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Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 81 Jahren: Heute ist Courage gefragt


Was heute wichtig ist
Dann brach die Hölle los

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 01.09.2020Lesedauer: 8 Min.
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Deutsche Soldaten greifen im September 1939 eine polnische Ortschaft an.Vergrößern des Bildes
Deutsche Soldaten greifen im September 1939 eine polnische Ortschaft an. (Quelle: ullstein bild)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

heute muss ich Ihnen zwei düstere Themen zumuten. Aber am Ende gibt es wie immer etwas zum Schmunzeln. Hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Freitag, 1. September 1939, Morgenmeldung des Oberbefehlshaberstabes in Warschau: "Heute in den frühen Morgenstunden brachen die Deutschen ohne Kriegserklärung in einem Überraschungsangriff ihrer Luftstreitkräfte und Bodentruppen in unser Land ein. Die deutsche Luftwaffe führte mehrere Angriffe gegen Einzelziele im gesamten polnischen Raum durch."

Freitag, 1. September 1939, Abendmeldung des Oberbefehlshaberstabes in Warschau: "Die deutsche Luftwaffe hat sich heute die Luftherrschaft über den polnischen Raum erkämpft, obwohl starke Kräfte in Mittel- und Westdeutschland zurückgehalten wurden."

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So nüchtern klangen die Kommuniqués der polnischen Militärs, aus denen der Historiker Janusz Piekalkiewicz in seinem Buch "Luftkrieg 1939-1945" zitiert. Doch was heute vor 81 Jahren geschah, war der Auftakt zum größten Gemetzel der Geschichte: dem Zweiten Weltkrieg, der Europa verwüstete, in Asien, Nordafrika, auf dem Mittelmeer, im Atlantik und im Pazifik tobte und mehr als 55 Millionen Menschen das Leben kostete. Jahrelang hatte Adolf Hitler aufgerüstet, nun gedachte er im Handstreich alle Gebiete zu erobern, die Deutschland im Ersten Weltkrieg verloren hatte. Neuen "Lebensraum" im Osten sollte sich die "deutsche Herrenrasse" erkämpfen und dafür die slawischen Völker unterjochen. Fünf Armeen, Kampfflieger und Kriegsschiffe schickte der Diktator gen Polen, insgesamt anderthalb Millionen Mann. Sturzkampfbomber legten binnen Stunden polnische Fabriken und Militärstützpunkte in Schutt und Asche, dann machten sie Jagd auf fliehende Menschen. Kampfverbände am Boden mähten mit Maschinengewehren die polnischen Reiterstaffeln nieder. Hinter ihnen rückten sechs "Einsatzgruppen" vor, die Todesschwadronen der Nazis. Sie ermordeten Tausende Juden, Intellektuelle und Priester. "Restlos zertrümmern" wollte Hitler Polen.

Wenn wir in die Vergangenheit schauen, wirken die Ereignisse oft weit entfernt, aber wenn wir bereit sind, uns mit ihren Details auseinanderzusetzen, von den Schicksalen Betroffener lesen und die Entwicklungslinien des Geschehens bis in unsere heutige Zeit verfolgen, dann ist Geschichte mit einem Mal hochaktuell. Dann beginnen wir zu verstehen, warum das Ringen um europäische Verständigung so schwer ist. Warum es in Osteuropa bis heute Vorbehalte gegen ein zu selbstbewusstes Auftreten Deutschlands gibt. Warum daraus die Verpflichtung erwächst, die Interessen von kleineren Staaten und Minderheiten mit besonderer Sensibilität zu berücksichtigen. Und warum es keine wichtigere Aufgabe gibt, als den Frieden zu erhalten.

Eine friedliche Gesellschaft gründet sich auf Pluralismus, Toleranz und eine wehrhafte Demokratie. Und sie stellt sicher, dass jede Bürgerin und jeder Bürger angstfrei ein sicheres Leben führen kann. So soll das sein, aber so ist das nicht. Schaut man sich die lange Liste der fremdenfeindlichen und antisemitischen Gewalttaten der vergangenen Jahre in Deutschland an, kann einen das kalte Grausen packen. Mehr als 200 Menschen sollen seit 1990 hierzulande durch braunen Terror getötet und viele mehr verletzt worden sein. Ob man mit Verfassungsschützern, dem BKA oder LKA-Beamten spricht, überall bekommt man zu hören: Ja, Islamisten und Linksextremisten sind auch gefährlich, aber nichts gefährdet die deutsche Demokratie gegenwärtig so stark wie der militante Rechtsextremismus, seine Propagandisten und in der Wolle gefärbten Steigbügelhalter. Sogar in Parlamenten sitzen sie schon wieder.

