Nur noch eine Farce
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Der UN-Sicherheitsrat ist das mΓ€chtigste Gremium der Welt. Eigentlich. Denn im Ukraine-Krieg beweist es einmal mehr, dass es den Frieden auf der Welt nicht erhalten kann.
Es gab eine Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, da war auf der ersten Seite vieler Zeitungen regelmΓ€Γig von den wichtigen Sitzungen des Weltsicherheitsrats der Vereinten Nationen zu lesen. Die mΓ€chtigen Botschafter der fΓΌnf VetomΓ€chte im UN-Sicherheitsrat sollen sogar berΓΌhmt gewesen sein wie Filmstars. Die Diskussionen zwischen Frankreich, GroΓbritannien und China β vor allem die Konfrontationen zwischen der damaligen Sowjetunion und den USA β wurden live im Fernsehen ΓΌbertragen. Millionen von Menschen sahen zu.
Im Ukraine-Krieg ist der UN-Sicherheitsrat wieder zur WeltbΓΌhne geopolitischer Auseinandersetzungen geworden. Doch wirklich beachten will das theoretisch mΓ€chtigste Gremium der Welt heute kaum einer mehr. In der Praxis erscheint der Sicherheitsrat zu schwach, weil zu blockiert und darum bedeutungslos.
Warum also soll jemand noch diese hilflose und unwillige Runde in New York, die laut UN-Charta weltweit den Frieden sichern soll, beachten?
Entsetzen, EmpΓΆren und EnttΓ€uschen
Immerhin trat in dieser Woche Wolodymyr Selenskyj per Videoschalte auf, wie er es seit Wochen in den Parlamenten dieser Welt macht. Was der ukrainische PrΓ€sident aber am Ende seiner Ansprache zeigen lieΓ, war schrecklich β und in der Geschichte des Gremiums einmalig.
In einem kurzen Video (Vorsicht, grausame Bilder) waren die zahlreichen von russischen Truppen in Butscha ermordeten ukrainischen Kinder, Frauen, MΓ€nner und alten Menschen zu sehen. Misshandelt, gefoltert und vergewaltigt. Der inzwischen berΓΌchtigte russische Vertreter Wassili Nebensja sprach trotzdem scheinbar vollkommen ungerΓΌhrt noch immer von Inszenierungen und FΓ€lschungen der WestmΓ€chte und Westmedien.
Den anderen Mitgliedern des Sicherheitsrates blieb trotz dieser entsetzlichen Bilder wie immer im Grunde nichts anderes ΓΌbrig, als ihre EmpΓΆrung zum Ausdruck zu bringen. Besonders deutlich war die US-Botschafterin bei der UN: Linda Thomas-Greenfield.
Warum diese Ohnmacht? Weil Russland mit seinem Vetorecht im Sicherheitsrat jeglichen angestrebten Beschluss, jede angestrebte Sanktion gegen sich verhindern kann.
Das hΓΆchste UN-Gremium, dessen Sitzungen in den vergangenen Jahren schon oft als eine einzige Farce erschienen, wirkte lange nicht mehr so bedeutungslos.
Es gibt die Ansicht, dass der UN-Sicherheitsrat gar nicht an den eigenen politischen Erfolgen gemessen werden sollte. Weil es nΓ€mlich um etwas anderes gehe. TatsΓ€chlich wΓΌrde die Erfolgsbilanz nach Jahrzehnten der Existenz des Gremiums auch extrem ernΓΌchternd ausfallen. Ob Sanktionen gegen Nordkorea oder Iran, ob Darfur-Konflikt oder eben jetzt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine β selbst wenn sich der Rat einmal einig gewesen ist, gewirkt hat es eigentlich nie.
Nur versagt der UN-Sicherheitsrat jetzt eben auch, wenn der MaΓstab nicht der politische Erfolg ist. NΓ€mlich dann, wenn es darum geht, dass die fΓΌnf Super- und VetomΓ€chte der Welt miteinander ins GesprΓ€ch kommen. Das nΓ€mlich sehen viele Experten als den eigentlichen Erfolg der Institution an: Die Vertreter jener Staaten, die mehr als 95 Prozent der Atomwaffen der Welt besitzen, bleiben hier gezwungenermaΓen im GesprΓ€ch.
Auch die NebenrΓ€ume bleiben wertlos
Doch Russland hat sich entschieden, diesen Grundkonsens zu verlassen. Zumindest nach Ansicht der westlichen Vertreter missbrauchen Wladimir Putin und damit sein Botschafter Wassili Nebensja das Gremium lediglich als weiteren Kanal, um Desinformationen zu verbreiten. GroΓbritannien und die USA boykottierten deshalb in der vergangenen Nacht eine von Russland beantragte informelle Sitzung.
