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Krisenkommunikation: Wohin führt Olaf Scholz' Weg?


Tagesanbruch
Wohin führt Scholz' Weg?

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 09.05.2022Lesedauer: 9 Min.
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Ziele formulieren: Olaf Scholz muss seine Kommunikation verbessern.Vergrößern des Bildes
Ziele formulieren: Olaf Scholz muss seine Kommunikation verbessern. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

wenn es seine Zeit zulässt, gehört Olaf Scholz nach wie vor zu jenen Politikern, die versuchen, sich mit Joggen fit zu halten. Der Kanzler dürfte also mit einem bekannten Anfängerfehler von Sportlern vertraut sein, der bisweilen auch geübten Läufern passiert: Wer am Anfang zu schnell beginnt, dem geht am Ende die Puste aus.

Um in diesem Bild zu bleiben, könnte man die historische Zeitenwende-Rede von Olaf Scholz Ende Februar als einen Schnellstart betrachten. Es war eine dieser politischen Ruck-Reden, die es nur sehr selten gibt. Der Kanzler bekommt dafür bis heute Anerkennung im In- und im Ausland, insbesondere in der US-Hauptstadt Washington.

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Doch Olaf Scholz ging danach die Puste aus. Denn kommunikativ geriet die Bundesregierung seither immer mehr in die Defensive. Ein Bild verfestigte sich: Der Kanzler hinkt hinterher. Ob Swift-Bann, ob Gasembargo, ob Waffenlieferung oder der unselige Streit über die nicht stattfindenden Steinmeier- und Scholz-Besuche in Kiew – Deutschland schien immer erst unter enormem öffentlichem Druck die Marschrichtung zu ändern.

Viele osteuropäische Staaten und besonders die Ukraine zählen seither zu den größten Kritikern. Das ist durchaus verständlich, gehörten diese Länder doch zu jenen, die seit vielen Jahren ungehört vor Wladimir Putin warnten. Deutschland setzte unbeirrt weiter auf sein bewährtes Wirtschaftsmodell aus billigen Rohstoffimporten aus Moskau.

Es ist kein Geheimnis: Spätestens seit Ausbruch des Krieges schuftet die Regierungsmannschaft um Olaf Scholz und mit ihr der gesamte Behördenapparat an der Umsetzung der rasch verkündeten Zeitenwende.

Der Dauerlauf, den diese Abkehr vom alten Wirtschaftsmodell, von alten ideologischen Gewissheiten und von einem Ausruhen auf einem selbstverständlich scheinenden Frieden bedeutet, hat hinter den Kulissen längst begonnen.

Tatsächlich wurden schon vor Putins Einmarsch in der Ukraine im Kanzleramt Dossiers gewälzt, um die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen zu reduzieren: Was, wenn Putin den Gashahn zudreht? Der lebenswichtige Sauerstoff wäre der deutschen Wirtschaft sofort ausgegangen. Atemstillstand, Abschwung, Arbeitslosigkeit wären die Folgen gewesen. Man kann Olaf Scholz und insbesondere seinen Ministern Christian Lindner, Annalena Baerbock und Robert Habeck nicht vorwerfen, sie würden sich nicht ins Zeug legen – für die Ukraine und auch für Deutschland.

Der Kanzler hat aber erkennbar Probleme, diese hochkomplexe Aufgabe, an deren Ende auch der Weltfrieden auf dem Spiel steht, verständlich zu vermitteln. Auch deshalb gehen Scholz und seine Berater inzwischen deutlich häufiger als noch seine Vorgängerin Angela Merkel an die Öffentlichkeit. Der Kanzler gibt Interviews, tritt in Talkshows und Politikformaten auf – und weil das alles noch nicht zu reichen scheint, hat sich Scholz nun anlässlich des 8. Mai auf zahlreichen TV-Kanälen an die Bevölkerung gewandt. Ein symbolbeladenes Datum, denn es markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 77 Jahren. (Lesen Sie hierzu ein Interview meines Kollegen Marc von Lüpke mit dem bekannten Historiker Michael Wildt.)