Doch es wäre zu kurz gedacht, die Schuld für die Radikalisierung der Gesellschaft nur bei Extremisten zu suchen. Manchmal wird sie auch im Kleinen sicht- und hörbar, direkt vor unserer Nase: scheinbar banal und doch erschreckend. Dann hören wir auf dem Schulhof Jugendliche, die Mitschüler als "Drecksjuden" beschimpfen. Wir hören in der Kantine einen Mitarbeiter meckern, der Chef habe ihn heute "bis zur Vergasung" genervt. Wir erinnern uns an einen Pfarrer, der seine Heiligabendpredigt mit einem Dank für schöne Präsente einleitete und dann von der Kanzel schmetterte: "Ab 5:45 Uhr wird zurückgeschenkt!" Dass er das Zitat abwandelte, mit dem Hitler den Angriff auf Polen rechtfertigte, war dem Mann wohl keine Sekunde lang bewusst. Doch Unwissenheit schützt vor Dummheit nicht. Geschichtsvergessenheit ist eine Sünde, und die Verrohung der Sprache ist ihre erste Folge. Wo aber die Sprache verroht, da verrohen auch die Sitten, und irgendwann kann verbale in reale Gewalt umschlagen.

Übertrieben? Zu pessimistisch? Wenn ich mir anschaue, was in Internetforen, in Chatgruppen, auf Straßen in Berlin und anderswo los ist, dann meine ich: Nein, im Gegenteil. Und es ist keinesfalls damit getan, von Polizisten und Politikern zu verlangen, das Problem zu lösen. Um die Basis unserer friedlichen Gesellschaft zu erhalten, braucht es jeden einzelnen Demokraten, der den Mund aufmacht, um Beleidigungen, Beschimpfungen und dummen Sprüchen zu widersprechen. Weghören war gestern. Heute ist Courage gefragt.


WAS STEHT AN?

Am heutigen Antikriegstag erinnern Gewerkschaften, Kirchen und Bürgerinitiativen an den 81. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen und rufen zu konsequenter Friedenspolitik auf. In Berlin wird das Denkmal für die polnischen Befreier von Berlin eingeweiht. Einige der letzten noch lebenden Kriegsveteranen nehmen teil, die im Frühjahr 1945 die Bezirke Charlottenburg und Tiergarten eroberten.


Manchen Situationen muss man sich im Geiste vorsichtig nähern. Wann waren Sie zuletzt in einer Jugendherberge? Ganz klassisch im Gruppenzimmer mit Etagenbetten? Vielleicht früher mal auf Klassenfahrt oder als junger Mensch im Urlaub – jedenfalls haben wir alle ein Bild vor Augen. Nun nehmen wir die Etagenbetten weg und legen die Matratzen dicht an dicht auf den Fußboden. Als nächstes entfernen wir die Schränke und nehmen Ihnen das Gepäck weg. Ja, alles, auch die Wechselklamotten. Nun sind die Wände dran, die kommen alle raus, Sie und die Leute aus den Nachbarzimmern befinden sich nun in einem einzigen großen Raum. Ach ja, die Matratzen. Die gibt's in Wahrheit gar nicht. Sie schlafen auf dem harten Boden. Zudem ist es heiß und stickig. Apropos Geruch, für alle gibt es nur ein Klo.

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Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass Sie nicht hinausdürfen. Hineingegangen sind Sie vor vier oder fünf Monaten. Wann es ein Ende hat, sagt Ihnen niemand, vielleicht weiß es auch niemand. Sie sitzen, stehen, liegen tagein, tagaus in der dichtgedrängten Masse der Körper. Vielleicht hat Sie, wie viele der anderen auch, eine dumpfe Hoffnungslosigkeit erfasst oder Sie haben das Gefühl, langsam verrückt zu werden. Gelegentlich sehen Sie einen Toten, der wird dann abgeholt. Meistens kommt das von den Krankheiten und der Hitze. Manchmal erhängt sich einer. Die Wärter schlagen Sie, davon haben Sie Ihre Narben.

So sind die Verhältnisse, von denen wir gerade aus Saudi-Arabien erfahren. Hunderte, vielleicht Tausende Menschen werden dort in Internierungslagern festgehalten, "wie die Tiere", berichten britische Kollegen, denen Fotos aus den Lagern zugespielt worden sind. Zuvor hatte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch auf die "unhygienischen und entwürdigenden" Verhältnisse hingewiesen. Die Opfer sind Migranten. Sie kommen aus Äthiopien, haben die gefährliche Überfahrt über das Rote Meer riskiert und gehofft, in Saudi-Arabien Arbeit zu finden. Für die meisten führt der Weg aber erst einmal durch die Bürgerkriegshölle des Jemen. Zu Fuß. Dort verschwinden manche in den Folterlagern von Menschenhändlern, die den Angehörigen ihrer Opfer Lösegeld abpressen. Andere schaffen es einfach nicht mehr weiter und bleiben im Kriegsgebiet hängen.

