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Phänomen Bierpartei: Marco Pogo will Österreichs Präsident werden


Wahlkampf mit Bier
Der Punk, der Präsident werden will

  • David Schafbuch
Von David Schafbuch, Wien

Aktualisiert am 13.08.2022Lesedauer: 8 Min.
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29.04.2022, Wiener Volkstheater, AMADEUS Austrian Music Awards 2022, Verleihung von IFPI Austria - Verband der Österreichischen Musikwirtschaft im Bild: Marco Pogo -TURBOBIERVergrößern des Bildes
Marco Pogo: Der Musiker will Bundespräsident in Österreich werden. (Quelle: Kurt Piles/imago images)

Punkmusiker Marco Pogo ist Chef der Bierpartei in Österreich. Nun will er Staatschef werden – und liegt in den Umfragen auf Platz drei.

Da steht er: zerrissene Hose, Schuhe, T-Shirt, Sonnenbrille – alles in Schwarz. Die einzigen Farbtupfer sind seine Tattoos. Dutzende Kameras sind jetzt auf ihn gerichtet.

Dominik Wlazny, Chef der Bierpartei und besser bekannt unter seinem Künstlernamen Marco Pogo, trinkt an diesem Dienstagmorgen in Wien erst einmal einen Schluck Wasser. "Mei Präsident – Dieses Wasser ist still, er ist es nicht", steht auf der kleinen Flasche. Er wolle damit seine Konkurrenten verwirren, diktiert er in die Mikrofone.

Gerade ist er aus einem Amt im sechsten Bezirk gekommen, auf dem er die Unterstützungserklärung für seine eigene Präsidentschaftskandidatur unterschreiben musste. 6.000 solcher Erklärungen benötigt er bis Anfang September, um tatsächlich bei der Wahl um den höchsten Posten im österreichischen Staat antreten zu können. Dafür hat sein Team nur wenige Meter neben dem Amtsgebäude einen Stand eingerichtet, Helfer verteilen die kleinen Wasserflaschen und sollen Passanten von ihm überzeugen.

Jeder Kandidat braucht für die Wahl die gleiche Anzahl an Unterstützern: Das Team des amtierenden Präsidenten Alexander Van der Bellen hat sich ebenfalls nur wenige Meter weiter auf der belebten Mariahilfer Straße aufgebaut. Der Kontrast könnte nicht größer sein.

Arzt, Punk, Politiker

Statt um politische Ämter drehte sich bisher im Leben des 35-jährigen Wlazny fast alles um Bier. Als Frontmann der Punkband "Turbobier" widmet er seit 2015 dem Getränk einen Großteil seiner Texte. In breitem Wienerisch besingt er etwa, dass betrunken sein ein Menschenrecht sei.

Seit einigen Jahren vertreibt Pogo auch eine eigene Biermarke, die denselben Namen wie seine Band trägt. Zudem sind er und seine Band äußerst aktiv im Netz: Auf YouTube warnt er in einem Clip vor Radler und anderen Biermischgetränken. Wlazny tritt dabei als "Bierologe Christian Prosten" auf und warnt vor "Quertrinkern". Zudem rät er inständig, den R-Wert, der hier für Radler steht, auf "unter null zu drücken".

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Im Oktober sucht Wlazny nun die große politische Bühne: Er will den amtierenden Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen herausfordern, der 2016 nur denkbar knapp einen Konkurrenten der rechtspopulistischen FPÖ schlagen konnte. Eine Umfrage traute dem Bierpartei-Chef zuletzt sogar ein zweistelliges Ergebnis zu. Doch wie ernst meint es jemand mit der Politik, dessen Lieder sich hauptsächlich um Bier, Arbeitslosigkeit und Beschimpfungen gegen die Polizei drehen?

"Ich mache gerne unkonventionelle Dinge, die nicht den Erwartungen entsprechen", erklärt Wlazny t-online, nachdem die vielen TV-Kameras verschwunden sind. Er sitzt auf einer dunkelroten Eckbank in einem Wiener Kaffeehaus. Die Ober tragen schwarze Fliege, der 35 Jahre alte Bierfreund legt die Sonnenbrille ab und bestellt einen doppelten Espresso. Eigentlich will er mit seinen Worten erklären, warum an dem Infostand kein einziges Bier ausgeschenkt wird. Doch Wlaznys Aussage fasst in gewisser Weise sein ganzes Schaffen zusammen.

