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Putin und der Ukraine-Krieg: "Eine Demütigung der russischen Streitkräfte"


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Kriegsreporter Jay Tuck
"Eine Demütigung der russischen Streitkräfte"

InterviewVon Marc von Lüpke

24.01.2024Lesedauer: 6 Min.
Wladimir Putin: Kriegsreporter Jay Tuck hält einen Sieg der Ukraine im Krieg gegen Russland für möglich.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Kriegsreporter Jay Tuck hält einen Sieg der Ukraine im Krieg gegen Russland für möglich. (Quelle: Mikhail Klimentyev/reuters)
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Die Ukraine befindet sich in der Defensive, doch sie hat noch einen Trumpf: überlegene Technologie und künstliche Intelligenz. Experte Jay Tuck erklärt, warum er an einen ukrainischen Sieg glaubt.

Auf den Schlachtfeldern der Ukraine kämpfen die russischen Invasoren gegen die ukrainische Armee, aber noch eine weitere Macht ist beteiligt: Hochtechnologie aus den USA, insbesondere künstliche Intelligenzen. Mit deren Hilfe sei die Ukraine gar in der Lage, den Krieg zu gewinnen.

Das sagt mit Jay Tuck ein erfahrener Kriegsreporter und Experte für künstliche Intelligenz, der kürzlich das Buch "KI und der moderne Krieg. Wie künstliche Intelligenz die russische Armee besiegen kann" veröffentlicht hat. Wie KI bereits jetzt das Kriegsgeschehen beeinflusst, erklärt Tuck im Gespräch.

t-online: Herr Tuck, die russische Armee galt einst als unaufhaltsame Dampfwalze, doch mithilfe der Anti-Panzer-Waffe Javelin hat die Ukraine diesen Nimbus zerstört. Was macht die Javelin so gefährlich?

Jay Tuck: Die Javelin war ein echter Gamechanger, damit haben die Russen überhaupt nicht gerechnet. Putin glaubte, leichtes Spiel zu haben: Mehr als 100.000 Soldaten und 1.000 Panzer an der Grenze? Das hätte doch eigentlich ausreichen müssen, um die Ukraine nach Beginn der Invasion 2022 binnen kurzer Zeit zu erobern. Das war aber reines Wunschdenken, basierend auf einer veralteten Technologie. Diese Lektion mussten die Russen auf die harte Tour lernen. Denn mit der Javelin bekamen sie es massenhaft mit einer modernen "Fire-and-Forget"- Waffe zu tun.

Was bedeutet, dass der betreffende ukrainische Soldat nach dem "Abfeuern" in Deckung gehen und "vergessen" kann, weil die Javelin alles weitere selbstständig erledigt?

So ist es. Während des Anfluges justiert die Javelin ihren Flug zum feindlichem Ziel mithilfe künstlicher Intelligenz selbst. Für den Schützen besteht also weniger Gefahr, weil er gleich wieder abtauchen kann. Das ist aber nicht der einzige Vorteil dieses Waffensystems: Im Gegensatz zu früheren Panzerabwehrwaffen, die parallel zum Boden anfliegen, schießt die Javelin vor dem Einschlag hoch in die Luft und stürzt sich dann senkrecht nach unten auf ihr Ziel hinab.

Jay Tuck, 1945 in Brooklyn, New York, geboren, ist investigativer Journalist, Kriegskorrespondent und Bestsellerautor. Der Amerikaner lebt und arbeitet seit Jahrzehnten in Deutschland, fünfzehn Jahre lang war Tuck etwa verantwortlicher Redakteur für die ARD-Tagesthemen. Als Kriegsreporter bereiste der Sicherheitsexperte den Irak, Kuwait und die Ukraine. 2016 veröffentlichte Tuck sein Buch "Evolution ohne uns. Wird künstliche Intelligenz uns töten?", kürzlich erschien "KI und der moderne Krieg. Wie künstliche Intelligenz die russische Armee besiegen kann".

Wo sich eine Schwachstelle in der Panzerung befindet?

Genau. Zur Abwehr haben die Kommandeure der russischen Panzereinheiten dann eilig Käfige aus Metall über die Türme ihrer Fahrzeuge anbringen lassen – aber alle Mühe war vergeblich, der Sprengkopf der Javelin explodierte im Innenraum. Die Insassen waren chancenlos.

