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Corona-Variante B.1.617.2 in Deutschland? "Der nächste Feind ist tückisch"


Tagesanbruch
Corona: Der nächste Feind ist tückisch

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 10.06.2021Lesedauer: 7 Min.
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Flughafen Hamburg: Wegen der Corona-Mutation wurden im Winter die Passagierflüge von Großbritannien nach Deutschland verboten (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Flughafen Hamburg: Wegen der Corona-Mutation wurden im Winter die Passagierflüge von Großbritannien nach Deutschland verboten (Archivbild). (Quelle: imago images)

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Die Abwehr muss stehen

Kryptische Abkürzungen und griechische Buchstaben: Das klingt nach dem US-Militär. Kostprobe? Bitte sehr: Das "JSOC" unterhält als "SOF" unter anderem das "1st SFOD-D", besser bekannt als "Delta Force". Puh. Als Normalsterblicher kann man sich vielleicht gerade noch merken, dass diese "Deltas" eine Kommandoeinheit sind, die Widerstände überwindet und Gegner ausschaltet, wo gewöhnliche Attacken scheitern würden. Sich gegen die Delta-Truppe zur Wehr zu setzen, verlangt den Verteidigern alles ab. Abwehrmaßnahmen, auf die man sich sonst verlassen könnte, halten dem Angriff der top-trainierten Krieger nicht stand. Alles klar? Gut, dann weiter:

Es ist nur ein Zufall, aber das Virus "SARS-CoV-2" hat mit einer Variante namens "B.1.617.2", die nun ausgerechnet auch noch "Delta" genannt wird, nicht nur einen vergleichbar imposanten Namen zu bieten, sondern auch ähnlich aggressive Unterstützung bekommen. Als die gefürchtete "indische Variante" haben wir das Begriffsmonster zuerst kennengelernt, und wir müssen uns leider genauer dafür interessieren als für irgendwelche Soldaten, die mit Fallschirmen hinter feindlichen Linien abspringen. Die Virusvariante verändert die strategische Lage, unser eilig hochgezogenes Impfbollwerk tut das aber auch. Wie stehen wir da, jetzt im Sommer 2021? Sind wir in Gefahr oder bald siegreich? Wer von uns steht ahnungslos in der Schusslinie, wie gut schützen Sandsäcke und Helme? Lassen Sie mich heute versuchen, Antworten darauf zu finden.

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Beginnen wir mit den Gewissheiten. Delta ist tatsächlich ein formidabler Gegner. Verglichen damit war B.1.1.7., also die britische Variante, die nun... Moment... ah ja: Alpha heißt, kein Alpha-Typ, sondern ein Waisenknabe. Zwar war auch diese Mutation hochansteckend, aber Delta hat noch einmal massiv nachgelegt: Eine um 40 bis 50 Prozent gesteigerte Übertragbarkeit attestieren Forscher der Delta-Variante. Sie kapituliert auch nicht mehr beim ersten Anblick eines Impfstoffes, denn sie hat neue Tricks dazugelernt. Außerdem zeichnet sich ab, dass Delta im Körper schlimmer wütet und schwerer krankmacht als die Corona-Infanterie, die wir schon kennen. Kurzum: In jeder denkbaren Disziplin hat unser Gegner dazugelernt.

Ebenso klar ist, dass Delta zu uns kommen und das Kommando übernehmen wird. Genau: Hierher zu uns nach München, Leipzig, Münster, Radebeul und an all die anderen Orte in unserem langsam aus der Pandemiestarre erwachenden Land. Das Tempo, mit dem die Variante ihre viralen Konkurrenten verdrängt, ist beeindruckend. Wie auch schon im Winter ist es wieder Großbritannien, das uns vorführt, was uns erwartet: Der Siegeszug von Delta auf Kosten aller anderen Spielarten des Coronavirus nähert sich dort seinem Abschluss. Bei uns hingegen ist noch nicht einmal ein Brückenkopf gebildet, aber der Sommer wird dafür schon sorgen. Wie schon im vergangenen Jahr werden unsere Erholungsreisen den Erreger-Pool des europäischen Kontinents gründlich durchquirlen. Nach dem Plantschen in der Ferne führt die virale Tropfspur bis in die Heimat zurück. Spätestens im Herbst wird es dann heißen: Delta ist da.

Aber was bedeutet das? Eines ist gewiss: Durch ungeimpfte Gruppen fegt das Virus hindurch wie keiner seiner Verwandten zuvor. Die Covid-Katastrophe in Indien hat daran keinen Zweifel gelassen, und die britischen Statistiker rufen zur Bestätigung schnell noch "indeed!". Dank des langen, harten Lockdowns und der enormen Anstrengungen bei der Impfkampagne ist in Großbritannien das Ausgangsniveau niedrig, aber dort, wo Delta freie Bahn hat, nutzt es das gnadenlos aus. Noch immer impfen die Briten wie die Weltmeister. Sie wissen warum.

