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Kolumne: Markus Lanz raubt mir den letzten Nerv – und macht doch vieles richtig


ZDF-Talkshow
Lanz raubt mir den letzten Nerv – und macht doch vieles richtig

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

08.04.2021Lesedauer: 7 Min.
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Talksendung Markus Lanz: Den Moderator muss man nicht unbedingt mögen, seine Leistung aber doch anerkennen, findet t-online-Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrößern des Bildes
Talksendung Markus Lanz: Den Moderator muss man nicht unbedingt mögen, seine Leistung aber doch anerkennen, findet t-online-Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: teutopress/t-online/imago-images-bilder)

Markus Lanz hat es geschafft, mit seiner Sendung zur härtesten Talkshow für Politikerinnen und Politiker im deutschen Fernsehen zu werden. Wie konnte das passieren?

Der Fernsehmoderator Markus Lanz ist eine echte Herausforderung. Für seine Gäste wie für seine Zuschauerinnen und Zuschauer. Er tritt smart und charmant auf, als Sympathieträger gilt er trotzdem nicht. Er liefert seichte Unterhaltung und zugleich knallharten Politjournalismus. Ich verfolge seine Sendung verhältnismäßig oft, wenn ich denn mal zum Fernsehschauen komme. Dennoch frage ich mich fast jedes Mal aufs Neue, ob ich mir die Talkshow wirklich antun soll. Das raubt mir den letzten Nerv.

Markus Lanz hat immer dieselben Gäste, die immer dasselbe sagen. Als ihn jüngst der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki deshalb in der Sendung auf die Schippe nehmen wollte und süffisant ausführte, "der Freund von Herrn Lanz, also der Herr Lauterbach", fixierte ihn Markus Lanz mit bösem Blick und reagierte dünnhäutig. "Wieso sagen Sie das so", unterbrach er den FPD-Politiker eine Denkpause später, als dieser schon mitten in einem anderen Satz war: "Der Freund von Herrn Lanz? Das hat so einen Unterton?" Die Antwort blieb Wolfgang Kubicki schuldig, offenbar fehlte ihm zu mehr als einem indirekten Hinweis auf den SPD-Gesundheitsexperten als "Dauergast" der Sendung der Mut. Karl Lauterbach kam laut dem Mediendienst DWDL in der Rangliste 2020 auf 17 (!) Auftritte bei Markus Lanz. Gefolgt von Robin Alexander und Hendrik Streeck. Der "Welt"-Journalist und der Virologe hatten je neun Auftritte.

Talkshow als Werbesendung

Bei Markus Lanz nichts Neues. Bei anderen Gästen, die nicht so häufig in der Sendung sind, kann man fast immer darauf setzen, dass sie gerade ein neues Buch oder eine andere Leistung von sich promoten wollen – was der Sendung natürlich den Anstrich einer öffentlich-rechtlichen Werbeveranstaltung verpasst. Abgesehen davon betrifft das meist nur Autorinnen und Autoren, deren Werke bereits viele andere große Medien besprochen haben oder gewiss noch besprechen werden, was der Kurzweil nicht unbedingt zuträglich ist. Die Rezensionsbranche der deutschen Massenmedien liegt echt am Boden, aber das nur am Rande.

Mir ist die "Markus Lanz"-Talkshow auch ein wenig von innen bekannt. Ich war selbst schon zu Gast und habe schon Einladungen abgesagt, weil ich die geplante Ausrichtung einer Ausgabe nicht unterstützen wollte. In der Vergangenheit hatte ich oft den Eindruck, die Sendung ist zu wenig divers und Markus Lanz hofiert Gäste mit konservativen oder neoliberalen Auffassungen, während er solche aus dem linken Politspektrum härter rannimmt.

Kein Lanz ohne einen Dr. Watson?