Ambitionen in Musik verpackt?

Wer sich mit dem Werdegang des Künstlers beschäftigt, stößt immer wieder auf Momente, an denen er einen anderen Weg einschlägt, als man es vermutet hätte: Der "Zeit" sagte Wlazny kürzlich, dass er seit seinem 16. Lebensjahr professionell Musik mache. Der Erfolg kam allerdings erst mit der Gründung von Turbobier vor acht Jahren. In der Zwischenzeit studierte er in Wien Medizin und arbeitete anschließend als Arzt.

Arzt, Punk und jetzt Politiker: Wer die Platten von Turbobier anhört, könnte trotz der ungewöhnlichen Mischung glauben, dass Wlazny seine Karriere von langer Hand geplant hat. Bereits auf dem ersten Album der Band findet sich 2015 der Song "Die Bierpartei", der Pogos heutige Ambitionen vorwegnimmt:

Wär ich ein Politiker, würd sich hier vieles ändern

I wa sufurt der Präsident in ollen Bundesländern

In dem Song fantasiert Pogo davon, sein gesamtes Gehalt zu spenden, die Alkoholsteuer abzuschaffen und den Schmuck von Kaiserin Sisi in Bier umzusetzen. Darauf angesprochen, winkt er heute ab: Erstens habe er damals noch nicht ernsthaft an ein politisches Amt gedacht. Zweitens sei es ohnehin falsch, die Kunstfigur Pogo mit dem Politiker Wlazny gleichzusetzen.

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Das sei seinen Fans bewusst, seine Kritiker würden ihn dagegen bewusst missverstehen: "Wer meinen Humor nicht versteht, versteht auch nicht meinen Ernst." Dass er bei seinem Auftritt in Wien Wasser verteilt, fällt in letztere Kategorie. Er wolle sich nicht vorhalten lassen, Alkoholkonsum zu verherrlichen, betont Wlazny. Und: "Man muss das nicht schönreden: Österreich hat ein großes Alkoholproblem."

Wlazny erzählt davon, wie er als Arzt häufig auf Alkoholiker getroffen sei. Oft seien die Patienten kaum älter als er selbst gewesen. Die Fans seiner Musik sind aus seiner Sicht allerdings in der Lage, seine Texte und seine Partei nicht als Handlungsanweisungen zu verstehen. "Ich glaube nicht, dass jemand wegen der Bierpartei mit dem Trinken anfängt."

Auf der Mariahilfer Straße ist von Kritik an Wlaznys Wirken an diesem Morgen nichts zu hören: "Pogo!", schreit ein Passant lauthals, während der Jungpolitiker geduldig jede Medienfrage beantwortet. Seine rund ein Dutzend Helfer – Freunde, Kollegen oder Bekannte, die ihn freiwillig im Wahlkampf unterstützen – sprechen währenddessen Passanten an, um sie von seinen politischen Ambitionen zu überzeugen.

Das Verfahren um die Unterstützungserklärungen, die jeder Anwärter für die Kandidatur braucht, ist einigermaßen komplex. Das Wahlkampfteam verteilt Vordrucke, die die Unterstützer allerdings nur unter den Augen von Beamten an ihrem Wohnort unterschreiben dürfen. Anschließend müssen die Papiere zurück zur Partei gelangen und gesammelt werden – alles analog, ohne digitale Alternative.

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Angesprochen darauf, warum sie Wlazny unterstützen, sprechen Passanten immer wieder von einem "frischen Wind", den die österreichische Politik nötig habe. Enttäuscht seien viele Bürger nicht nur von der Regierung aus konservativer ÖVP und den Grünen, sondern auch vom amtierenden Präsidenten. "Auf Van der Bellen ist kein Verlass", klagt etwa Robert Ziegler, nachdem er Wlazny seine Unterstützung ausgesprochen hat.

