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Corona-Krise: "Dem Bäcker von nebenan sind seine Scherze vergangen"


Tagesanbruch
Der größte Irrglaube der Pandemie

MeinungVon Florian Wichert

Aktualisiert am 06.04.2021Lesedauer: 8 Min.
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Sommer 2020 in Deutschland: Da herrschte noch Optimismus.Vergrößern des Bildes
Sommer 2020 in Deutschland: Da herrschte noch Optimismus. (Quelle: Rolf Zöllner/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

ich hoffe, Sie hatten angenehme Ostertage. Hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages – heute von mir, Florian Wichert, stellvertretend für Florian Harms.

Schluss mit dem Pessimismus

Es ist der Dienstag nach Ostern. Hinter uns: ein wunderbares verlängertes Wochenende. Strahlender Sonnenschein, bis zu 26 Grad. Angrillen auf dem Balkon oder im Garten, wenn auch im kleinen Kreis. Beim Bäcker nebenan liegen kleine Torten in Form von Klopapierrollen in der Auslage. Lustige Idee. Die Aussichten? Sind nach Lockdown und schlimmen, aber irgendwie auch aufregenden Wochen wieder gut, sofern das eigene Umfeld und man selbst von dem fiesen Virus verschont geblieben ist. Der Osterbrunch mit der Familie via Videotelefonat? War schon irgendwie eigenartig, aber hat geklappt. Wird ja eine Ausnahme bleiben. Nächstes Jahr lachen wir darüber. Logisch, denn beim nächsten Bund-Länder-Gipfel am morgigen Mittwoch geht es schon um Lockerungen. Klar, eine gewisse Unsicherheit und dumpfe Angst vor Corona schwingen schon noch mit, aber Sonne und Wärme werden das Virus zurückdrängen. Und an den Herbst will niemand denken. Ist ja noch ewig hin.

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Handlungsempfehlungen der Leopoldina, der nationalen Akademie der Wissenschaften, weisen auf 17 Seiten den Weg aus der Corona-Krise. Geschäfte, Restaurants, Kultur- und Sportstätten sollen nach und nach geöffnet, Urlaubsreisen erlaubt werden. Wie genau, das entscheiden die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten. Gut so, sie haben die Pandemie in Deutschland schließlich ganz gut im Griff. Das Schlimmste liegt wohl hinter uns. Es lebe die Hoffnung.

Das kommt Ihnen alles spanisch vor? Stimmt. Denn das war vor exakt einem Jahr. Heute klingt das ganz anders.

Es ist der Dienstag nach Ostern. Hinter uns liegt ein trübes, nicht enden wollendes Wochenende. Mehr als zehn Grad kälter als vergangenes Jahr. Und am Ostermontag Regen, Kälte und sogar Hagel und Schnee! Osterbrunch per Videotelefonat? Wird eingedampft auf 30 Minuten. Die Technik ruckelt eh mal wieder. Dem Bäcker nebenan sind seine Scherze vergangen. Homeoffice und Dauer-Lockdown sind so wahnsinnig zermürbend. Der nächste Bund-Länder-Gipfel? Irgendwann nächste Woche. Oder doch früher, wenn es nach CDU-Chef Armin Laschet geht, der schon mal einen "Brückenlockdown" fordert. Um Zeit zu überbrücken. Bis mehr Menschen geimpft sind. Wann das ist? Keine Ahnung. Eigentlich ist es ja auch egal, wann der Gipfel ist. Das Format ist sowieso überholt. Das hat Kanzlerin Angela Merkel selbst angedeutet. Macht ja sowieso jeder Länderchef, was er will. Das Vertrauen in die Bundesregierung? Ohnehin auf dem Tiefpunkt. Oder wer hat es sonst vermasselt und ist Schuld, dass wir im weltweiten Impfvergleich abgeschlagen und teilweise zum Gespött geworden sind? Urlaub? Hoffnung? Pah!