Die russische Panzerkolonne, mit der die Kremltruppen seit Februar 2022 Kiew einnehmen wollten, war dann ebenfalls ein leichtes Ziel für die ukrainischen Soldaten.

Das kann man wohl sagen. Mitte November 2022 hatte die russische Armee schließlich rund 1.500 Panzer verloren, wie die Forschungsgruppe Oryx aus den Niederlanden ermittelte. Die Russen hatten also massive Verluste, während an Javelins kein Mangel herrschte. Das betreffende Werk in Alabama war nicht einmal ausgelastet und konnte die Ukrainer schnell mit dem nötigen Nachschub versorgen.

US-Präsident Joe Biden besuchte das Werk sogar im Mai 2022.

Biden wollte den Mitarbeitern danken, die er als "Kriegshelden" ansprach. Aus verständlichen Gründen: Denn die Produktion einer 50.000 Dollar teuren Rakete ist eben weitaus billiger als der Bau eines neuen Panzers für vier Millionen Dollar. Bidens Besuch in Alabama war aber auch aus einem anderen Grund höchst aufschlussreich – denn er verriet die wahre Absicht der USA in Bezug auf den Krieg in der Ukraine.

Welche ist das?

"Wir machen das russische Militär lächerlich", sagte der amerikanische Präsident offen und ehrlich in Alabama. Anders ausgedrückt: Bidens Ziel war eine Demütigung der russischen Streitkräfte. Die sollten außerstande sein, eine solche Invasion zu wiederholen. Nebenbei würde der Status der Vereinigten Staaten als einzige verbleibende Supermacht unterstrichen.

Ist das nicht riskant? Immerhin ist Russland eine Atommacht.

Für diese Zwecke eignet sich der Ukraine-Krieg perfekt – die USA können nur gewinnen. Russland und die Ukraine sind die Kriegsparteien. Nicht das Leben eines einzigen US-Soldaten musste riskiert werden. Die Auseinandersetzung läuft ganz anders ab: Während die russische Armee als zweitgrößte der Welt gegen die Ukraine kämpft, hält Amerika mit seiner Technologie dagegen. Es ist ein großes Kräftemessen.

Sie haben kürzlich mit "KI und der moderne Krieg. Wie künstliche Intelligenz die russische Armee" ein neues Buch veröffentlicht. Kann die Ukraine tatsächlich mithilfe von künstlicher Intelligenz den Sieg erringen?

Ja. Denn die Entwicklung endet ja nicht mit der Javelin, sie schreitet voran. Mittlerweile ist das amerikanische System Phoenix Ghost im Einsatz, es handelt sich dabei um sogenannte Loitering Munition. Das sind fliegende Drohnen, die lange über einem Zielgebiet auf der Suche nach einem Ziel kreisen können.

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Also ein weiterer Gamechanger?

Phoenix Ghost ist eine solche Drohne, speziell für die Anforderungen der ukrainischen Streitkräfte entwickelt. Sie kann sechs Stunden in der Luft kreisen. Die verwendete künstliche Intelligenz ist dabei sehr mächtig. In West Point und anderen amerikanischen Militärakademien wird bereits überlegt, ob Panzer im modernen Krieg überhaupt noch sinnvoll sind.

Wie definiert sich aber künstliche Intelligenz?

Das ist im Prinzip einfach: Künstliche Intelligenz ist eine Software, die sich selbst programmiert und sich selbst aktualisiert. Eine solche Software durchsucht gigantische Datenmengen und erkennt darin Muster. Sie lernt dabei schnell und effektiv. Das ist Vorteil und Nachteil zugleich.

Weil es sich um eine ambivalente Technologie handelt, die viel Gutes bewirken kann, aber auch brandgefährlich in den falschen Händen werden könnte?

Absolut. Ich halte oft Vorträge zum Thema künstliche Intelligenz, vor nicht allzu langer Zeit war ich in Jordanien auf Einladung des Königs. Ich frage immer die Zuhörer, worüber ich sprechen soll: "Gute" Anwendungsmöglichkeiten, etwa im Bereich der Medizin? Oder stattdessen über das Potenzial in der Rüstung? Was denken Sie, was die Zuhörer in der Regel mehr interessiert?

Die Kriegsführung?

