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Corona-Proteste in den Niederlanden: Die Wut kocht über


Corona-Chaos in den Niederlanden
Die Wut kocht über

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 26.01.2021Lesedauer: 5 Min.
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Krawalle nach Corona-Protesten: Aufnahmen zeigen die erneuten schweren Ausschreitungen in den Niederlanden. (Quelle: Reuters)

In den Niederlanden gibt es gewaltsame Proteste gegen die Corona-Maßnahmen. Eine Teststation wurde abgebrannt, es gab Steinwürfe auf ein Krankenhaus. Die Lage droht außer Kontrolle zu geraten.

In Eindhoven stehen brennende Autos auf der Straße, in Enschede wird ein Krankenhaus mit Steinen beworfen, in Rotterdam werden zahlreiche Geschäfte zerstört und geplündert. In niederländischen Städten protestieren seit dem Wochenende viele Menschen gegen die Corona-Maßnahmen. Dabei kommt es immer wieder zu Gewalt und zu Ausschreitungen zwischen Polizei und Demonstranten.

Die Wut auf den Straßen hat unterschiedliche Gründe, das Versagen der Regierung in der Pandemie hat das Misstrauen der Bevölkerung zusätzlich befeuert. Eines steht fest: Die Akzeptanz für die Corona-Maßnahmen in den Niederlanden sinkt in einer Zeit, in der das Land in der Pandemie zunehmend von der britischen Mutation B.1.1.7 bedroht ist. Die Randalierer setzen nicht nur ganze Straßenzüge in Brand, sie werfen das Land in der Krise weiter zurück.

"Ein fetter Mittelfinger"

Die Ausschreitungen hatten am Sonntagnachmittag in Amsterdam und Eindhoven begonnen. Demonstranten hatten Polizisten mit Feuerwerk und Steinen angegriffen. Mit Wasserwerfern und Tränengas hatte die Polizei zuvor verbotene Demonstrationen aufgelöst. In Eindhoven wurden mehrere Fahrzeuge in Brand gesteckt, Geschäfte am Hauptbahnhof geplündert. Er könne jeden verstehen, der sich nach Freiheit sehne, sagte der Bürgermeister von Eindhoven, John Jorritsma. "Aber dies ist nur ein fetter Mittelfinger für jeden, der versucht, unser Land gesund und sicher zu halten."

Sonntagnacht hatten sich die schweren Unruhen auf etwa zehn Städte ausgeweitet. Die Polizei sprach von den schlimmsten Krawallen seit 40 Jahren. Polizei und Bürgermeister hatten zuvor bereits vor weiteren Unruhen gewarnt, nachdem mehrere Aufrufe in den sozialen Medien erschienen waren.

Die Gründe für die Krawalle: Am Samstagabend war in den Niederlanden erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie landesweit eine Ausgangssperre in Kraft getreten. Die Bürger müssen von 21 bis 4.30 Uhr in ihren Wohnungen bleiben. Verstöße werden mit Geldbußen von 95 Euro bestraft. Hinzu kommt der "harte Lockdown", nur Geschäfte, die den nötigsten Bedarf decken, dürfen öffnen.

Hunderte gewaltbereite Jugendliche

Bei den schweren Krawallen hat die Polizei bislang 184 Personen festgenommen, davon je etwa 50 in den stark getroffenen Städten Rotterdam und 's-Hertogenbosch, wie die Polizei am Dienstag mitteilte. In Rotterdam wurden mindestens zehn Polizisten verletzt, sagte der Polizeichef Fred Westerbeeke im niederländischen Radio. Krankenwagen im Noteinsatz seien behindert worden.

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Es waren vor allem Hunderte von gewaltbereiten Jugendlichen, die stundenlang randalierten, die Polizei mit Feuerwerk und Steinen angriffen, Geschäfte plünderten und Brände legten. Besonders jüngere Menschen fühlen sich durch die Maßnahmen stark eingeschränkt. Sie glauben, dass ihre Freiheit und ihre Jugend für den Kampf gegen das Virus geopfert werden.

"Ich bin mit den Einschränkungen nicht einverstanden. Sicher sind die Älteren gefährdet, aber es geht doch auch um uns Junge", sagte eine Demonstrantin der Deutschen Welle. "Und junge Menschen sind die Zukunft." Eine andere Aktivistin äußerte sich ähnlich: "Wir haben wirklich Angst, dass hier alles in die falsche Richtung läuft." Die Maßnahmen mögen verständlich sein, aber sie seien trotzdem falsch.

Dabei hat die niederländische Regierung die Maßnahmen verschärft, um die Pandemie unter Kontrolle zu halten. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen lag am Dienstag zwar nur noch bei über 4.000 – kurz vor Weihnachten waren es über deutlich über 10.000 am Tag. Die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner ist jedoch immer noch bei über 210. Zum Vergleich: Die Inzidenz ist in Deutschland gegenwärtig bei 107, die Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, sie mit Maßnahmen bundesweit unter 50 zu drücken, um die Kontrolle nicht zu verlieren, die Intensivstationen der Krankenhäuser nicht zu stark zu belasten.

