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Tagesanbruch: Kampf um CDU-Parteivorsitz – Wahrhaftigkeit wirkt


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 26.11.2018Lesedauer: 6 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Annegret Kramp-KarrenbauerVergrößern des Bildes
Annegret Kramp-Karrenbauer. (Quelle: Ralf Hirschberger/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Wahrhaftigkeit ist eine Denkhaltung, die das Streben nach Wahrheit beinhaltet. Sie bringt das Verhältnis eines Menschen zur Wahrheit oder Falschheit von Aussagen zum Ausdruck. So zitiert die Wikipedia aus dem "Philosophischen Wörterbuch". Zwei schöne Sätze, die eine erstrebenswerte Eigenschaft definieren. Menschen, denen das Wahre anhaftet, weil sie sich der Lüge, der Heuchelei und der Täuschung verweigern, sind wahrhaftig. Und leider selten. Auch in der Politik. Im Wahlkampf um den CDU-Parteivorsitz wird das deutlich.

Da ist zunächst Jens Spahn, dessen Begründung für die Kandidatur sich in einem Satz zusammenfassen lässt: Ich will CDU-Chef (und später Kanzler) werden, weil ich CDU-Chef (und später Kanzler) werden will. Seinen programmatischen Aussagen haftet der Hautgout der Taktik an. Jüngstes Beispiel: seine Forderung, den UN-Migrationspakt auf dem Parteitag Anfang Dezember noch einmal diskutieren zu wollen. Was vordergründig verständlich klingt, ist de facto ein Manöver, um den Rückstand zu seinen Mitbewerbern aufzuholen, indem er sich inhaltlich von ihnen absetzt. Fragt man Herrn Spahn, was genau ihn denn an dem Pakt stört, wie es kürzlich eine Parteifreundin während einer Sitzung tat, flüchtet er sich in vage Floskeln. Er will darüber diskutieren, weil er darüber diskutieren will. (Und weil er sich Beifall im rechten Lager der Partei erhofft, wo man Merkels Flüchtlingspolitik besonders kritisch sieht – aber das sagt er nicht laut.) Was genau er anders machen will, sagt Spahn nicht; er weiß es wohl selbst nicht. Wahrhaftigkeit? Sieht anders aus.

Dann ist da Friedrich Merz. Auch ihm haftet inzwischen der Ruch des taktisch agierenden Politikers an. Auf der CDU-Regionalkonferenz in Thüringen tat er seine Überzeugung kund, dass man darüber diskutieren müsse, ob das deutsche Grundrecht auf Asyl fortbestehen könne. Deutschland sei "das einzige Land in der Welt", in dessen Verfassung ein "Individualrecht auf Asyl" stehe. Dieses richte sich an "alle Menschen, die nach Deutschland kommen wollen und einen Asylgrund vortragen". Beides ist: falsch.

Erstens steht das individuelle Asylrecht auch in der französischen, der italienischen, der amerikanischen und mehreren weiteren Verfassungen. Zweitens wurde der Asylrechtsartikel 16a im deutschen Grundgesetz schon vor 25 Jahren stark eingeschränkt: Wer aus einem europäischen Staat oder einem sicheren Herkunftsland nach Deutschland einreist, kann sich als politisch Verfolgter nicht auf das Grundgesetz berufen, um Schutz zu erlangen – wohl aber auf europäisches Recht, das wiederum auf der Genfer Flüchtlingskonvention beruht. Als Jurist und Politiker, der Chef der größten deutschen Partei (und später Kanzler) werden will, sollte Herr Merz das wissen. Offenbar hat aber auch er ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit, worauf auch seine spätere Rechtfertigung hindeutet: Statt seinen Fehler einzugestehen, warf er seinen Kritikern vor, sie seien überfordert.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mein Eindruck ist: Immer mehr Bürger stören sich an solchen Verhaltensweisen von Politikern. Sie haben die Konkurrenzkämpfchen, die Besserwisserei, die Halbwahrheiten und Ausflüchte satt. Sie wünschen sich Authentizität. Und Wahrhaftigkeit.

Eine Frau, die erkennbar versucht, diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen, ist die dritte Bewerberin im Rennen um den CDU-Vorsitz: Annegret Kramp-Karrenbauer. Auch sie stößt bei manchen Beobachtern auf Kritik; es fällt ihr erkennbar schwerer als Spahn und Merz, ihre politischen Überzeugungen in prägnante Sätze zu fassen. Aber was sie sagt, lässt aufhorchen. Ausführlich erklärt sie in langen Interviews ihre Positionen, neulich auf t-online.de, gestern in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Sie setzt sich von Angela Merkel ab, ohne nachzutreten. Sie erläutert, warum man als Bundeskanzlerin nicht erst nach, sondern vor den Entscheidungen intensiv mit den Bürgern reden sollte. Sie räumt selbstkritisch ein, dass die CDU die öffentliche Diskussion über den UN-Migrationspakt zu lange Populisten überlassen habe. Aber sie widerspricht zugleich Friedrich Merz, der behauptet, die CDU habe den Aufstieg der AfD mit einem "Achselzucken" hingenommen: "Solche Behauptungen sind ein Schlag ins Gesicht für alle in der CDU, die vor Ort und in den Parlamenten seit Jahren gegen ständige Falschinformationen, gegen gezielte Vergiftungen des politischen Klimas, gegen Anfeindungen sowie gegen in Teilen offene Hetze durch die AfD kämpfen und Tag für Tag in der CDU Haltung zeigen", sagte Kramp-Karrenbauer in der "FAS". Ein Satz wie ein Kinnhaken. Kramp-Karrenbauer kann ihn glaubwürdig sagen, weil sie auf ihrer "Zuhör-Tour" monatelang durch Deutschland getingelt ist und mit den Menschen geredet hat. Sie weiß, was an der CDU-Basis los ist.

