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Putin vergisst seinen Krieg: Neues Außenpolitik-Konzept Russlands


Neues Kreml-Konzept
Putin vergisst seinen Krieg

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 01.04.2023Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin: In einem neuen außenpolitischen Konzept skizziert der Kreml sein surreales Weltbild.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: In einem neuen außenpolitischen Konzept skizziert der Kreml sein surreales Weltbild. (Quelle: Gavriil Grigorov/dpa)

Im Zuge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine veröffentlicht der Kreml ein neues außenpolitisches Konzept. Es zeigt vor allem eines: Wladimir Putin lebt in einer Traumwelt.

Wladimir Putin hat sich ein Traumschloss aus Papier gebaut. 42 Seiten ist das neue außenpolitische Konzept lang, das die russische Führung am Freitag veröffentlichte. Es ist das Sinnbild russischer Großmachtphantasien. Der Kremlchef sieht sich in einem großen geopolitischen Kampf mit dem Westen, als Streiter für eine multipolare Welt und globalen Frieden. Aber das hat mit der Realität wenig zu tun.

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Der russische Präsident hat seinen Angriffskrieg vergessen, zumindest scheint es so. Denn die Ukraine ist in dem neuen Konzept nur eine Randnotiz. Stattdessen zeichnet Putin die großen außenpolitischen Linien aus russischer Perspektive. Es sind die bekannten Narrative aus der Zeit des Kalten Krieges – nur eben mit Russland als Großmacht.

Die selbst gesteckten Ziele, die in dem Konzept niedergeschrieben sind, wirken wie aus der Feder eines Gernegroß. Putin könnte den Krieg in der Ukraine verlieren. Er hat Russland mit seiner Invasion machtpolitisch kleiner und komplett von China abhängig gemacht. Vor diesem Hintergrund wirkt das Konzept nun wie der Versuch, die eigene politische Schwäche zu kaschieren – mit den bekannten russischen Schuldzuweisungen gegenüber dem Westen. Der Hauptfeind eines russischen Reiches sind demnach vor allem die Vereinigten Staaten.

Kampf gegen "westliche Hegemonie"

In erster Linie ist der aktuelle Vorstoß des Kremls eine Reaktion darauf, dass viele westliche Staaten ihre staatlichen Sicherheitskonzepte anpassen oder – wie Deutschland – erstmalig ein Konzept entwerfen. In ihnen wird Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine als "Bedrohung" gesehen. Der Kreml revanchiert sich nun und bezeichnet die USA und die "westliche Hegemonie" als "existenzielle" Bedrohung für Russland und den Frieden.

Die USA seien dabei "Hauptanstifter, Organisator und Vollstrecker der aggressiven antirussischen Politik des kollektiven Westens", heißt es in dem Dokument. Die Amerikaner seien "Quelle der Hauptrisiken für die Sicherheit Russlands, des internationalen Friedens und einer ausgeglichenen, gerechten und nachhaltigen Entwicklung der Menschheit".

Dementsprechend werde Russland seine Politik ausrichten: Russland möchte die westliche Hegemonie global zurückdrängen und verhindern, dass die Truppen von "unfreundlichen Staaten" näher an die russischen Grenzen kommen. Der Kreml will die eigene Einflusssphäre schützen – also den ex-sowjetischen Raum. Moskau solle ein "Zentrum" einer neuen, multipolaren Welt werden.

Wie Putin diese Ziele erreichen möchte, erwähnt er nicht. Die USA unterstützen zwar die Ukraine mit Waffen und militärischem Gerät, aber Washington sieht sich in einem künftigen Ringen mit China, während Putin sich in einem langen Abnutzungskrieg selbst entmilitarisiert und immer schwächer wird. Klar: Russland wird als Atommacht und als größtes Land der Erde international immer eine zentrale Rolle einnehmen. Doch Putin ist sicherheitspolitisch nicht auf Augenhöhe mit dem US-Präsidenten. Das ist seine erste Fehleinschätzung.

Viele "unfreundliche Staaten"

"Die Russische Föderation beabsichtigt, der Beseitigung (...) der Dominanz der Vereinigten Staaten und anderer unfreundlicher Länder in der Weltpolitik Priorität einzuräumen", heißt es in dem Papier des Kremls weiter. "Unfreundliche Staaten" sind aus Sicht der russischen Führung 20 westliche Länder, darunter die USA, Deutschland, Großbritannien und Polen. Es sind die Staaten, die Sanktionen gegen Russland erlassen haben und die die Ukraine militärisch unterstützen.

Aber eben diesen Krieg erwähnt Putin nicht. Vielmehr erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Freitag, dass die treibende Kraft hinter den "antirussischen Vorbehalten" in der Welt die USA seien. Washington und seine Verbündeten führten einen "hybriden Krieg" gegen Moskau.

