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Botschafter Melnyk über seine Beziehung zu Deutschland: "Hassliebe"


Ukrainischer Botschafter wird abberufen
Melnyk über Deutschland: "Streckenweise Hassliebe"

Von dpa, aj

Aktualisiert am 11.07.2022Lesedauer: 4 Min.
Andrij Melnyk: Der Diplomat wurde als ukrainischer Botschafter in Deutschland entlassen.Vergrößern des BildesAndrij Melnyk: Der Diplomat wurde als ukrainischer Botschafter in Deutschland entlassen. (Quelle: Christian Spicker/imago-images-bilder)
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Der Botschafter der Ukraine Andrij Melnyk kritisierte die Bundesregierung scharf, zuletzt stand er selbst massiv unter Druck. Jetzt muss er Berlin verlassen.

Ein streitbarer Kämpfer für die Anliegen seines Landes muss seinen Posten räumen: Andrij Melnyk ist als ukrainischer Botschafter in Deutschland abberufen worden. Das teilte die Präsidentschaftskanzlei in Kiew am Wochenende mit. Gründe für die Abberufung wurden in dem Dekret nicht genannt. Melnyks Kollegen in Norwegen, Tschechien, Ungarn und Indien müssen ihre Posten ebenfalls abgeben. Selenskyj sprach von einem normalen Vorgang.

"Diese Frage der Rotation ist ein üblicher Teil der diplomatischen Praxis", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag in einer Videobotschaft, ohne einen der fünf Botschafter namentlich zu nennen. Ob Melnyk nach seiner Entlassung für ein anderes hochrangiges Amt in Kiew oder anderswo vorgesehen ist, blieb zunächst offen. Ebenso blieb ungewiss, wann genau der 46-Jährige Berlin verlassen wird.

Die ukrainische Botschaft in Berlin wollte das Dekret nicht kommentieren. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes teilte auf Anfrage mit: "Gegenüber dem Auswärtigen Amt wurde eine Abberufung des Botschafters bislang nicht notifiziert."

Seit mehr als sieben Jahren Botschafter in Berlin

Die "Bild" und die "Süddeutsche Zeitung" hatten vor wenigen Tagen unter Berufung auf ukrainische Quellen berichtet, Melnyk solle abberufen werden und ins Außenministerium nach Kiew wechseln. Noch im Herbst könnte er stellvertretender Außenminister werden, schrieb die "Bild".

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Melnyk war seit Januar 2015 Botschafter in Deutschland – eine außergewöhnlich lange Zeit für einen Diplomaten auf einem Posten. Auch Kommentatoren in Kiew stellten am Samstag fest, dass dies etwa das Doppelte der üblichen Entsendungszeit gewesen sei.

Sein Abschied aus Deutschland fällt Melnyk nach eigenem Bekunden nicht leicht. "Deutschland bleibt in unseren Herzen", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am Sonntag. "Der Abschied fällt uns schwer." Melnyk weiter: "Ich war zweimal in Deutschland auf Posten, ich habe eine sehr enge Beziehung zu diesem Land, die streckenweise auch eine Art Hassliebe war."

Scharfer Kritiker der Bundesregierung

Melnyk machte sich nicht erst seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine als scharfer Kritiker der Bundesregierung einen Namen. Immer wieder prangerte er insbesondere die deutsche Russland-Politik an. In den vergangenen Monaten sparte er auch nicht mit Kritik an Kanzler Olaf Scholz (SPD). Dem SPD-Politiker und seinen Ministern warf er unter anderem vor, zu zögerlich Waffen für den Kampf gegen die russischen Angreifer in die Ukraine zu liefern. Einmal bezeichnete er den Kanzler als "beleidigte Leberwurst".

"Andrej Melnyk war ein Diplomat der besonderen Sorte: mehr Politiker als Diplomat, laut, unbequem und äußerst streitbar", sagte die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann dem ARD-Hauptstadtstudio über den Ukrainer. Mit seinen Äußerungen habe er durchaus auch Grenzen überschritten. "Er war der lautstarke Kämpfer für ein Land, das sich in einem furchtbaren Krieg befindet."

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter betonte, dass Melnyk bereits vor Beginn des Kriegs gegen die Ukraine auf die russische Bedrohung hingewiesen und um Unterstützung geworben habe. "Dass er hier nicht immer den diplomatischen Ton traf, ist angesichts der unfassbaren Kriegsverbrechen und des Leids für das ukrainische Volk mehr als verständlich", sagte er der "Augsburger Allgemeinen".

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Wegen Äußerungen über Bandera in der Kritik

Zuletzt geriet der 46-Jährige wegen Äußerungen über den ukrainischen Nationalisten und Antisemiten Stepan Bandera selbst massiv in die Kritik. Dieser war während des Zweiten Weltkrieges Anführer des radikalen Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Nationalistische Partisanen aus dem Westen der Ukraine waren 1943 für ethnisch motivierte Vertreibungen verantwortlich, bei denen Zehntausende polnische und jüdische Zivilisten ermordet wurden.

Melnyk bestritt in einem Interview mit dem Journalisten Tilo Jung, dass Bandera ein Massenmörder von Juden und Polen gewesen sei. Der Nationalist sei gezielt von der Sowjetunion dämonisiert worden. Die israelische Botschaft hatte dem Botschafter daraufhin "eine Verzerrung der historischen Tatsachen, eine Verharmlosung des Holocaust und eine Beleidigung derer, die von Bandera und seinen Leuten ermordet wurden" vorgeworfen.

Melnyk ließ die Anschuldigungen tagelang unkommentiert, reagierte dann aber am Dienstag mit einem Tweet darauf. Seine Worte adressierte er ausdrücklich auch an die "lieben jüdischen Mitbürger". Melnyk sprach von absurden Vorwürfen, die er entschieden zurückweise. "Jeder, der mich kennt, weiß: Immer habe ich den Holocaust auf das Schärfste verurteilt." Die Naziverbrechen des Holocaust seien eine gemeinsame Tragödie der Ukraine und Israels.

Melnyks Zukunft ungewiss

Im Gespräch mit der "Schwäbischen Zeitung" räumte er zuletzt Fehler in seiner Kommunikation ein. Er könne Kritik an seiner Person verstehen. "Wir sind alle Menschen und man macht Fehler. Man versucht auch, diese Fehler zu korrigieren und aus ihnen zu lernen. Viele emotionale Aussagen bedauere ich im Nachhinein."

Was nun aus ihm wird, ist unklar. Seine diplomatische Karriere ist mit der Abberufung jedenfalls nicht unbedingt beendet. Die "Bild" hatte vor einer Woche berichtet, der Botschafter könne nach Kiew zurückkehren und stellvertretender Außenminister werden.

Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte Melnyk am Sonntag, seine Amtszeit werde formell "vermutlich in wenigen Wochen zu Ende gehen". Dann würden er und seine Familie in die Ukraine ausreisen. In seiner Zeit als Botschafter habe er "andere Jobangebote abgelehnt", um seine Mission in Deutschland weiterführen zu können.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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