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Tote, Verletzte, Diskriminierungen: Wie Sinti und Roma verfolgt werden


Tote, Verletzte, Diskriminierungen
Wie Sinti und Roma in Europa verfolgt werden

Von Jan-Henrik Wiebe

Aktualisiert am 28.06.2018Lesedauer: 5 Min.
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Roma-Kinder bei einem Frühlingsfest: Die ethnische Minderheit wird besonders in Südosteuropa angefeindet. (Archiv) (Quelle: Emin Menguarslan / Anadolu Agency)

In der Ukraine werden Sinti und Roma attackiert, Rechte in Deutschland und Italien wollen sie systematisch erfassen, in Ungarn kommen die Kinder in spezielle Schulen. Europas größte ethnische Minderheit wird immer häufiger zur Zielscheibe.

Maskiert und mit Messern und Knüppeln bewaffnet dringen Rechtsradikale am Samstagabend, kurz vor Mitternacht, in das Roma-Lager am Rande der westukrainischen Stadt Lwiw ein. Die Angreifer töten einen 24-Jährigen durch Messerstiche, vier weitere Personen, darunter ein 10-jähriger Junge, werden verletzt. So beschreibt es die ukrainische Polizei in ihrer Pressemitteilung.

Es ist nach Angabe des ukrainischen Fernsehsenders Hromadske bereits die fünfte Attacke von Rechtsextremen auf Roma in den vergangenen zwei Monaten in der Ukraine. Die Polizei hat sieben Tatverdächtige im Alter von 16 und 17 Jahren verhaftet. Darüber hinaus haben die Beamten einen 20-Jährigen festgenommen, der den Angriff geplant haben soll.

Im Visier rechter Parteien in Italien und Sachsen

Die Verfolgung von Sinti und Roma in der Ukraine ist nur die tödliche Spitze einer Reihe von Vorfällen aus Gewalt, Diskriminierungen und stereotypischen Vorurteilen in Europa. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sieht ein steigendes Gewaltpotenzial: Die Minderheit scheint aktuell ins Visier von rechten und rechtsextremen Parteien zu rücken. So will beispielsweise der italienische Innenminister Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega-Partei Roma zählen lassen. Ein ähnliches Vorhaben hat die AfD im sächsischen Landtag mit einer Kleinen Anfrage eingeleitet.

Rund zwölf Millionen Sinti und Roma leben in Europa – damit bilden sie, so die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), die größte ethnische Minderheit des Kontinents. In vielen Ländern ist ihre Lage prekär. Besonders in Südosteuropa leben sie häufig am Rande der Gesellschaft und in größter Armut. Das weckt Erinnerungen: Bereits während der Zeit des Nationalsozialismus wurden sie systematisch verfolgt, in Konzentrationslagern interniert und getötet. Rund eine halbe Millionen Angehörige der Sinti und Roma wurden von den Nazis umgebracht.

In der Ukraine ist der Antiziganismus, also der Hass gegenüber Sinti und Roma, heute noch weit verbreitet, wie die Pogrome in Lwiw beweisen. "Diese Attacke sollte der finale Weckruf für die ukrainische Polizei sein, um entscheidende Maßnahmen gegen Hassverbrechen zu unternehmen", sagt Tanya Cooper von der Organisation Human Rights Watch (HRW). Laut der Menschenrechtsgruppe gehören die festgenommenen Verdächtigen zu der rechtsradikalen Jugendgruppe "Sober and Angry Youth". Manche Mitglieder sollen laut HRW Verbindungen zum rechtsextremen Asow-Bataillon haben, das in der Ostukraine kämpft und dem bereits zahlreiche Menschenrechtsverstöße vorgeworfen werden.

"Es scheint, als ob Morde und Gewalttaten gegen Roma in der Ukraine und in Europa zur Normalität werden sollen", befürchtet Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrat Deutscher Sinti und Roma.

AfD will in Sachsen Sinti und Roma zählen

Auch in Deutschland und Italien fallen extreme Rechte damit auf, dass sie Sinti und Roma systematisch erfassen wollen. Wie gerade bekannt wurde, will der AfD-Landtagsabgeordnete Carsten Hütter vom sächsischen Landtag in einer Kleinen Anfrage vom 13. Juni 2018 wissen, wie viele deutsche und ausländische Sinti und Roma in Sachsen gemeldet sind, wie viele wohnungslos sind, ob alle Kinder von ihnen die Schule besuchen, wie viele einen Flüchtlingsstatus haben und welche staatlichen Leistungen bezogen werden.