Denn Impfen hilft. Wieviel genau, steht aber erst im Kleingedruckten. Wer bereits zweimal den Piks mit einem mRNA-Impfstoff von Biontech oder Moderna bekommen hat, kann sich entspannt zurücklehnen. Astrazeneca schneidet, je nach Studie, zwar spürbar schlechter ab. Aber keine Sorge: Auch als Astra-Empfänger brauchen Sie sich nicht über das scheinbar zweitklassige Zeug zu ärgern. Die mittelmäßigen Zahlen beschreiben nämlich nur ganz allgemein den Schutz vor einer symptomatischen Infektion – egal, wie schwer. Praktisch heißt das: Mit dem Restrisiko, kurzzeitig ein bisschen Halsschmerzen zu bekommen, müssen Sie leben. Aber vor dem, worauf es wirklich ankommt – schwere Krankheit, Krankenhaus oder gar Tod – sind Sie auch mit Astra bestens geschützt. Die Datenbasis dafür dürfte gerne noch ein bisschen umfangreicher sein, aber alle Zahlen, die wir bereits haben, lassen Gutes erwarten. Wer vollständig geimpft ist, ist sicher vor Delta – ganz egal, welcher Impfstoff in den Arm gegangen ist.

Wie es sich für das Kleingedruckte gehört, muss man es aber genau lesen. Haben Sie es bemerkt? Richtig: Vollständig geimpft, das muss bei Delta schon sein. Die Schutzwirkung einer einzelnen Dosis wurde anfänglich als geradezu läppisch eingestuft. Die neuesten Zahlen aus Großbritannien zeichnen zum Glück ein erfreulicheres Bild. Ein lebensbedrohlicher Verlauf ist, wenn man Pech hat, aber trotzdem noch drin. Wir dürfen uns also erst entspannen, wenn jeder die Chance gehabt hat, sich vollständig impfen zu lassen. Eigentlich ist das schon lange klar, aber Delta haut uns diese Erkenntnis noch einmal mit Schmackes um die Ohren.

Womit wir, abschließend, zu einer überaus heiklen Frage kommen: Was ist mit den Jüngeren, da Delta doch so viel gefährlicher ist? Es gibt noch keine konkrete Aussicht auf einen Impfstoff für Kinder unter zwölf Jahren. Auch Jugendliche werden noch eine Weile auf der Wartebank sitzen, bis jeder, der möchte, endlich drangekommen ist. Das amerikanische CDC, das Pendant zu unserem Robert Koch-Institut, warnte soeben eindringlich vor den Infektionen unter Jugendlichen, von denen zu viele mit Covid-19 im Krankenhaus landen – und für ein Drittel dieser jungen Patienten führt der Weg bis auf die Intensivstation. Erschwerend kommt hinzu, dass man in diesem Alter mit seinesgleichen abhängt und die Greise über 30 möglichst meidet. Während in altersmäßig gemischten Umgebungen, etwa im Arbeitsleben, ein einsamer Superspreader auf immer mehr geimpfte Virusbremser trifft, können wir darauf weder bei den Partys der Teenies noch bei den Studis an den Unis hoffen, und in Kitas und Schulen schon gar nicht.

Doch die Lage ist besser, als es den Anschein hat. Zwar steigt der Anteil von Kindern und Jugendlichen unter den Covid-Patienten im Krankenhaus – aber vor allem deshalb, weil Ältere sich dank Impfung nun seltener dort sehen lassen. Die Zahl der schwer erkrankten Kinder ist bisher nur geringfügig gestiegen. Ja, Delta ist auch für sie gefährlicher, aber zweimal wenig ist immer noch wenig. Das Risiko in dieser Altersgruppe bleibt nach jetzigem Kenntnisstand weiterhin gering. Wenig verwunderlich also, dass auch die deutsche Ständige Impfkommission eine Impfung für Kinder nicht generell empfehlen will, wenn sie sich heute in einem Bulletin dazu äußern wird. Trotzdem werfen Sie als Eltern, Großeltern oder Geschwister bitte die Masken und die Schnelltests für die Schüler nicht gleich nach den Ferien in den Müll. Auch die Schulen sollten ihre weit geöffneten Fenster nicht schon wieder verriegeln. Eine eigentlich seltene schwere Erkrankung kommt nämlich doch ganz schön oft vor, wenn das Virus freie Bahn hat und die Infektionszahlen durch die Decke gehen. Zehntausendmal wenig ist keine Kleinigkeit mehr.

