KÖLN (dpa-AFX) - Leer gefegte Straßen, geschlossene Geschäfte und eine verlassene RTL-Sendezentrale: Die Kölner City hat sich durch die größte Evakuierung seit 1945 in eine Geisterstadt verwandelt. Mehr als 20 000 Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen. Denn am Abend sollen am Rheinrufer im Stadtteil Deutz drei amerikanische Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft werden.
Rund um die Fundstelle haben die Behörden einen Sicherheitsradius von 1000 Metern gezogen. Die Ansage lautet: Dieser Bereich muss menschenleer sein, bevor die Bomben entschärft werden können. Wenn es irgendwann soweit ist, sollen sich in der gesamten Evakuierungszone nur noch zwei Experten der Kampfmittelbeseitigung aufhalten.
Die am dichtesten besiedelte Innenstadt Europas leert sich
Seit 8 Uhr werden Straßensperren rund um den Sperrbezirk errichtet. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Ordnungsamtes gehen umher und checken, ob wirklich alles leer ist. Straße für Straße, Haus um Haus. Ein ganzes Stück Arbeit, denn die Kölner Innenstadt ist laut Ralf Mayer, Leiter des Ordnungsamtes, die am dichtesten besiedelte in ganz Europa. Bis zum Mittag verlaufen die sogenannten Klingelrundgänge ohne besondere Vorkommnisse - es gibt keine Verweigerer, die partout nicht aus ihrer Wohnung wollen.
In der Sperrzone liegen ein Krankenhaus, zwei Alten- und Pflegeheime, viele Museen und der Fernsehsender RTL: Der sendet nun stattdessen vorübergehend aus dem Außenbezirk Köln-Ossendorf und aus Berlin. Die Lanxess-Arena hat einen Auftritt des Komikers Tedros "Teddy" Teclebrhan auf Sonntag verlegt, die Philharmonie ein Konzert des WDR-Sinfonieorchesters abgesagt.
Paare, die im Historischen Rathaus heiraten wollten, mussten ihre Hochzeit immerhin nicht absagen - allerdings findet die Trauung nun im wenig glamourösen Porz statt. Standesbeamtin Manuela Beilmann weiß den Paaren den neuen Ort jedoch schmackhaft zu machen: "Hier ist der einzige Trauort, an dem sie direkt am Rhein heiraten können - mit Blick auf den Dom", schwärmt sie im WDR.
Endlich mal keine Parkplatznot
8 Uhr, Stadtteil Deutz: Ausnahmsweise herrscht in dem rechtsrheinischen Viertel mal keine Parkplatznot. Viele Bewohner sind zu Familie oder Freunden außerhalb der Sperrzone gefahren - oft mit Notfallgepäck im Kofferraum, denn wann sie wieder in ihre Wohnungen zurückdürfen, kann ihnen niemand sagen. "Mein Mann fährt zur Arbeit, unser Sohn geht nach der Schule zu Freunden, und ich fahre zu meinen Eltern", sagt eine Deutzerin, die gerade die Haustür hinter sich zuzieht. "Wenn es nicht anders geht, können wir da auch jeweils übernachten."
An Laternenpfosten weisen Schilder den Weg zu Sammelplätzen, von denen ein Shuttle Service Personen, die nicht anderswo unterkommen können, zu Sammelstellen bringt. In sozialen Medien werben einige Lokale in der Nähe speziell um Menschen, die nicht nach Hause können: "Kaffeemaschine ist an und Homeoffice könnt ihr auch bei uns machen", schreibt ein Café-Besitzer. Ein Kleingartenbesitzer bietet "einen Ort zum Verweilen, auch mit Hund" an.
Die Sperrung des Zentrums der viertgrößten Stadt Deutschlands mit insgesamt 1,1 Millionen Einwohnern strahlt weit ins Umland aus. Der Hauptbahnhof befindet sich zwar nicht im Evakuierungsbereich, wohl aber die auf ihn zuführende Hohenzollernbrücke, die meistbefahrene deutsche Eisenbahnbrücke. Personenzüge dürfen nach 8 Uhr zunächst weiter über die Brücke fahren, halten aber nicht im Bahnhof Köln Messe/Deutz. Mit Beginn der Entschärfung soll die Hohenzollernbrücke gesperrt werden - dann wird der Hauptbahnhof vorübergehend zum Kopfbahnhof. Auch die Schifffahrt auf dem Rhein muss vorübergehend pausieren. Und sogar der Luftraum wird gesperrt.
In NRW werden jährlich 2000 Bomben gefunden
So wirkt der Zweite Weltkrieg auch nach über 80 Jahren immer noch in den Alltag hinein. In ganz Nordrhein-Westfalen würden pro Jahr 1500 bis 2000 Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden, von den großen Kalibern so wie jetzt in Köln etwa 200 pro Jahr, sagte Kai Kulschewski, Dezernent für Kampfmittelbeseitigung bei der Bezirksregierung Düsseldorf, im WDR-"Morgenecho".
Köln gehörte zu den am stärksten bombardierten Städten des Zweiten Weltkriegs. Der einsame schwarze Dom inmitten einer kompletten Trümmerwüste wurde weit über die Stadt hinaus zum Symbolbild für die Zerstörungen des Krieges. Und so ist es an diesem Tag vermutlich emotional nicht ganz unwichtig für die Kölnerinnen und Kölner, dass ihr geliebter Dom ganz knapp außerhalb der Sperrzone liegt. Touristen und Einwohner können dort weiterhin ein Kerzchen anzünden./cd/DP/mis
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