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Corona-Gipfel: Kanzlerin Angela Merkel muss endlich sagen, was Sache ist


Was heute wichtig ist
Merkel muss uns heute reinen Wein einschenken

MeinungVon Daniel Fersch

Aktualisiert am 16.11.2020Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Angela Merkel mit Maske: Beim Corona-Gipfel wird es heute darauf ankommen, was die Kanzlerin der Bevölkerung sagt.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel mit Maske: Beim Corona-Gipfel wird es heute darauf ankommen, was die Kanzlerin der Bevölkerung sagt. (Quelle: Markus Schreiber/ap-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

heute darf ich Sie in Vertretung von Florian Harms begrüßen. Hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

"I'm rolling thunder, a pouring rain

I'm comin' on like a hurricane"

Woran denken Sie, wenn Sie diese Liedzeilen lesen? Vielleicht sind Sie Fan des FC St. Pauli und erkennen sofort, dass es sich um den Song handelt, der vor jedem Spiel im Stadion am Millerntor aus den Boxen dröhnt. Oder Sie haben die Boxkämpfe des früheren Weltmeisters Vitali Klitschko in guter Erinnerung: Auch er brachte sich auf dem Weg in den Ring stets mit "Hells Bells" von AC/DC auf Betriebstemperatur.

Es kann aber auch sein, dass Sie an den 21. Februar 2011 zurückdenken. An diesem Montagabend passierte im beschaulichen Städtchen Kelkheim im Taunus etwas Außergewöhnliches: Beim Valentinstreffen der hessischen CDU trat der damals amtierende Verteidigungsminister zum Sound von "Hells Bells" auf die Bühne – und verkündete, dass er den Titel "Doktor" nicht mehr nutzen wolle.

Was war passiert? Kurz zuvor war herausgekommen, dass Karl-Theodor zu Guttenberg in seiner Doktorarbeit an mehreren Stellen abgeschrieben hatte. "Abstrus" nannte der CSU-Politiker die Enthüllungen zunächst. Als immer weitere Plagiatsvorwürfe hinzukamen, versuchte er in Kelkheim den Befreiungsschlag. Er habe "gravierende Fehler" gemacht und teilweise den "Überblick über die Quellen verloren", so der Minister. Auf seinen Doktor werde er verzichten. Aber zurücktreten? Auf keinen Fall! Doch es war zu spät: Zwei Tage später erklärte die Universität Bayreuth Guttenbergs Promotion für ungültig, zwei Wochen nach dem Auftritt gab er seinen Rücktritt als Minister bekannt.

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Warum erzähle ich Ihnen heute diese Geschichte? Weil erneut eine amtierende Bundesministerin nach Plagiatsvorwürfen ihren Doktortitel ruhen lässt – und so versucht, ihre politische Karriere zu retten. Familienministerin Franziska Giffey steht unter Druck, seit die Freie Universität Berlin Anfang November beschloss, ihre umstrittene Doktorarbeit erneut zu prüfen. Der Zeitpunkt ist heikel für die SPD-Politikerin: Giffey will Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im kommenden Jahr werden. Die Abstimmung über die Kandidaten steht Ende des Monats an. Da soll dieses unangenehme Kapitel Doktorarbeit doch bitte keine Rolle mehr spielen!

Giffey hat deshalb eine erstaunliche Erklärung geschrieben, mit der die Sache ein für alle Mal beendet sein soll. Doch das könnte Wunschdenken bleiben: Anstatt die Zweifel an ihrem Handeln zu beseitigen, wirft der Text neue heikle Fragen auf.

Die Ministerin fühlt sich von der Universität ungerecht behandelt. Schließlich habe die Hochschule keinen neuen Sachverhalt vorgelegt, der es rechtfertige, ihre "nach bestem Wissen und Gewissen" verfasste und als "sehr gut" bewertete Doktorarbeit erneut zu untersuchen. Was sie nicht erwähnt: Erst vor wenigen Wochen wurde ein Gutachten bekannt, das an mehr als 27 Textstellen der Dissertation eine "objektive Täuschung" der Autorin nachweist. Zudem gibt es Stimmen, die den wissenschaftlichen Wert ihrer Arbeit generell in Frage stellen. Und schließlich hat die Universitätsleitung mit der folgenlosen Rüge, die sie im vergangenen Jahr gegenüber Giffey aussprach, eine Sanktion ausgesprochen, die das Hochschulgesetz gar nicht vorsieht.

Es gibt also gerechtfertigte Gründe für eine Neubewertung. Doch das interessiert Giffey nicht mehr. Denn sie hat entschieden, wie sie damit umgeht: Die Ministerin verzichtet auf den Doktor und damit ist Schluss. Schließlich brauchen die Familien, Senioren, Frauen und Jugendlichen des Landes sie gerade jetzt dringend. Ob sie die Promotion unrechtmäßig erworben hat? Spielt keine Rolle mehr! Eine "sich selbst Begnadigende" nennt die Publizistin und Juristin Liane Bednarz sie deshalb auch treffend.

"Wer ich bin und was ich kann, ist nicht abhängig von diesem Titel. Was mich als Mensch ausmacht, liegt nicht in diesem akademischen Grad begründet", schreibt Giffey. Ja, auch ohne einen Doktor können Politiker kompetente Führungspersonen sein. Aber wenn ihr der Titel so wenig wichtig ist, warum hat sie dann so viel darangesetzt, ihn – möglicherweise unrechtmäßig – zu erwerben? Und hat ihr der Briefkopf "Dr. Giffey" nicht den Aufstieg vereinfacht? Es wirkt, als würde sich Franziska Giffey aus der Verantwortung für ihr vergangenes Tun winden wollen. Und damit wäre sie – Titel hin oder her – im Ministeramt am falschen Platz.


