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Markus Söder als Kanzler? Der Widerstand innerhalb der Union wächst


Was heute wichtig ist
Der Widerstand gegen Söders Machtstreben wächst

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 22.07.2020Lesedauer: 6 Min.
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Markus Söder sagt immer wieder, sein Platz sei in Bayern. Eine Absage an Kanzlerambitionen ist das aber nicht.Vergrößern des Bildes
Markus Söder sagt immer wieder, sein Platz sei in Bayern. Eine Absage an Kanzlerambitionen ist das aber nicht. (Quelle: Peter Kneffel/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Es kommt nicht oft vor, dass Politiker Kultstatus erlangen. Und wenn, dann brauchen Sie dafür lange Zeit oder Rückenwind durch ein Ereignis von historischer Dimension. Willy Brandt stieg dank seiner Ostpolitik Anfang der siebziger Jahre zum Idol der friedensbewegten Jugend auf. Helmut Kohl schwebte auf der Wolke der Einheitseuphorie in die Geschichtsbücher. Beide mussten viel Kraft und Zeit investieren, knifflige Probleme lösen und sich gegen große Widerstände durchsetzen, ehe sie den Status von Idolen erlangten.

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Markus Söder hat es da leichter. Auch der Bayern-Fürst ist in der Corona-Krise mit einer historischen Herausforderung konfrontiert, und er meistert sie nach überwiegender Auffassung ausgesprochen gut. Aber er musste nicht ganz Deutschland durch den Virussturm führen, sondern ein Bundesland. So gesehen, wäre sein Einsatz eher mit dem Krisenmanagement des damaligen Hamburger Polizeisenators Helmut Schmidt während der Sturmflut 1962 vergleichbar. Dem ebnete sein Ruhm als Retter in der Not allerdings später den Weg ins Kanzleramt.

Auch der CSU-Chef hat in der Krise an Statur gewonnen. Noch vor zwei Jahren stolperte er vom Kruzifix-Erlass in den Zoff um das bayerische Polizeigesetz und wurde dann auch noch von Bienenschützern bloßgestellt. Heute trauen ihm zwei Drittel der Bundesbürger die Kanzlerkandidatur zu. In den Umfragen eilt er von Triumph zu Triumph und hat die CDU-Aspiranten auf das wichtigste Staatsamt weit abgehängt. So nervös sind sie in der Schwesterpartei inzwischen, dass sie alle paar Tage ein neues Gedankenspiel an die Presse durchstechen, mit dem sich Söders Durchmarsch vielleicht womöglich unter Umständen doch noch irgendwie verhindern und ein CDU-Mann ins Kanzleramt hieven ließe. Laschet als Bundespräsident, damit Spahn doch noch Parteichef werden und dann Merkel beerben kann? Oder Laschet als Parteichef, aber Merz als Kanzlerkandidat? Oder Röttgen als Parteichef, Merz als Fraktionsvorsitzender und Laschet dann doch… oder nein. Oder wie jetzt? Alle diese Szenarien haben zweierlei gemeinsam: Sie entspringen erstens der Verzweiflung und machen zweitens die Rechnung ohne die Wähler. Die wollen – glaubt man den Umfragen – derzeit mehrheitlich weder Herrn Laschet noch Herrn Spahn noch Herrn Merz noch Herrn Röttgen als künftigen Big Boss, sondern Markus Söder. "Seine große Beliebtheit offenbart, wie stark es der Schwesterpartei CDU an Führungspersonal mit Format mangelt", schreibt unser Politikreporter Tim Kummert in seiner großen Analyse. Aber will Söder auch selbst? Und noch wichtiger: Könnte er es auch?

Da ist zunächst das Pro: Söder kann man mit Fug und Recht als geborenen Politiker bezeichnen, fast sein ganzes Leben hat er der Politik (und seiner Karriere) gewidmet. Er strotzt vor Schaffenskraft, ist gut informiert, tief in den Themen und so flexibel (oder biegsam), dass er seinen Kurs bedenkenlos um 180 Grad zu wenden vermag, wenn dies mehr Beifall von den Wählern verspricht. Obendrein kann er klar, überzeugend und bei Bedarf witzig formulieren. Wenn Söder redet, hört man ihm lieber zu als den recht hölzernen Monologen eines Olaf Scholz oder eines Peter Tschentscher, mit denen der CSU-Chef während der Corona-Krise oftmals auf dem Podium saß. Auch die Kanzlerin übertrumpft Söder rhetorisch, ohne sie zu düpieren: Dieser Eindruck dürfte sich in den vergangenen Monaten nicht nur vor den Fernsehapparaten in Millionen deutschen Wohnzimmern breitgemacht haben, sondern auch zu einem Gutteil erklären, warum der 53-jährige Franke derzeit so populär ist. Sein Krisenmanagement war zweifellos konsequent, aber erst dessen gelungene Kommunikation ließ Söders neuen Ruhm reifen. Eine taktische Meisterleistung, die ihn an die Spitze der deutschen Politik katapultiert hat.

