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Deutsches Corona-Chaos schockiert Europa: Bild des Musterschülers hat Risse


Corona-Pandemie
Deutsches Chaos schockiert Europa

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 10.11.2021Lesedauer: 6 Min.
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Merkel und Macron: Der französische Präsident hat es mit einem harten Kurs geschafft, die Impfquote in Frankreich zu steigern.Vergrößern des Bildes
Merkel und Macron: Der französische Präsident hat es mit einem harten Kurs geschafft, die Impfquote in Frankreich zu steigern. (Quelle: dpa-bilder)

Was ist bloß mit Deutschland los? Die vierte Corona-Welle trifft die Bundesrepublik hart, zu wenige Menschen haben sich impfen lassen. Europäische Nachbarn sind überrascht und besorgt.

Lange galt Deutschland in der Corona-Krise als Musterschüler: Die Wellen der Pandemie brachten das Gesundheitswesen hierzulande nicht zum Kollabieren wie in anderen Teilen Europas. Es gab weniger Tote und schwer Erkrankte, und auch wirtschaftlich war das Land besser gewappnet vor den Verwerfungen der Jahrhundertkrise.

Diese Zeiten sind vorbei. Die Infektionszahlen knacken fast täglich neue Rekorde, die Krankenhäuser nähern sich in manchen Regionen bereits der Belastungsgrenze und die Impfquote stagniert weiterhin.

Die deutsche Politik schien, wie schon im Herbst 2020, unvorbereitet und überrascht von der neuesten Welle des Virus. Der Bundestagswahlkampf sorgte für ausreichend Ablenkung und ohnehin war eine allgemeine Corona-Müdigkeit zu spüren, die das Ende der Pandemie herbeisehnte und sich wie Mehltau über die Warnungen der Experten legte.

Das rächt sich nun. Die Bundesrepublik hat sich vom Musterschüler zum Sorgenkind gewandelt.

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Europa blickt mit Sorge auf Deutschland

Das hat auch internationale Folgen: Der Süden Europas, einst selbst stark gebeutelt von der Pandemie, blickt heute mit Sorge auf das deutsche Corona-Chaos im Herzen Europas.

Auf europäischer Ebene scheint die vierte Corona-Welle auf dem Festland vor allem die Staaten im Zentrum und im Osten des Kontinents hart zu treffen. Es sind vor allem Länder, die eine vergleichsweise nur niedrige Impfquote haben, die sich auf den Infektionskarten nun rot oder pink färben.

Die deutsche Politik möchte eine Impfpflicht unbedingt vermeiden. Bislang hat sie allerdings noch nicht das passende Werkzeug gefunden, um der stagnierenden Impfkampagne in irgendeiner Weise wieder neues Leben einzuhauchen. Im Gegenteil: Man scheint die Überzeugung verloren zu haben, Impfunwillige doch noch zu überzeugen – und einen Alternativplan gibt es jedoch nicht.

Erschwerend kommt das politische Machtvakuum hinzu, in dem das Land im Zuge der Regierungsbildung steckt.

Doch vor allem die südeuropäischen Länder haben diese Probleme aktuell nicht. Was läuft dort anders und wie blicken diese Länder auf die gegenwärtige Situation in der größten Volkswirtschaft Europas? Ein Überblick.

Frankreich (Inzidenz: 76)

Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie die Bundesregierung. Doch er verschärfte die Schlagzahl im Ringen um eine höhere Impfquote und führte im Juni einen Gesundheitspass ein, mit dem die Menschen eine Impfung, eine Genesung oder ein negatives Testergebnis für den Zugang zu zahlreichen Orten nachweisen müssen. Ein wichtiger Unterschied zu Deutschland: In Frankreich wird dieser Pass im öffentlichen Raum viel häufiger kontrolliert.

