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China: Uiguren werden immer stärker unterdrückt


Chinas Unterdrückung der Uiguren
"Die Provinz hat sich in ein Internierungslager verwandelt"

Finn Mayer-Kuckuk

23.08.2018Lesedauer: 6 Min.
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Chinesische Polizisten in Xinjiang: Die Minderheit der muslimischen Uiguren wird massiv überwacht.Vergrößern des Bildes
Chinesische Polizisten in Xinjiang: Die Minderheit der muslimischen Uiguren wird massiv überwacht. (Quelle: Thomas Peter/Reuters-bilder)

Die Uiguren sind eine muslimische Minderheit im Westens Chinas. Die immer stärker von Peking unterdrückt wird. Mittlerweile auch mit modernsten Methoden.

Peking/Kaschgar. Wer aussieht wie ein Uigure, muss seinen Ausweis zeigen – wer chinesisch aussieht, nicht. Gruppen von bewaffneten Volkspolizisten patrouillieren durch die Innenstadt der Stadt Kaschgar in Chinas sogenanntem Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang und greifen wahllos Passanten auf: "Zeigen Sie Ihre Papiere!" – "Rucksack öffnen!" – "Wo wollen Sie heute Abend noch hin?" Ein Mann antwortet nicht willig genug. Das ist Grund genug, ihn auf die Wache mitzunehmen und zu verhören.

Die Uiguren sind in ihrer eigenen Heimat zu Bürgern zweiter Klasse geworden. Jeder Polizist hat Macht über ihr Leben: Wer auch nur den kleinsten Verdacht erweckt, den können sie ins Lager schicken – ohne Gerichtsverhandlung. Viele Bürger trauen sich gar nicht mehr aus dem Haus. Die einstmals quirlige Stadt Kaschgar steht praktisch unter Kriegsrecht, auch wenn die Regierung es nie offiziell ausgerufen hat.

Illegale Abschiebung

China bekämpft die kulturelle Identität des Volks der Uiguren so systematisch wie nie zuvor. Die Behörden gehen mit polizeilichen, militärischen und geheimdienstlichen Mitteln gegen jeden vor, der sich nicht vollständig an die Denk- und Lebensweise der Mehrheit im Reich der Mitte anpasst. Diese Realität erkennt nun auch die Bundesregierung an: Uiguren sollen vorerst nicht mehr nach China abgeschoben werden. Das bestätigte das Innenministerium in Berlin der Bundestagsabgeordneten Margarete Bause von den Grünen.

Im April hatte der Fall eines 23-Jährigen, der fünf Jahre zuvor aus Xinjiang nach Deutschland geflüchtet war, Entsetzen erregt: Während eines laufenden Verfahrens hatten die Behörden ihn nach China abgeschoben. Rechtswidrig. Die Begründung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf): Dem Mann drohe in China keine Verfolgung, für Uiguren bestehen "keine Besonderheiten".

Die Aussage klingt angesichts der Lage vor Ort wie blanker Hohn. "Die ganze Provinz hat sich in ein massives Internierungslager verwandelt", stellen sogar die Vereinten Nationen fest. Satellitenbilder zeigen eine Ausweitung der Hafteinrichtungen auf ein Vielfaches ihrer ursprünglichen Größe vor zwei Jahren. Ihre Kapazität liegt Schätzungen zufolge über einer Million Insassen – und sie wachsen weiter. Das sind Lager und Großgefängnisse mit Platz für die Einwohnerschaft einer Stadt wie Köln. Zum Vergleich: In ganz Deutschland sitzen nur rund 50.000 Personen im Gefängnis. Es gibt zehn Millionen Uiguren, also sind ungefähr 20 Prozent der männlichen Bevölkerung interniert.

Stacheldraht allerorten

Die chinesische Regierung bezeichnet die Einrichtungen als "Umerziehungseinrichtungen" oder als "Fortbildungszentren", in denen "Ausbilder" die "Teilnehmer" unterrichten. Es handele sich um notwendige Maßnahmen, um einer Radikalisierung der Region vorzubeugen. Alle Berichte über Menschenrechtsverletzungen seien Lügen – hier laufe stattdessen ein legitimer Kampf gegen Terror und Instabilität. "Die Bewohner von Xinjiang, auch die Uiguren, genießen gleiche Freiheitsrechte", sagte der chinesische Spitzenbeamte Hu Lianhe auf einer Konferenz der Vereinten Nationen.