Andere fordern vom Bundespräsidenten klarere Kante gegen die Missstände des Landes. Zudem komme der Stil des Musikers, der zwischen Ernst und Humor pendelt, bei vielen gut an. "Oaschlustig" fände ein Mann mit Vollbart und Camouflagejacke einen Wahlsieg des 35-Jährigen. Der Bierpartei-Chef sei spaßig, aber ein "durchaus ernsthafter Mensch", beschreibt ihn eine andere Unterstützerin.

Drei Jahre Dauerkrise

Viele wirken gefrustet über die politischen Zustände in ihrer Heimat. Seit der sogenannten Ibiza-Affäre vor drei Jahren befindet sich die österreichische Spitzenpolitik in einer Art Dauerkrise: Seit dem Skandal ist bereits der vierte Bundeskanzler im Amt. Das vor allem in der Corona-Pandemie so bedeutende Gesundheitsministerium wurde seit 2019 von fünf verschiedenen Personen geleitet. Gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz wird bis heute wegen mutmaßlicher Korruption und geschönter Umfragen ermittelt. Und auch der noch immer recht neue Kanzler Karl Nehammer soll so schwer in der Kritik stehen, dass schon über sein Ende als Regierungschef spekuliert wird.

"Meine Befürchtung ist, dass wir moralisch verkommen", erklärt Wlazny im Kaffeehaus, ganz frei von Klamauk oder Ironie. Die Ibiza-Enthüllungen waren für ihn der Startschuss für die Bierpartei. Ärmellose Jeansjacke, schwarze Mütze und den Gürtel aus Patronenhülsen hat Kunstfigur Marco Pogo auf der Bühne zurückgelassen. Der Politiker Wlazny ist seitdem meistens im schwarzen Anzug unterwegs.

Kandidaturen bei österreichischen Parlaments- und Landtagswahlen blieben allerdings erfolglos. Bei den Kommunalwahlen 2020 in Wien konnte die Bierpartei dagegen elf Mandate in verschiedenen Bezirken erringen. Der 35-Jährige betont immer wieder, dass er und seine Mitstreiter seitdem mehr als 300 Anfragen und Anträge eingebracht haben. Wlazny sitzt seit fast zwei Jahren im Rat seiner Heimat Simmering, einem Arbeiterbezirk im Südosten der Hauptstadt.

Bierbrunnen und Drogenprävention

In den Dokumenten spiegelt sich sowohl der Musiker als auch der Mediziner und Satiriker wider: Gemeinsam setzen er und seine Mitstreiter sich etwa dafür ein, Schulräume in den Ferienzeiten zu öffnen, damit Jugendliche sie als Proberäume oder für Kunstprojekte nutzen können. Auch einen Antrag zur Verbesserung der Sucht- und Drogenprävention hat Wlazny gestellt, vor allem ginge es der Bierpartei dabei um Jugendliche, heißt es in dem Schreiben.

Ganz lässt sich die Bühnenfigur Marco Pogo nicht von dem Politiker trennen: Wlaznys Forderungen, Biermischgetränke zu verbieten oder einen Bierbrunnen zu errichten, wurden abgeschmettert. Allerdings besitzt der Chef der Bierpartei mittlerweile einen mobilen Brunnen, der Anfang Juli erstmals zum Einsatz kam. Eine dauerhafte Lösung sei wohl erst mit einer absoluten Mehrheit machbar, scherzt Wlazny.

Überhaupt scheint der 35-Jährige dann doch keinen allzu großen Wert auf eine klare Grenze zwischen Kunst und Politik zu legen. Er könne andere Dinge sagen und tun als Berufspolitiker und erreiche dadurch auch andere Menschen, ist sich Wlazny sicher.

Die Kehrseite ist, dass niemand den 35-Jährigen greifen kann: Wer mit anderen Mitgliedern im Bezirksrat Simmering spricht, bekommt den Eindruck, dass Wlazny für sie noch immer ein großes Rätsel darstellt. Eine klare politische Linie sei für viele nicht erkennbar. Trotzdem sei der Umgang respektvoll, auch das politische Interesse wollen ihm einige nicht absprechen.