Seit die Angst vor dem Coronavirus umgeht, will man die Äthiopier aber selbst im Jemen so schnell wie möglich loswerden. Mit vorgehaltenen Waffen hat die Bürgerkriegspartei der Huthis im April Tausende Migranten zur Grenze getrieben, wo die saudischen Grenzwächter das Feuer auf sie eröffneten. Dutzende starben. Die Glücklicheren sitzen nun in den Internierungslagern fest, zusammen mit vielen Landsleuten, die in Saudi-Arabien schon Fuß gefasst hatten. Aus Angst vor dem Virus haben die saudischen Behörden sie weggesperrt. Migranten sind auf einmal keine nützlichen, rechtlosen, billigen Arbeitskräfte mehr – sondern ein Gesundheitsrisiko, das man beseitigen muss.

Viele Aspekte dieser Tragödie sind uns inzwischen nur zu vertraut. Migranten überqueren in Nussschalen die unberechenbare See? So wie im Mittelmeer. Folterlager, Erpressung, Menschenhändler? Das kennen wir aus Libyen. Vor unserer Haustür hat es die EU, in der die Bundesregierung nun den Vorsitz hat, nicht geschafft, den Misshandlungen und Verbrechen Einhalt zu gebieten. Das ist ein Skandal für sich. In Libyen herrscht Bürgerkrieg – aber mit Saudi-Arabien machen wir Geschäfte. Das kann man nutzen, um Druck auszuüben. Nur gibt es da noch ein anderes Problem.

Viele Migranten, zusammengepfercht unter katastrophalen Umständen, auf unbestimmte Zeit festgehalten: Das gibt es nicht nur in Libyen und in Saudi-Arabien. Das machen wir auch selbst. In Moria etwa, dem hoffnungslos überfüllten Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos. Es ist richtig, Saudi-Arabien für die himmelschreienden Misshandlungen auf die Anklagebank zu zwingen – es geht dort noch brutaler zu als in den Lagern in der EU. Aber unsere Hausaufgaben haben auch wir nicht gemacht. Es gibt keine Ausreden, es ist unsere Pflicht, das jetzt zu ändern. Und es eilt.


Auf seiner Europareise besucht der chinesische Außenminister Wang Yi heute Berlin. Menschenrechtsverletzungen an Uiguren, die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong, Heimlichtuerei in der Corona-Krise, Cyber-Spionage gegen deutsche Firmen: Es gäbe viele Themen, über die man mit diesem Mann sprechen könnte. Hoffentlich traut sich Außenminister Heiko Maas (SPD) an die heißen Eisen heran.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) stellt die Konjunkturprognose der Bundesregierung vor. Nach dem Corona-Einbruch wollen alle wissen, wann es wieder aufwärts geht. Ebenso wie von der Bundesagentur für Arbeit, die heute die Arbeitsmarktdaten für August verkündet.

So anschaulich wie kein anderer Virologe hat Christian Drosten der Nation das Coronavirus erklärt. Nach der Sommerpause beginnt er seinen Podcast wieder, nun wechselt er sich mit seiner Kollegin Sandra Ciesek ab. Auf t-online werden wir die wichtigsten Erkenntnisse für Sie zusammenfassen.

Donald Trump reist nach Kenosha in Wisconsin, wo Polizisten einem Afroamerikaner in den Rücken schossen und es daraufhin zu Ausschreitungen und zwei Todesfällen kam. Wisconsins Gouverneur hat den wahlkämpfenden Präsidenten aufgefordert, zu Hause zu bleiben, um die Lage nicht noch weiter anzuheizen. Trump schert sich nicht darum.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hält dem Libanon die Treue und reist erneut nach Beirut. Er will sich ein Bild von den Aufräumarbeiten nach der Explosionskatastrophe machen und dem neuen Regierungschef Mustafa Adib den Rücken stärken. Der war bisher Botschafter in Berlin und verspricht Reformen.


WAS LESEN?

Nicht nur die Gläubiger der Pleitefirma Wirecard bangen um ihr Geld, Verluste haben auch Tausende Aktionäre gemacht: Kleinanleger, Rentnerinnen und Menschen, die mit der Aktie für später vorsorgen wollten. Mein Kollege Florian Schmidt hat mit Betroffenen gesprochen, die Zehntausende Euro verloren haben und sich jetzt wehren wollen.


Kritiker des amerikanischen Präsidenten findet man in deutschen Medien zuhauf – aber wie argumentiert ein überzeugter Trump-Anhänger? Meine Kollegen Tim Blumenstein und Arno Wölk haben George Weinstein befragt, der hierzulande für die republikanische Partei wirbt.


Ende des Zweiten Weltkriegs fielen japanische Riesen-U-Boote den Amerikanern in die Hände. In ihrem Inneren transportierten sie Kampfflugzeuge, die eigentlich weit entfernte Städte wie New York angreifen sollten. Warum es nicht dazu kam, hat unser Zeitgeschichteredakteur Marc von Lüpke für Sie aufgeschrieben.


WAS AMÜSIERT MICH?

Wie praktisch geflügelte Worte doch sind!

Ich wünsche Ihnen einen engagierten Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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