Medienberichte über herumziehende Roma-Handwerker aus Frankreich sind für den AfD-Landtagsabgeordneten Hütter der Anlass für die Erhebung von Sinti und Roma in Sachsen. "Es ist für eine Gesellschaft wichtig zu wissen, wer sich in ihr aufhält", sagt Hütter t-online.de. Sein Ziel sei "Fehlentwicklungen entgegenzuwirken und Gewinnbringendes zu unterstützen", so der sicherheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion.

Der wissenschaftliche Leiter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Herbert Heuß, sieht das anders: "Die Fragen zielen offenkundig auf die Diffamierung von Sinti und Roma als Straftäter", sagte er t-online.de. Die Fragen implizieren, dass Roma Kriminelle und Schmarotzer seien, die das Sozialsicherungssystem ausnutzten.

Die rechtsextreme NPD plakatierte im Bundestagswahlkampf 2017 unter anderem den Spruch "Geld für Oma statt für Sinti und Roma". Im Hinblick auf die NPD-Plakate und die AfD-Anfrage in Sachsen kann der Zentralrat nur "marginale Unterschiede" zwischen AfD und NPD erkennen. "Leider werden deren Positionen – auch durch deren regelmäßige Provokationen, oder eben Anfragen – mehr und mehr als normal betrachtet und oft genug von anderen Politikern übernommen, um Meinungen des rechten Randes abzudecken", warnt Heuß vom Zentralrat.

Es ist nicht der erste Fall, dass die AfD Minderheiten zählen will. In Thüringen stellte die Partei 2015 im Landtag die Anfrage nach der Anzahl der Homosexuellen im Bundesland.

Seit Ende des Zweiten Weltkrieges werden in der Bundesrepublik Deutschland keine bevölkerungsstatistischen und sozioökonomischen Daten auf ethnischer Basis erhoben, erklärt das Bundesinnenministerium. Hintergrund ist zum einen die Verfolgung von Minderheiten während des Nationalsozialismus, zum anderen bestehen völkerrechtliche Bedenken. Das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten legt fest, dass "jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, das Recht hat, frei zu entscheiden, ob sie als solche behandelt werden möchte oder nicht". Für Minderheiten darf auch bei einer freiwilligen Zählung kein Nachteil entstehen, heißt es im Übereinkommen außerdem.

Salvini fordert Roma-Einwohnerverzeichnis

Nicht nur in Deutschland gibt es bei rechten und rechtsextremen Parteien den Wunsch auf Erfassung von Roma und Sinti. Kaum im Amt, hat Italiens Innenminister Matteo Salvini in einem Fernsehinterview jüngst gefordert, in Italien lebende Roma zählen zu lassen und Straffällige abschieben zu wollen – etwa nach Rumänien.

Man müsse endlich wissen, "wer, wie, wie viele" im Land leben, so Salvini. Außerdem müsse "ein Einwohnerverzeichnis" dieser Menschen erstellt werden. Nur die mit der italienischen Staatsbürgerschaft müsse man "leider behalten".

Ein Sprecher der EU-Kommission musste klarstellen, dass eine Ausweisung von EU-Bürgern anderer Staaten auf Grundlage ihrer ethnischen Zugehörigkeit nach EU-Recht illegal wäre.

EU-Parlamentarier sehen Grundrechtsverstöße in Ungarn

Die teils tödlichen Übergriffe in der Ukraine und die Wünsche nach Zählungen in Italien und Sachsen sind nicht die einzigen Fälle in Europa. Erst am Dienstag hat der Innenausschuss des EU-Parlaments in Brüssel mehrheitlich für die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn gestimmt. Anlass sind zunehmende Grundrechtsverstöße, die sich auch gegen Roma richten.

Laut einem EU-Bericht gibt es in Ungarn paramilitärische Märsche durch Roma-Dörfer sowie getrennten Unterricht für Roma-Kinder in speziellen Schulen. Der Vorwurf der EU: Roma-Kinder werden deutlich häufiger als andere Kinder als minderbegabt eingestuft, um sie von anderen Schülern zu trennen.

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Herbert Heuß vom Zentralrat: "Aus Ländern wie Bulgarien, Ungarn oder Rumänien wird über eine alltägliche Gewalt berichtet, die kaum in den Medien auftaucht."

Sein Verband erhalte regelmäßig Informationen über Gewalt gegen Roma in Europa, insbesondere über Zwangsvertreibungen aus Städten und Dörfern. Dass die Gewalt in Europa gegen Sinti und Roma zunimmt, zeigen seit Jahren auch Berichte von Amnesty International und der Europäischen Grundrechteagentur. Jeder dieser Berichte ist ein Alarmsignal.

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