten abspalten.

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Zwei Tage lang haben Politiker und Medien das Ergebnis der Bayern-Wahl analysiert und kommentiert, jetzt geht es um die Frage, wie die künftige Landesregierung aussieht: Die CSU trifft sich zu Sondierungsgesprächen erst mit den Freien Wählern und dann eher widerwillig auch mit den Grünen. Wird wohl auf eine Koalition mit ersteren hinauslaufen.

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Hessens CDU-Ministerpräsident Bouffier und sein SPD-Herausforderer Schäfer-Gümbel haben die Entscheidung dagegen noch vor sich, im Wahlkampfendspurt treffen sie heute Abend im TV-Duell aufeinander. Falls Sie nichts Besseres vorhaben: Das hr-Fernsehen überträgt live.

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Die deutsche Wirtschaft boomt, Millionen Bundesbürgern geht es gut oder sogar sehr gut – aber wir sollten nicht vergessen, dass es auch hierzulande viele Menschen gibt, die in Armut leben. Wie viele sind es genau, was sind die Gründe und was kann dagegen unternommen werden? Darum geht es heute auf der Nationalen Armutskonferenz in Berlin.

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Ein Mann betritt ein Haus. Die Tür schließt sich hinter ihm. Er ward nicht mehr gesehen. Das ist die gesicherte Faktenlage im Fall Dschamal Chaschukdschi, eines bestens vernetzten saudischen Journalisten, der für die "Washington Post" schrieb, in seinem schillernden Leben aber auch Berater des wichtigsten Botschafters (und ehemaligen saudischen Geheimdienstchefs) war, der Osama bin Laden traf, ihn als Journalist interviewte, möglicherweise für das Königshaus aber auch eine Brücke zu dem Feind des Regimes bauen sollte. Chaschukdschi war ein Mann tief aus dem Inneren des Systems – doch dann kritisierte er den neuen starken Mann in Riad, Kronprinz Muhammad bin Salman. Das ist noch keinem gut bekommen. Schließlich ging er durch die Tür ins saudische Konsulat in Istanbul und kam nicht wieder heraus. Wurde er wirklich von einem saudischen Killerkommando ermordet, wie es US-Medien unter Berufung auf den türkischen Geheimdienst berichten, wurde seine Leiche zerstückelt und aus dem Konsulat geschafft?

Kronprinz Salman ist kein Mann der sanften Diplomatie. Sein Gesellenstück, in seiner ersten offiziellen Rolle als Verteidigungsminister, war der Krieg im Jemen. Ein Muskelspiel sollte es sein, herausgekommen ist die derzeit größte humanitäre Katastrophe weltweit und ein Gemetzel ohne absehbares Ende. Es folgte eine aggressive Eskalation gegen den unbequemen Nachbarn Qatar. Das Verhältnis zum zweiten großen Akteur in der Region, dem Iran, bewegt sich zwischen extremer Spannung und akuter Kriegsgefahr. Die Beziehungen zur Regionalmacht Türkei gelten als zerrüttet.

Man könnte meinen, ein Land mit so vielen Feinden könne noch mehr Gegenwind nicht unbedingt gebrauchen. Doch beim Umgang mit Kritikern aus dem eigenen Land spielt das keine Rolle. Es ist schon eine Weile her, dass ich hier im Tagesanbruch über das mysteriöse Verschwinden regimekritischer saudischer Prinzen berichtet habe, die sich in Europa im Exil aufhielten – alles deutet darauf hin, dass sie vom saudischen Geheimdienst entführt und in ihre Heimat verschleppt wurden. Ein weiterer, in Deutschland lebender Prinz fürchtet dasselbe Schicksal für sich, oder ein schlimmeres: das von Dschamal Chaschukdschi.

Apropos: Bundesaußenminister Maas hatte sich jüngst um eine Verbesserung des deutsch-saudischen Verhältnisses bemüht. Mir scheint, massiver diplomatischer Druck wäre jetzt angebrachter.

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WAS LESEN?

Audi hat seine Kunden betrogen, jetzt ist der Konzern in der Dieselaffäre zu einem Bußgeld in Höhe von 800 Millionen Euro verdonnert worden – und hat die Strafe akzeptiert. Bekommen das Geld betroffene Dieselfahrer? Bis wann ist es fällig? Und wie genau bezahlt man eigentlich so eine Riesensumme? Mein Kollege Markus Abrahamczyk weiß mehr.

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Unerhört, was die Kollegen von "Buzzfeed News" recherchiert haben: US-Söldner sollen im Auftrag der Vereinigten Arabischen Emirate politische Morde im Jemen ausgeführt haben. Das Killerkommando wurde demnach von einer Firma aus Delaware gestellt, die ein Israeli mit ungarischen Wurzeln leitet. Unerhört.

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Schön, dass es auch in Polizeistuben lustig zugehen kann, aber das fröhliche Klima in einer Berliner Dienststelle ist dann doch irritierend: Da installierte ein Polizeibeamter einen Keylogger am Rechner des Chefs, einen kleinen Stick zum Ausspähen der Tastatureingaben. Warum? Um an die Zugangsdaten für die Kaffeekasse heranzukommen. Er dachte, die Kollegen würden herzlich lachen, wenn er sich heimlich eine Million Euro gutschreibe – so stellt die Berliner Innenverwaltung den Fall dar, der jetzt für gehörigen Streit sorgt, wie mein Kollege Lars Wienand berichtet.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Nun habe ich schon wieder so viele Zeilen über Politik, Macht und ihre Folgen geschrieben, dabei kann man die Dinge doch viel einfacher ausdrücken. So wie unser Cartoonist Mario Lars:

Lassen Sie sich bitte trotzdem nicht verdrießen. Unsere Mächtigen verdienen Kritik – aber unser schönes Land wird immer noch viel besser regiert als die meisten anderen Staaten auf dem Globus. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen zuversichtlichen Tag!

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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