So ist es. Dabei kann gerade die Anwendung künstlicher Intelligenz im Bereich der medizinischen Diagnostik dabei helfen, Millionen Menschenleben zu retten. Denn sie ist Menschen in der Erkennung von Mustern Menschen überlegen. Gerade für die Verbesserung der medizinischen Versorgung in abgelegenen Regionen kann die künstliche Intelligenz viel Gutes bewirken. Man reicht die Bilder per Mail zur Diagnose ein. In der Rüstung geht es um praktische Erfahrung auf dem Schlachtfeld.

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Bitte erklären Sie das näher.

In der Ukraine findet die Erprobung neuer Waffensysteme unter Bedingungen des Ernstfalls statt. Die ukrainischen Soldaten entwickeln und modifizieren neue US-Waffensysteme. Es ist eine Zusammenarbeit. Die Patente halten selbstverständlich die Unternehmen aus den Vereinigten Staaten. Aber die Ukrainer profitieren ebenso davon.

Nicht zuletzt, weil sie den russischen Streitkräften an Soldaten unterlegen sind?

In dieser Hinsicht ist Technologie tatsächlich ein entscheidender Faktor. Mit Billigdrohnen aus dem Internet können ukrainische Einheiten den Gegner auskundschaften und die Koordinaten an Himars-Präzisionsartillerie in 100 Kilometer Entfernung weiterfunken – alles ohne sich in direkte Gefahr begeben zu müssen.

Aus sicherer Entfernung wollte die ukrainische Armee nach Kriegsbeginn auch der russischen Marine einen Schlag versetzen: mittels Seedrohnen, die von Elon Musks satellitengestütztem Starlink-System angeleitet, Schiffe im russischen Flottenstützpunkt Sewastopol angreifen sollten.

Und Starlink verwendet ebenfalls künstliche Intelligenz. Aber der Angriff wurde vereitelt. Nach Drohungen aus Moskau bekam Elon Musk kalte Füße. Er wollte nicht durch Starlink Anlass zu einem Atomkrieg werden. Er schaltete seine Satelliten aus. Die Seedrohnen sanken wirkungslos zum Meeresboden. Ihre Wirkung auf die russische Marine wäre verheerend gewesen. Wissen Sie, wie viel Sprengstoff eine solche Drohne befördert? Fast eine halbe Tonne pro Drohne. Das wäre ein ziemlicher Schlag für Putin gewesen. Denn die Seedrohnen hätten seine Schiffe aus dem Wasser heraus versenkt, während seine Soldaten die Radarschirme auf der Suche nach Angreifern aus der Luft abgesucht hatten. Das ist eine wirklich smarte Waffe.

Also werden künstliche Intelligenzen praktisch auf allen Gebieten der Kriegsführung eingesetzt? Wer bestimmt aber die Regeln? Und wie wird verhindert, dass die Software plötzlich selbst entscheidet?

Für das US-Militär gilt das Gesetz, dass am Ende immer ein Mensch entscheidet. Bleibt die Hoffnung, dass dies auch zukünftig immer so befolgt wird. Denn die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz sind immens, immerhin sind es analytische Waffen mit der Fähigkeit zu lernen. Russische Panzermannschaften versuchten etwa, sich durch weiträumige Verteilung im Gelände vor den Angriffen durch Javelins und Ghosts zu verstecken.

Das klingt zunächst vernünftig.

Das wäre es früher auch gewesen. Nur hatten die Ukrainer durch den US-Nachrichtendienst NSA Zugang zum Videoüberwachungssystem Argus erhalten. Argus, unter einer Reaper-Drohne befestigt, kann bis zu 20.000 sich in Bewegung befindliche Personen aus der Luft verfolgen und identifizieren – parallel und in Echtzeit. Die russischen Panzermannschaften hatten keine Chance. Im Grunde ist dieser Krieg eine Auseinandersetzung zwischen russischen Streitkräften und amerikanischer Technologie.

Was geschieht aber, wenn Donald Trump erneut US-Präsident wird?

Trump ist ein unberechenbarer, ein gefährlicher Mann für die westliche Demokratie. Wir haben aber jetzt immer noch ein volles Jahr mit dem US-Präsidenten Joe Biden im Weißen Haus. Die Ukraine muss diese Zeit nutzen.

Wer wird den Krieg Ihrer Ansicht für sich entscheiden?

Die Ukraine wird diesen Krieg gewinnen.

Aber wie?

Der Weg zum Sieg führt über die Krim. Wenn die Ukraine die Krim wieder einnehmen kann, ist der Krieg vorbei. Dann ist auch der Kremlchef nicht mehr im Amt.

Herr Tuck, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Jay Tuck
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