Der Kanzler vermied in seiner Rede an die Nation zwar eine direkte Analogie zwischen Russland und Nazideutschland. Aber Scholz machte deutlich, dass erstmals seit 1945 wieder ein Angriffskrieg mitten in Europa stattfindet. Dabei seien die Lehren aus der bis heute beispiellosen Vernichtung glasklar:

"Nie wieder Krieg.
Nie wieder Völkermord.
Nie wieder Gewaltherrschaft."

Und doch würde so etwas wieder geschehen: "Nun jedoch will Russlands Präsident Putin die Ukraine unterwerfen, ihre Kultur und ihre Identität vernichten", sagte Scholz. Der Kanzler sprach das Wort Vernichtungskrieg nicht aus, auch weil es aus deutscher Sicht historisch besetzt ist. Aber er dürfte es genauso gemeint haben. Scholz' Rede, die meine Kollegen Johannes Bebermeier und Sven Böll hier für Sie analysiert haben, ist der Versuch des Kanzlers, endlich wieder Luft in die Lungen des Läufers zu pumpen. Scholz muss dabei abwägen zwischen jenen, die ständig und vielfach auch sehr nachvollziehbar mehr Unterstützung fordern und jenen, die sich sorgen, in einen Krieg hineingezogen zu werden, in dem der Westen eigentlich längst steckt – mit Waffen, Logistik, Geld und Geheimdiensten.

Insbesondere aus US-Sicht ist dieser sehr deutsche, kommunikative Balanceakt bisweilen schwer nachvollziehbar. Die Amerikaner sind eine nukleare Supermacht, die viele Tausend Kilometer vom Kriegsgeschehen in Europa entfernt in relativer Sicherheit leben. Die USA können sich daher eine offensivere Sprache erstens eher erlauben als die Deutschen.

Sie haben sie zweitens aber über viele Jahrzehnte einstudiert. Öffentlichkeitswirksam können sie etwa ihre Waffenlieferungen deshalb auch mit gewaltigen Bildern von zupackenden GIs inszenieren. Wer Olaf Scholz' Rede auf dessen Twitter-Account verfolgt, stellt hingegen schnell fest: Nicht einmal der Schnitt scheint zu funktionieren. Der Kanzler blickt minutenlang in die falsche Kamera und an seinem Publikum vorbei. Das sind eigentlich Anfängerfehler und daher wären sie vermeidbar.

So sehr die US-Regierung mit der aktuellen deutschen Rolle, mit der Zeitenwende und den realen Hilfen für die Ukraine zufrieden sein mag, so sehr wartet der Präsident im Weißen Haus noch immer auf die in Washington seit Langem herbeigesehnte Führungsrolle Deutschlands. Und die zeichnet sich eben nicht zuletzt durch Kommunikation aus.

Was Scholz in seiner Rede an die Nation, die aber auch im Ausland gesehen wird, unterlassen hat zu erwähnen: den mutigen Kampf der Ukrainerinnen und Ukrainer gegen einen brutalen und unerbittlichen Feind. Die Bedeutung dieses Abwehrkampfes der Ukraine für die Demokratien dieser Welt ließ der Kanzler ebenfalls aus.

Scholz geht den Weg der Amerikaner zumindest kommunikativ nicht mit, einen globalen Konflikt zwischen Autokratien und Demokratien zu sehen. Zu groß soll die Sorge aus deutscher Sicht sein, Länder wie Indien, Brasilien oder China mit solcher Rhetorik erst recht in Putins Arme zu treiben.

Doch dass die Verbündeten und insbesondere die Ukraine zugleich sehnsüchtig auf eine weitere bedeutsame internationale Rede eines deutschen Kanzlers warten, daran scheint man sich in Berlin noch immer gewöhnen zu müssen. Einen Tag vor der erwarteten Rede des Kriegsverbrechers Wladimir Putin in Moskau, die wohl wieder mit Lügen und Zynismus gespickt sein dürfte, hat die Welt sich vielleicht gerade aus Deutschland etwas mehr erhofft.

