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Grenzkontrollen in Kirchdorf: Polizei in Bayern geht gegen Schleuser vor


Polizisten im Kampf gegen Schleuser
"Gewaltbereitschaft ist enorm gestiegen"

Max Wochinger

25.10.2023Lesedauer: 5 Min.
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Beamte der Bundespolizei besprechen sich am Kontrollpunkt im niederbayerischen Kirchdorf.Vergrößern des Bildes
Beamte der Bundespolizei besprechen sich am Kontrollpunkt im niederbayerischen Kirchdorf. (Quelle: Max Wochinger)

An der deutsch-österreichischen Grenze hat die Bundespolizei eine neue Kontrollstation eingerichtet. Doch beim Kampf gegen Schleuser und illegale Migration fehlt es nicht nur an Personal.

Die Maschinenpistole fest im Griff. Zwei junge Polizisten kontrollieren die heranfahrenden Autos – der eine hält den weiß-roten Signalstab in der Hand, der andere die Dienstwaffe. Kurzer Blick aufs Nummernschild, ein Blick auf den Fahrer, der schwarze Skoda darf weiterfahren. Schon nehmen sie den nächsten Wagen ins Visier.

Die Beamten stehen an der deutsch-österreichischen Grenze im niederbayerischen Kirchdorf – auf der Suche nach Schleusern und illegal Einreisenden. Die Bundespolizei hat am Grenzfluss Inn eine Kontrollstelle errichtet, weil hier im Sommer immer mehr Flüchtlinge und Migranten eingeschmuggelt wurden.

Gewaltbereitschaft der Schleuser steigt

Dabei gehen die skrupellosen Schleuser äußerst brutal und rücksichtslos vor. "Die Gewaltbereitschaft ist enorm gestiegen", sagt ein Bundespolizist. Hier an der Grenze müssen die Polizisten jederzeit mit allem rechnen. Doch noch ist es an diesem Donnerstagnachmittag ruhig.


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"Wir haben hier jeden Tag Einschleusungen."


Ein Beamter der Bundespolizei am Kontrollpunkt in Kirchdorf


Zwei Bundespolizisten kontrollieren einen weinroten Renault aus Frankreich. Die beiden Männer im Auto wirken nervös, einer kann seinen Ausweis nicht finden. Dann gibt es ein Problem mit der Autoversicherung. Beides ist nach kurzer Zeit geklärt. Die Männer im Clio fahren weiter. "Wir haben hier jeden Tag Einschleusungen", sagt der Gruppenführer, ein 23-Jähriger, der zehn Polizistinnen und Polizisten leitet. "Meistens schauen uns die Geschleusten schon aus dem Kofferraum an." Nur in wenigen Fällen seien sie wirklich versteckt.

"Oft haben die Flüchtlinge keine Pässe dabei oder sie wurden zerstört. Oder sie sind irgendwo im Auto versteckt." Können die Reisenden ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland nicht nachweisen, werden ihre Daten kurz aufgenommen und sie werden nach Passau zur Bundespolizei gebracht. "Dort gibt es eine Bearbeitungsstraße, wo ihre Daten erfasst werden und Vernehmungen stattfinden", erklärt der Gruppenführer.

Verfolgungsjagden mit der Polizei

Allein die Bundespolizei in Passau registriert jeden Tag rund 90 Menschen. Flüchtlinge werden an das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weitergeleitet. Verweigert ein Migrant seine Aussage, können ihn die Bundespolizisten "relativ unbürokratisch" an die österreichischen Behörden zurückweisen, erklärt ein Sprecher der Bundespolizei in Passau. Er werde dann etwa an die Grenze nach Schärding gebracht, die Polizei in Österreich übernehme. Das komme regelmäßig vor.

Und die Schleuser? Die würden gesondert behandelt, sagt der Gruppenführer. Sie bekommen eine Anzeige wegen Einschleusens von Ausländern. Bisher seien die Schleuser immer kooperativ gewesen. Doch die Polizeiberichte der vergangenen Wochen zeigen, dass viele immer brutaler vorgehen: waghalsige Verfolgungsjagden, Flucht ins Maisfeld, Unfalltote. Nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt endete Anfang Juni eine Verfolgungsfahrt mit einem Unfall. Vier geschleuste Menschen wurden verletzt.

Ende September wollten Grenzbeamte in Neuhaus am Inn einen Kleinbus mit ungarischer Zulassung kontrollieren. Der Fahrer fuhr weiter und flüchtete vor der Polizei zu einer nahegelegenen Wiese. Er sprang aus dem fahrenden Transporter und rannte davon. Im Innenraum des Fahrzeugs: 15 Menschen aus Syrien und der Türkei. Die Beamten stoppten den rollenden Wagen mit dem Streifenwagen, beide Fahrzeuge prallten gegen einen Erdwall. Der beschuldigte Schleuser, ein 34-Jähriger aus Tschechien, wurde wenig später verhaftet.

Knapp zwei Wochen zuvor war ein Syrer mit seinem Ford Transit von einer Bundesstraße abgekommen, nachdem er einer Polizeikontrolle davongefahren war. Er war mit 150 Kilometern pro Stunde unterwegs, wie die Bundespolizei mitteilte. In einer Linkskurve in Hebertsfelden verlor er die Kontrolle und der Transit kippte um. Im Laderaum befanden sich zehn Flüchtlinge aus Syrien und der Türkei, darunter auch ein dreijähriges Kind. Die Insassen waren ungesichert. Sie wurden verletzt. Dies sind nur drei von hunderten Berichten.