Heimlich aufgenommene Bilder aus den Lagern sprechen eine andere Sprache. Stacheldraht umgibt jede Baracke und die weiträumigen Exerzierplätze. Die Uiguren hocken in blauer Sträflingskleidung auf dem Boden, während sie ethnisch-chinesische Aufseher in schwarzen Uniformen bewachen – mit Schnellfeuerwaffen in der Hand. Sollen das die "Ausbilder" sein? Häftlinge berichten, dass die Insassen patriotische Lieder auf Chinesisch singen mussten. Wer nicht mitmacht, wird geschlagen und anderweitig gefoltert.

Der Kopf hinter dem neuerlichen Kulturkampf ist Chen Quanguo, der 62-jährige Parteisekretär der Autonomen Region Xinjiang und damit der mächtigste Mann in der Region. Chen war zuvor der Provinzchef in Tibet – und überträgt nun Methoden, die bei der Unterdrückung der Tibeter angewendet werden, auf die Uiguren. Nach Amtsantritt hat Chen zunächst 90.000 Polizisten anstellen lassen. Besonders wichtig waren ihm Experten für elektronische Überwachung und Gedankenkontrolle – die Uiguren sollen keinen Widerstand auf elektronischem Wege koordinieren können, ohne dass er davon erfährt. In Tibet hat er alle 500 Meter eine Mini-Polizeistation einrichten lassen. "Stadtbürgerkontrollraster" nennt sich das hier und gilt als große Innovation in den Techniken des Polizeistaats. In Kaschgar hängen nun an jeder Straßenecke Kameras für die Gesichtserkennung.

Xinjiang wird besonders gegängelt

Die Uiguren sind eine muslimische Ethnie, die sprachlich und kulturell mit den Türken verwandt sind. Die chinesischen Kaiser haben ihr Land in den 1760er-Jahren erobert. Seitdem steht es unter Kontrolle der Regierung in Peking. Die neuen Herrscher haben die Region seitdem ohne jedes kulturelle Feingefühl regiert. Diktator Mao Zedong hat seinerzeit sogar Millionen von Chinesen in Xinjiang ansiedeln lassen, um die Kontrolle über die Region zu stärken. Die Uiguren wurden in ihrer Heimat von der Mehrheit zur Minderheit.

Chinas autoritäre Herrschaft zeigt sich hier von ihrer schlimmsten Seite. Die Bevölkerung der übrigen Regionen des Landes, beispielsweise von Peking und Shanghai, lebt im Wesentlichen frei von unzumutbarer staatlicher Gängelei. Die Bürgerrechte sind eingeschränkt, doch der Staat greift heute kaum noch in den Alltag der Durchschnittsbürger ein. In Xinjiang gebärdet sich Chinas kommunistische Führung jedoch ganz wie ein totalitäres Regime, das es im Kern immer noch ist. Die Lager, die Deportationen, die komplette Aufhebung des Rechtsstaats, die Unterscheidung nach Ethnien – das erinnert an die schlimmsten Diktaturen der Weltgeschichte.

Die chinesische Regierung handelt plötzlich so extrem, weil sie ein Einsickern des radikalen Islam nach Xinjiang befürchtet. Gerade weil sich die Uiguren unterdrückt fühlen, findet sich dort Protestpotenzial. In der Vergangenheit kam es bereits zu Anschlägen mit Dutzenden Toten, so im Jahr 2014. China intensivierte daraufhin die Anti-Terror-Maßnahmen wie auch die Unterdrückung der Uiguren insgesamt. Äußerungen des Spitzenbeamten Wang Zuoan lassen heute Rückschlüsse auf die Denkweise der politischen Planer in Peking zu. Wang ist Chef der Kommission für Angelegenheiten der Religion. Er hat die versammelten Imame aus Xinjiang vor wenigen Wochen ermahnt, sich als "Verteidigungslinie im Widerstand gegen den Extremismus" zu verstehen und die Gläubigen zu einer möglichst moderaten Form des Islam zu erziehen. Vor allem sollten sie "die Gesetze Chinas hochhalten und keinesfalls auf illegale Methoden zurückfallen", wie Teilnehmer an dem Treffen berichteten.