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Und überhaupt: Wie konnten wir damals vor einem Jahr so optimistisch sein oder besser: so naiv? Die Hoffnung? Ein Irrglaube – vielleicht der Größte der Pandemie.

Mittlerweile ist klar, dass die schwierigste Phase der Pandemie noch vor uns gelegen hat – auch weil Deutschland sorgenfrei durch den Sommer 2020 und anschließend in die zweite Welle gestolpert ist. Weil ein Impfstoff nicht in Sicht war, weil die Politik es versäumt hat, im Kampf gegen die Pandemie wirkungsvolle Alternativen zum Lockdown zu finden. Weil sich die Corona-Warn-App als millionenschweres Missverständnis herausstellte.

Aber Moment mal.

Wenn der Optimismus von damals übertrieben war, ist dann vielleicht auf der anderen Seite der aktuelle Pessimismus übertrieben?

Ja, das mutierende Virus ist weiterhin unberechenbar. Die Inzidenzen steigen vielerorts und die Intensivstationen ächzen unter der Last. Aber: Es ist längst nicht alles schlecht. Im April sollen laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn genauso viele Menschen geimpft werden wie im gesamten ersten Quartal: zehn Prozent der Bundesbevölkerung. Im Jahr der Bundestagswahl muss sich die Politik besonders ins Zeug legen, will sie nicht im September die Quittung für ihr Missmanagement bekommen, sondern Vertrauen zurückgewinnen. Beispielsweise in Nordrhein-Westfalen beginnen die Hausärzte mit Impfungen – auch wenn bundesweit 35.000 Praxen zusammen erst einmal nur 940.000 Impfdosen erhalten, also je 26 (Mehr zum Impfstart bei Hausärzten lesen Sie hier). Und: Mithilfe von Schnelltests kann eine Infektion zumindest für einige Stunden oder einen Tag nahezu ausgeschlossen werden. Modellversuche liefern allmählich Erkenntnisse, welche Alternativen zum Lockdown wirklich helfen würden.

Klar, Modellversuche hätten auch im vergangenen Jahr schon geholfen. Aber hadern bringt auch nichts. Schluss mit Pessimismus und schlechter Laune. Vielleicht hilft der Blick auf das größte Modellprojekt in einem ganzen Bundesland.


Der größte Modellversuch Deutschlands

Außengastronomie, Kinos, Theater, Konzerthäuser, Fitnessstudios und Tennishallen: Im Saarland öffnen heute diverse Einrichtungen und ganze Branchen. Selbst Fußballspielen ist wieder erlaubt. Voraussetzung für fast alles: ein negativer Schnelltest, der nicht älter als 24 Stunden ist. Bis zu zehn Menschen dürfen sich nach einem Negativ-Test im Freien treffen, auch am Biertisch. Ein zu großes Risiko während die überwiegende Mehrheit der Deutschen für verschärfte Maßnahmen plädiert? Das wird sich in ein, zwei Wochen zeigen, wenn es die ersten belastbaren Zahlen gibt. Ministerpräsident Tobias Hans geht davon aus, dass mehr getestet und entsprechend mehr Infektionen aufgedeckt werden. Er hatte gesagt: "Es muss uns nach einem Jahr Pandemie mehr einfallen als nur zu schließen und zu beschränken."

Das Projekt laufe, solange die 7-Tage-Inzidenz an Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern stabil unter 100 liegt. Steige die Inzidenz darüber, greife ein Ampelsystem – mit einer dann ausgeweiteten Testpflicht (gelb) bis hin zur Notbremse mit einem konsequenten Lockdown. Leider ist die Inzidenz bis gestern Abend auf 91,3 gestiegen. Hoffentlich ist der Modellversuch nicht beendet, bevor er richtig gestartet wurde.


