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Keine Bonbons mehr für Ungarn! Warum handelt Europa nicht endlich?


Tagesanbruch
Warum handelt Europa nicht endlich?

MeinungVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 18.06.2021Lesedauer: 8 Min.
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Viktor Orbán: Homosexuelle gehören in Ungarn künftig nicht mehr zur Normalität.Vergrößern des Bildes
Viktor Orbán: Homosexuelle gehören in Ungarn künftig nicht mehr zur Normalität. (Quelle: Laszlo Balogh/getty-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

heute geht es im Tagesanbruch um Populisten, die sich zu viel erlauben, um Hundstage, die viel zu früh kommen und um den irren Weg eines Drogendealers zum Fußballstar.

Keine Bonbons mehr für Polen und Ungarn

Für deutsche Politiker ist der Umgang mit Polen ein Balanceakt. Äußern sie Kritik an der Führung in Warschau zu deutlich, ist es Futter für die dortigen Populisten. Einmischung von außen, heißt es dann. Oder: Die arroganten Deutschen wollen uns belehren. Speziell dann, wenn die Kritik zum Jahrestag der deutsch-polnischen Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg kommt.

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Kritisieren sie aber nicht deutlich genug, werden sie von anderer Seite zur Zielscheibe. Was denn mit den europäischen Werten sei, die von der polnischen Regierung immer weiter ausgehöhlt werden, werden sie dann gefragt. Sagt der Bundespräsident etwa nichts dagegen, dass die regierende PiS-Partei die Justiz unterwandert und nun dabei ist, dasselbe auch noch mit der Presse zu machen? Und was ist mit dem Angriff auf die Frauenrechte?

Unter diesen schwierigen Vorzeichen lässt sich auch der gestrige Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Polen deuten. Vor 30 Jahren schlossen die beiden Staaten den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag. Es sei "kein Bonbon-Treffen" gewesen, sagte Polens Präsident Andrzej Duda anschließend. "Natürlich gibt es manchmal unterschiedliche Interessen. Natürlich gibt es manchmal unterschiedliche Sichtweisen", sagte Steinmeier. Dennoch wolle man sich auch in Zukunft zuhören und umeinander bemühen. Das sei unabdingbar für ein zusammenwachsendes Europa: "Ohne diese Zusammenarbeit ist für mich ein starkes Europa nicht vorstellbar."

So wichtig es ist, die Differenzen anzusprechen und Gemeinsamkeiten zu betonen: Angesichts des immer umfassenderen Abbaus des Rechtsstaats in Polen reicht das schon lange nicht mehr. Die Angriffe auf die Demokratie werden immer unverschämter – und richten sich immer offensiver gegen die liberale Lebensweise, die zu den europäischen Werten zählt. Eine Entwicklung, die in der öffentlichen Wahrnehmung unterzugehen droht.

Das gilt nicht nur für Polen, sondern auch für Ungarn. Oder haben Sie in den vergangenen Tagen den Aufschrei mitbekommen, nachdem dort per Gesetz Homosexuelle und Transpersonen indirekt für "abnormal" erklärt wurden? Wahrscheinlich nicht, denn es gab ihn zumindest in Deutschland nicht. Dabei hat es das neu erlassene Zensurgesetz in sich: Homo- und Transsexualität darf in der Werbung nicht mehr vorkommen, wenn sie dort als Teil der Normalität gezeigt wird. Heißt im Umkehrschluss: Werbung darf Schwule und Lesben nur noch als etwas Schädliches darstellen.

Auch Filme und Bücher, in denen sich Sexualität nicht ausschließlich zwischen Mann und Frau abspielt, dürfen Kindern und Jugendlichen nicht mehr zugänglich sein. Das könnte selbst Filme wie "Harry Potter" und "Bridget Jones" hinter die FSK-18-Schranke verbannen. Davon geht zumindest der größte ungarische Privatsender "RTL Klub" aus. Denkt man das weiter, wird es noch absurder: Dürfen Jugendliche künftig Buchhandlungen überhaupt noch betreten? Wird es dort "Schmuddelecken" geben, wie damals in der Videothek, in der dann Werke von Franz Kafka, Thomas Mann und Julia Franck stehen?

Es dürfte eigentlich keine Frage sein, ob ein solches Gesetz in Einklang mit den europäischen Werten steht. Dementsprechend deutlich äußerte sich auch Ursula von der Leyen. Sie sei "sehr besorgt", twitterte die EU-Kommissionspräsidentin. "Ich glaube an ein Europa, das sich auf Diversität einlässt, nicht an eines, das sie vor unseren Kindern verbirgt." Man prüfe nun, ob geltendes EU-Recht verletzt werde.

