Der fatale Jubel der AfD
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ΓΌbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
Je schlechter es Deutschland geht, desto besser fΓΌr die AfD. So lΓ€sst sich der HΓΆhenflug erklΓ€ren, den die Partei gerade erlebt β sei es in Umfragen auf Bundesebene oder bei der Landtagswahl in Niedersachsen am Sonntag. Drastischer formuliert lautet die Erfolgsformel der Populisten: Je grΓΆΓer die Angst der Menschen im Land, das sie angeblich so sehr lieben, desto besser geht es ihnen selbst.
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Deshalb ist die AfD im Moment der Krisengewinner Nummer 1. Und die Dynamik der Zahlen ist deutlich. Auf Bundesebene liegt sie in Umfragen bereits bei 15 Prozent β und damit so hoch wie lange nicht mehr. In Ostdeutschland ist die AfD mit 27 Prozent sogar stΓ€rkste Kraft. In Niedersachsen holte sie fast doppelt so viele Stimmen wie 2017.
Dass es dabei kaum eine Rolle spielt, was die AfD inhaltlich zu bieten hat, zeigt sich ebenfalls in Hannover: Der Landesverband ist zutiefst zerstritten und lieferte sogar noch wenige Tage vor der Wahl einen erschΓΌtternden Skandal. Der ehemalige Vizelandeschef der Partei warf den eigenen Leuten vor, fΓΌr die ListenplΓ€tze bei Landtags- wie Bundestagswahl Geld zu kassieren. 4.000 Euro habe er bezahlen sollen, um als Kandidat bei der Niedersachsen-Wahl aufgestellt zu werden.
Undemokratische und korrupte ZustΓ€nde, geschildert von einem ehemaligen FunktionΓ€r aus den eigenen Reihen, der die AfD nun als "Abgrund fΓΌr Deutschland", "Sammelbecken fΓΌr Gangster" und "Beutegemeinschaft" bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen. Und trotzdem scheint es vielen WΓ€hlern egal zu sein.
Das zeigt, wie gefΓ€hrlich mΓΌrbe und anfΓ€llig der anhaltende Krisenmodus Deutschland macht. Schon die Corona-Pandemie galt als die "grΓΆΓte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg", wirtschaftlich traf sie auch die Mitte der Gesellschaft hart. Nun stecken wir aufgrund des Ukraine-Krieges und stark steigender Preise insbesondere fΓΌr Energie in der nΓ€chsten Megakrise. Sie hat Folgen fΓΌr jeden Haushalt und stΓΌrzt nicht wenige in Existenznot.
Die Auswirkungen sind noch gar nicht vollumfΓ€nglich abzusehen, die Angst und die Wut aber sind groΓ. Und das mit einigem Recht: SchlieΓlich ist ein Hauptgrund fΓΌr die immer hΓΆheren Stromrechnungen fΓΌr Privatleute und Unternehmen, dass die vorherigen Bundesregierungen lange eine denkbar schlechte Energiepolitik gemacht und das Land in die AbhΓ€ngigkeit von Russland getrieben haben.
Eine solche Situation kΓΆnnte die Sternstunde der Opposition sein. Nur fΓ€llt die CDU als ernst zu nehmende Kritikerin aus, sie ist ja mitverantwortlich fΓΌr die AbhΓ€ngigkeit von Russland. Die Linke wiederum ist damit beschΓ€ftigt, sich selbst zu demontieren. Und so profitiert vor allem die AfD.
Die Partei hat in den vergangenen Jahren nΓ€mlich nicht geschlafen. Nicht, dass sie inhaltlich wertvolle Arbeit fΓΌr Deutschland geleistet hΓ€tte, sodass sie nun einen seriΓΆsen Plan vorstellen kΓΆnnte. Aber in ihrem Sinne war sie wirksam: Sie hat rechte Narrative normaler gemacht und an einigen Stellen den Diskurs nach rechts verschoben. Nicht zuletzt dank einer schlagkrΓ€ftigen Trollarmee in den sozialen Netzwerken, die AufklΓ€rer oft mundtot macht und Desinformation streut, wo immer es geht.
Die Folgen dieser Diskursverschiebung sind gravierend: PlΓΆtzlich nutzt auch CDU-Chef Friedrich Merz das Wort "Sozialtourismus", das einst nur die AfD und die NPD liebten. Und wo Konservative und Liberale auf Bundesebene beharrlich beteuern, dass sie niemals mit der AfD kooperieren wΓΌrden, da gibt es auf Kommunal- und Landesebene lΓ€ngst Formen der Zusammenarbeit.
Das alles ermΓΆglicht ZustΓ€nde, wie man sie in Ostdeutschland bereits seit Monaten beobachten kann. An diesem Wochenende trug die AfD sie auch nach Berlin: Da demonstrierten auf einem AfD-Protestzug MittelstΓ€ndler und Rechtsextreme Schulter an Schulter, da wurden Obdachlose angepΓΆbelt, einzelne Demonstranten schreckten auch vor dem HitlergruΓ nicht zurΓΌck. Den Gegenprotest stellten vor allem die Antifa, JugendverbΓ€nde und zivilgesellschaftliche, linke Gruppen. Von den etablierten Parteien war nichts zu sehen.
Zu lange haben die anderen Parteien der AfD in den Parlamenten und auf der StraΓe zu viel Spielraum gelassen. Das hat vor allem zwei GrΓΌnde: Erstens wollte man der AfD nicht noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen, als sie ohnehin schon bekommt. Zweitens aber begreifen die anderen Parteien sie nicht als Konkurrenz, weil sie die AfD-WΓ€hler lΓ€ngst abgeschrieben haben.