"Er ist ein bisschen schillernd, sehr umgänglich, aber seine Motivlage ist nicht eindeutig", sagt etwa Peter Sixtl, der die Fraktion der konservativen ÖVP anführt. "Will er als Bundespräsident mit dem Verbot von Biermischgetränken Ernst machen?", fragt er sich etwa.

Wlazny dürfte sich über solche Verwirrung diebisch freuen, aber andere sehen ihn auch kritischer. Er sei "eine Kunstfigur, die ihre Musik vorantreiben will", kritisiert eine Bezirksrätin. Zudem stelle Wlazny Anträge, für die das Gremium überhaupt nicht zuständig sei.

Präsident als "moralische Richtschnur"

Neu ist die Kritik, dass es ihm mehr um Eigen-PR als Politik gehe, für den 35-Jährigen nicht. Er wiederholt immer wieder, dass er dann andere Wege gehen würde: Ginge es ihm tatsächlich nur um seine Musik und sein Bier, würde er gerade keine Wahlwerbung machen, sondern im Studio sein oder neue Werbemöglichkeiten ausloten.

Die Frage ist: Reicht das alles aus, um Bundespräsident zu werden? Das Staatsoberhaupt in Österreich mag von außen betrachtet ähnlich repräsentativ agieren wie sein deutsches Pendant. Tatsächlich besitzt es in der Wiener Hofburg aber weitreichendere Befugnisse: Der Präsident kann theoretisch ohne Rücksicht auf Mehrheiten im Parlament den Bundeskanzler und seine Minister ernennen. Auch ist er laut Verfassung oberster Befehlshaber des Bundesheers. Diese Kompetenz teilen sich in Deutschland Kanzler und Verteidigungsminister.

Fragt man Wlazny nach einem konkreten politischen Programm, spricht er von einer "moralischen Richtschnur", die er als Präsident sein wolle. Er habe großen Respekt vor Van der Bellen, aber der sei auch ihm zu leise bei all den Missständen im Land. Ein Beispiel sei der Freitod der jungen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr. Jeder habe gesehen, dass Kellermayr viel zu lange vor den Anfeindungen und Drohungen von Corona-Leugnern nicht geschützt wurde: "Als Bundespräsident hätte ich den Innenminister gefragt, was da los ist", klagt Wlazny.

"Kandidiere, um zu gewinnen"

Ansonsten sehe er seine Aufgabe aber nicht darin, ständig in das politische Tagesgeschehen einzugreifen. Staatsbesuche in anderen Ländern traue er sich allerdings zu – auch in der Ukraine? "Ja, nicht nur wegen der Signalwirkung, sondern weil sich vielleicht auch wirklich etwas erreichen lässt." Van der Bellen war zuletzt 2018 in dem Land.

Bundeskanzler Nehammer reiste im April noch vor Olaf Scholz nach Kiew. Nehammers anschließender Besuch in Moskau bei Wladimir Putin brachte ihm allerdings viel Kritik ein. Wlazny würde einen anderen Weg wählen: "Mit Putin würde ich auch sprechen – in Den Haag", kritisiert er mit Verweis auf russische Kriegsverbrechen in der Ukraine. In Den Haag sitzt der Internationale Strafgerichtshof.

Ob es zu all dem aber wirklich kommen wird? Wlazny macht deutlich, dass er sich nicht als chancenlos empfinde. "Es geht ums Amt – und ich kandidiere, um zu gewinnen." Laut einer Umfrage der Tageszeitung "Österreich" lag er im Juli mit zehn Prozentpunkten auf Platz drei, Amtsinhaber Van der Bellen stand dagegen bei 54 Prozent. Bleibt es dabei, wird der Amtsinhaber diesmal eine Stichwahl vermeiden können.

Die Kräfteverhältnisse zeigen sich auch wenige Stunden, nachdem Wlazny seinen Infostand an der Mariahilfer Straße verlassen hat. Als am Nachmittag auch Van der Bellen im gleichen Amt seine eigene Unterstützungserklärung abgibt, ist der Rummel um ein Vielfaches größer. Für Stimmung sorgt eine kleine Band. "Turbobier" ist es nicht – aber eine Idee, die man eher dem Musiker Marco Pogo zugetraut hätte.

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