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Der machtlose UN-Sicherheitsrat ist eine Farce: Das vereinigte Versagen


Machtloser UN-Sicherheitsrat
Nur noch eine Farce

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 07.04.2022Lesedauer: 5 Min.
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Wassili Nebensja: Er ist Putins Bote bei der UN.Vergrößern des Bildes
Wassili Nebensja: Er ist Putins Bote bei der UN. (Quelle: imago-images-bilder)

Der UN-Sicherheitsrat ist das mächtigste Gremium der Welt. Eigentlich. Denn im Ukraine-Krieg beweist es einmal mehr, dass es den Frieden auf der Welt nicht erhalten kann.

Es gab eine Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, da war auf der ersten Seite vieler Zeitungen regelmäßig von den wichtigen Sitzungen des Weltsicherheitsrats der Vereinten Nationen zu lesen. Die mächtigen Botschafter der fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat sollen sogar berühmt gewesen sein wie Filmstars. Die Diskussionen zwischen Frankreich, Großbritannien und China – vor allem die Konfrontationen zwischen der damaligen Sowjetunion und den USA – wurden live im Fernsehen übertragen. Millionen von Menschen sahen zu.

Im Ukraine-Krieg ist der UN-Sicherheitsrat wieder zur Weltbühne geopolitischer Auseinandersetzungen geworden. Doch wirklich beachten will das theoretisch mächtigste Gremium der Welt heute kaum einer mehr. In der Praxis erscheint der Sicherheitsrat zu schwach, weil zu blockiert und darum bedeutungslos.

Warum also soll jemand noch diese hilflose und unwillige Runde in New York, die laut UN-Charta weltweit den Frieden sichern soll, beachten?

Entsetzen, Empören und Enttäuschen

Immerhin trat in dieser Woche Wolodymyr Selenskyj per Videoschalte auf, wie er es seit Wochen in den Parlamenten dieser Welt macht. Was der ukrainische Präsident aber am Ende seiner Ansprache zeigen ließ, war schrecklich – und in der Geschichte des Gremiums einmalig.

In einem kurzen Video (Vorsicht, grausame Bilder) waren die zahlreichen von russischen Truppen in Butscha ermordeten ukrainischen Kinder, Frauen, Männer und alten Menschen zu sehen. Misshandelt, gefoltert und vergewaltigt. Der inzwischen berüchtigte russische Vertreter Wassili Nebensja sprach trotzdem scheinbar vollkommen ungerührt noch immer von Inszenierungen und Fälschungen der Westmächte und Westmedien.

Den anderen Mitgliedern des Sicherheitsrates blieb trotz dieser entsetzlichen Bilder wie immer im Grunde nichts anderes übrig, als ihre Empörung zum Ausdruck zu bringen. Besonders deutlich war die US-Botschafterin bei der UN: Linda Thomas-Greenfield.

Warum diese Ohnmacht? Weil Russland mit seinem Vetorecht im Sicherheitsrat jeglichen angestrebten Beschluss, jede angestrebte Sanktion gegen sich verhindern kann.

Das höchste UN-Gremium, dessen Sitzungen in den vergangenen Jahren schon oft als eine einzige Farce erschienen, wirkte lange nicht mehr so bedeutungslos.

Es gibt die Ansicht, dass der UN-Sicherheitsrat gar nicht an den eigenen politischen Erfolgen gemessen werden sollte. Weil es nämlich um etwas anderes gehe. Tatsächlich würde die Erfolgsbilanz nach Jahrzehnten der Existenz des Gremiums auch extrem ernüchternd ausfallen. Ob Sanktionen gegen Nordkorea oder Iran, ob Darfur-Konflikt oder eben jetzt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine – selbst wenn sich der Rat einmal einig gewesen ist, gewirkt hat es eigentlich nie.

Nur versagt der UN-Sicherheitsrat jetzt eben auch, wenn der Maßstab nicht der politische Erfolg ist. Nämlich dann, wenn es darum geht, dass die fünf Super- und Vetomächte der Welt miteinander ins Gespräch kommen. Das nämlich sehen viele Experten als den eigentlichen Erfolg der Institution an: Die Vertreter jener Staaten, die mehr als 95 Prozent der Atomwaffen der Welt besitzen, bleiben hier gezwungenermaßen im Gespräch.

