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Dokumente gefunden: Wurde Putin schon im Januar vor Kursk-Offensive gewarnt?


Dokumente entdeckt
Kursk-Offensive: "Sie liefen davon, ohne zu evakuieren”


Aktualisiert am 20.09.2024Lesedauer: 4 Min.
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Tschetschenische Achmat-Einheiten in Kursk: Wurde die russische Führung frühzeitig vor einer ukrainischen Offensive gewarnt? (Quelle: Sergey Bobylev/imago-images-bilder)

Die ukrainische Armee konnte Teile der russischen Region Kursk schnell einnehmen. Angeblich soll der Kreml davon jedoch nicht überrascht worden sein.

Für viele Beobachter kam der ukrainische Angriff auf die russische Region Kursk überraschend. Allerdings soll es jetzt Hinweise geben, dass das nicht auf das russische Militär zutraf. Die Streitkräfte sollen bereits Monate zuvor einen solchen Angriff befürchtet und monatelang Pläne erarbeitet haben, um ihn zu verhindern. Das soll aus Dokumenten hervorgehen, die die ukrainische Armee in Kursk gesichert hat und der britischen Zeitung "Guardian" vorliegen.

Konkret soll es sich um Dokumente handeln, die aus dem russischen Innenministerium, vom Inlandsgeheimdienst FSB und der Armee stammen. Die frühesten Unterlagen sollen Ende 2023 entstanden sein, während die jüngsten nur auf sechs Wochen vor dem ukrainischen Angriff auf Kursk Anfang August datiert sind. Unabhängig konnte die Zeitung die Dokumente nicht überprüfen. Sie sollen allerdings Merkmale authentischer Mitteilungen der russischen Armee tragen.

"Liefen davon, ohne auch nur zu evakuieren"

Laut dem Bericht sollen sich die Anzeichen eines ukrainischen Angriffs seit Jahresbeginn verdichtet haben: Bereits am 4. Januar soll eine Warnung über die "Möglichkeit eines Durchbruchs an der Staatsgrenze" eingegangen sein. Ende Februar hieß es dann, ein ukrainischer Vorstoß von der Stadt Sumy sei bis zu 80 Kilometer tief in russisches Gebiet möglich. Bisher sollen die ukrainischen Streitkräfte rund 10 Kilometer in Russland vorgestoßen sein.

Im März soll das Militär dann angeordnet haben, die Verteidigungslinien in Kursk zu stärken. Drei Monate später soll dann vor der Eroberung des russischen Ortes Sudscha gewarnt worden sein. Der Ort in Kursk wurde dann tatsächlich im August innerhalb von einer Woche durch die Ukraine erobert. "Sie liefen davon, ohne auch nur zu evakuieren oder ihre Dokumente zu vernichten", sagte ein Mitglied des Sondereinsatzteams, das die Akten beschlagnahmte, der britischen Zeitung.

Die Unterlagen sollen auch Einblicke in weitere russische Militärtaktiken liefern: Unter anderem ist von Täuschungsmanövern durch Ausheben von Gräben und Stellungen die Rede: "Es sollten Modelle von Panzern, gepanzerten Fahrzeugen und Artilleriewerfern sowie Soldatenpuppen angefertigt und in regelmäßigen Abständen bewegt werden", heißt es in einem Befehl. Ukrainische Drohnenpiloten, die in der Region tätig sind, sagten allerdings der Zeitung, sie hätten entsprechende Taktiken bisher nicht in der Praxis beobachten können.

Putin gegen neue Mobilisierung

Ebenso kommt in den Papieren die angeblich schwache Moral der russischen Soldaten zur Sprache: Das zeige sich unter anderem durch die Zahl der Suizide unter den Kämpfern. "Die Analyse der aktuellen Situation in Bezug auf Suizide zeigt, dass das Problem der Soldaten, die durch Suizid sterben, nach wie vor angespannt ist", heißt es in einem Eintrag.

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Als "Gegenmittel" seien die Führungskräfte angehalten, die Soldaten mit politischen Botschaften zu füttern: Täglich sollen die Einheiten fünf bis zehn Minuten sowie pro Woche eine Stunde am Stück politischen Unterricht erhalten, "um den politischen, moralischen und psychologischen Zustand des Personals zu erhalten und zu verbessern", heißt es in einem der Dokumente.

