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Tagesanbruch – Italien: Eine Koalition gegen Matteo Salvini, aber für was?


Was heute wichtig ist
Eine Koalition gegen Salvini, aber für was?

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 29.08.2019Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Matteo Salvini: Er hat sich verzockt.Vergrößern des Bildes
Matteo Salvini: Er hat sich verzockt. (Quelle: Ciro de Luca/Reuters-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages, heute in Stellvertretung für Florian Harms:

WAS WAR?

In Italien ging es gestern um große Politik. Doch die Dramaturgie glich ungewollt einem Hollywoodfilm. Eröffnungsszene in Venedig: Schauspieler wandeln im Scheinwerferlicht über den Lido. Die Filmfestspiele werden eröffnet, passenderweise mit einem Film über die Wahrheit (Titel: "La verité"). Darin spielen Catherine Deneuve und Juliette Binoche ein Mutter-Tochter-Gespann. Die Mutter nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau. Und wird von der Tochter in die Enge getrieben.

Szenenwechsel. Gleiche Zeit, ein paar Hundert Kilometer weiter in Rom: Die Regierungskrise scheint abgewendet. Ein Mann namens Matteo Salvini hat sie verursacht. Auch der nimmt es mit der Wahrheit nicht ganz genau. Seit er merkt, dass er nicht mit Neuwahlen an die Macht kommen kann, erzählt er: Die Fünf-Sterne-Bewegung und die Sozialdemokraten hätten schon lange miteinander getuschelt. Sie hätten das Ziel verfolgt, ihn zu stürzen.

So ganz kann das nicht stimmen. War er es doch, der die Regierung platzen ließ, Neuwahlen verlangte und Ministerpräsident werden wollte.

Salvini hat sich kräftig verzockt. Der Coup ist gescheitert; es gibt Hoffnung auf eine gemäßigte Regierung. Das ist aus deutscher und europäischer Sicht erst einmal die gute Nachricht.

Beauftragt Staatspräsident Sergio Mattarella am heutigen Donnerstag wie erwartet den parteilosen Giuseppe Conte erneut mit der Regierungsbildung, kommen in Italien zwei Parteien zusammen, die durchaus einige Gemeinsamkeiten haben. Sowohl Fünf Sterne als auch Sozialdemokraten stehen für eine neue Sozialpolitik. Sie wollen benachteiligten Jungen und Alten helfen, wollen einen Mindestlohn einführen. Auch die Umweltpolitik liegt beiden Parteien am Herzen. Beide stehen (inzwischen) fest zu Europa. Beim Thema Migration fehlt ihnen aber eine gemeinsame Linie.

Absehbar ist wohl eine grundlegend andere Politik in Italien. Im Inhalt, im Stil. Der Chef der Sozialdemokraten, Nicola Zingaretti, hat das in den vergangenen Tagen immer wieder vehement eingefordert. Von einer "grundlegenden Wende" spricht er. Die will Fünf-Sterne-Chef Luigi di Maio nun offenbar mittragen.

Fakt ist aber auch: Um ein paar Wahrheiten kommt die neue Regierung nicht herum. Das Land ist hoch verschuldet, die Arbeitslosigkeit ist immens und die Einkommen stagnieren. Zugleich braucht es grundlegende Reformen, etwa bei Rente oder Investitionen. Unmöglich ist die von Zingaretii geforderte Wende nicht. So schauen italienische Politiker etwa in Richtung Portugal, wo die Regierung mit einer Mischung aus Wirtschaftsreformen und Investitionen das Land aus der Schuldenkrise geführt hat.

Doch für Zingaretti und di Maio wird es ein steiniger Weg. In Umfragen kommen beide Parteien zusammen derzeit auf 41 Prozent und liegen damit nur knapp vor der Lega (37 Prozent). Der wesentliche Grund, warum beide keine Neuwahlen wollten. Rein rechnerisch bleiben ihnen nun dreieinhalb Jahre bis zur nächsten Wahl. Doch ohne Unterstützung der Wähler wird das Bündnis wohl kaum so lange halten. Eine Koalition gegen Salvini ist noch keine Regierung für etwas.


Und was hat Boris Johnson da gestern veranstaltet? Zum ersten Mal seit 1948 wird das Parlament in eine verlängerte Pause geschickt. Von Mitte September bis Mitte Oktober will Johnson die alleinige, quasi monarchische Herrschaft ausüben, um alles andere als einen Brexit am 31. Oktober unmöglich zu machen. Der politische Schachzug ist schlau. Zugleich stürzt er Großbritannien in eine ernsthafte Verfassungskrise.

Es gibt in London zwar keine Verfassung wie das Grundgesetz. Aber das "Common Law" fußt auf sechs Grundprinzipien, der Parlamentarismus ist darin zentral. Es ist das Herz der britischen Demokratie, auf das die Briten zu Recht stolz sind. Johnson hat so gesehen einen Dolchstoß ausgeführt.

Johnson will das stolze Königreich ganz allein aus Europa herausführen. Ein Wahnsinn. Doch einen Vorwurf kann man ihm daraus kaum machen. Er hat seinen No-Deal-Weg angekündigt, und die Parteimitglieder der Konservativen haben ihn gerade deshalb mit großer Mehrheit in das Amt gewählt. Das ist der eigentliche britische Irrsinn.

Ob der Dolchstoß ins Herz der britischen Demokratie gelingt? Ich gehe eine Wette ein: Johnsons Plan wird auf die eine oder andere Weise scheitern. Im Alleingang wird auch er nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen können. Nach einer Blitzumfrage lehnen 47 Prozent der Briten sein Vorgehen ab, lediglich 27 Prozent folgen ihm. Britische Abgeordnete gehen bereits am Freitag vor Gericht gegen die Entscheidung. Und Oppositionsführer Jeremy Corbyn sucht Mehrheiten für ein Misstrauensvotum in der kommenden Woche. Ausgang offen.