Bei seinen "Verhören" wird er oft flankiert von einem journalistischen Sancho Pansa oder einem Dr. Watson, einem Sidekick aus der Medienbranche, der ihm bei Bedarf zur Seite springt und neue Stichworte liefert. Der Befragungsstil von Markus Lanz erhitzt seit Langem die Gemüter. Daland Segler erklärte 2019 in der Frankfurter Rundschau: "Solch ein Mann dürfte nie und nimmer eine Talkshow leiten", und es sei eines der "großen Rätsel der bundesdeutschen Fernsehlandschaft", dass er das "trotz seiner offensichtlichen Unfähigkeit" immer noch tue.

Doch so einfach ist das nicht. Markus Lanz hat sich entwickelt und offenkundig macht er vieles richtig. Seit 2009 ist er auf Sendung, erst zwei-, dann dreimal pro Woche, gerade in der jüngeren Zielgruppe steigt der Marktanteil. Er hat ein Ziel vor Augen: "Ich hatte immer das Gefühl, es muss doch möglich sein, ein anderes Politikgespräch zu führen", sagte er der "Taz". Und das scheint ihm gelungen zu ein. Markus Lanz hat es zur härtesten Talkshow für Politikerinnen und Politiker im deutschen Fernsehen gebracht. Wie war das möglich?

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Er hat die Rolle des Talkshow-Moderators verändert. Bisher lautete die Direktive: Interviewer und Interviewerinnen müssen zwar hart, aber höflich, distanziert und neutral ihre Fragen stellen. Während die meisten Kolleginnen und Kollegen seit Günter Gaus und Dietmar Schönherr dem mehr oder weniger strikt folgen, pfeift Markus Lanz auf solche Vorgaben. Er fragt nicht nur, er mischt sich ein, drängt sich förmlich auf und hält mit eigenen oder vermeintlich eigenen Meinungen nicht hinter dem Berg.

Diskussion über Haltung beschwingt den Moderator

In Zeiten, wo so viel über Haltung diskutiert wird, war das vielleicht nicht die schlechteste Idee. Und zuletzt verblasste der Eindruck etwas, seine Haltung würde sich stets gegen links richten. Dazu beigetragen hat seine offene und deutlich vorgetragene Kritik an der AfD, an Donald Trump und anderen Akteurinnen und Akteuren mit rechtspopulistischen Positionen, mit der er immer wieder eine Brandmauer gegen rechts eingezogen hat. Anders kann sich Erfolg im Hauptprogramm eines großen deutschen Fernsehkanals kaum einstellen – das gilt vor allem für die Öffentlich-Rechtlichen.

Sein bohrendes und beharrliches Nachfragen beschränkt sich in der Regel auf Politikerinnen und Politiker – auf Medienprofis in der Runde. Das ist fair. Wenn einem als Zuschauerin und Zuschauer die Meinung von Markus Lanz gefällt, freut man sich über seine Verbissenheit und Penetranz, wenn nicht, ärgert sie einen. 2014 zog die Wut über Markus Lanz sogar eine Onlinepetition nach sich, in der die Absetzung seiner Sendung gefordert wurde, weil er die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht so massiv angegangen war. Damals räumte Markus Lanz selbst Fehler ein. Er bedauere es, wenn "das energische Nachfragen zu rustikal und sogar persönlich" gewesen sei, sagte er. Das habe er Sahra Wagenknecht in einem Telefonat später auch erläutert.

Lanz kreiert eigenen Stil – forsch, aber mit freundlichem Gesicht

Heute hat er seine Methodik feinjustiert und damit einen eigenen Stil kreiert. Er ist weiterhin forsch, verliert aber nur selten sein freundliches Gesicht und wenn, findet er es schnell wieder. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder zollte ihm diese Woche in der Sendung Respekt dafür und nannte seinen Versuch, ihm Antworten zu entlocken, "relativ clever". Mit Fragen von oben, von unten, von rechts, von links, von hinten und von vorn hatte Markus Lanz versucht herauszufinden, ob der CSU-Chef nun Kanzlerkandidat der Union wird oder nicht.

Mit seiner Art holt Markus Lanz oft mehr aus seinen Gästen heraus als andere Formate – selbst bei dem routinierten Markus Söder gelang ihm am Ende noch ein Stich. Dieser zitierte aus einer privaten SMS von CDU-Chef Armin Laschet, der ihm vor dem Auftritt geschrieben habe, er solle friedlich sein. Es kommt nicht oft vor, dass Spitzenpolitikerinnen und -politiker im Fernsehen aus persönlichen Korrespondenzen zitieren.

