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Boris Johnson als mögliche May-Nachfolge: Macken, Mätzchen, Machtkalkül


Boris Johnson
Das ist der Bad Boy der britischen Politik


Aktualisiert am 12.06.2019Lesedauer: 4 Min.
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Reißt sich um den Posten des britischen Premiers: Boris Johnson beim Tauziehen mit Armeeangehörigen in London.Vergrößern des Bildes
Reißt sich um den Posten des britischen Premiers: Boris Johnson beim Tauziehen mit Armeeangehörigen in London. (Quelle: imago-images-bilder)

Boris Johnson hat beste Chancen, nächster Premierminister Großbritanniens zu werden. Er gibt sich volksnah und vergreift sich auch mal im Ton. Was daran ist authentisch, was politisches Kalkül?

Mit einem Knall stieg Boris Johnson am Wochenende in das offizielle Rennen um die Nachfolge von Theresa May ein. Einen Tag vor der Nominierung der Kandidaten für den vakanten Parteivorsitz bei den britischen Konservativen drohte der frühere Außenminister an die Adresse Brüssels, die vereinbarte Schlussrechnung für den Brexit zu stoppen, bis die EU besseren Austrittskonditionen zustimme.

Johnsons Vorstoß stieß freilich umgehend auf Kritik. Doch seinen Anhängern dürfte er damit geliefert haben. Sie lieben "ihren Boris" für seine direkte, oft undiplomatische Sprache, für seine Auftritte mit Wuschelhaaren, die flapsigen Sprüche und seine etwas tapsige Art. Weil Johnson den einfachen Mann auf der Straße anzusprechen weiß, werden ihm aktuell die besten Chancen eingeräumt, neuer Premierminister zu werden und seiner taumelnden Partei verlorene Wähler zurückzugewinnen.

"Große Eitelkeit verbunden mit Mittelmäßigkeit"

Dabei sprechen ihm nicht wenige ab, überhaupt das Format für das höchste politische Amt im Land zu besitzen. Der frühere Vizepremier Nick Clegg beschrieb den Tory-Politiker im vergangenen Herbst als Blender, der es auf wunderbare Weise schaffe, "große Eitelkeit mit Mittelmäßigkeit zu verbinden". Seinen Gegnern wie innerparteilichen Kritikern sind die zahllosen Fehltritte und Respektlosigkeiten noch in bester Erinnerung.

Ein paar Beispiele gefällig? Für Schlagzeilen sorgte Johnson etwa, als er bei einem Parteitag der Konservativen im Oktober 2017 die ehemalige libysche IS-Hochburg Sirte als potenzielles Touristenparadies bezeichnete. "Sie müssen nur die Leichen wegräumen", scherzte Johnson. Ähnlich groß war die Empörung, als er in einem buddhistischen Tempel in Myanmar während eines offiziellen Besuchs ein Gedicht aus der Kolonialzeit rezitierte, in dem eine Buddha-Statue als "Götze aus Matsch" bezeichnet wird. "Nicht angemessen", zischte der britische Botschafter ihm zu.

Ein Versprecher Johnsons brachte einer im Iran inhaftierten Britin beinahe die Verdopplung ihrer Strafe ein. Die Mitarbeiterin einer Stiftung war wegen Spionagevorwürfen im Sommer 2016 verurteilt worden und sitzt bis heute ein. Johnson sagte 2017 über sie, wie er es verstehe, habe sie nur Journalisten im Iran ausbilden wollen. Das aber war genau der Vorwand, unter dem die iranische Justiz ihre Behauptungen gegen die Frau erhob. Tatsächlich war sie nur wegen einer Urlaubsreise im Land. Johnson brauchte zwölf Tage für eine Entschuldigung.

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Öffentliche Empörung handelte er sich auch ein, als er die Untersuchung zurückliegender Fälle von Kindesmissbrauch durch die Polizei als Verschwendung von Steuergeldern bezeichnete, als er über muslimische Frauen, die Burkas oder Nikabs tragen, sagte, sie würden aussehen wie "Briefkästen" oder "Bankräuber". In einem Sikh-Tempel in Bristol wurde er beschimpft, als er über steigende Exporte von Whiskey nach Indien sinnierte – Sikhs lehnen Alkohol strikt ab.

Seine Strubbelfrisur gehört zur Marke

Nicht wenige halten Johnsons mal hemdsärmelige, mal tollpatschige Art für eine ganz gezielte Masche, um Volksnähe vorzuspielen. Tatsächlich gehört der Konservative zum Establishment. Er besuchte das Elite-Internat Eton, studierte in Oxford und war zeitweise Präsident des Debattierklubs Oxford Union und Mitglied der exklusiven Verbindung Bullingdon-Club. Sein Vater war Politiker und Wissenschaftler, seine Mutter Malerin. Sein Urgroßvater väterlicherseits war der letzte Innenminister des Osmanischen Reichs.

Auch Johnsons Strubbelfrisur gehört zur Marke. Immer wenn er eine Kamera sieht, fährt er sich hastig durch die Haare, um noch chaotischer auszusehen. Der ehemalige Herausgeber des "Telegraph", Conrad Black, sagte einmal über Johnson, er sei ein "listiger Fuchs, verkleidet als Teddybär". Er gibt sich gern ungeschickt, doch wenn er seine Chance gekommen sieht, packt er zu.

Wie beim Brexit. Das Thema ließ ihn knapp ein Jahr vor dem schicksalhaften Referendum über den Austritt Großbritanniens offenbar noch kalt. Der "Spiegel" schrieb, Johnson habe mit den Schultern gezuckt, als er auf den Brexit angesprochen wurde.

Doch wenige Monate reichten, und Johnson war für den Brexit entflammt und wurde einer der wichtigsten Protagonisten der "Leave"-Kampagne. Wohl aus machttaktischem Kalkül: Der Brexit bot Johnson die Chance, sich gegen seinen parteiinternen Kontrahenten, Premierminister David Cameron, der gegen den Brexit war, zu profilieren.

Lügen über den Brexit

Dafür war ihm jedes Mittel recht. Johnson dehnte Wahrheiten und bog sich Fakten zurecht, damit sie in seine Erzählung von der bösen EU und von der goldenen Zukunft eines von den Brüsseler Fesseln befreiten Königreichs passten. Vor dem Referendum verglich er die Ambitionen der EU mit dem Großmachtstreben Hitlers und Napoleons. Den Briten versprach er, im Falle eines Brexits 350 Millionen Pfund an EU-Beiträgen pro Woche in das Gesundheitssystem zu stecken. Er verschwieg jedoch, dass London einen großen Teil seiner Beiträge ohnehin zurückerhält.


Immer wieder polemisierte Johnson schamlos. Er sagte etwa: "Auf den Räucherlachs-Packungen in den Supermärkten muss auf Anweisung der EU der Hinweis stehen: 'Kann Fisch enthalten'. Brauchen wir für diesen Hinweis wirklich die EU? Vielleicht sollte man vor dem Hauptquartier der EU in Brüssel ein Schild aufstellen: 'Kann taube Nüsse enthalten'?"

Es war ein riskantes Spiel, aber es ging auf. Johnson bekam das Ja zum Brexit und Großbritannien stürzte in eine bis heute andauernde politische Krise. Aus der das Land nun ausgerechnet Boris Johnson wieder herausführen will, der einmal über seine Chancen, Premier zu werden, sagte: "Das ist etwa so wahrscheinlich, wie von einem Frisbee geköpft zu werden oder Elvis zu finden."

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