Nur, wird das reichen? Leider hat die Vergangenheit allzu oft gezeigt, dass es Ungarn nicht großartig interessiert, was die EU entscheidet. Zudem sind die Verfahren oft langwierig: Zwischen Verstoß und Bestrafung liegt so viel Zeit, dass der Schaden längst angerichtet ist. Das zeigt etwa das Beispiel des umstrittenen ungarischen NGO-Gesetzes. 2017 erlassen, 2020 vom Europäischen Gerichtshof als unrechtmäßig beanstandet. Weil Ungarn sich nicht regte, eröffnete die EU im Februar ein Vertragsverletzungsverfahren. Im Mai schaffte Ungarn das Gesetz dann zwar ab, verabschiedete aber direkt ein neues.

Es ist ein Dilemma, in dem die EU steckt. Sie war von Beginn an auf Zusammenarbeit ausgerichtet, nicht auf ein Gegeneinander. Nun erlebt der Staatenbund seit einigen Jahren aber, wie Polen und Ungarn ihn von innen zersetzen. Wie also umgehen mit Mitgliedsstaaten, die sich von den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit immer weiter entfernen?

Tatsächlich gibt es einen Weg – nur hat er bisher noch keine Anwendung gefunden: Mithilfe des sogenannten Rechtsstaatsmechanismus könnte die EU ihre Zahlungen an abtrünnige Länder kürzen oder sogar ganz einstellen – zumindest dann, wenn bei den Verstößen EU-Gelder betroffen sind. Das wäre schmerzhaft für Ungarn und Polen, die pro Kopf gerechnet mit am meisten Geld von der EU bekommen.

Obwohl der Mechanismus seit Januar in Kraft ist, wurde er bisher nicht eingesetzt. Dahinter steckt, man ahnt es, eine Initiative von Ungarn und Polen. Für ihre Zustimmung machten sie zur Bedingung, dass EU-Geld erst dann gekürzt werden darf, wenn der Europäische Gerichtshof das Instrument geprüft hat. So könnte es noch bis mindestens Ende 2022 dauern, bis Ungarn und Polen tatsächlich die Bonbons weggenommen werden, um es im Sprachbild von Polens Präsident Duda zu sagen. Für Herrn Orbán wäre es eine gute Nachricht, denn die Wahlen im kommenden Jahr blieben davon unberührt.

Nun hat allerdings das Europaparlament der Kommission die Pistole auf die Brust gesetzt. Wendet diese den Mechanismus nicht bis kommende Woche an, verklagt das Parlament sie wegen Untätigkeit. Nun kann man natürlich sagen: Polen und Ungarn, was hat das mit uns zu tun? Katarina Barley hat das kürzlich in einem Interview mit dem "Münchner Merkur" auf den Punkt gebracht: "Wenn wir gestatten, dass das Fundament von innen ausgehöhlt wird, dann wird diese Europäische Union, wie wir sie kennen, nicht mehr lange Bestand haben", sagte die SPD-Europaabgeordnete.

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Absetzen von Richtern und Journalisten, Beschneidung der Rechte von Nichtregierungsorganisationen und Homosexuellen: Was folgt danach? Wenn die vergangenen Monate und Jahre eines bewiesen haben, dann, dass Polen und Ungarn sich nicht einfach stoppen lassen, sondern weiter und weiter die Fundamente des Rechtsstaates und der Demokratie abbauen. "Illiberale Demokratie" nennt Herr Orbán das, was er anstrebt. "Scheindemokratie" könnte man auch sagen. Denn eine Demokratie, in der Richter und Journalisten die Regierung nicht mehr kontrollieren können, in denen bestimmte Minderheiten als abnormal gelten, ist bald keine mehr. Die EU-Kommission sollte also endlich handeln – und keine Bonbons mehr verteilen.


Umstrittenes Gedenken

Heute eilt der Bundespräsident zu seinem nächsten Termin. Dieser findet zwar in Berlin statt, aber auch hier steht Osteuropa im Fokus. Frank-Walter Steinmeier gedenkt mit einer Rede im Deutsch-Russischen Museum des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion vor 80 Jahren. In keinem Land starben damals mehr Menschen – 27 Millionen Sowjets, darunter 14 Millionen Zivilisten, fielen dem Vernichtungskrieg zum Opfer.

Doch auch dieser Termin wird von der aktuellen Politik überschattet: Der ukrainische Botschafter kritisierte die Wahl des Ortes. Zwar zeigt das Museum das Ausmaß des Krieges in der gesamten Sowjetunion, im Namen trage es aber nur Russland. "Die Schuld der Deutschen für die Nazi-Verbrechen wird nach wie vor nur gegenüber Russland und den Russen in Betracht gezogen", schrieb Andrij Melnyk in einem Brief an den Museumsdirektor. Das Bundespräsidialamt wies die Kritik entschieden zurück. Es sei bedauerlich, dass Melnyk nicht teilnehmen wolle. Es widerspreche aber der Überzeugung Steinmeiers, "dass die Erinnerung an diesen Krieg über alle Differenzen und Konflikte hinweg eine verbindende Wirkung haben sollte". Wo er recht hat, hat er recht.


Puh, diese Hitze!