Es gibt aber auch das Kontra: Ist Markus Söder wirklich so kanzlertauglich, wie er derzeit vielen erscheint? Mit dem Abklingen der Corona-Krise wird diese Frage nun von immer mehr Leuten in der Union mit einem Jein oder gar einem barschen Nein beantwortet. Da wird an seine Ruchlosigkeit im Machtkampf mit Horst Seehofer erinnert und seine Sprunghaftigkeit bei politischen Themen ebenso bemängelt wie sein Taktieren. Mit seinem Versuch, "die AfD rechts überholen zu wollen", habe Söder der Union seit 2015 "schweren Schaden" zugefügt, das habe sie "fast 20 Prozent an Zustimmung gekostet", raunzt Armin Laschets einflussreicher NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Dass Söder dies inzwischen eingesehen habe und sich nun "einen grünen Anstrich" gebe, zeige nur, dass er über "keinen klaren politischen Kompass" verfüge. "Heiße Luft und eine Politik, die auf Inszenierungen setzt", brächten die Union nicht weiter. Patsch!

Söders größtes Manko wird aber nicht bei ihm selbst gesehen, sondern bei den Leuten, die er stützt. Wäre der CSU-Chef wirklich führungsstark, würde er seinen Parteifreund Andreas Scheuer nicht mehr als Bundesverkehrsminister dulden, da der von einem Skandal in den nächsten tappt und obendrein die ökologische Verkehrswende torpediert. Söder würde Scheuers Arbeit nicht bequem im ZDF-Sommerinterview als "sehr, sehr ärgerlich" abkanzeln, sondern ihn schleunigst gegen einen geeigneten Kandidaten austauschen. Die Logik der Großen Koalition erlaubt ihm das als Parteichef. "Wer die permanente Krise um die Pkw-Maut und Andreas Scheuer nicht lösen und beenden kann, kann auch nicht Kanzlerkandidat und später Bundeskanzler werden", sagt der FDP-Obmann im Untersuchungsausschuss des Bundestags, Christian Jung, und spricht damit aus, was auch mancher in der Union denkt.

Auch Horst Seehofer wird zunehmend als Last für den alerten CSU-Chef gesehen: Der Innenminister sei amtsmüde, tappe orientierungslos durch die Bundespolitik und schade so dem Ansehen der Partei. Eine Studie zur Gewalt gegen Polizisten, aber keine Studie zur Frage, ob es in Teilen der Sicherheitsbehörden Rassismus gibt? Da ist etwas schief im Gebälk. Auch angesichts der Gewaltausbrüche junger Männer in Stuttgart und Frankfurt wirke Seehofer eher ratlos als entschlossen: Auf laute Ankündigungen folge wenig.

Wir dürfen davon ausgehen, dass Markus Söder ziemlich genau weiß, wie sehr die dürftige Bilanz der CSU-Bundesminister seiner Partei und damit auch ihm als Parteichef schadet. Ebenso dürfen wir davon ausgehen, dass er beide Herren lieber früher als später ins Aus schubsen würde. Zugleich muss er aufpassen, durch ein solches Manöver nicht plötzlich wieder als ruchloser Strippenzieher dazustehen. Deshalb braucht er eine passende Gelegenheit. Vielleicht muss er zumindest im Falle Andreas Scheuers gar nicht mehr so lange darauf warten: Ab Mitte September sollen im Bundestagsuntersuchungsausschuss die Chefs der Mautfirmen sowie Scheuer selbst vernommen werden. Oder sollte man besser sagen: gegrillt? Die Parlamentarier jedenfalls haben sich ordentlich munitioniert. Kommen dort weitere Details des Skandals ans Tageslicht, könnte der Verkehrsminister nicht mehr zu halten sein – und Markus Söder dem Land den Gefallen tun, Scheuer endlich den Laufpass zu geben. Vielen seiner Kritiker würde er so den Wind aus den Segeln nehmen. Und seinen Glanz als entschlossener Krisenmanager weiter mehren. Ob das für die Kanzlerkandidatur reicht? Das ist allerdings längst noch nicht gesagt.

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Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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