Die stärkeren Kontrollen machen den öffentlichen Raum sicherer vor Ansteckungen. Die Impfquote liegt dagegen bei den vollständig Geimpften zwar auch nur bei 68,3 Prozent – also auf dem Niveau Deutschlands (67,2 Prozent). Aber mittlerweile haben in Frankreich 76 Prozent der Bevölkerung eine Erstimpfung bekommen, in der Bundesrepublik sind es 69,7. Es bewegt sich also etwas in der französischen Impfkampagne, viele Menschen sind zumindest vor schweren Erkrankungen geschützt.

Der Gesundheitspass ist keineswegs populär, gegen ihn gibt es zahlreiche Proteste im Land. Aber für Macron ist Härte in der Corona-Pandemie politisch inzwischen das kleinere Übel. Momentan kommt seinem Land zugute, dass es den Start der Corona-Impfungen verschlafen hat. Die vollständig Geimpften haben auch ohne Auffrischung noch einen ausreichenden Schutz, weshalb es erst wenige Impfdurchbrüche gibt. Außerdem wurden bereits knapp elf Prozent der französischen Bevölkerung schon einmal positiv auf Corona getestet, in Deutschland sind es nur knapp sechs Prozent.

Blick auf die Lage in Deutschland: Durch den starken Grenzverkehr und die engen wirtschaftlichen Verflechtungen macht man sich in Frankreich Sorgen über die Situation im Nachbarland. "Deutschland hat, trotz der zur Verfügung stehenden Impfstoffe, eine sehr traurige Bilanz", schreibt die französische Wochenzeitung "L'Express". Deutschland habe das Problem, dass die Bundesregierung durch die Machtübergabe nicht handlungsfähig sei. Die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel könne nur kurzfristige Entscheidungen treffen.

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Spanien (Inzidenz: 44,7)

Zu Beginn der Pandemie war Spanien das europäische Sorgenkind. Die Kapazitäten der Kliniken waren ausgeschöpft, es gab viele Corona-Todesopfer und in der Hauptstadt Madrid wurden ganze Stadtteile abgeriegelt. Mittlerweile zählt das Land neben Portugal zu den Musterschülern in Europa.

Bei einer Inzidenz von 44,7 liegt die Quote der vollständig Geimpften bei über 80 Prozent, fast 90 Prozent bei den über Zwölfjährigen. Den enormen Erfolg der Impfkampagne verdankt Spanien vor allem dem großen Vertrauen der Bevölkerung in die staatliche Gesundheitsfürsorge. Impfen ist das Land gewöhnt, etwa bei den Grippeimpfungen, die einmal pro Jahr von Millionen Menschen angenommen werden. Impfgegner wie in Deutschland oder Frankreich haben in Spanien kaum kulturelle Verankerung.

Zudem: Spanien durchlebt noch sein Trauma der ersten Corona-Welle mit den vielen Todesopfern – das wirkt nach. Die Impfkampagne wurde gut organisiert, es wurde strikt nach Altersgruppen geimpft. Der reibungslose und zügige Ablauf sorgte in der Bevölkerung für Vertrauen.

Blick auf die Lage in Deutschland: Dass Spanien vor allem beim Thema Organisation ein Vorbild für Deutschland ist, erfüllt viele Wissenschaftler im Land mit Stolz. Ein Grundpfeiler dieses Erfolges ist der hohe Grad der Digitalisierung im spanischen Gesundheitswesen. "Die Behörden wussten nicht nur genau, wie viele Vakzine sie wohin schicken mussten, sondern wussten auch, wie und wo sie die Empfänger erreichen", sagte der spanische Epidemiologe Manuel Franco der "Zeit".

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Dagegen ist man in Spanien etwas verwundert über die Situation in Deutschland. "Wir schauen mit Erstaunen und ein bisschen Kummer darauf, was in Deutschland passiert", meinte der spanische Politökonom Miguel Otero im "Spiegel". Die spanische Tageszeitung "El Mundo" betitelte das Ringen mit der vierten Welle in Deutschland als "Merkels letzte Mission". Und sie droht, verloren zu gehen.