Vergangene Woche konnte man erleben, wie Markus Lanz die innere Angespanntheit, um nicht zu sagen Wut, eben jenes Armin Laschet, der wegen Corona-Pandemie und Kanzlerkandidatur mächtig unter Druck steht, geradezu sichtbar gemacht hat. 2019 verriet CDU-Politiker Philipp Amthor bei ihm in der Sendung den ersten Satz ("Hey Rezo, Du alter Zerstörer") seines von der Parteiführung zurückgehaltenen Antwortvideos auf die spektakulären Kritik des YouTubers an den Christdemokraten.

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2020 arbeitete der Comedian Atze Schröder teils mit Tränen in den Augen bei Markus Lanz die Rolle seines Vaters im Zweiten Weltkrieg auf und bat in einer ungewöhnlichen Geste bei der ebenfalls geladenen Holocaustüberlebenden Eva Szepesi per Handschlag um Entschuldigung. Solche Ereignisse kommen auch in anderen Talkshows vor, aber bei Markus Lanz häufen sie sich eben. So kommt es wohl nicht von ungefähr, dass sich der legendäre ehemalige Präsident der USA, Barack Obama, die Sendung von Markus Lanz aussuchte, um sein Buch in Deutschland zu promoten.

Vorbereitet, schlagfertig und mutig

Markus Lanz ist in der Regel sehr gut vorbereitet, er ist schlagfertig und mutig genug, seinem Gast direkt zu widersprechen. Mit zuspitzendem Paraphrasieren der oft verklausulierten Antworten, die man ihm entgegenhält, provoziert er neue Reaktionen bei den Interviewten. Wenn er nicht als Anwalt in eigener Sache auftritt, versteht er sich als Anwalt der Zuschauerinnen und Zuschauer. Das ist gewagt bei der Pluralität in Deutschland, es erzeugt aber den Eindruck, er sei nah bei den Menschen. Wenn der Moderator auf den Rand seines Stuhls vorrückt und sein Gegenüber fixiert, um ihn eins zu eins ranzunehmen, werden die anderen Gäste zwar zum Beiwerk degradiert, aber er zeigt damit, dass ihn das Thema, um das es gerade geht, tatsächlich interessiert und berührt.

Trotzdem hat man nie das Gefühl, seine Gesprächspartner könnten beleidigt aufspringen und wütend das Studio verlassen. Eine gute Orchestrierung der Moderation, an der seine Redaktion einen großen Anteil hat, hilft dabei, die Wogen zu glätten – beispielsweise durch die geschickte Ansprache eines anderen Gastes. Markus Lanz weiß genau, wann er von seinem Gegner oder seiner Gegnerin ablassen sollte. In der Zeit können sich dann alle wieder sammeln für das nächste Gefecht.

Man muss ihn nicht mögen, aber anerkennen

Man muss Markus Lanz nicht mögen, aber er hat etwas Neues in der TV-Landschaft etabliert. Das kann man neidlos anerkennen. Wenn es schon so viele Talkshow-Formate im deutschen Fernsehen gibt, dann ist es erfrischend, wenn sie sich unterscheiden. Der Erkenntnisgewinn seiner Sendung ist mitunter höher als bei anderen journalistischen Medienformaten, die gemeinhin ernster genommen werden. In der vergangenen Woche jedenfalls habe ich bei ihm über und von zwei Politikern der Stunde in der Corona-Krise, Armin Laschet und Markus Söder, mehr erfahren als zuletzt in allen anderen Medien.

Vielleicht müssen wir alle einfach offener werden für mehr Neues. Und wenn einem Markus Lanz nach wie vor gegen den Strich geht, kann man abends einfach weiterzappen – Auswahl genug gibt es. Ich werde gewiss nicht jedes mal dranbleiben – zuletzt jedoch passierte das verhältnismäßig oft.

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Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen und ist Kandidatin der Grünen für den Bundestag. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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