Lieber als die AfD-Chefs Alice Weidel oder Tino Chrupalla attackiert der Bundeskanzler im Bundestag deswegen Oppositionschef Friedrich Merz. Bei der Union ist wenigstens noch was zu holen! Mit dieser regelmΓ€Γig zu beobachtenden Ignoranz muss jetzt Schluss sein. Der Protest gegen die AfD muss wieder lauter werden.
Und besonders die Bundesregierung muss die Wahlergebnisse als Warnung begreifen: Von ihr sind nun eine bessere Politik und eine klΓΌgere Krisenkommunikation gefordert als bislang. Die Minister mΓΌssen ihre Egos zΓ€hmen und stattdessen konsequent fΓΌr das groΓe Ganze arbeiten. Handwerkliche Fehler und zu nichts fΓΌhrende Streitereien wie bei der gekippten Gasumlage sollten vermieden werden.
Dazu gehΓΆrt auch, bei zentralen Entscheidungen endlich die leidige Behauptung der "Alternativlosigkeit" aus dem Repertoire zu streichen. Zwingend notwendig sei die Gasumlage, hieΓ es aus der Ampelregierung ΓΌber Wochen β am Ende aber wurde sie gestrichen. Wer soll sich da nicht verschaukelt vorkommen?
Am Ende ist das wirksamste Mittel gegen die AfD ziemlich einfach: gute Regierungsarbeit.
Die Gaspreisbremse nimmt Gestalt an

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Gleich am heutigen Montag hat die Bundesregierung die Chance, das durch die Gasumlagen-Pleite verspielte Vertrauen vieler BΓΌrgerinnen und BΓΌrger wiederzugewinnen. Bereits um 9 Uhr steht der wohl wichtigste Termin der gesamten Woche an: Eine Expertenkommission ΓΌbergibt dann ihren Vorschlag fΓΌr eine Gaspreisbremse an Kanzler Scholz, um 10.30 Uhr gibt es eine Pressekonferenz nur mit den Experten dazu. Die Kommission aus drei Vorsitzenden und 21 Mitgliedern aus VerbΓ€nden, Gewerkschaften, Wissenschaft und Bundestag tagte am Wochenende β auch in der Nacht.
Die Gaspreisbremse soll das wichtigste Instrument zur Rettung von Unternehmen und Privatleuten vor zu hohen Kosten sein. Die AnsprΓΌche an das Instrument sind hoch: Sie soll einerseits die hohen Gaspreise ertrΓ€glicher machen, andererseits aber auch Anreize zum Energiesparen beinhalten. In der Diskussion waren zuletzt verschiedene Modelle, darunter eine Einmalzahlung, die Senkung des Gaspreises um einen bestimmten Prozentsatz und die EinfΓΌhrung eines Grundverbrauchs, fΓΌr den eine staatlich subventionierte Preisobergrenze gelten wΓΌrde.
Bald wissen wir endlich mehr.
Was steht sonst noch an?
Ungarns MinisterprΓ€sident Viktor OrbΓ‘n kommt nach Berlin. Eine Pressekonferenz ist nicht geplant, dafΓΌr aber ein GesprΓ€ch mit Bundeskanzler Scholz, in dem es um den Umgang mit Russland gehen soll. OrbΓ‘n ist ein Freund Putins, hat zuletzt immer wieder die Sanktionen der EU kritisiert und eine Volksabstimmung in Ungarn dazu angekΓΌndigt.
Die UN-Vollversammlung trifft sich am Abend zu einer Sondersitzung. Diskutiert wird unter anderem der Umgang mit der Annexion russisch besetzter Gebiete durch Moskau in der Ukraine.
In Sachsen, Sachsen-Anhalt und ThΓΌringen werden wieder Tausende Menschen gegen die Politik der Bundesregierung auf die StraΓe gehen. Die "Montagsdemonstrationen" sind nicht zuletzt durch die Mobilisierung der AfD und anderer rechtsextremer Akteure im Osten fast schon so etwas wie eine Tradition.
Was lesen?
Was bedeutet die Wahl in Niedersachsen fΓΌr Land wie Bund? Meine Kollegen Sven BΓΆll, Johannes Bebermeier und Miriam Hollstein haben die Entscheidung analysiert und Γ€uΓern einen beinahe ungeheuren Verdacht.
Am Samstag stand plΓΆtzlich fast der gesamte Zugverkehr in Norddeutschland still. Mittlerweile ist klar: Das war Sabotage. In der Politik ist jetzt eine Debatte ΓΌber die Sicherheit deutscher Infrastruktur entbrannt, wie mein Kollege Tim Kummert berichtet.
Mit der Rechenleistung von 130.000 Laptops versuchen Forschende in Hamburg zu verstehen, wie sich das globale Klima in den nΓ€chsten Jahrzehnten verΓ€ndern wird. Meteorologe Frank BΓΆttcher erklΓ€rt im Interview mit meinem Kollegen Gregory Dauber, warum die am Deutschen Klimarechenzentrum gewonnenen Erkenntnisse "nichts fΓΌr Angsthasen" sind.
Das Historische Bild
Normalerweise werden BrΓΌcken von Autos befahren, 2003 machte allerdings eine solche fΓΌr Schiffe von sich reden. Mehr erfahren Sie hier.
Was amΓΌsiert mich?
Die Leiden des Friedrich Merz bei der Niedersachsen-Wahl nach seinem Abstecher nach RechtsauΓen:
Ich wΓΌnsche Ihnen einen wundervollen Start in die Woche. Morgen begleitet mein Kollege Tim Kummert Sie in den Tag.
Herzliche GrΓΌΓe,
Ihre
Annika Leister
Annika Leister
Redakteurin Politik
Twitter: @AnnLei1
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Mit Material von dpa.
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