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Israel-Iran-Konflikt: Militär-Experte über Atombomben-Gefahr


Militärexperte Reisner
"Israel steht faktisch mit dem Rücken zur Wand"

InterviewVon Marc von Lüpke

17.04.2024Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Raketenstart im Iran (Archivbild): Das Mullah-Regime hat Israel direkt angegriffen.Vergrößern des Bildes
Raketenstart im Iran (Archivbild): Das Mullah-Regime hat Israel direkt angegriffen. (Quelle: WANA NEWS AGENCY/reuters)

Der Iran hat Israel attackiert, nun droht ein möglicher Gegenschlag. Wie hoch ist die Gefahr einer weiteren Eskalation? Militärexperte Markus Reisner analysiert die Lage.

Der Iran hat den direkten Angriff auf Israel gewagt, nun rüsten sich israelische Regierung und Militär für eine Reaktion. Welche Szenarien sind dabei denkbar? Wie hoch ist die Gefahr eines Krieges zwischen den beiden hochgerüsteten Staaten? Und welche Rolle spielt die israelische Schutzmacht USA? Diese Fragen beantwortet Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer.

t-online: Herr Reisner, Israel hat Vergeltung für den iranischen Angriff angekündigt, allerdings ohne einen Krieg mit Teheran auslösen zu wollen. Wie soll das gelingen?

Markus Reisner: Das ist die alles entscheidende Frage. Zunächst müssen wir uns die israelische Position verdeutlichen: Israel steht faktisch mit dem Rücken zur Wand, dieses kleine Land verfügt über keine Tiefe des Raums. Entsprechend will die israelische Regierung nun ohne jeden Zweifel klarstellen, dass kein Angriff auf Israel ohne entsprechende Antwort bleiben wird.

Also soll ein Exempel statuiert werden?

Das ist wahrscheinlich, ja. In diesem kulturellen und geografischen Raum gilt das Recht des Stärkeren, niemand darf Schwäche zeigen: Denn das wird bestraft. Diese Erfahrung haben auch die Amerikaner 2020 gemacht.

Oberst Markus Reisner, Jahrgang 1978, ist Militärhistoriker und Leiter des Instituts für Offiziersausbildung des österreichischen Bundesheeres an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 analysiert Reisner den Kriegsverlauf auf dem YouTube-Kanal "Österreichs Bundesheer".

Die Islamischen Revolutionsgarden haben damals US-Militärbasen im Irak mit Raketen angegriffen als Reaktion auf die Tötung des iranischen Generals Qasem Soleimani durch eine amerikanische Drohne.

Richtig. Die iranischen Angriffe auf die amerikanischen Stützpunkte blieben dann ohne Erwiderung. Heute wissen wir, dass der damalige US-Präsident Donald Trump zunächst einen Gegenschlag gefordert hatte, seine Berater aber widersprochen haben. Für die Iraner war das eine Zäsur. Sie hatten die Amerikaner attackiert – und waren ungeschoren davongekommen.

Also will Israel nicht den gleichen Fehler machen, erst recht nicht nach der vorhergehenden Terrorattacke der Hamas vom 7. Oktober 2023. Welche Szenarien sind nun denkbar?

Die harsche Reaktion in Form des Gazakriegs gegen die Hamas ist ebenso von dem Ziel geleitet, keine Schwäche zu zeigen. In der gegenwärtigen Situation beschränken sich die Szenarien eines israelischen Gegenschlags im Prinzip auf zwei Ebenen: weich oder hart.

Was wäre eine "weiche" Variante?

"Weich" wäre ein Schlag etwa gegen iranische Proxies, wie zum Beispiel gegen die mit dem Iran verbündete Hisbollah im Libanon.

Und die "harte"?

Dieses Szenario könnte in dem Versuch Israels bestehen, alles zu vernichten, was dem Iran die Möglichkeit gibt, seinerseits Israel anzugreifen – und zwar nachhaltig. Ein Ziel bestände dabei sicherlich auch in der Verzögerung des Baus einer iranischen Atombombe.

Ein solcher Angriff ergibt aber nur Sinn, wenn dem hochgerüsteten Iran die Zweitschlagsfähigkeit schnell und vollständig genommen wird.

Richtig. Die Folgen könnten verheerend sein, Israel steht vor einem gewaltigen Dilemma. Einerseits könnten sie es nach der erfolgreichen Abwehr des iranischen Angriffs dabei belassen, andererseits wollen sie kein Signal der Schwäche senden. Eventuell belässt es Israel aber auch bei der ausgesprochenen Drohung eines Gegenschlags und unternimmt nichts. Wir wissen es nicht.