Tödliche Schleuserfahrt sorgt für Bestürzung

Die Verfolgungsjagd vom 13. Oktober aber sticht heraus, der Fall hat bundesweit Schlagzeilen gemacht: An jenem Freitag flüchtete ein Schleuser auf der Autobahn 94 mit einem völlig überfüllten Kleintransporter vor der Polizei. Nach Angaben der Einsatzkräfte beschleunigte der Fahrer auf 180 Kilometer pro Stunde. Bei einer Ausfahrt im oberbayerischen Ampfing kam er von der Straße ab und überschlug sich. Dabei wurden mehrere Menschen aus dem Fahrzeug geschleudert. Die Bilanz der Verfolgungsfahrt: sieben Tote und 16 zum Teil schwer Verletzte.

Die Bestürzung über die tödliche Schleuserfahrt war groß. Auch die Polizei wurde scharf angegriffen: Adelheid Rupp, Landesvorsitzende der Linken in Bayern, kritisierte die Verfolgungsfahrt als "Hetzjagden auf Geflüchtete". Sie warf den Polizisten eine "rechte Stimmung" vor.


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"Jedenfalls zeigt auch dieser Vorfall, wie wichtig es ist, die unmittelbaren Grenzkontrollen weiter zu verstärken, um Schleuser bereits an der Grenze aufzuhalten."


Bayern Innenminister Joachim Herrmann nach dem tödlichen Schleuserunfall auf der A94


Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wies den Vorwurf zurück. Er bekräftigte seine Forderungen nach mehr Kontrollen. "Jedenfalls zeigt auch dieser Vorfall, wie wichtig es ist, die unmittelbaren Grenzkontrollen weiter zu verstärken, um Schleuser bereits an der Grenze aufzuhalten", sagte er nach dem tragischen Unfall.

Flüchtlingszahlen erhöhen Druck auf Innenministerin Faeser

Dabei kontrolliert die Bundespolizei die Grenze zu Österreich schon seit 2015, seit den starken Fluchtbewegungen nach Zentraleuropa. Die Binnenkontrollen mit Unterstützung bayerischer Beamter wurden immer wieder um sechs Monate verlängert. Im Frühjahr 2022 stieg die Zahl der illegalen Einreisen nach Bayern sprunghaft an. Und auch in diesem Jahr hat sich der Trend fortgesetzt: Die Bundespolizeidirektion in München hat von Januar bis August mehr als 17.100 unerlaubte Einreisen registriert – knapp 2.000 Fälle mehr als im Vorjahreszeitraum. Bundesweit waren es bis Anfang Oktober rund 98.000 illegale Einreisen.

Die hohen Flüchtlingszahlen im Sommer hatten den Druck auf Innenministerin Nancy Faeser (SPD) immer weiter erhöht. In einer Regierungsbefragung im Bundestag am 20. September erklärte Faeser, dass die Regierung einen Neustart in der Migrationspolitik wolle. Und nach den desaströsen Ergebnissen bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen hat sich die Lage für die Ampelregierung einmal mehr verschärft: Die Rechtsaußen-Partei AfD ging als Gewinner vom Feld. Ihr Wahlkampfthema: Migration.

Nach langem Zögern gab Innenministerin Faeser Mitte Oktober grünes Licht für stationäre Grenzkontrollen zu Polen, Tschechien und der Schweiz. Diese wurden bei der EU-Kommission angemeldet. Auch die Kontrollen an der Grenze zu Österreich werden um weitere sechs Monate verlängert. Bayern sei eben das Einzugsgebiet der sogenannten Balkanroute, erklärt der Sprecher der Bundespolizei. Die Grenze in Kirchdorf am Inn habe sich dabei als Brennpunkt herausgestellt.

Polizisten sind mit Bedingungen unzufrieden

Die Polizisten in Kirchdorf unterstützen die Entscheidung für die Grenzkontrolle. "Wir haben über den Sommer gemerkt, dass es immer mehr Schleusungen und illegale Einreisen gibt", sagt der Gruppenführer. "Das muss gemacht werden."

Dennoch sind die Einsatzkräfte mit der Situation vor Ort unzufrieden. Nach Meinung des Polizisten fehle es an Ausrüstung: "Wir haben keine Heizstrahler, obwohl es in der Nacht ziemlich kalt wird. Und auch bei den Computern gibt es Probleme. Wir haben nicht genug – und manche funktionieren nicht ordentlich." Er habe die Probleme seinen Vorgesetzten geschildert. "Aber entweder dauert das dann zu lange oder es kommt gar nichts."

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Auch mehr Kolleginnen und Kollegen wünscht er sich zur Unterstützung. Für etwa neun Tage ist er mit seinem Team in Kirchdorf eingeteilt – dann geht's weiter zum nächsten Einsatz. Stationiert ist er bei der Bundespolizeidirektion in Sankt Augustin bei Bonn, von dort wurde er für die Grenzkontrolle abgezogen.

Beamte sind auf Selbstversorgung angewiesen

Während des Einsatzes schläft die Truppe in Hotels und fährt jeden Tag zur Kontrollstelle. Zum Aufwärmen oder zum Essen gehen die Polizisten in einfache Baucontainer. Die hat die Polizei direkt an der Bundesstraße abgestellt. Daneben stehen Dixi-Toiletten und ein großer Müllcontainer. Er ist voll mit leeren Pizzakartons und Plastikverpackungen. "Wir sind hier auf Selbstversorgung angewiesen", sagt der Gruppenführer.

Dann klingelt wieder sein Handy. Er muss zu seinen Kollegen. Inzwischen hat sich der Verkehr auf der Innbrücke auf 200 Meter angestaut. Zwei Polizisten kontrollieren den nächsten Kleintransporter auf dem Weg nach Deutschland. Auch sie haben Maschinenpistolen dabei.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
  • mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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