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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Putins Delegation in Istanbul Wer wartet auf die Ukraine?

Wer in Putins Istanbul-Delegation hochrangige Namen sucht, wird keine finden. Stattdessen schickt der Kremlchef vier wenig bekannte Hardliner.
Wladimir Putin will nicht zu den Ukraine-Gesprächen nach Istanbul kommen. Das bekräftigte am Donnerstag sein Sprecher Dmitri Peskow, nachdem bereits am Mittwochabend eine Liste der russischen Delegation öffentlich geworden war, auf der der Kremlchef fehlte. Stattdessen waren dort lediglich Personen der hinteren Kremlreihen zu finden. "Nein, derzeit gibt es keine solchen Pläne", erklärte Peskow.
Der Kremlsprecher streute sogleich Zweifel an der Verhandlungsbereitschaft der Ukraine. Präsident Wolodymyr Selenskyj war zunächst mit seiner Delegation aus Außenminister Andrij Sybiha, Verteidigungsminister Rustem Umerow und dem Chef des Präsidentenbüros, Andrij Yermak, nach Ankara gereist. Nach Gesprächen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sollte es dann mindestens für die Delegation nach Istanbul weitergehen. Selenskyj selbst hat nach der Absage Putins auch seine Teilnahme an den Gesprächen abgesagt.
Peskow zufolge ist nicht sicher, ob die ukrainische Delegation zu den bilateralen Gesprächen in Istanbul erscheint. "Momentan sind die Ukrainer nicht da, und wir wissen nicht, ob sie kommen werden oder nicht", sagte Peskow. "Wir wissen nicht, wie die Verhandlungen verlaufen werden", fügte er hinzu. Die russische Delegation sei bereit und warte in Istanbul, betonte er.
Doch wer wartet da eigentlich auf die Ukrainer? t-online gibt einen Überblick.
Wladimir Medinski
Auf den ersten Blick überrascht seine Wahl. Außerhalb Russlands ist Wladimir Medinski wohl vorrangig Fachleuten bekannt. Der 54-Jährige war zwischen 2012 und 2020 Kulturminister: Bei seiner Rückkehr ins Präsidentenbüro holte ihn Wladimir Putin damals mit in die Regierung. Einem größeren, internationalen Publikum bekannt wurde Medinski jedoch erstmals, als er in den ersten Kriegsmonaten 2022 die russische Delegation für die Gespräche mit der Ukraine in Istanbul anführte.
Nun soll es wieder Verhandlungen in der türkischen Millionenmetropole geben, wieder steht Medinski an der Spitze der russischen Delegation. Und erneut fragen sich viele Beobachter: Warum ausgerechnet er? Mit Diplomatie hatte Medinski in seiner Karriere bis 2022 kaum etwas zu tun. Er schlug zwar zunächst eine Karriere im diplomatischen Dienst ein, hing diese aber schnell wieder an den Nagel. Vielmehr machte er sich in Russland als umstrittener Schriftsteller und selbst ernannter Historiker einen Ruf.
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Seit 2024 ist Medinski als Berater des russischen Präsidenten tätig. Seit Februar hat er zudem den Vorsitz des russischen Schriftstellerverbandes inne. In den vergangenen Jahren bestand seine Hauptaufgabe darin, Geschichtsbücher für den Unterricht an russischen Schulen umzuschreiben. Ganze vier Bände für Schüler zwischen 16 und 18 Jahren bilden eine Perspektive ab, mit der renommierte Historiker kaum einverstanden sein können. Sie befindet sich gänzlich auf Linie des Kremlchefs.
Dieser bedient sich in seinen Reden und Veröffentlichungen selbst an geschichtsrevisionistischen Erzählungen: Die Errungenschaften der Sowjetunion werden überzeichnet, ihr Zerfall zu einer Demütigung stilisiert und Wladimir Putins Streben an die Macht als "Wiedergeburt" eines glorreichen Russlands gefeiert.