Die USA haben bereits signalisiert, dass sie einen Angriff auf den Iran nicht unterstützen werden.

Es brennt auf der Welt an vielen Stellen, die USA haben bereits zahlreiche Krisen und Konflikte, mit denen sie umgehen müssen. Selbst die amerikanische Rüstungsindustrie kommt kaum hinterher. Entsprechend drängen die USA Israel nun zur Mäßigung. Eine ähnliche Entwicklung gab es vor nicht allzu langer Zeit in der Ukraine: Nach der Rückeroberung weiter Gebiete – unter anderem Chersons – im November 2020 sagte der damalige US-Generalstabschef, dass nach diesen glorreichen Siegen der ukrainischen Armee doch der Zeitpunkt für Verhandlungen mit Russland gekommen sei.

Das iranische Regime hat Israel wegen der Tötung zweier seiner Generäle in Damaskus durch einen Luftangriff attackiert, Teheran macht die israelische Regierung dafür haftbar. Wie ordnen Sie den ersten direkten Angriff des Iran auf Israel ein?

Der Iran hätte auch über seine Proxies reagieren können, Israel an multiplen Fronten angreifen können. Das Regime hat sich aber zu einem historisch nie dagewesenen direkten Angriff entschlossen. Allerdings nur mit einem Bruchteil des vorhandenen Arsenals, verbunden mit der Aussage, dass damit die Angelegenheit beendet sei. Auch der Iran wollte offensichtlich Stärke zeigen und sein Gesicht wahren, ohne den Konflikt aber vollends eskalieren zu lassen.

Gleichwohl besteht doch bei einem Angriff derartiger Größenordnungen die Möglichkeit, dass etwas schiefgeht?

Selbstverständlich. Die Iraner setzten 185 Drohnen, 110 Boden-Boden-Raketen und 36 Marschflugkörper gegen Israel ein. Besonderes Problem sind die ballistischen Raketen, die nur in einem gewissen Ausmaß abgewehrt können. Mehrere sind ja auch unter anderem auf Start- und Landebahnen israelischer Basen in der Negev-Wüste eingeschlagen. Erst einmal in Gang gesetzt, gewinnen militärische Aktionen eine Dynamik, die sich nicht mehr kontrollieren lässt.

Manche Beobachter sehen den iranischen Angriff auf Israel eher als Zeichen der Schwäche denn der Stärke des Mullah-Regimes. Was ist Ihre Ansicht?

Wir wissen nicht, was geschehen wird. Oft spielt Wunschdenken bei derartigen Analysen und Diagnosen eine Rolle. Wer hätte gedacht, dass 1989 der Eiserne Vorhang fällt? Wer hielt es für möglich, dass die Sowjetunion zwei Jahre später kollabiert? Heute erklären uns Historiker, dass es genau so kommen musste. Wir erleben gerade Geschichte hautnah, sie ist zunächst offen. Das russische Regime sei kurz vor dem Zusammenbruch, diese Aussage hören wir seit Jahren, aber Wladimir Putin ist immer noch an der Macht. Als Militär sehe ich das sprichwörtliche Glas immer als halb leer an, denn wir müssen für alle Eventualitäten planen. Eine zu positiv gefärbte Annahme kann im schlimmsten Fall viele Menschen das Leben kosten.

Welche Möglichkeiten haben die USA, um Israels Regierung zur Mäßigung zu bewegen?

Neben offiziellen und inoffiziellen Appellen verfügen die USA materielle Einflussmöglichkeiten in Form der Ressourcenzuteilung. Israels Militär ist stark auf amerikanische Rüstungsprodukte angewiesen, in diesem Bereich Beschränkungen anzudrohen, ist überaus effektiv.

Der Iran strebt nach dem Besitz der Atombombe, Israel hat sie bereits. Wie hoch schätzen Sie dieses Gefahrenpotenzial ein?

Wenn Israel sich tatsächlich in seiner Existenz bedroht sieht, wird es vor nichts zu seiner Selbstverteidigung zurückschrecken. Ähnliches dürfte für das Regime in Teheran gelten. Hoffen wir, dass wir weit von derartigen Szenarien entfernt sind.

Herr Reisner, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Markus Reisner in Wiener Neustadt
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