Eigentlich beginnen die Hundstage erst Ende Juli. Aber Sie werden mir sicher zustimmen, dass es sich heute so anfühlt, als wäre es schon jetzt so weit. Höchstwerte von bis zu 37 Grad erwarten Meteorologen in diesen Tagen. Das hat nicht nur gute Seiten: Für viele Menschen kann eine solche Hitze zu einer gefährlichen Belastung führen – speziell, wenn der Körper noch eine Impfung verkraften muss. Meine Kollegin Melanie Weiner erklärt Ihnen, was Sie dabei beachten müssen.

Damit Sie gut durch die Hitzewelle kommen, können Sie in unserem Newsblog die wichtigsten Nachrichten, aber auch nützliche Tipps lesen. Etwa, wo Sie die schönsten Badeseen finden oder wie Sie Ihre Wohnung kühl halten können. Und weil es nicht überall nur sonnig bleibt, erklärt unsere Wetter-Kolumnistin Michaela Koschak Ihnen im Video, wo Unwetter drohen.


Die Corona-Lage

Heute Morgen informieren Gesundheitsminister Jens Spahn und RKI-Chef Lothar Wieler über die aktuelle Corona-Situation und die Fortschritte der Impfkampagne. Ob die Bundesregierung nach dem vorläufigen Aus für den Curevac-Impfstoff ihr Impfversprechen noch halten kann, erklärt mein Kollege David Ruch.


Es wird weiter gekickt

Noch einen Tag durchatmen, dann spielt wieder Deutschland. Heute treffen schon mal Schweden und die Slowakei, Kroatien und Tschechien sowie England und Schottland aufeinander. Das alles können Sie natürlich im Liveticker meiner Sportkollegen mitverfolgen.


Was lesen und was anschauen?

Gegen Österreich traf er per Elfmeter zum 1:0 für die Niederlande, im Offensivspiel von "Oranje" ist er eine prägende und mit Sicherheit die schillerndste Figur: Memphis Depay. Auf einen solchen Erfolg deutete sein Leben lange nicht hin: Mit vier Jahren musste er den ersten schmerzlichen Verlust verkraften, als Jugendlicher geriet er ins Drogenmilieu. Mein Kollege Dominik Sliskovic zeichnet den steinigen Weg zum Ruhm nach.


Der Zusammenbruch von Dänemarks Christian Eriksen im Spiel gegen Finnland hat die bisherigen EM-Partien überschattet. Unserem Kolumnisten Lutz Pfannenstiel ging die Situation besonders nah. Der frühere Torwart brach 2003 selbst auf dem Platz zusammen, war zwischenzeitlich klinisch tot. Was er zu sagen hat, lesen Sie hier. Auch das zweite Spiel der dänischen Nationalmannschaft gegen Mitfavorit Belgien stand im Zeichen des Mittelfeldspielers Eriksen. Während der Partie kam es zu einer bewegenden Szene. Meine Kollegen aus der Sportredaktion haben die Aktion beider Mannschaften und der 25.000 Fans im Stadion von Kopenhagen begleitet.


Eigentlich sollte nur ein Gutachter den Brandschutz überprüfen, doch dann eskalierte der Konflikt um das Haus in der Rigaer Straße in Berlin: Die einen wollen Recht durchsetzen, während die anderen ihre Freiheit bedroht sehen. Meine Kollegin Saskia Leidinger beschreibt Ihnen, was in der Rigaer Straße passiert ist.


Der Tarifstreit bei der Bahn spitzt sich zu: Die Lokführer-Gewerkschaft GDL droht kurz vor der Urlaubssaison mit Streiks. Wie die aussehen könnten, erklärt GDL-Chef Weselsky im Interview mit meinen Kollegen Nele Behrens und Florian Schmidt. Die Bahn reagiert mit dem Aufruf, weiterzuverhandeln: Eine Lösung sei zum Greifen nah. Ein t-online zugespieltes Plakat zeigt zudem, wie aggressiv die GDL innerhalb der Bahn um neue Mitglieder kämpft.


Die Kollegen der "Zeit" haben ein spannendes Projekt gestartet: "Wie sähe eine Gruppe von Menschen aus, die ein Abbild Deutschlands sein könnte, eine Gesellschaft im Kleinen?", fragte sich die Redaktion vor einigen Monaten – und hat nach dieser Idee eine Gruppe von 49 Menschen aus ganz Deutschland zusammengestellt, die in der Vorwahlberichterstattung immer wieder das Wort bekommen. Hier erfahren Sie mehr darüber.


Was amüsiert mich?

Wie man's macht, man macht es falsch. Das gilt in Deutschland sogar für das Wetter.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag, einen angenehmen Start ins Wochenende und immer ein schattiges Plätzchen in Reichweite. Morgen früh hören Sie wieder von meinen Kollegen Florian Harms und Marc Krüger.

Herzliche Grüße

Ihre

Camilla Kohrs
Redakteurin Politik/Panorama
Twitter: @cckohrs

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Mit Material von dpa.

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