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Im Kanzleramt dürfte vielen längst klar sein, dass es angesichts der zahlreichen Rufe, vorwiegend aus Ostereuropa und den USA, kein Wegducken mehr geben kann. Deutschland muss eine nationale Sicherheitsstrategie entwickeln. Dafür wird Deutschland führen müssen – auch weil die Länder Europas es erwarten und nach 77 Jahren wieder Vertrauen in die Bundesrepublik gefunden haben. Dieses Vertrauen sollte nicht enttäuscht werden. Und auch aus Selbstzweck muss es sein. Denn die USA könnten 2024 wieder ausfallen – ob nun unter einem Donald Trump oder einem Ron DeSantis. Dann muss Europa selber handeln können.

Diese deutsche Führungsrolle wird immer in die Europäische Union eingebettet sein. Nicht nur, aber auch deshalb bleibt eine klare und offensive Kommunikation die Achillesferse des Dauerläufers Olaf Scholz. Rücksicht auf die Verbündeten in der EU ist richtig. Doch Führen geht auch ohne Großmannssucht. Man muss es sich nur zutrauen und diese Rolle annehmen.

Es ist eine Rolle, die Deutschland, seine Regierung und Gesellschaft erst lernen müssen. Kritik an diesem Lernprozess ist dabei notwendig. Wer einseitige oder oberflächliche Berichterstattung über einen zaudernden Scholz beklagt, wie es aus dem Kanzleramt immer mal wieder zu hören ist, muss andererseits so viele Hintergründe seiner Entscheidungen liefern wie möglich. Schon gar nicht darf eine Regierung die Bevölkerung unterschätzen. Komplexität ist ihr auch im Detail zuzumuten.

Dass eine solche gute Kommunikation möglich ist, beweist unter anderem der Wirtschaftsminister Robert Habeck. Authentisch, nachvollziehbar, weil belegt mit konkreten Beispielen, erklärt er sein eigenes, durchaus ideologisches Dilemma den Bürgern auf Augenhöhe. Die Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauerinnen und Zuschauer reicht dann auch hinaus über die oft beklagten nur wenigen Sekunden.

Und der Kanzler? Zeit für Trainingseinheiten hat Olaf Scholz jedenfalls keine mehr. Den Startschuss für seinen langen Marsch hat er selbst gegeben. Wann und wie er ins Ziel einlaufen wird, ist offen. So offen wie der Ausgang dieses Krieges.

Einen ersten messbaren politischen Dämpfer in seiner noch jungen Kanzlerschaft gibt es für Scholz mit dem Ergebnis der Landtagswahl in Schleswig-Holstein: Die CDU triumphierte, die SPD erlebte ein Desaster. (Lesen Sie dazu hier die Analyse meines Kollegen Johannes Bebermeier.)

Und schon in wenigen Tagen folgt der nächste Test in Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland. Hier muss Scholz‘ Partei beweisen, wie viel von der "Herzkammer der Sozialdemokratie" tatsächlich noch übrig ist. Ein weiterer CDU-Erfolg wäre eine schwere Bürde für die Ampelkoalition in Berlin.

Und auch sonst gibt es noch viele weitere Hürden für den Läufer Scholz: Die steigende Inflation dürfte dabei die höchste sein – und die am schwersten zu vermittelnde und am schwersten zu händelnde. Auch für die klimapolitische Transformation in Zeiten des Krieges in einer vollkommen veränderten Weltlage, wie sie den Menschen erklärt und in welchem Maße sie ihnen zugemutet werden kann, wird ihm noch viel Ausdauer abverlangen.

Es ist das sogenannte Regierungshandeln, das Olaf Scholz besonders gerne betont. Und dass dieses von Umsicht geleitet sei, auch um Schaden vom deutschen Volk gemäß seinem Amtseid abzuwenden. Zum Regierungshandeln gehört aber eben auch die richtige Kommunikation und die richtige Ansprache. Der Bundeskanzler dürfte auf seinem langen Marsch noch viele dieser Ansprachen halten müssen.

Zeit zum Luftholen wird er dabei wenig bekommen.


Was steht an?

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron besucht heute Abend zum ersten Mal seit seiner Wiederwahl den Bundeskanzler in Berlin. Maßgeblich werden er und Olaf Scholz über den Krieg in der Ukraine sprechen und die daraus resultierenden Konsequenzen für eine gemeinsame Verteidigungs- und Energiestrategie.

