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Migrationspolitik: Europas Deal mit Ägypten hat tragische Folgen


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Tagesanbruch
Er kassiert üppig

MeinungVon Christoph Cöln

Aktualisiert am 18.03.2024Lesedauer: 6 Min.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei Ägyptens Machthaber Abdel Fattah al-Sisi.Vergrößern des Bildes
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei Ägyptens Machthaber Abdel Fattah al-Sisi. (Quelle: IMAGO/Philip Reynaers)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Die Meldung war klein, ich hätte sie fast übersehen. Aber was die Hilfsorganisation Sea-Watch vor wenigen Tagen von einem Einsatz auf dem Mittelmeer berichtete, erschütterte mich. Auf einem überfrachteten Holzboot hatten die Retter 56 Geflüchtete gefunden und sie auf die "Sea-Watch 5" gebracht. Darunter war auch ein 17-Jähriger in kritischem Zustand.

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Zehn Stunden war er auf dem Holzkahn unter Deck eingepfercht und atmete während der Überfahrt giftige Benzindämpfe ein. Auf der "Sea-Watch 5" erlitt er dann einen Herzstillstand. Die Ärzte konnten ihn wiederbeleben, jedoch fanden die Seenotretter keinen Hafen, der das Schiff und den Patienten aufnehmen wollte. Stundenlang funkten sie Hilferufe, weder Italien noch Malta, noch Tunesien erlaubten dem Schiff die Einfahrt. Schließlich starb der 17-Jährige – vier Stunden, nachdem er eigentlich schon gerettet worden war.

Der Fall ist nur ein Beispiel für die mitunter zynische Politik, mit der die Europäische Union an ihren Außengrenzen vorgeht. Es ist ein bisschen so, als ob wir Europäer in einer gemütlichen Burg leben würden. Bei Bedarf ziehen wir einfach die Zugbrücke hoch und schauen dabei zu, wie die anderen im Burggraben ertrinken.

Trotzdem scheint diese Tragödie kaum noch jemanden zu schockieren. Stattdessen stehen Debatten über Obergrenzen im Vordergrund. Mal sind es 400.000, dann 200.000, jetzt sollen es nach dem Willen von CDU-Chef Friedrich Merz sogar nur noch 100.000 Menschen sein, die Deutschland pro Jahr aufnimmt. In Sachen Solidarität findet derzeit ein Unterbietungswettbewerb statt, der jüngst in einem kleinkarierten Streit um Bezahlkarten gipfelte.

Noch rigoroser geht es in Australien zu, wo der Autor dieser Zeilen lebt und arbeitet. Als hier im vergangenen Monat nach längerer Zeit mal wieder ein Boot mit 20 Migranten aus Bangladesch und Pakistan anlegte, rief Oppositionsführer Peter Dutton quasi eine Staatskrise aus. Seitdem tut er so, als ob die Spartaner in Troja eingefallen wären. Dutton wirft Regierungschef Anthony Albanese vor, die Kontrolle über die nationalen Grenzen verloren zu haben. Australien fährt schon seit Jahren eine Nulltoleranzpolitik in Sachen illegaler Migration, der Kontinent hat sich vollkommen abgeschottet.

Und was tut die EU? Sie probiert es auch mit Abschottung. Dafür hofiert sie gedungene Autokraten wie Abdel Fattah al-Sisi. Der ägyptische Präsident, der sein Land mit harter Hand regiert, soll für die EU den Burgwächter geben. Am Sonntag reiste Ursula von der Leyen mit prominent besetzter Delegation nach Kairo, um al-Sisi einen entsprechenden Deal schmackhaft zu machen. Er macht die Grenze nach Europa dicht, dafür kassiert er üppig. In den kommenden drei Jahren will die EU 7,4 Milliarden Euro nach Ägypten überweisen.

Menschenrechtler zeigten sich über das Abkommen empört. "Die Politik der EU-Deals mit Diktatoren ist schäbig, borniert und korrupt", sagte ein Sprecher von Pro Asyl den Zeitungen der "Funke-Mediengruppe". Auch der Migrationsexperte der Grünen im Europaparlament, Erik Marquardt, nannte das Abkommen "moralisch verwerflich und inhaltlich naiv".

Die verstärkten Kontrollen in Ägypten sorgen unter anderem dafür, dass die Migranten eine andere Fluchtroute wählen: über das Nachbarland Libyen. Diese Route gilt als besonders gefährlich, weil die Menschen hier Ausbeutung, Folter und sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind.