WAS STEHT AN?

Als Angela Merkel und die Ministerpräsidenten vor etwas mehr als zwei Wochen den Wellenbrecher-Lockdown beschlossen, lautete ihre Botschaft an die Bevölkerung: Wir müssen jetzt etwas tun, um Weihnachten zu retten! Wenn wir uns alle einen Monat lang zusammenreißen, dann können wir die Corona-Maßnahmen im Dezember wieder lockern – diese Hoffnung ließ die Kanzlerin bei ihren öffentlichen Auftritten immer wieder durchklingen.

14 Tage nach dem Beginn des Teil-Lockdowns treffen sich die Länderchefs und Merkel heute wieder, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass vorerst keine Lockerungen zu erwarten sind. Der Anstieg der Neuinfektionen hat sich zwar verlangsamt, der Inzidenz-Wert der Ansteckungen pro 100.000 Einwohnern liegt aber weiterhin jenseits aller festgelegten Grenzen. Zudem bleibt die Lage auf den Intensivstationen angespannt.

Das alles kommt wenig überraschend: Virologen und Epidemiologen warnen seit Monaten davor, dass die zweite Welle der Pandemie in den kühlen Monaten hartnäckiger und langwieriger sein würde als die erste Welle im Frühjahr. Für Realisten stand längst fest: Wenn wir einigermaßen heil durch den Winter kommen wollen, dann müssen auch an Weihnachten die Kontaktbeschränkungen und weitere Maßnahmen aufrechterhalten werden.

Die Kanzlerin entschied sich für eine andere Kommunikationsstrategie, vermutlich in der Überzeugung, dass sich die Menschen mit der Aussicht auf Lockerungen zum Fest besser zum Mitmachen motivieren lassen. In gewisser Weise war ihr Handeln auch rational: Bei dem Tempo, in dem sich die Dynamik der Corona-Pandemie ändert, ist es zwingend notwendig, die Gegenmaßnahmen rasch anzupassen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahmen längerfristig beibehalten werden und möglicherweise sogar verschärft werden müssen, war schon Ende Oktober sehr hoch.

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Beim heutigen Corona-Gipfel wird höchstwahrscheinlich über weitere Kontaktbeschränkungen und verschärfte Regeln abgestimmt, die noch vor Weihnachten enden sollen. Das deuten die ersten Punkte aus der Beschlussvorlage der Bundesregierung an, die vorab durchgesickert sind. Über mögliche Maßnahmen an den Festtagen will die Runde offenbar erst nächste Woche entscheiden. Egal, was Bund und Länder jetzt entscheiden: Die Kanzlerin muss den Deutschen ab jetzt reinen Wein einschenken. Sonst riskiert sie, dass aus enttäuschter Hoffnung schnell Unzufriedenheit wird. Dabei gibt es dank der rasanten Impfstoffentwicklung für 2021 wirklich Grund zum Optimismus. Darauf sollte Merkel setzen – und uns darauf vorbereiten, dass der Pandemie-Winter bis dahin noch ein Weilchen dauern wird.


Showdown in Brüssel: Macht Viktor Orbán heute seine Drohung wahr und lässt die ungarischen Vertreter gegen den EU-Haushalt und milliardenschwere Corona-Hilfen stimmen? Der Regierungschef hatte aus Protest gegen den geplanten Rechtsstaatmechanismus mit einem Veto gedroht.


In London will Tennisprofi Alexander Zverev sein erfolgreiches Jahr veredeln. Bei den ATP-Finals der acht besten Spieler des Jahres tritt er im ersten Match gegen den Russen Daniil Medwedew an.


WAS LESEN?

Donald Trump lässt nicht locker: Obwohl eine Klage gegen das US-Wahlergebnis nach der anderen scheitert, schwadroniert der Präsident auf Twitter noch immer vom großen Wahlbetrug. Geht alles den normalen Gang, dann ist spätestens bei der Amtseinführung Joe Bidens am 20. Januar damit Schluss. Das neue amerikanische Staatsoberhaupt erwartet dann eine Mammutaufgabe: Es muss das tief gespaltene Land einen. Wie Biden das erreichen will, hat sein Biograf Evan Osnos meinem Kollegen Fabian Reinbold erzählt.


Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist ein Freund deutlicher Worte. Auch zu den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen hat er eine eindeutige Meinung. Im Interview mit meinen Kollegen Sven Böll und Tim Kummert sagte er dazu: “Entscheidend ist doch, dass die überwiegende Mehrheit der Bürger sagt: Die beschlossenen Maßnahmen sind notwendig und hilfreich.“ Das ganze Gespräch über die Corona-Krise, die USA und die Lage der CDU finden Sie hier.

WAS AMÜSIERT MICH?

Seit 2016 kommentiert der britische Künstler Christopher Spencer mit seinen Collagen auf unnachahmliche Weise das Weltgeschehen. Seine Werke, die er unter dem Pseudonym "Cold War Steve" bei Twitter veröffentlicht, treffen dabei oft mitten ins Schwarze: Seine Vision des Hausbesetzers Donald Trump, der sich im Weißen Haus verbarrikadiert, ist jedenfalls haarsträubend komisch. Erkennen Sie alle abgebildeten Gäste des verwahrlosten Präsidenten?

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Ich wünsche Ihnen einen gelungenen Start in die Woche! Morgen begrüßt Sie an dieser Stelle mein Kollege Sven Böll.

Herzlich,

Ihr

Daniel Fersch
Chef vom Dienst t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per Mail.

Twitter: @danielfersch

Mit Material von dpa.

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