Die Schande von Stuttgart

In der Stuttgarter Innenstadt herrschte am Samstag Volksfeststimmung. Rund 15.000 Menschen liefen teils dicht nebeneinander, meist ohne Masken, trommelten, sangen und tranken Bier. Was harmlos klingt, ist das Gegenteil. Die Veranstaltungen der "Querdenker" hat nicht nur die Stadt in Erklärungsnot gebracht, warum sie die Kundgebung nicht verboten hat. Und warum mehr als 1.000 Polizisten mit Einheiten aus anderen Bundesländern und der Bundespolizei wegen der Verstöße gegen die Corona-Regeln kaum einschritten – und das nicht zum ersten Mal in Deutschland.

Viel schlimmer: Laut mehrerer Berichte und auch nach Angaben des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) wurden Journalisten angegriffen, attackiert und bepöbelt. Demonstranten bewarfen demnach Stuttgarter Journalisten des SWR mit einem harten Gegenstand. Eine Live-Schalte zum Sender Tagesschau24 musste abgebrochen werden.

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Der Journalist Alexander Roth vom Zeitungsverlag Waiblingen hat nicht nur die Angriffe dokumentiert, sondern später auch bei Twitter seine Enttäuschung und Wut sehr persönlich zum Ausdruck gebracht. Er prangert an, dass er mit weiteren Kollegen "alleine gelassen wurde. Von einem Staat, der die Arbeit, die wir tun, eigentlich schützen müsste".

Haben alle Polizisten versagt? Ganz sicher nicht. Doch es ist eine Schande, dass sowohl Ministerien als auch Polizei bis heute keine Strategie erkennen lassen, wie sie Journalisten schützen und mit den "Querdenker"-Demonstrationen umgehen wollen, die mit Ansage jegliche Regeln missachten, die für ganz Deutschland gelten. Jeder Angriff auf einen Journalisten ist einer zu viel.


Tage der Entscheidung

Zwischen Ostern und Pfingsten wollen sowohl die Union als auch die Grünen ihre Antwort auf die Frage nach der jeweiligen Kanzlerkandidatur verkünden. Also ab jetzt.

In der Union hat Markus Söder die mit Abstand besten Umfragewerte. Trotzdem hat Armin Laschet die Nase vorn, wie unser Politikreporter Tim Kummert hier in seinem Porträt schreibt. CDU-Chef Laschet versucht nun, in die Offensive zu gehen, ist allerdings von Söder getrieben. Noch sind in der Bundestagsfraktion die Zweifel groß. Eine Abgeordnete diktierte meinem Kollegen die Frage in den Block, ob Laschet nicht vielleicht "doch zu schwach” sei.

Oder ist die Diskussion am Ende gar überflüssig, weil eh die Grünen das Kanzleramt besetzen? Hier kämpfen Annalena Baerbock und Robert Habeck miteinander und nicht gegeneinander. Womöglich, weil sie wissen, dass es an der Wahlurne oft schlechter für die eigene Partei läuft als in den Umfragen zuvor. Die Analyse von meinem Kollegen Johannes Bebermeier lesen Sie hier. Und hier hat unser geschätzter Kolumnist Gerhard Spörl seine Favoriten auf die Kanzlerkandidaturen benannt.


Ein Affront mit Folgen?

Stellen Sie sich vor, Ihre Firma kämpft ums Überleben. Die Zahlen bis zum Mai sind entscheidend. Und Sie klotzen richtig ran. Natürlich verdienen Sie auch ein fürstliches Gehalt. Sie bescheren Ihrem Arbeitgeber Aufträge ohne Ende, aber irgendwie sind Ihre Kollegen weit weniger motiviert. Während Sie noch eine Überstunde nach der anderen dranhängen, lassen die Kollegen um 17 Uhr den Stift fallen und suchen das Weite. Irgendwie frustrierend.

Was tun also? Unterstützen Sie ihren Arbeitgeber weiter? Ziehen Sie durch bis Mai und sehen dann weiter? Oder gucken Sie sich offen nach einem neuen Arbeitgeber um und hängen das auch noch an die große Glocke?