Auch die Nebenräume bleiben wertlos

Doch Russland hat sich entschieden, diesen Grundkonsens zu verlassen. Zumindest nach Ansicht der westlichen Vertreter missbrauchen Wladimir Putin und damit sein Botschafter Wassili Nebensja das Gremium lediglich als weiteren Kanal, um Desinformationen zu verbreiten. Großbritannien und die USA boykottierten deshalb in der vergangenen Nacht eine von Russland beantragte informelle Sitzung.

Gefasst, schlagfertig, aber am Ende hilflos wehrt sich der aktuell zu den Sitzungen geladene ukrainische Botschafter Serhij Kyslyzja dagegen. "Sie fahren direkt zur Hölle, Herr Botschafter", rief er dem Russen Nebensja schon zu Beginn des Krieges zu.

Nur einen Bruchteil ihrer Zeit verbringen die UN-Botschafter der Supermächte im Sitzungsraum des Sicherheitsrates. Viel wichtiger ist der unbekanntere sogenannte "Consultations Room" nebenan im New Yorker UN-Gebäude, direkt am East River.

In diesen eigentlichen Nebenraum, der 2013 ausgerechnet im Auftrag der Russischen Föderation designt und gesponsert wurde, pflegen die hochrangigen Diplomaten gewöhnlich keine Propaganda-Reden zu halten. Denn hier können sie sein, wer sie sind: lediglich die Vertreter ihrer entsendenden Nationen. Hier können sie fern der Öffentlichkeit zäh und ausdauernd darum feilschen, was sie erreichen sollen.

Reform ja, aber wie und was dann?

Angesichts der aktuellen Entwicklungen und russischen Behauptungen aber ist schwer vorstellbar, dass selbst hinter den offiziellen Kulissen überhaupt noch ein sinnvoller Austausch der Diplomaten möglich ist. Wie schwer zugänglich die russische Seite zu sein scheint, lässt sich auch daran ablesen, dass die US-Botschafterin Thomas-Greenfield angekündigt hat, Russland aus dem UN-Menschenrechtsrat ausschließen zu wollen. Was das am Ende bringen soll, außer etwas Symbolik, ist offen.

Wozu aber angesichts dieser menschenverachtenden Farce dann noch dieses Gremium namens UN-Sicherheitsrat? "Die Reform des UN-Sicherheitsrats bleibt ein Kernanliegen der Bundesregierung, um dessen Legitimität und Autorität zu wahren", heißt es auch nach Jahren der weitgehend folgenlosen Bemühungen auf der Webseite des deutschen Auswärtigen Amtes. Dabei sei "eine Anpassung an die heutigen geopolitischen Realitäten notwendiger Teil einer solchen Reform dieses wichtigen Gremiums der multilateralen Weltordnung."

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Dazu wird es aber besonders im aktuellen Fall nicht kommen. Zwar reicht im ersten Schritt eine Zweidrittelmehrheit der sogenannten UN-Vollversammlung aller Mitgliedstaaten, um den Sicherheitsrat zu reformieren.

1963 etwa wurde eine Erweiterung des Gremiums um vier nicht-ständige Sitze beschlossen. Damals aber ratifizierten die fünf ständigen Mitgliedstaaten schließlich in einem zweiten Schritt diesen Vorgang und die Reform konnte 1965 in Kraft treten. Dass ausgerechnet Russland oder China in der aktuellen Situation einer wie auch immer gearteten Reform zustimmen könnten, gilt als ausgeschlossen.

Warum dann nicht die UN einfach auflösen? Warum noch an einer Institution und an einem auf Ungerechtigkeit beruhenden Gremium festhalten, das auf einer geopolitischen Weltordnung von 1945 beruht? Die Welt hat sich buchstäblich viele Male weitergedreht. Auch der einst gegründete Völkerbund wurde durch die neu gegründeten, von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs initiierten Vereinten Nationen abgelöst. Denn diese erste weltweite Institution hat versagt. Jetzt versagt offensichtlich auch ihre Nachfolge-Organisation.

"Das Wichtigste heute ist, dass es an der Zeit ist, das System der Vereinten Nationen umzugestalten", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner per Video übertragenen Rede vor dem UN-Sicherheitsrat.

Wie das aussehen könnte, dafür gibt es seit Jahrzehnten viele Ideen. Deutschland als großer Beitragszahler will einen ständigen Sitz bekommen. Die Staaten Afrikas, Asiens und Südamerikas wollen ebenfalls berücksichtigt werden. Aber auch all das würde die Atommacht Russland und ihren Präsidenten Wladimir Putin derzeit wohl kaum davon abhalten, unschuldige Zivilisten zu ermorden.

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Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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