Nach vier CDU-Regionalkonferenzen ist nun Halbzeit. Morgen Abend folgt der Auftritt in Böblingen, dann Düsseldorf und Bremen, den Abschluss bildet am Freitag Berlin. Eine Woche später wählen die Delegierten auf dem Bundesparteitag in Hamburg ihre neue Führung. Gegenwärtig sieht es so aus, als könne Annegret Kramp-Karrenbauer am Ende die Nase vorn haben. Weil sie nicht naseweis und nicht hochnäsig wirkt, sondern den richtigen Riecher für Stimmungen an der Basis hat. Weil sie wahrhaftig wirkt.

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WAS STEHT AN?

Zwei schwelende Krisen entladen sich in Eskalationen – wie geht es weiter? Vor der Halbinsel Krim haben russische Schiffe gestern Abend das Feuer auf mehrere ukrainische Schiffe eröffnet. An der mexikanischen Nordgrenze haben gestern Dutzende Flüchtlinge versucht, in die USA einzudringen. Amerikanische Sicherheitskräfte feuerten Tränengas ab, in der mexikanischen Grenzstadt Tijuana wurde der "humanitäre Notstand" ausgerufen.

Zwei Krisen, zwei Aufgaben für erfahrene Diplomaten. In den russisch-ukrainischen Konflikt dürften sich heute die EU und auch das deutsche Außenministerium einschalten. Es gilt, die Hitzköpfe in Kiew und Moskau zur Besonnenheit zu bewegen. Die Entschärfung der Lage an der amerikanischen Grenze obliegt dem Mann im Weißen Haus. Problem: Der ist selbst ein Hitzkopf.

Apropos: Wenn Sie wissen wollen, wie in Washington Politik gemacht wird, darf ich Ihnen das regelmäßige Format unseres US-Korrespondenten Fabian Reinbold empfehlen: Seine neue Kolumne erscheint nun immer freitags, und Sie können sie auch als Newsletter abonnieren. Prädikat: empfehlenswert!

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Nach der Schlacht ist vor der Schlacht: Nach monatelangen Verhandlungen haben sich Großbritannien und die EU auf ein Brexit-Abkommen verständigt – aber es gilt erst, wenn das Parlament in London zustimmt. Die Chancen dafür sind derzeit gering, eine Mehrheit für Premierministerin May ist noch nicht abzusehen. Wie geht es jenen Menschen, die direkt von dem Brexit-Theater betroffen sind? Meine Kolleginnen Nathalie Helene Rippich und Ana Grujic haben mit zwei jungen Männern gesprochen, die viel darüber erzählen können: Der Deutsche Toni Horn lebt und arbeitet seit acht Jahren in London – und empfindet nun Angst. Ebenso ergeht es dem Briten Graham Wetherall, der seit fast vier Jahren Berlin seine Heimat nennt. Verunsicherung, Angst, neue Grenzen: Das wahre Erbe des Brexit.

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In Essen wird heute das Urteil im Prozess um Gruppenvergewaltigungen erwartet. Die fünf Angeklagten sollen Schülerinnen unter einem Vorwand in ihr Auto gelockt und dann an einsamen Orten vergewaltigt haben. Die Staatsanwaltschaft fordert lange Haftstrafen.

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Die Fußball-Bundesliga macht endlich (endlich!) wieder Spaß. Weil mal andere Vereine als der FC Bayern an der Spitze stehen. Inzwischen haben die Münchner sage und schreibe neun (9!) Punkte Rückstand auf Tabellenführer Dortmund; nun hat die Krise beim ewigen Meister die Bosse Hoeneß und Rummenigge erreicht (endlich!). Oliver Kahn wird als neuer starker Mann gehandelt. Gute Idee? Unbedingt!, findet Heiko Ostendorp in unserem Zweikampf der Woche. Florian Wichert kennt dagegen drei Kandidaten, die besser geeignet wären. Welche? Na, diese!

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WAS LESEN?

Die Digitalisierung wird unser Land, unser Leben, unsere Jobs umkrempeln, da herrscht Konsens in den politischen Parteien. Was aber die richtigen Antworten auf die digitale Revolution sind, da gehen die Meinungen auseinander. Einen dicken Nagel haut jetzt Hubertus Heil (SPD) in die Wand: "Wer Digitalisierung mit Ausbeutung gleichsetzt, hat mich als Gegner", stellt der Bundesarbeitsminister im Interview mit meinen Kollegen Tatjana Heid und Patrick Diekmann klar – und hämmert hinterher: "Wir müssen die Arbeitnehmer schützen. Ihre Rechte dürfen im Wandel nicht unter die Räder kommen." Zudem will er den Mindestlohn erhöhen, die Tarifbindung überall in Deutschland stärken, Armut durch Brückenteilzeit bekämpfen – und so an die AfD verlorene Wähler für die SPD zurückgewinnen. Dicke Nägel, viel Gesprächsstoff. Hier lesen Sie das Interview.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Das Gesetz der Schwerkraft ist eigentlich ganz einfach: Runter geht’s immer, rauf nur mit Kraft. Na ja, außer man wendet ein paar Tricks an. Ist dies das faszinierendste Filmchen, das ich in diesem Monat gesehen habe? Ich glaube schon.


Ich wünsche Ihnen einen kreativen Tag.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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