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AfD gegen Verfassungsschutz: Ein Selbstläufer ist das nicht


Tagesanbruch
Ein Selbstläufer ist das nicht

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 16.05.2025 - 05:59 UhrLesedauer: 6 Min.
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Ungebremst scharf und wütend: Alice Weidel am Donnerstag im Bundestag. (Quelle: imago)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

das Gutachten des Verfassungsschutzes zur AfD ist öffentlich, jetzt tobt die große Meinungsschlacht. Kräfte rechts wie links der politischen Mitte schicken ihre Juristen und Aktivisten ins Feld. Die einen rufen: "Alles Humbug, alles gedeckt von der Meinungsfreiheit!" Die anderen: "Gesichert rechtsextrem – her mit dem AfD-Verbot!"

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Entscheiden wird zum Glück ein unabhängiges Gericht, ob die Einstufung als "gesichert rechtsextrem" gerechtfertigt ist. Dafür ausschlaggebend ist vor allem ein Papierkrieg, der nun im Hintergrund läuft: Die Anwälte von Verfassungsschutz und AfD werden zunächst schriftlich Argumente austauschen, die Richter werden sie studieren. Das bereits mehr als 1.000 Seiten starke Gutachten ist der Auslöser und zugleich nur ein Teil dieses langwierigen Prozesses.

Ein Selbstläufer für den Verfassungsschutz ist das Verfahren dabei nicht. Die AfD wird die Justiz für den Fall einer Niederlage bereits vorab als politisch gesteuert darstellen. Doch das Urteil zur Einstufung der AfD als Verdachtsfall aus dem vergangenen Jahr beweist das Gegenteil: Dort attestierte das Gericht der Partei etwa Muslimfeindlichkeit und ein problematisches Volksverständnis. In anderen Punkten aber folgte es der Argumentation des Verfassungsschutzes nicht.

Mit einem Bild machten die Richter am Ende des Verfahrens deutlich, dass die bis dato vorgelegten Belege für die Verdachtsfall-Einstufung und eine Beobachtung reichten. Aber eben nicht für mehr: Der Rauchmelder der Verfassung schrille zwar, so die Richter. Wie im echten Leben müsse es der Polizei dann gestattet sein, eine Wohnung zu betreten und zu prüfen, ob es brennt.

Jetzt aber ist eine andere, die letzte Stufe erreicht: Jetzt muss der Verfassungsschutz nachweisen, dass die Wohnung tatsächlich in Flammen steht – also, dass die AfD nachweisbar verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Die Hürden hierfür liegen sehr viel höher, auch weil die Einstufung für die Partei viel schwerwiegendere Folgen hat.

In den vergangenen vier Jahren hat die AfD aufgedreht. Sie hat sich nicht angesichts der Beobachtung durch den Verfassungsschutz gemäßigt, sondern ist ihrem ewig-bockigen Leitsatz gefolgt: Jetzt erst recht. Da kuschelte AfD-Chefin Alice Weidel im Wahlkampf mit Björn Höcke und verharmloste Hitler, da forderte der Brandenburger Landesverband Verbotszonen für Flüchtlinge, da hob die Partei den von Rechtsextremisten geprägten Begriff "Remigration" in ihr Programm, da warb sie ganz ähnlich wie früher die NPD mit "Abschiebetickets" für sich, da beschäftigte sie ohne jede Scheu in ihren Abgeordnetenbüros viele aus verfassungsfeindlichen Vereinen wie der Identitären Bewegung oder der Jungen Alternative. Die Liste ließe sich lange fortführen.

Doch die AfD ist raffiniert. Sie hat in ihren Reihen viele Juristen und Experten sitzen, die sich der Frage widmen, wie man all das machen kann und doch dem Verfassungsschutz entgeht. Sie haben Funktionäre geschult und Sprachregelungen ausgegeben. Damit die Grenzen des Sagbaren möglichst nur so weit gerissen werden, dass es für das Niveau des öffentlichen Diskurses und das Sicherheitsgefühl mancher Minderheit steil bergab geht, juristisch aber nicht für die Partei.

