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Ukraine-Krieg und Inflation: Und schon kommt die nächste Krise auf uns zu


Schon kommt die nächste Krise

Von Florian Harms

Aktualisiert am 28.06.2022Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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In der Europäischen Zentralbank in Frankfurt wird Europas Geldpolitik gemacht.Vergrößern des Bildes
In der Europäischen Zentralbank in Frankfurt wird Europas Geldpolitik gemacht. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wer Drogen nimmt, fühlt sich high: alles leicht, alles läuft, alles super! Man nimmt mehr und mehr von dem Stoff, wird abhängig – und wenn er irgendwann aus ist, stürzt man brutal ab. Das elende Schicksal von Süchtigen ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass auch Staaten süchtig werden können.

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Gleich mehrere Euro-Staaten hängen seit zwölf Jahren an der Nadel. Die Schuldenkrise ab dem Jahr 2010 riss Griechenland, Spanien, Italien, Portugal und Irland an den Rand des Staatsbankrotts, sogar Frankreich strauchelte. Damals war die Eurozone drauf und dran, auseinanderzubrechen, was auch die deutsche Wirtschaft in eine beispiellose Krise gestürzt hätte. Um den Crash zu verhindern, begann die Europäische Zentralbank (EZB), Anleihen der Krisenstaaten zu kaufen und diese so zu stabilisieren. Gleichzeitig senkten die Zentralbanker den Leitzins auf null, damit die klammen Länder ihre Schuldenkredite weiter bedienen konnten. Über die Jahre pumpte die EZB so mehr als 3,4 Billionen Euro frisches Geld in den Markt; hinzu kamen rund 1,7 Billionen für das Corona-Notprogramm.

Mehr als fünf Billionen Euro: eine unvorstellbare Summe. Reinstes finanzpolitisches Heroin. Um den Bankrott großer Staaten wie Italien zu verhindern, hängten die Zentralbanker alle Euro-Länder an die Nadel. Auch hierzulande waren die Folgen bald offensichtlich: Die Sparguthaben von Millionen Bürgern schrumpften, aber die Wirtschaft florierte, und an den Finanzmärkten kehrte Ruhe ein. Der Plan schien aufzugehen.

Jetzt droht das böse Erwachen. Infolge des Ukraine-Kriegs steigt die Inflation rasant; im Euroraum liegt sie bereits bei über 8 Prozent. Die mit demselben Problem kämpfende amerikanische Notenbank hat längst reagiert und den Leitzins erhöht – doch EZB-Chefin Christine Lagarde zaudert und windet sich. Viel zu spät hat sie angekündigt, den Euro-Leitzins im Juli um 0,25 Prozent anzuheben; weitere Schritte sollen erst im Herbst folgen. Unternehmer, Wirtschaftspolitiker und Fachjournalisten stellen die Frage, wie das denn sein kann – wo es doch die wichtigste Aufgabe der EZB ist, die Preisstabilität zu wahren.

Die Antwort liegt auf der Hand: Offensichtlich haben Frau Lagarde und ihre Leute im Frankfurter EZB-Turm den Leitzins im Euroraum nicht nur deshalb so lange historisch niedrig belassen, weil sie die von Corona und Ukraine-Krieg geschwächte Wirtschaft schonen wollten. Sondern vor allem, weil sie fürchten, dass die überschuldeten Staaten unter höheren Zinsen zusammenbrechen würden. Bis heute haben Griechenland, Italien und Spanien ihre Haushalte nicht grundlegend saniert, bis heute hängen sie wie Süchtige an der Nadel des Billiggeldes.

Das rächt sich nun. Diese Woche läuft das EZB-Programm zum Ankauf von Staatsanleihen regulär aus. Frau Lagarde wird bei ihrer heutigen Rede auf der Notenbankkonferenz im portugiesischen Sintra sicher darauf zu sprechen kommen. Kein Finanz-Heroin mehr, aber steigende Zinsen: Für die Regierungen in Athen, Rom und Madrid ist das eine Killer-Kombination. Eine Zeit lang werden sie dank der Milliarden aus dem Corona-Topf noch high bleiben können. Doch dann kommt der kalte Entzug. Er wird hart, und er kann ganz Europa erschüttern. Staatspleiten rücken wieder in den Bereich des Möglichen. "Das ist ganz klar die Rückkehr der Eurokrise", sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest, einer der führenden deutschen Ökonomen.

Die Notenbanker haben ihre Ausschüsse zwar beauftragt, rasch ein neues Instrument zu schaffen, mit dem das Auseinanderdriften der Renditen von Staatsanleihen bekämpft werden kann. An den Anleihemärkten sorgte die Ankündigung für etwas Beruhigung. Doch ob das Mittel rechtzeitig kommt und ob es wirkt, ist offen. Sehen Sie es mir bitte nach, liebe Leserin und lieber Leser, wenn ich dieses Thema heute nicht mit einem optimistischen Ausblick schließe. Im Umgang mit Drogen ist leider nicht zu spaßen.


Aus, puff

Das Europaparlament hat sich bereits entschieden: Anfang Juni stimmte eine Mehrheit der Abgeordneten dafür, dass Kfz-Hersteller ab 2035 in der EU nur noch Autos und Transporter auf den Markt bringen dürfen, die keine klimaschädlichen Treibhausgase ausstoßen. Anders ausgedrückt: Der Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor soll ab diesem Datum verboten sein. Das Votum folgte einem Vorschlag, den die EU-Kommission als Teil ihres Klimapakets "Fit for 55" vorgelegt hatte.

