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Deutschland wird heißer: Was Russland und die Klimakrise gemeinsam haben


Kolumne "Russendisko"
Jetzt hat Deutschland die Krise(n)

MeinungVon Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 10.03.2024Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Christian Lindner, Robert Habeck, Olaf Scholz: Die Politik muss Krisen bündeln, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Christian Lindner, Robert Habeck, Olaf Scholz: Die Politik muss Krisen bündeln, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)

Russland führt Krieg gegen die Ukraine, die Erde wird heißer, und die Wirtschaft schwächelt weiter. Ganz klar, Deutschland hat die Krise(n), meint Wladimir Kaminer. Und weiß einen Rat.

Es vergeht keine Woche, in der ich nicht von irgendeinem Meinungsforschungsinstitut angerufen oder angeschrieben werde. Welche Rolle spielt der Klimawandel in meinem Leben? Ist er eher wichtig oder eher unwichtig? Wie schätze ich die Sicherheit im Land ein, ist die Bundesrepublik eher sicher oder eher unsicher? Und welche Informationen genießen mein Vertrauen: Die auf Papier gedruckten oder die auf dem Bildschirm angeklickten? Das alles wollen sie wissen.

Die Meinungsforscher haben eine goldene Zeit, nicht nur in Deutschland – überall auf der Welt werden alle möglichen Umfragen in Auftrag gegeben. Die Machthabenden wollen die Völker der Welt verstehen, was denken sie über die Zukunft? Was beeinflusst ihr Denken? Und denken sie überhaupt? Wenn man die Analysen weltweit zusammenfasst, entsteht folgendes schräges Bild: Die Bevölkerung unseres Planeten teilt sich auf in fatalistische Optimisten und hoffnungsfrohe Optimisten.

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch "Frühstück am Rande der Apokalypse" ist im August 2023 erschienen.

Auch die Bewohner der ärmeren und nicht-demokratischen Länder in Südostasien, Lateinamerika wie Russland schauen optimistisch in die Zukunft: Es kommt, wie es kommt. Sie sehen sich sowieso nicht in der Lage, irgendetwas groß in ihrem Land, gar auf dem Planeten zu ändern, sie haben wenig Einfluss auf "die da oben". Ihre Kompetenzen liegen im engen Kreis der Familie, Freunde und Verwandten, ihrer Nachbarn und Arbeitskollegen. Sie können maximal das Leben auf ihrer Straße beeinflussen, bis zur nächsten Kreuzung.

Dabei sind die Optimisten nicht blind. Bloß schätzen sie die Gefahren, denen die Welt ausgesetzt ist, als Naturkatastrophen ein – es hat keinen Sinn, darüber nachzudenken, gegen ein Erdbeben anzukämpfen ist lächerlich. Eine überwältigende Mehrheit der fatalistischen Optimisten glaubt an den Asteroiden, der in absehbarer Zeit auf die Erde zufliegt und sowieso alles kaputt macht.

Hoffen auf die Verspätung

Aber seine Ankunftszeit ist unbestimmt. Vielleicht hat er ja Verspätung. Man soll deswegen die eigene Lebenszeit nicht mit Gedanken an die Zukunft verschwenden. Hier und jetzt findet dein Leben statt, sagen die fatalistischen Optimisten. In den wohlhabenden Ländern des Nordens, in Europa, in Deutschland glaubt hingegen nur eine verschwindende Minderheit an den Asteroiden. Die Mehrheit zeigt sich kriseninvolviert, bloß hat hier jeder seine eigene Krise, die mit der Krise des Nachbarn nur am Rande etwas zu tun hat.

Die Experten sehen zurzeit fünf Krisengemeinschaften, die unabhängig voneinander nebeneinander koexistieren. Die erste Krise nennt sich "Klimawandel". Ihre Apologeten sagen, wir müssen dringend unsere Gewohnheiten ändern. Sollte die Menschheit weiter so verschwenderisch mit ihren Ressourcen umgehen wie bis jetzt, sind wir in zehn bis zwanzig Jahren als Spezies nicht mehr vorhanden.

Die zweite große Gruppe lebt ihren Albtraum einer "Migrationskrise". Laut ihren Vertretern werde die Bevölkerung des Landes durch Migranten mit einer rasenden Geschwindigkeit "ausgetauscht" – und wenn es so weiterginge, gäbe es in zehn bis zwanzig Jahren kein Deutschland mehr. Nur Menschen aus fremden Kulturkreisen würden auf den Ruinen unserer Klöster und Kirchen hocken.

Die dritte Krise ist die "Russenangst" und die damit verbundene "Sicherheitskrise". Lange Zeit wähnten wir uns in Sicherheit, von der Nato gut geschützt. Außerdem hatten wir gar keine Feinde mehr. Jetzt stellen wir fest: Die Nato, das sind ja "wir", wir sind dem Feind ausgeliefert und haben keine Munition, um einen möglichen Angriff abzuwehren. Wenn wir nicht aufwachen – sagen die Vertreter der Sicherheitskrise –, wird Deutschland spätestens in zehn Jahren von den Russen übernommen. Denn die haben mehr Munition.

Die Lösung liegt auf der Hand

Die vierte Krisengemeinschaft ist durch Corona nachhaltig traumatisiert worden. In der Pandemie haben wir gesehen, dass unser wunderbares Gesundheitssystem gegenüber den neuen Herausforderungen machtlos ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das nächste Virus kommt, und was haben wir aus der Pandemie gelernt? "Gar nichts!", sagen die Vertreter der Gesundheitskrise.

Es gibt auch noch eine fünfte Krisengemeinschaft, die ihren eigenen Gott, die "Wirtschaftskrise" beschwört. Die deutsche Wirtschaftsmacht stand seit eh und je auf drei soliden Beinen: billigem russischen Gas und Öl sowie den preiswerten Werkstätten in China, die uns die Waren billig produzierten und unsere Technologien teuer einkauften. Dazu kam noch die Bereitschaft der USA, die Militärausgaben des Verteidigungsbündnisses Nato zu übernehmen. Alle diese drei Beine sind nun abgesägt.

Wenn die Wirtschaft kippt, wird es das Land nicht mehr wie früher geben. Und wie die reichen Deutschen in einem armen Deutschland leben sollen, weiß keiner. Nun sagen die Analytiker und Experten, die Gesellschaft sei so gespalten, weil jeder, mit der eigenen Krise vor Augen, die Krisen der Nachbarn nicht sehen will. Nur wenn es dem politischen Personal gelingt, alle fünf Krisen zu einer zu bündeln – und die Bevölkerung darüber aufzuklären, dass man die eine Krise ohne die anderen nicht lösen kann –, werden wir eine vernünftige gemeinsame Zukunft gestalten.

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