Das ist das bekannte russische Narrativ: Die russische Armee kämpfe in der Ukraine gegen den kollektiven Westen. Es ist vor allem der Versuch, die anhaltenden militärischen Misserfolge in der Ukraine zu erklären. Denn sich als militärische Großmacht zu inszenieren und gleichzeitig seit Herbst vergeblich zu versuchen, die Stadt Bachmut im Donbass einzunehmen – das ist nur schwer vermittelbar für den Kreml. Deshalb soll das Konzept auch ein Signal der Stärke senden, an die russische Bevölkerung und an internationale Verbündete wie China.

Beziehungen zu Indien und China

Putin setzt alles auf die Karte China, die Volksrepublik wird zusammen mit Indien als "strategischer Partner" in einem eigenen Kapitel aufgeführt. Aber auch das ist Wunschdenken des Kremls. Xi Jinping stützt Putin zwar, aber er handelt vor allem aus eigenen sicherheitspolitischen Interessen und nutzt die russische Schwäche aus.

Indien dagegen zeigt überhaupt kein Interesse daran, sich klar auf die Seite Moskaus zu stellen. Neu Delhi möchte gar nicht Partei ergreifen und wirtschaftlich von Russlands internationaler Isolation profitieren. Sie sehen die Russische Föderation als billige Tankstelle.

Putins Umdeutung der jüngeren Geschichte

Viele Punkte in dem Papier sind als Ergebnis des strategischen Schulterschlusses zwischen Putin und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping zu werten. Der Machtkampf mit den USA steht im Zentrum, aber "Russland betrachtet sich nicht als einen Feind des Westens und isoliert sich nicht vom Westen", heißt es weiter.

Auch damit liegt Putin falsch. Der Kremlchef hat sich durch seinen Angriffskrieg vom Westen isoliert. Aber es ist im russischen und chinesischem Interesse, vor allem die EU-Staaten und die westliche Gesellschaft zu spalten. Deshalb tut Russland so, als wäre es an guten Beziehungen zu Europa und an Frieden im eurasischen Raum interessiert. Im Konzept steht: Zur Lösung internationaler Konflikte seien "der Einsatz friedlicher Mittel, vor allem Diplomatie" die Grundlage.

Das ist eine Maskerade. Schließlich schickt Putin keine Diplomaten, sondern Panzer und Raketen in die Ukraine. Seit zwei Jahrzehnten erleben die Länder im Baltikum, Georgien oder Moldau, wie Russland sie durch die Unterstützung kremlfreundlicher Gruppen destabilisiert.

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Putin aber versucht, die Geschichte umzudeuten. Aus russischer Sicht trägt die Nato die Schuld für die gegenwärtige sicherheitspolitische Krise: Der Westen würde legitime russische Interessen nicht akzeptieren und laut dem Dokument aus einer Ideologie der "totalen Russophobie" handeln. Der Kreml hingegen verteidigt diesem Narrativ zufolge russischstämmige Menschen und russische Interessen im Ausland.

Das ist vor allem eines: Täter-Opfer-Umkehr. Denn das Militärbündnis hat sich nicht ausgeweitet, um Russland zu bedrohen. Viele ehemalige Ostblock-Staaten sind aus Angst vor Russland in die Nato geflohen. Sie wollten nicht erneut Opfer des russischen Kolonialismus werden. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine beweist, dass ihre Sorgen berechtigt sind. In dem Konzept heißt es, Russland wolle russischstämmige Gruppen unterstützen und sie in die Russische Föderation politisch "integrieren". Das ist eine klare Drohung gegenüber Moldau und Georgien.

Alte russische Positionen

Was bedeutet das neue russische Konzept zur Außenpolitik nun für den Westen und die Welt? Zunächst einmal dient es nur als Positionspapier und gibt die bekannten russischen Narrative wieder. Und auch militärisch bietet das Konzept keine Neuerungen. Russland will zwar seine Einflusssphäre verteidigen, aber es führt keine konkreten Schritte an. Putin verzichtet auf neue Atomdrohungen und inszeniert sich in dem Dokument als Macht, das den Atomkrieg verhindern möchte – auch das ist ein Zugeständnis an Peking.

Letztlich steht hinter dem Positionspapier die Hoffnung, dass sich mehr Staaten der russischen Sicht auf die weltpolitische Lage anschließen. Stellenweise biedert sich Putin bei China und Indien an und erinnert an mehreren Stellen an die Erben des westlichen Kolonialismus, um Staaten in Afrika oder Südamerika auf seine Seite zu ziehen. Auch diese Versuche sind nicht neu. Erfolgreich waren sie bisher aber nicht.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa und afp
  • http://publication.pravo.gov.ru: Указ Президента Российской Федерации от 31.03.2023 № 229 "Об (rus.)
  • tass.ru: Путин утвердил обновленную Концепцию внешней политики России (rus.)
  • ria.ru: Путин утвердил Концепцию внешней политики (rus.)
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