Regierung hält an Maßnahmen fest

Die strengeren Maßnahmen wurden allerdings hauptsächlich aus Angst vor der Corona-Mutation aus Großbritannien ergriffen. Die niederländische Bevölkerung ist derartige Einschränkungen nicht gewohnt, es ist die erste Ausgangssperre seit dem Zweiten Weltkrieg. Dennoch zeigen sich viele Politiker und Bürgermeister von der Gewalt auf den Straßen schockiert und überrascht.

Justizminister Ferd Grapperhaus erklärte, dass Gewalttäter schnell bestraft werden sollten. "Hiermit kommen sie nicht einfach so davon." Er bekräftigte auch, dass die Regierung vorerst an der Ausgangssperre festhalten werde. Die Polizei rief Bürger auf, Fotos und Videos von den Unruhen zu übergeben. Auf diese Weise sollen Gewalttäter aufgespürt werden.

Ein Zentrum der Unruhen war auch 's-Hertogenbosch, etwa 100 Kilometer südlich von Amsterdam. Dort wurden Geschäfte geplündert und Brände gelegt. Auch sei versucht worden, das Krankenhaus anzugreifen, wie die Klinik berichtete. Krankenwagen hätten ausweichen müssen. "Das war beängstigend für die Mitarbeiter", sagte Krankenhausdirektor Piet-Hein Buiting dem regionalen Radio. Schon am Samstagabend steckten Jugendliche ein Corona-Testzentrum in Urk in Brand.

Versagen der niederländischen Regierung

Auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte kritisierte die Krawalle deutlich: "Das ist absolut unzulässig, das hat nichts zu tun mit Protesten, sondern ist kriminelle Gewalt." Er kündigte ein entschlossenes Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Randalierer an. Mittlerweile ist auch die Militärpolizei in einigen niederländischen Städten im Einsatz. Es herrscht die Befürchtung, dass die Gewalt sich in den nächsten Nächten fortsetzt. "Dann schlittern wir in einen Bürgerkrieg“, sagte John Jorritsma, Bürgermeister von Eindhoven.

Das zunehmende Misstrauen und die Gewaltbereitschaft hat auch mit dem politischen Versagen der Regierung in der Corona-Krise zu tun. Erst ging das Land, ähnlich wie Schweden, einen Sonderweg in der Pandemie, ohne härtere Maßnahmen. Doch angesichts steigender Infektionszahlen verhängte die Regierung dann Mitte Dezember den Lockdown. Außerdem legte das Land einen Fehlstart bei den Impfungen hin. Seit Anfang des Jahres lagerte Impfstoff in einer niederländischen Kleinstadt, die nationale Impfkampagne startete allerdings erst Mitte Januar. Das sorgte für großen Unmut in der Bevölkerung.

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Das Vertrauen in die Regierung wurde letztlich vor zwei Wochen endgültig zerstört. Rutte und seine Mitte-rechts-Regierung traten wegen einer Affäre um Kinderbeihilfen zurück, der 54-Jährige ist seither nur noch geschäftsführend im Amt. Aus Sicht vieler Bürgerinnen und Bürger ist Rutte eine "lahme Ente", die Ausgangssperre – die auch in der Regierung umstritten ist – wurde erst nach dem Rücktritt beschlossen.

Politik in der Corona-Politik nicht geschlossen

Die gegenwärtige Zerrissenheit des Landes im Umgang mit der Pandemie findet sich auf den Straßen und auch im niederländischen Parlament wieder. Während die Regierung und die linken Oppositionsparteien die Gewalt scharf verurteilen, gießen vor allem die Rechtspopulisten Öl ins Feuer, um sich dann etwas später von der Gewalt zu distanzieren. "Das ist die zweite Nacht, in der Rutte die Niederlande eingeschlossen hat. Immer mehr Menschen wenden sich gegen die Ausgangssperre. Nur gemeinsam können wir unsere Freiheit zurückgewinnen", twitterte das Forum für Demokratie (FvD) am Sonntag.

Das politische Versagen der Regierung und die Uneinigkeit der niederländischen Politik bei der Bekämpfung der Pandemie tragen zur fehlenden Akzeptanz der Corona-Maßnahmen bei, die sich momentan auf den Straßen der Niederlande entlädt. Fehlendes Vertrauen in die Entscheidungsträger lähmt und gefährdet außerdem den Kampf gegen das Virus – denn auch für die Niederlande ist der Corona-Winter noch nicht vorbei, eine Herdenimmunität ist noch lange nicht in Sicht.

In der Dämmerung wollen sich an diesem Dienstag erneut Jugendliche zu Protesten treffen. Im Land wächst aber nicht nur die Angst vor neuen Bränden, vor neuer Gewalt. Durch die Proteste droht auch ein erneuter Anstieg der Infektionszahlen. Am Ende könnten die Menschen, die gegen die Maßnahmen demonstrieren, dafür verantwortlich sein, dass die Einschränkungen umsonst waren – und ein noch längerer Lockdown notwendig ist.

Verwendete Quellen
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