Zudem sind die Zustände für Flüchtlinge auch in Ägypten prekär. Die Wirtschaft liegt am Boden, rund 30 Prozent der Menschen im Land leben unterhalb der Armutsgrenze. Viele von ihnen fliehen nach Europa. Kritiker sagen, ohne die Devisen, die die Geflüchteten in die Heimat schicken, wäre Ägyptens Wirtschaft schon zusammengebrochen. Machthaber al-Sisi prahlt derweil mit seiner neuen Hauptstadt Neu-Kairo, die er für 60 Milliarden Euro aus der Wüste stampfen lässt.

Dennoch schließt die EU weiterhin sogenannte strategische Partnerschaften mit Ländern, die nicht besonders demokratisch sind, wie etwa Tunesien. Das Land erhält 900 Millionen Euro, damit es stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgeht. Dass Tunesien sich seit geraumer Zeit in Richtung Autokratie bewegt und inzwischen 20 Prozent der Flüchtlinge über die zentrale Mittelmeerroute selbst Tunesier sind, spielt dabei offenbar keine Rolle.

Die Linke im Europaparlament kritisierte jüngst, dass bereits 150 Millionen Euro der EU-Entwicklungshilfen in den Taschen von Tunesiens Staatschef Kais Saied gelandet sein sollen. Der macht regelmäßig durch xenophobe Äußerungen von sich reden und lässt Migranten ins Niemandsland an der Grenze zu Libyen und Algerien karren, um sie dort ihrem Schicksal zu überlassen.

Nun ist die EU wahrlich nicht um ihre Aufgabe zu beneiden. Sie steht vor dem Dilemma, die illegalen Fluchtbewegungen eindämmen zu müssen, während die Nationalstaaten vielfach durch Uneinigkeit glänzen. Zu den bilateralen Abkommen mit fragwürdigen Regimen gibt es daher kurzfristig wohl keine Alternative. Wie das Beispiel Ägyptens zeigt, auch um den geostrategischen Einfluss Russlands und Chinas zurückzudrängen. Beide Diktaturen engagieren sich stark in dem Land.

Darüber hinaus verhilft der Streit über die Migrationspolitik rechtspopulistischen Parteien in den EU-Staaten zu starkem Auftrieb. Diese suggerieren einem Teil der Bevölkerung erfolgreich, nicht die Geflüchteten, sondern Europa stünde kurz vor dem Ertrinken. Der rechtspopulistische Daueralarmismus bedeutet eine Gefahr für die freiheitliche Grundordnung. Die Lösung der Flüchtlingsproblematik könnte daher auch zu einer Überlebensfrage der Demokratie in Europa werden. Längst ist die humanitäre Krise an den Außengrenzen auch zu einer Krise der europäischen Innenpolitik geworden.

Langfristig würde es daher nicht nur helfen, den Schleppern das Handwerk zu legen, sondern vor allem die Fluchtursachen zu bekämpfen. Indem etwa die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen in den Herkunftsländern dauerhaft verbessert werden. Das geschieht nicht unbedingt dadurch, dass man Autokraten, für die das Wohl ihrer Bürger eher zweitrangig ist, mit Milliarden subventioniert.

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Beim Besuch in Ägypten hatte Ursula von der Leyen unter anderem den griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis und Italiens Giorgia Meloni dabei. Zwei Hardliner in Sachen Flüchtlingspolitik. Italien hat im vergangenen Jahr auf eigene Faust ein Gesetz erlassen, dass Hilfsorganisationen dazu verpflichtet, nach einem Rettungseinsatz sofort einen Hafen anzulaufen, auch wenn die Retter unterwegs auf weitere Menschen in Seenot treffen. Außerdem dürfen die italienischen Behörden die Rettungsschiffe einfach festsetzen.

So auch im Fall des bereits erwähnten 17-Jährigen, der in den Händen der Retter starb. Da fand sich zunächst kein italienischer Hafen, den die "Sea-Watch 5" ansteuern durfte. Festgesetzt wurde das Schiff wenige Tage später trotzdem. Es darf laut der Organisation nun 20 Tage lang keine Menschen aus dem Mittelmeer fischen. Dabei sterben dort nach Schätzungen im Schnitt acht Migranten pro Tag, fast so viele wie vor zehn Jahren. Nicht gerade ein Indiz dafür, dass die EU-Politik funktioniert.


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Zum Schluss

Feldinterviews beim Sport sind öde? Nicht unbedingt. Dieses Gespräch, das, sagen wir mal, eher suboptimal verlief, ist jedenfalls beste Unterhaltung. Aber schauen Sie selbst.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Montag.

Herzliche Grüße

Ihr

Christoph Cöln
Chef vom Dienst t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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