Weltweit wird heute die große Militärparade in Moskau zum "Tag des Sieges" beobachtet werden. Einen Sieg über die Ukraine wird Putin nicht verkünden können. Aber was dann? "Wir wissen einfach nicht, was in Putins Kopf vorgeht", sagt der Russland-Experte Stefan Creuzberger im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke. Und erklärt, wie geschickt Russlands Präsident die Geschichte für seine Zwecke klittert.

In Berlin wird es zahlreiche Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen anlässlich des Endes des Zweiten Weltkriegs vor 77 Jahren in Europa geben. Die Behörden befürchten Zusammenstöße zwischen Anhängern und Gegnern Putins.

Das fulminante CDU-Wahlergebnis aus Schleswig-Holstein wird an diesem Montag bei allen Parteien Thema sein. Insbesondere die SPD wird dabei ihre Wunden lecken müssen.


Was lesen?

Sollten Sie am Wochenende noch nicht dazu gekommen sein, möchte ich Ihnen noch einmal eine Recherche unseres Teams empfehlen: Über Monate hinweg haben sich meine Kollegen Jonas Müller-Töwe, Daniel Mützel und Patrick Diekmann mit Russlands Geheimdienstoperationen im Westen beschäftigt. Morde, Putschversuche, Hackingattacken, Spionage – und natürlich die offenbar angestrebte Abhängigkeit vom russischen Gas. Die Lektüre macht deutlich: Der Krieg in der Ukraine geht uns mehr an, als uns lieb sein kann. Putins Angriff gilt nicht nur dem Nachbarland – sondern ganz Europa.

Zu Wort kommt in dem Recherche-Stück auch der ehemalige Leiter der Russland-Operationen der CIA, John Sipher. Im Exklusivinterview, das er t-online dazu gegeben hat, erfahren Sie, wie Wladimir Putin es schaffte, den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder einzuwickeln.

Immer mehr SPD-Politiker fordern, den Altkanzler aus der Partei auszuschließen. Doch sind Schröders Russland-Beziehungen untragbar oder in Wirklichkeit Deutschlands Geheimwaffe? Zwei Meinungen können Sie dazu hier im Video nachvollziehen und sich Ihr eigenes Urteil bilden.

Einen Tag vor dem gefürchteten 9. Mai geht die ukrainische Armee in der Ostukraine weiter in die Offensive. Nördlich von Charkiw gibt es schwere Kämpfe. Mein Kollege Daniel Mützel berichtet vor Ort von dem andauernden Kriegsgeschehen.


Bild des Tages

Der Schiffbau hat in seiner Geschichte bereits so manch kurioses Gefährt zur See produziert. Was hinter diesem Schiff steckt, lesen Sie hier.


Was amüsiert mich?

Laut einer kürzlich von der US-Weltraumbehörde veröffentlichten Studie plant die NASA demnächst offenbar auf eine ganz besondere Art Kontakt mit möglichem anderem intelligenten Leben im Universum aufzunehmen. Dazu sollen Nacktbilder von Menschen ins All geschickt werden. Die Studie ist Teil des NASA-Programms "Beacon in the Galaxy", dessen Ziel es ist, Kontakt mit Außerirdischen anzuregen.

Bei den Nacktbildern geht es allerdings nicht etwa um eine Art Astro-Porno. Stattdessen sollen der Studie zufolge anatomische Zeichnungen eines Mannes und einer Frau, samt einer Darstellung von DNA-Strängen, gezeigt werden. Die abgebildeten Menschen winken. Vielleicht um die im All vermuteten Aliens freundlich zu stimmen?

Auch diese Weltkarte der Erde soll in den Weltraum übermittelt werden.

Sollte den Außerirdischen gefallen, was sie da zu sehen bekommen, sollen sie mithilfe dieser Zeichnung nachvollziehen können, wie sie mit uns auf welcher Frequenz Kontakt aufnehmen können.

Schön, wenn unsere Probleme auf der Erde zumindest für einen Augenblick in den unendlichen Weiten vergessen werden können. Hoffen wir, dass unser Planet und seine Menschen noch existieren, wenn die dann hoffentlich friedlichen Aliens uns eines Tages besuchen kommen.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und ein Lächeln im Gesicht. Morgen schreibt an dieser Stelle wieder mein Kollege Florian Harms für Sie.

Ihr

Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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