Portugal (Inzidenz: 68,7)

Ähnlich ist die Situation in Portugal, nur sind hier die Erfolge noch größer: Zwar erreicht das Land aktuell eine Inzidenz von 68,7, allerdings bei einer Impfquote von 87 Prozent in der Gesamtbevölkerung. 98 Prozent der über Zwölfjährigen sind geimpft, Portugal ist darin einsame Spitze.

Angespornt durch die optimistische Lage hat die Regierung sämtliche Corona-Einschränkungen bereits aufgehoben. Der Hauptgrund für diesen Erfolg ist – ähnlich wie in Spanien – das hohe Vertrauen der Menschen in das Gesundheitswesen und die Impfkampagne. Zwar wurde auch Portugal hart von den ersten Corona-Wellen getroffen, aber die Regierung pflegte eine offene und konsequente Kommunikation, um für die Impfstoffe zu werben. Das wurde von der Bevölkerung angenommen.

Henrique Gouveia e Melo ist der Chefstratege hinter der erfolgreichen Impfkampagne. Der 60-Jährige war der Marine-Befehlshaber eines U-Bootes, galt als Spezialist für schwierige Situationen. Der Vizeadmiral trat oft in Tarnanzug und Springerstiefeln vor die Kameras. Als ihn Impfgegner bei einer Inspektion als "Mörder" beschimpften, legte er sich mit den Demonstranten an. "Die Corona-Leugner sind die wahren Mörder", hielt er dagegen. Das gefiel einem Großteil der Bevölkerung.

Die Restriktionen sind verschwunden, trotzdem halten die Portugiesen teilweise freiwillig an Maßnahmen fest. "Es gab keinen Druck, sich impfen zu lassen, trotzdem haben es alle gemacht", sagte Lea Heyne, Forscherin am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Lissabon, im Gespräch mit t-online. Viele Portugiesinnen und Portugiesen würden im Alltag noch Masken tragen, obwohl das nicht mehr gesetzlich vorgeschrieben sei. "Tests sind immer noch umsonst. Auch Geimpfte werden angehalten, sich regelmäßig zu testen", so Heyne. Es herrsche das Gefühl, dass das Schlimmste vorbei sei.

Blick auf die Lage in Deutschland: Die Bundesrepublik verbindet man in der portugiesischen Öffentlichkeit oft mit Effizienz und wusste zu schätzen, dass die Bundesregierung dem Land während der Corona-Explosion Anfang 2021 geholfen und medizinisches Equipment gesendet hat.

Dennoch wandelte sich dieses Bild zuletzt, es herrscht Verwunderung in Portugal über die Situation in Deutschland. "Man fragt sich: 'Was ist da eigentlich los in Deutschland?'", meinte Heyne. "Die Menschen verstehen nicht, warum nicht ein größerer Teil der deutschen Bevölkerung das Impfen als willkommenen Ausweg aus dieser Krise sieht."

Deutschlands Bild hat Risse bekommen

Es sind diese drei Beispiele, die zeigen, wie wichtig eine erfolgreiche Impfkampagne zur Bewältigung der Krise ist. Aber nicht nur das: Vor allem konsequente Kontrollen wie in Frankreich sind entscheidend, ob eine Maßnahme wie der Gesundheitspass Erfolgt hat. Auch Italien erreichte mit einem Gesundheitspass in Verbindung mit den harten Folgen der ersten Corona-Wellen eine hohe Impfquote.

Ausschließlich auf politischen Druck auf Ungeimpfte zu setzen, scheint nicht zu funktionieren, wie das Beispiel Deutschlands zeigt: Für Länder wie Spanien, Portugal oder auch Dänemark war Vertrauen in die Impfung und in das Gesundheitssystem das Fundament ihrer Impferfolge.

In Deutschland diskutiert man derzeit über 2G und eine Impfpflicht. Weltärztechef Frank Ulrich Montgomery sprach zuletzt von einer "Tyrannei der Ungeimpften". Der Druck auf Ungeimpfte wird sich demnächst also noch erhöhen. Deutschlands Nachbarn schauen zunehmend verwundert auf die Bundesrepublik. Das Bild des Musterschülers hat Risse bekommen.

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