Der italienische Philosoph Nicolo Macchiavelli schrieb im Jahr 1513 über monarchische Herrscher: "Vor Verachtetwerden und Gehaßtwerden hat man sich zu hüten." Boris Johnson hat mit der erzwungenen Parlamentspause ein für ihn gefährliches Manöver eingeleitet. Ein Schachzug, der ihn damals womöglich den Kopf gekostet hätte. Heute sind die Sitten andere.


WAS STEHT AN?

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg wird ein paar Tage in den USA bleiben. Nach ihrer Ankunft in New York will sie Gespräche führen, ab dem 21. September am UN-Jugendklimagipfel und der UN-Generalversammlung teilnehmen, zu Gesprächen nach Washington reisen. Zwar hat ihr Segeltörn an sich faktisch nichts zum Klimaschutz beigetragen, weltweit aber Menschen zum Nachdenken bewegt. Und um nichts anderes geht es der jungen Aktivistin.


In Helsinki treffen sich die EU-Außenminister. Sie wollen beraten, ob es eine gemeinsame Mission zum Schutz der Schifffahrt in der Straße von Hormus geben kann. Ein Ergebnis wird gegen Abend erwartet. Es wäre das erste Mal in der jüngeren Geschichte, dass Europa in einer wichtigen geopolitischen Frage gemeinsam unabhängig von den USA agiert. Die hatten ja bereits um Unterstützung gebeten. Aber die Europäer wollten sich von der Iran-Politik der USA unabhängig machen. Heute kann Europa zeigen, dass es bereit ist, zu handeln.


Die Klimakrise beschäftigt auch Agrarministerin Julia Klöckner. Sie berät in Berlin mit Forstwirtschaft, Umweltschützern, Städten und Gemeinden über Hilfen für den Wald. Konkretes wird bei dem Treffen nicht erwartet, aber die Gespräche sollen den "Waldgipfel" Ende September vorbereiten. Dann will die Ministerin liefern.

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Die deutsche Basketball-Nationalmannschaft startet am Sonntag gegen Frankreich in die WM in China. Ein Spieler wird dann besonders im Mittelpunkt stehen: Dennis Schröder. Mein Kollege David Digili hat vor dem Turnierstart mit Trainer-Grande Dirk Bauermann gesprochen. Er sagt: "Dennis ist ein absoluter Glücksfall für den deutschen Basketball."


WAS LESEN?

Leben Sie oder ein Mensch in ihrer Umgebung mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung? Dann sind sie nicht allein. Laut statistischem Bundesamt sind 9,4 Prozent der Deutschen schwerbehindert, insgesamt 7,8 Millionen Menschen sind betroffen. Entweder von Geburt an, durch eine Krankheit oder durch einen Unfall. Um ihre Situation zu verbessern, hat das Parlament Ende 2016 das sogenannte Bundesteilhabegesetz beschlossen. Das Gesetz sollte unter anderem den 300.000 in Werkstätten arbeitenden Menschen helfen, reguläre Jobs zu finden. Die Kollegen des "Spiegel" haben Ernüchterndes recherchiert: Allenfalls etwas über hundert Menschen konnten vermittelt werden.

Was das konkret für die Betroffenen heißt, können die am besten selbst erzählen. Lukas Krämer hat nicht nur eine Sprachbehinderung, er geht damit auch offensiv auf seinem eigenen YouTube-Kanal um. Beeindruckend zum Beispiel sein Interview mit einem Autisten über dessen Erfahrungen in einer Behindertenwerkstätte.


Es ist paradox. Während in Syrien die Türkei und Russland in der Region Idlib fast Krieg gegeneinander führen, schlendern Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan am Dienstag über eine Luftfahrtmesse in Moskau. Doch der Besuch Erdogans in Russland hat einen ernsten Hintergrund: Neben dem Konflikt in Syrien sprechen beide Länder auch über einen möglichen Deal mit russischen Kampfflugzeugen. Willigt Erdogan ein, würde die Türkei erneut Nato und USA brüskieren. Mein Kollege Patrick Diekmann analysiert.


Die Grünen werden nach der Landtagswahl in Brandenburg wahrscheinlich zu den Königsmachern. Eine Regierung ohne sie zu bilden, wird schwierig. Mein Kollege Johannes Bebermeier sprach mit der Spitzenkandidatin Ursula Nonnemacher über die Gründe für den plötzlichen Höhenflug ihrer Partei in Brandenburg, Fehler der Vergangenheit und mögliche Regierungskoalitionen.


DIE GUTE NACHRICHT

Eine Uhr schlägt wieder. Als die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten 1961 zugemauert wurde, stand in Berlin eine Kirche genau im Todesstreifen. Die Versöhnungskirche wurde zum Symbol, ihre Turmuhr blieb stehen. Der damalige Uhrwart stellte sie im Oktober 1961 auf fünf vor zwölf. Das Uhrwerk überlebte die Sprengung der Kirche im Jahr 1985. Und wurde nun restauriert.


WAS AMÜSIERT MICH?

In China hat die alljährliche Roboter-Konferenz mit vielen Neuentwicklungen eröffnet – darunter auch diese Drohne, die einem Vogel erstaunlich ähnlich sieht. Aber kann so etwas wirklich fliegen?

Morgen schreibt wie gewohnt Florian Harms an dieser Stelle. Bis dahin wünsche ich Ihnen einen spannenden Tag.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @peterschink

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