Heute wollen die 27 EU-Umweltminister in Luxemburg ihre Position zum Verbrenner-Aus festlegen. Würden sie genauso entscheiden wie das Parlament, müsste ein Verbot zwar immer noch formell ausgehandelt werden. Bei Einigkeit beider Institutionen wäre eine Änderung des Ausstiegsdatums aber äußerst unwahrscheinlich.

Doch der Ausgang der Abstimmung ist fraglich – und das liegt maßgeblich an Deutschland: Während die grüne Umweltministerin Steffi Lemke die EU-Initiative unterstützt, lehnt die FDP sie ab. Die Liberalen wünschen sich auch eine Rolle für Autos mit Verbrennungsmotor, die klimaneutrale Treibstoffe nutzen, sogenannte E-Fuels. Ohne koalitionsinterne Einigung aber wird sich Berlin enthalten müssen, was wie eine Ablehnung gezählt wird. Überdies scheint die neue Unsicherheit über die deutsche Position andere Regierungen zu ermuntern, eigene Forderungen geltend zu machen. Wohl dem also, der so viel Gelassenheit aufbringen kann wie Wirtschaftsminister Robert Habeck: "Europa ist ja eine liebe Kompromissmaschine, und an der arbeiten wir mit", meinte der Vizekanzler gestern. Bleibt zu hoffen, dass es kein fauler Kompromiss wird.


Spätes Urteil

Die Anklage lautet auf Beihilfe zum Mord an Tausenden Lagerhäftlingen, begangen zwischen 1942 und 1945: In dieser Zeit soll Josef S. als SS-Wachmann im Konzentrationslager Sachsenhausen Dienst getan haben. Er sei "Teil des Tötungsräderwerks gewesen", wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor und fordert fünf Jahre Gefängnis. Seine Verteidiger dagegen plädieren auf Freispruch, weil ihm keine konkreten Taten hätten nachgewiesen werden können.

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Wenn heute in dem Prozess in Brandenburg an der Havel das Urteil ergeht, kommt es allerdings nicht mehr so sehr auf die Länge der Strafe an: Josef S. ist hochbetagt, mit 101 Jahren der bisher älteste mutmaßliche NS-Täter, der sich je vor einem deutschen Strafgericht verantworten musste. Es geht, das haben die als Zeugen aufgetretenen Überlebenden deutlich gemacht, um die historische Wahrheit: um die Benennung dessen, was war, im furchtbarsten Kapitel der deutschen Geschichte. Ein Schuldspruch gilt als wahrscheinlich.


Wüst vor Wiederwahl

Der 146 Seiten starke Koalitionsvertrag ist unter Dach und Fach, heute stimmt der nordrhein-westfälische Landtag in Düsseldorf in geheimer Wahl über den Ministerpräsidenten ab. Die Bestätigung von CDU-Amtsinhaber Hendrik Wüst, der nach dem von Armin Laschet geerbten schwarz-gelben nun ein schwarz-grünes Bündnis anführen will, sollte sich komplikationsfrei gestalten: CDU und Grüne verfügen mit 115 von insgesamt 195 Mandaten über eine komfortable Mehrheit. Morgen steht mit der Vereidigung des Kabinetts der letzte Akt der Regierungsbildung an. Und dann wartet viel Arbeit im bevölkerungsreichsten Bundesland.


Ende in Elmau

Zum Abschluss des G7-Gipfels in Bayern sprechen die Staatschefs über die neue Weltordnung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und das Großthema Digitalisierung. Anschließend endet der Mammutgipfel mit der Abschlusserklärung und einer Pressekonferenz des Gastgebers. "Ein Erfolg wird das teure Treffen nur, wenn Olaf Scholz heute konkrete Fortschritte präsentieren kann", kommentiert unser Korrespondent Fabian Reinbold.


Sie will raus

Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon stellt einen Fahrplan für ein Unabhängigkeitsreferendum vor. Ihre Nationalpartei will Schottland aus dem Vereinigten Königreich und zurück in die Europäische Union führen. Dürfte wild werden.


Gespaltenes Parlament

Frankreichs neu gewählte Nationalversammlung tritt zur ersten Sitzung zusammen. Dabei wird der neue Präsident (oder die neue Präsidentin) gewählt und bekannt gegeben, welche Parteien als politische Gruppe zusammenarbeiten. Für Präsident Emmanuel Macron wird das Regieren so oder so schwieriger.


Schwere Strafe

Ein Gericht in New York verkündet das Strafmaß für Ghislaine Maxwell. Eine Jury hatte die Ex-Partnerin des gestorbenen US-Multimillionärs Jeffrey Epstein des Menschenhandels mit Minderjährigen zu Missbrauchszwecken schuldig gesprochen: Die Britin habe als Epsteins Komplizin eine zentrale Rolle beim Aufbau eines Rings zum sexuellen Missbrauch junger Mädchen gespielt. Der 60-Jährigen drohen mehrere Jahrzehnte Gefängnis.


Was lesen?


Die G7 verschärfen ihren Kurs gegen Russland – doch nicht alle ziehen mit: Olaf Scholz' Gäste bringen das Bild der geschlossenen Front durcheinander, berichtet unser Reporter Fabian Reinbold aus Elmau.


Überfüllte Waggons, stillstehende Güterzüge, marode Schienen: Die Bahn ist in der Krise. Jetzt hat Verkehrsminister Volker Wissing die Sanierung zur Chefsache erklärt. Was das bedeutet, erklärt Ihnen unser Reporter Tim Kummert.


Was amüsiert mich?

Die G7-Chefs haben Prioritäten gesetzt.

Ich wünsche Ihnen einen weitsichtigen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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