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Lüften, testen, Masken tragen: Damit ist es also erst vorbei, wenn die Nadel überall zugestochen hat. Und auch aufs Impftempo kommt es an. Aber wenn wir ein bisschen Disziplin bewahren und nicht in Sommerlaune gleich jede Vorsicht in den Wind schießen, werden wir selbst den harten Typen von der Delta Force bald zeigen, wo der Hammer hängt. Tschakka!


Pass statt Papier

Die gute Nachricht: Fast die Hälfte der Deutschen ist inzwischen einmal gegen Corona geimpft, fast ein Viertel genießt sogar schon vollständigen Schutz. Pünktlich zur Urlaubssaison sollen die komplett Geimpften ihre Immunisierung nun nicht mehr nur mit dem Impfpass (genau, das ist dieses schrabbelige gelbe Papierheftchen), sondern auch mit einem digitalen Impfzertifikat auf dem Handy nachweisen können – wie genau, wollen Gesundheitsminister Jens Spahn, RKI-Präsident Lothar Wieler und Ronald Fritz, Projektmanager bei IBM, heute Mittag auf einer Pressekonferenz erklären. Grundsätzlich soll der digitale Impfnachweis sowohl von der Corona-Warn-App der Bundesregierung (genau, das ist dieses Ding, das bisher nutzlos ist) angezeigt werden können als auch von einer neu entwickelten Smartphone-App namens "CovPass" ohne Kontaktverfolgung. Wie Sie an den digitalen Impfpass kommen, wie sicher er ist und was mit Ihren Daten passiert, hat meine Kollegin Laura Stresing hier aufgeschrieben. Die Ministerpräsidenten wiederum beraten heute über die künftigen Corona-Regeln bei Großveranstaltungen, und die Kultusministerkonferenz der Länder disputiert über die Frage, wie der Schulbetrieb nach den Sommerferien weitergehen soll.


Boris empfängt Joe

Ende 2019 bezeichnete Joe Biden den britischen Premierminister Boris Johnson noch als "physischen und emotionalen Klon“ von Donald Trump, Johnson wiederum ließ kürzlich wissen, er wolle nicht mehr von einer "special relationship“ zwischen seinem Land und den Vereinigten Staaten sprechen, weil der einst von Churchill geprägte Begriff ein "bedürftiges und schwaches" Großbritannien suggeriere. Zudem hat Biden immer wieder deutlich gemacht, wie wenig er vom Brexit hält. Wir dürfen also gespannt sein, wie sich das Verhältnis der beiden Herren entwickelt, wenn sie heute zum ersten Mal seit dem Machtwechsel im Weißen Haus aufeinandertreffen. Der Boris empfängt seinen hohen Gast, bevor es für beide zum G7-Gipfel nach Cornwall weitergeht. Dort kommen die Staats- und Regierungschefs der führenden westlichen Industrienationen ab morgen zu ihren dreitägigen Beratungen zusammen. Anschließend stehen für den Joe noch der Nato-Gipfel in Brüssel und das Treffen mit dem Wladimir in Genf auf dem Programm.


Spektakel am Himmel

Astronomie-Fans fiebern dem Ereignis schon entgegen: Erstmals seit sechs Jahren ist über Deutschland heute wieder eine partielle Sonnenfinsternis zu sehen – wobei der Norden etwas mehr von dem Spektakel hat: Dort wird sich der Mond zu rund 20 Prozent, im Süden nur zu rund sechs Prozent vor die Sonne schieben. Wer keine Spezialbrille zur Hand hat, kann das himmlische Schauspiel im Livestream der Gesellschaft Deutschsprachiger Planetarien verfolgen.


Was lesen?

Rund 11 Millionen Euro muss Martin Winterkorn wegen seiner Verfehlungen im Dieselskandal an VW überweisen. Zusammen mit Entschädigungen weiterer Manager und deren Versicherungen erhält der Autokonzern fast 300 Millionen Euro Schadensersatz. Ist das der endgültige Schlussstrich unter den Betrug? Mitnichten, kommentiert mein Kollege Mauritius Kloft.


Wieso sind die Parolen der AfD für Männer attraktiver als für Frauen? Wie rechtsextrem ist sein Landesverband? Meine Kollegen Sven Böll und Johannes Bebermeier haben mit dem AfD-Chef von Sachsen-Anhalt ein bemerkenswertes Interview geführt.


Falls Sie auch nur halb so große Vorfreude auf die Fußball-EM verspüren wie ich, wollen Sie sicher wissen, wie die deutsche Mannschaft ihren ersten Gruppengegner Frankreich mit den Superstars Mbappé und Kanté schlagen kann. Unser Kolumnist Berti Vogts kann es erklären.


Was amüsiert mich?

Ich wünsche Ihnen einen vergnügten Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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