Für Letzteres hat sich Erling Haaland entschieden – ein hochbegabter Fußballer in Diensten von Borussia Dortmund. Er hat seinen Vater und seinen Berater schon mal den Markt sondieren und einen Wechsel vorbereiten lassen ohne Rücksicht auf seinen Arbeitgeber. Ich finde: Das ist ignorant und egoistisch – mein Kollege Robert Hiersemann dagegen findet es okay (Hier lesen Sie das Pro&Kontra-Format "Zweikampf der Woche"). Ob sich die hitzige Diskussion auf die Leistung auswirkt und sportlich Folgen hat, wird sich schon heute Abend zeigen.

Dortmund trifft im Hinspiel des Champions-League-Viertelfinales auf Manchester City. Nachdem der BVB in der Bundesliga den Anschluss verloren hat, braucht er wohl den Titel im Europapokal, um sich über diese Hintertür noch für die Champions-League-Saison 2021/22 zu qualifizieren. Verfolgen können Sie das Spiel ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online.


Was lesen und anschauen?

Verantwortungslos oder legitim? Seit wir in der Pandemie stecken, sind jegliche Urlaube maximal umstritten. Zuletzt: Die Frage, ob man Ostern auf Mallorca verbringen darf. Meine Kollegen Arno Wölk und Mauritius Kloft haben zwar keinen Urlaub gemacht, sich aber für Sie, liebe Leserinnen und Leser, in den Flieger gesetzt, um auf der spanischen Insel zu recherchieren und zu berichten.

Klar ist: Der Tourismus auf Mallorca steckt in der Krise. 2020 brach die Zahl der Urlauber um 87,4 Prozent auf 1,7 Millionen ein. Das waren 12 Millionen weniger als im Jahr zuvor. Aber welche Auswirkungen hat das auf den Ballermann und auf die kleineren Orte im Landesinneren? Wird die Abhängigkeit vom Tourismus jetzt zum Problem? Wie geht es den deutschen Auswanderern? Wie läuft der Flug ab? Was sagen Touristen, die der Pandemie einfach trotzen wollen? Meine Kollegen haben es rausgefunden und zeichnen ein trauriges Bild vom einst 17. Bundesland der Deutschen.


In Deutschland würde er in Haft sitzen, weil er unablässig Postings absetzt – mit kaum vorstellbarem Judenhass, voller Menschenverachtung und Gewaltaufrufen. Doch der frühere Vegan-Koch Attila Hildmann hält sich in der Türkei auf, wie die Generalstaatsanwaltschaft Berlin am 25. März mitgeteilt hat. Mein Kollege Lars Wienand hat nachvollziehen können, dass Hildmann mindestens seit dem 10. Januar dort ist. Hier können Sie eine Spurensuche in Bildern und Videos nachverfolgen – und werden mit Hildmanns übler Gedankenwelt konfrontiert, die sich um ihn als Führer dreht.


Erst hatten meine Kollegen von der Rückkehr des Luchs als eines der größten Raubtiere Europas berichtet. Doch auch die Wildkatze war zwischenzeitlich fast verschwunden aus Deutschland und erobert nun ihre alten Gebiete zurück. Sie trifft dabei auch auf andere wilde Rückkehrer wie den Wolf. Dabei kommt es zu spektakulären Szenen in deutschen Wäldern. Die zeigen Ihnen meine Kollegen Hanna Klein und Axel Krüger – und stellen in einer Karte auch dar, wo es sich die Wildkatze hierzulande schon gemütlich gemacht hat.


Was amüsiert mich?

In der Union haben die Ostertage neue Erkenntnisse im Kampf um die Kanzlerkandidatur gebracht.

Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche. Morgen schreibt an dieser Stelle mein Kollege Johannes Bebermeier den Tagesanbruch für Sie.

Ihr

Florian Wichert
Stellvertretender Chefredakteur t-online
Twitter: @florianwichert

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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