Gefasst, schlagfertig, aber am Ende hilflos wehrt sich der aktuell zu den Sitzungen geladene ukrainische Botschafter Serhij Kyslyzja dagegen. "Sie fahren direkt zur HΓΆlle, Herr Botschafter", rief er dem Russen Nebensja schon zu Beginn des Krieges zu.
Nur einen Bruchteil ihrer Zeit verbringen die UN-Botschafter der SupermΓ€chte im Sitzungsraum des Sicherheitsrates. Viel wichtiger ist der unbekanntere sogenannte "Consultations Room" nebenan im New Yorker UN-GebΓ€ude, direkt am East River.
In diesen eigentlichen Nebenraum, der 2013 ausgerechnet im Auftrag der Russischen FΓΆderation designt und gesponsert wurde, pflegen die hochrangigen Diplomaten gewΓΆhnlich keine Propaganda-Reden zu halten. Denn hier kΓΆnnen sie sein, wer sie sind: lediglich die Vertreter ihrer entsendenden Nationen. Hier kΓΆnnen sie fern der Γffentlichkeit zΓ€h und ausdauernd darum feilschen, was sie erreichen sollen.
Reform ja, aber wie und was dann?
Angesichts der aktuellen Entwicklungen und russischen Behauptungen aber ist schwer vorstellbar, dass selbst hinter den offiziellen Kulissen ΓΌberhaupt noch ein sinnvoller Austausch der Diplomaten mΓΆglich ist. Wie schwer zugΓ€nglich die russische Seite zu sein scheint, lΓ€sst sich auch daran ablesen, dass die US-Botschafterin Thomas-Greenfield angekΓΌndigt hat, Russland aus dem UN-Menschenrechtsrat ausschlieΓen zu wollen. Was das am Ende bringen soll, auΓer etwas Symbolik, ist offen.
Wozu aber angesichts dieser menschenverachtenden Farce dann noch dieses Gremium namens UN-Sicherheitsrat? "Die Reform des UN-Sicherheitsrats bleibt ein Kernanliegen der Bundesregierung, um dessen LegitimitΓ€t und AutoritΓ€t zu wahren", heiΓt es auch nach Jahren der weitgehend folgenlosen BemΓΌhungen auf der Webseite des deutschen AuswΓ€rtigen Amtes. Dabei sei "eine Anpassung an die heutigen geopolitischen RealitΓ€ten notwendiger Teil einer solchen Reform dieses wichtigen Gremiums der multilateralen Weltordnung."
Dazu wird es aber besonders im aktuellen Fall nicht kommen. Zwar reicht im ersten Schritt eine Zweidrittelmehrheit der sogenannten UN-Vollversammlung aller Mitgliedstaaten, um den Sicherheitsrat zu reformieren.
1963 etwa wurde eine Erweiterung des Gremiums um vier nicht-stΓ€ndige Sitze beschlossen. Damals aber ratifizierten die fΓΌnf stΓ€ndigen Mitgliedstaaten schlieΓlich in einem zweiten Schritt diesen Vorgang und die Reform konnte 1965 in Kraft treten. Dass ausgerechnet Russland oder China in der aktuellen Situation einer wie auch immer gearteten Reform zustimmen kΓΆnnten, gilt als ausgeschlossen.
Warum dann nicht die UN einfach auflΓΆsen? Warum noch an einer Institution und an einem auf Ungerechtigkeit beruhenden Gremium festhalten, das auf einer geopolitischen Weltordnung von 1945 beruht? Die Welt hat sich buchstΓ€blich viele Male weitergedreht. Auch der einst gegrΓΌndete VΓΆlkerbund wurde durch die neu gegrΓΌndeten, von den SiegermΓ€chten des Zweiten Weltkriegs initiierten Vereinten Nationen abgelΓΆst. Denn diese erste weltweite Institution hat versagt. Jetzt versagt offensichtlich auch ihre Nachfolge-Organisation.
"Das Wichtigste heute ist, dass es an der Zeit ist, das System der Vereinten Nationen umzugestalten", sagte der ukrainische PrΓ€sident Wolodymyr Selenskyj in seiner per Video ΓΌbertragenen Rede vor dem UN-Sicherheitsrat.
Wie das aussehen kΓΆnnte, dafΓΌr gibt es seit Jahrzehnten viele Ideen. Deutschland als groΓer Beitragszahler will einen stΓ€ndigen Sitz bekommen. Die Staaten Afrikas, Asiens und SΓΌdamerikas wollen ebenfalls berΓΌcksichtigt werden. Aber auch all das wΓΌrde die Atommacht Russland und ihren PrΓ€sidenten Wladimir Putin derzeit wohl kaum davon abhalten, unschuldige Zivilisten zu ermorden.
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- Eigene Recherchen