Insgesamt soll die russische Armee schon länger Probleme bei der Rekrutierung neuer Soldaten haben. Eine neue Mobilisierung soll der russische Präsident Wladimir Putin allerdings weiter ablehnen, schreibt das "Institute for the Study of War" (ISW) in seinem jüngsten Briefing zur Lage im Ukraine-Krieg. Kurz- und mittelfristig soll Putin trotz Drängens Verteidigungsministeriums gegen die Maßnahme sein.

Russland plant "Pufferzone"

Als Grund schreibt das Institut, dass Putin dadurch eine Destabilisierung in Russland befürchtet. Der russische Machthaber hatte im Herbst 2022 eine "Teilmobilmachung" verkündet, mit der Putin bis zu 300.000 Reservisten einziehen wollte. Die Maßnahme hatte damals innerhalb der russischen Bevölkerung zu Unmut geführt.

In Kursk soll unabhängig von den Kapazitäten der russischen Armee allerdings ein Zurückdrängen der ukrainischen Streitkräfte bis Mitte Oktober geplant sein, schreibt das ISW. Anschließend habe man vor, eine "Pufferzone" im russisch-ukrainischen Grenzgebiet einzurichten. Das Institut geht aber davon aus, dass ein solches Unterfangen in der Kürze der Zeit unwahrscheinlich sei. Im Gegenteil habe die Ukraine jüngst leichte Geländegewinne in Kursk erzielen können.

Selenskyj: Russland zieht Soldaten zusammen

Das ukrainische Militär hatte Anfang August eine Offensive auf die Region Kursk gestartet und dort innerhalb weniger Tage große Geländegewinne verzeichnen können. Grob wird der Geländegewinn auf rund 1.000 Quadratkilometer beziffert. Das entspricht einer Fläche, die größer ist als die Insel Rügen.

Die russische Armee hatte daraufhin eigene Soldaten von anderen Frontabschnitten nach Kursk verlegt: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach in seiner jüngsten Videoansprache von rund 40.000 Soldaten. Dadurch sei das Angriffspotenzial des russischen Militärs in der ukrainischen Region Donezk im Osten des Landes geschwächt worden.

Freuding: keine signifikante Verlegung aus dem Donbass

Der militärische Chefkoordinator der deutschen Ukraine-Hilfe, Christian Freuding, sah zuletzt dagegen keine signifikanten Veränderungen. Zwar habe Russland auch Truppen aus Kaliningrad und Zentralrussland nach Kursk verlegt. "Aber wir haben nicht beobachten können, dass signifikante Kampftruppen aus dem Bereich Donbass abgezogen und in Richtung Kursk verlegt wurden", sagte der Generalmajor.

Eher skeptisch äußerte er sich zu Aussichten, dass die Fortsetzung des Krieges noch am Widerstand aus der russischen Bevölkerung scheitern könne. "Wenn wir mit unserer westlichen Einstellung, mit unserem westlichen Blick immer gedacht haben, die russische Gesellschaft erträgt auch nur eine bestimmte Anzahl an Opfern, dann müssen wir jetzt erkennen, dass Russland seine eigene Mathematik hat", so Freuding. "Was wir von unseren gesellschaftlichen Verhältnissen ableiten, ist auf Russland so nicht übertragbar." Dieser gesellschaftliche Aspekt finde "seine Umsetzung unter den ganz besonderen Bedingungen eines diktatorischen Regimes".

Schwieriger beurteile Freuding dagegen die russische Situation bei der Waffenproduktion: "Wir beurteilen die Situation schon so, dass es schwieriger geworden ist für die Russen, auch die Rüstungsindustrie mit ihren komplexen Komponentenzulieferungen weiter am Laufen zu halten, aber es gelingt eben immer noch. Es gelingt ihnen, indem sie Umwege gehen, und es gelingt ihnen dadurch, dass sie auf die Unterstützung von Partnern wie China, Nordkorea und Iran zählen können." Zwar sei zu erkennen, dass Sanktionen greifen, doch gebe es Möglichkeiten, "Schlupflöcher zu finden oder auch ganz legale Umgehungsmöglichkeiten".

Verwendete Quellen
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