Im neuen Gutachten des Verfassungsschutzes finden sich nun unter anderem viele Äußerungen von AfD-Funktionären, auch aus dem Bundes- und Ost-Wahlkampf der letzten Monate, und einige Stellen aus Programm- und Positionspapieren. Der Verfassungsschutz will so nachweisen, was erneut der Knackpunkt des Verfahrens werden dürfte: Dass die AfD nicht nur zwischen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheidet – sondern dass sie letztere Staatsbürger mit ihrer Politik auch rechtlich schlechter stellen will.

Ob die Belege dafür ausreichen? Das wird sich zeigen müssen.

Trotzdem läuft die Debatte über ein AfD-Verbotsverfahren nun schon parallel. Dieses ist allerdings mit ganz ähnlichen Unwägbarkeiten behaftet und noch stärker eine Frage des politischen Willens. Mancher Journalist mag nun peitschende Leitartikel schreiben: Die Zeit sei reif, das Verfahren längst überfällig, es müsse losgehen! Das klingt dann, als sei ein solches Verfahren zum Greifen nahe, als fehlten nur noch ganz wenige Stimmen.

Das aber ist Realitätsverweigerung. Die Lage zumindest in Bundestag und Bundesregierung nämlich ist eine ganz andere. Von einem solchen Verfahren ist man dort weit entfernt. Denn die Zahl der Gegner ist groß, vor allem bei den so wichtigen Regierungsparteien CDU/CSU.

Schon Anfang des Jahres, als eine Handvoll überfraktioneller Kämpfer für ein AfD-Verbotsverfahren im Bundestag erstmals einen entsprechenden Antrag einbrachte, waren die Befürworter überschaubar. 113 Erstunterzeichner nach wochenlangem Werben – mehr waren es nicht. Die meisten von den Grünen, nur knapp 30 aus der SPD. Und aus der ebenfalls rund 200 Abgeordneten starken Unionsfraktion: 7.

Nun hat sich die Zusammensetzung des Bundestags verändert. Ohne die Union ist in der Frage gar keine Mehrheit zu schaffen. Die Haltung in CDU und CSU aber ist auch nach der Höherstufung der AfD zu "gesichert rechtsextremistisch" offenbar dieselbe: ablehnend.

Kanzler und CDU-Chef Friedrich Merz zeigte sich in der "Zeit" gerade "sehr skeptisch". Das rieche ihm zu sehr nach "politischer Konkurrentenbeseitigung", sagte er. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann nannte das Ansinnen bei Springers "Welt" sogar "politisch hochgradig gefährlich" – der Ausgang sei juristisch ungewiss, die AfD aber profitiere in jedem Fall vom Opferstatus.

Der stärkste Grund für die Haltung der Union dürfte aber ein strategischer sein: Keine Partei hat mehr zu verlieren als sie, sollte das Verfahren scheitern. Die AfD, die ihr schon jetzt so viele Wähler abgeknöpft hat, wäre plötzlich rechtsstaatlich geadelt. Mit Persilschein erhoben, dann auf eine Ebene mit der CDU.

Die Angst der CDU ist verständlich, mehr noch: Sie ist klug. Auch der Demokratie wäre nicht geholfen, wenn durch vorschnelles Vorgehen die nächste Volkspartei strauchelt. Merz und der neue Innenminister Dobrindt (CSU) werden das Gutachten des Verfassungsschutzes nun prüfen lassen. Vielleicht wird das ihre Sichtweise verändern. Vielleicht wird es auch neue Wege eröffnen, die leichter zu gehen sind – zum Beispiel hin zu einem Verbotsverfahren nur gegen die extremsten AfD-Landesverbände.

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Eines zeigt die öffentliche Meinungsschlacht um das 1.100-Seiten-Gutachten des Verfassungsschutzes für diesen Fall schon jetzt: Wenn die Politik ein Verbotsverfahren anstößt, braucht es eine klarere, konkretere, kürzere Kommunikation – keine juristischen Fachwerke.


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Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen guten Freitag. Morgen schreibt Florian Harms wieder für Sie.

Herzlichst

Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
X: @AnnLei1

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Mit Material von dpa.

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