Pässe wurden eingezogen

Seitdem fährt die Regierung eine Kampagne gegen die kulturellen Ausdrucksformen des Islam. Erst kam ein Verbot von langen Bärten in öffentlichen Verkehrsmitteln – Han-Chinesen tragen fast nie Bärte, für uigurische Männer gehören sie zu ihrer Lebensweise. Supermärkte wurden gezwungen, Alkohol anzubieten, und die Regierung organisierte ein Bierfest in der Hauptstadt Urumqi. Betriebe sollten überwachen, dass die Mitarbeiter auch während des Ramadan tagsüber ihre Mahlzeiten einnehmen. Pilgerfahrten nach Mekka sind nur mit Sondergenehmigung möglich. Die Regierung hat die Pässe fast aller Uiguren eingezogen, um sie an Auslandsreisen zu hindern.

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Die Verletzung der Menschen- und Persönlichkeitsrechte verstößt auch gegen die chinesische Verfassung, die unter anderem Religionsfreiheit garantiert und die Kultur ethnischer Minderheiten schützt. Weltweit wird daher die Kritik an der harten Hand immer lauter, mit der Parteisekretär Chen die Unterdrückung forciert.

Kaschgar und andere Städte in Xinjiang wirken, als hätte eine fremde Macht sie besetzt. Alle paar Hundert Meter sind die Straßen und Bürgersteige von Kontrollpunkten unterbrochen. Öffentliche Gebäude sind weitläufig abgesperrt. Westliche Journalisten können sich in der Provinz nicht mehr frei bewegen. Kurz nach Ankunft im Hotel finden sich zuverlässig Herren vom Geheimdienst ein, die auf die Regeln hinweisen: keine Recherchen, keine Interviews zum Thema ethnischer Spannungen – inklusive der Andeutung, dass jeder Bericht die Gesprächspartner in Gefahr bringt.

Nachbarländer sind alarmiert

Ironischerweise läuft die neue Seidenstraße quer durch Xinjiang: Das außenpolitische Prestigeprojekt von Präsident Xi Jinping. Die Staatspropaganda wirbt unverdrossen für Investitionen in der Region und für die Wichtigkeit der Reise- und Handelsrouten durch Städte wie Kaschgar. Wer tatsächlich hierher reisen will, oder gar Investitionen plant, trifft auf den totalen Polizeistaat.

Die muslimischen Uiguren sind aus Sicht der Planer in Peking offenbar kein Plus für die Vielfalt entlang der neuen Seidenstraße, sondern eine Belastung, die möglichst effektiv zu neutralisieren ist. Doch ihre Politik rächt sich bereits. Nachbarländer wie Kasachstan werden zunehmend misstrauisch: Dort hat sich gerade die chinesische Staatsbürgerin Sayragul Sauytbay politisches Asyl erstritten. Sie gehört zur kasachischen Minderheit in Xinjiang und hat zeitweilig in einem der Internierungslager gearbeitet. Nachdem sie in Kasachstan von den Zuständen berichtet hat, wird sie in China per Haftbefehl gesucht – wegen "Geheimnisverrats". Die Rückkehr in ihre Heimat ist ihr damit vorerst verwehrt. China hat Sauytbays Auslieferung verlangt – und zürnt nun der kasachischen Regierung, weil sie die Frau schützt. Harmonie und Freundschaft entlang der Seidenstraße sehen anders aus.

Während Kasachstan, das als wirtschaftsschwaches Land eigentlich von dem großen Nachbarn China abhängig ist, dem Auslieferungsdruck aus Peking standgehalten hat, machte sich der Freistaat Bayern zum Helfer der Kommunistischen Partei. "Der bayerische Innenminister ist entweder völlig ahnungslos, oder er nimmt bewusst die Gefährdung der Abgeschobenen in Kauf", sagt die Grünen-Abgeordnete Bause. "Die Bundesregierung muss alles tun, um den abgeschobenen Uiguren zurück nach Deutschland zu holen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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