Die Bücher bieten auch eine Interpretation des Angriffskriegs gegen die Ukraine, die ganz nach Putins Geschmack sein dürfte: Die Rede ist von einer "speziellen Militäroperation", statt von einem Krieg. Hintergrund sei eine angebliche Destabilisierung Russlands durch den Westen. Der Ukraine-Krieg wird zudem in eine Linie mit dem Zweiten Weltkrieg gestellt: Russland kämpft demnach wieder gegen Nazis, dieses Mal sitzen sie jedoch nicht in Berlin, sondern angeblich in Kiew.
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2022 zog Medinski den Unmut russischer Propagandisten auf sich, weil er aus Sicht der Russen mit verschiedenen Aussagen der Ukraine Legitimation verschaffte. Das entsprach zwar nicht den Kremlerzählungen, sollte aber vermutlich ebendiesen Zweck erfüllen: Putin hatte mit Medinski einen Prellbock, der Kritik aufnehmen konnte, ohne dem Kremlchef selbst zu schaden. Womöglich übernimmt er aktuell erneut diese Rolle für Putin.
Igor Kostjukow
Igor Kostjukow ist seit rund sieben Jahren Chef des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Als solcher sitzt er ebenfalls im russischen Generalstab. Damit ist er wohl der hochrangigste Vertreter Putins in Istanbul.
Seine Amtszeit sei bisher die längste aller Geheimdienstchefs im postsowjetischen Russland, schrieb der britische Historiker Mark Galeotti in den "Russland-Analysen" im vergangenen Jahr. Kostjukow übernahm im Herbst 2018 von seinem Vorgänger Igor Korobow, der überraschend gestorben war – ein gängiges Mittel des "Rücktritts" im GRU.
Auch Kostjukow wurde schon mehrfach angedichtet, plötzlich verstorben zu sein. Ende März 2022 behauptete das ukrainische Innenministerium, Kostjukow sei plötzlich schwer krank geworden. Später verschwand er für längere Zeit von der Bildfläche, tauchte dann aber wieder auf. Er steht auf der Sanktionsliste der Europäischen Union.
Michail Galusin
Michail Galusin ist der Vize-Außenminister Russlands. Als solcher verantwortet er die Beziehungen zur Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, eine zwischenstaatliche Organisation, die vor allem die ehemaligen Sowjetrepubliken umfasst. Zuletzt trat er vor allem in Erscheinung, wenn es darum ging, Verhandlungsinitiativen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs zu diskreditieren.
So erklärte Galusin im Februar, dass entsprechende Erklärungen aus dem Westen lediglich dazu dienen sollten, eine "günstige Position" zu schaffen. Es sei wichtig, dass den Worten praktische Schritte folgten, so Galusin. Er wiederholte zudem Putins Forderung danach, die "Ursachen der Krise" zu beseitigen. Das deutet darauf hin, dass er ein Kreml-Hardliner ist.
Alexander Fomin
Auch Alexander Fomin war bereits Teil der russischen Delegation bei den ersten Verhandlungen in Istanbul zu Kriegsbeginn. Damals soll er den Ukrainern brutale Worte mit auf den Weg gegeben haben: Wenn sie die russischen Bedingungen nicht akzeptierten, "werden wir euch weiter töten und abschlachten", sagte er damals dem Präsidentenberater Mychailo Podoljak nach dessen Angaben. Diese Episode veröffentlichte der Journalist Yaroslaw Trofimow in seinem Buch "Our Enemies Will Vanish".
Fomin ist bereits seit 2017 stellvertretender Verteidigungsminister. Als solcher verkündete er unter anderem 2021 eine militärische Zusammenarbeit Russlands mit der Militärjunta in Myanmar.
Zu Medinski, Kostjukow, Galusin und Fomin gesellen sich in Istanbul noch vier Experten aus Generalstab, Außen- und Verteidigungsministerium sowie der Präsidialverwaltung.
- Mit Material der Nachrichtenagentur AFP
- spiegel.de: "Putins Prügelknabe" (kostenpflichtig)
- reuters.com: "Kremlin aide rewrites Russian history for a society at war" (englisch)
- tagesspiegel.de: "Kreml-Berater Wladimir Medinski: Neue Mission für den Chefhistoriker"
- welt.de: "Die wahren Strippenzieher im Kreml" (kostenpflichtig)
- x.com: Beitrag von @yarotrof
- Eigene Recherche