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Wladimir Putin: Er attackiert die Welt in der Nacht


Und jetzt?
Putins nächtlicher Angriff

  • Johannes Bebermeier
  • Bastian Brauns
Von Johannes Bebermeier, Bastian Brauns, New York

Aktualisiert am 21.09.2022Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin: Der Kremlchef sprach am Mittwochmorgen im Staatsfernsehen. (Quelle: t-online)

Wladimir Putin eskaliert den Krieg gegen die Ukraine. Die Weltgemeinschaft kann erst spät reagieren. Und tut es erst mal mit frommen Worten.

Putin erwischt die Welt im Schlaf. Zumindest die politische Welt, die sich in diesen Tagen bei der UN-Generalversammlung an der Ostküste der USA versammelt hat. Als Olaf Scholz und Joe Biden in New York zu Bett gehen, dreht der russische Präsident auf. Er eskaliert seinen Krieg gegen die Ukraine – und schickt Drohungen in die amerikanische Nacht.

Wie also reagiert die Welt, als sie erwacht?

"Die jüngsten Entscheidungen der russischen Regierung sind ein Akt der Verzweiflung." Es ist der erste Satz, den Olaf Scholz an diesem Mittwoch öffentlich spricht. Der Kanzler steht um kurz nach 8 Uhr im Bryant Park in New York City, einem schmucken Flecken Rasen mitten in Manhattan. Die Sonne scheint, Scholz' Miene ist finster.

Schon am Dienstag waren den Tag über Gerüchte durch die deutsche Delegation gewabert, Putin könne bald eine Ansprache halten. Möglicherweise noch vor der Rede des Bundeskanzlers in der UN-Generalversammlung. Scholz hätte darauf reagieren müssen, hätte seinen Plan ändern müssen.

Während die Welt schlief

Doch Putin wartete mit seiner Ansprache, bis die Welt schlief. Und die Welt reagiert am New Yorker Morgen erst einmal: mit Worten. Wenn auch mit scharfen Worten. "Russland kann diesen verbrecherischen Krieg nicht gewinnen", sagt Scholz im Bryant Park. "Mit den jüngsten Entscheidungen macht Putin, macht Russland das alles nur noch viel schlimmer." Der Kremlchef habe die Situation "von Anfang an komplett unterschätzt".

Die geplanten Scheinreferenden in den eroberten Gebieten würden niemals akzeptiert, sagt Scholz. Sie seien "keine Rechtfertigung" für das, was Russland tatsächlich vorhabe, "nämlich mit Gewalt das Land des Nachbarn zu erobern oder Teile des Territoriums davon". Das Recht müsse über die Gewalt siegen.

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Es ist ein frommer Wunsch, während Putin Fakten zu schaffen scheint. In seiner Fernsehansprache hatte er eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte verkündet. Alle Russen, die militärische Erfahrung haben, sollen kämpfen. Rund 300.000 Reservisten sind das insgesamt, heißt es. Es ist die erste Mobilmachung Russlands seit dem Zweiten Weltkrieg.

Doch Putin verkündet nicht nur das. Er droht dem Westen auch erneut ganz unverblümt. "Diejenigen, die versuchen, uns mit Atomwaffen zu erpressen, müssen wissen, dass die Windrose sich auch in ihre Richtung drehen kann", sagt er. Und: "Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht ist, werden wir natürlich alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um Russland und unser Volk zu verteidigen. Das ist kein Bluff."

Putin macht sich unbeliebt

Mächtige Worte. Aber was sagen sie über Putins tatsächliche Macht? Nichts Gutes für ihn, lautet die Analyse in Scholz' Umfeld offensichtlich. Das mit dem "Akt der Verzweiflung" wäre damit nicht nur ein verbaler Gegenangriff des Kanzlers. Sondern es wäre die tatsächliche Einschätzung der Situation.

Denn wer es tatsächlich nötig hat, so die Argumentation, Menschen gegen ihren Willen in den Krieg zu schicken – dessen Personallage kann nicht gut sein. Und der macht sich eben auch bei vielen seiner Bürger ziemlich unbeliebt. In einer Lage, in der das Murren zumindest in Teilen der Bevölkerung ohnehin zunimmt. So etwas nur für den Knalleffekt anzuordnen, für die kräftige Schlagzeile – das scheint in dieser Lesart quasi unmöglich. Der Kreml hat russische Fluggesellschaften inzwischen angewiesen, keine Tickets mehr an russische Männer im Alter von 18 bis 65 Jahren zu verkaufen.

Putins mächtige Worte wären somit schon der Versuch, die eigene Verzweiflung mit Propaganda zu übertönen. Doch verfängt die außerhalb Russlands überhaupt noch? Darüber entscheidet auch die Reaktion der restlichen Welt mit. Allen voran: die Reaktion der USA.

Biden wollte eigentlich Wahlkampf machen

Als Putin der Welt drohte, war der US-Präsident in New York gerade noch mit Innenpolitik beschäftigt. Joe Biden kam am Dienstagabend von einer Spendenveranstaltung, bei der auch der Schauspieler Robert De Niro und der Bürgermeister der Stadt, Eric Adams, zu Gast waren.

Die zwei Millionen Dollar, die zusammengekommen sein sollen, haben die Demokraten im laufenden Wahlkampf zu den Zwischenwahlen dringend nötig. Doch das schien plötzlich alles nicht mehr so wichtig.

Eilig setzten sich die Berater und Redenschreiber des Präsidenten noch in der Nacht zusammen. Auf den letzten Metern musste die Ansprache Joe Bidens an die Welt vor der UN-Generalversammlung umgeschrieben werden. Aus dem Weißen Haus heißt es später, es habe nur geringfügige Änderungen gebraucht. Die Rede sei noch immer genau passend. Das Verhalten Putins habe nicht wirklich überrascht.

Vor einem Jahr sprach Joe Biden zum ersten Mal zur Weltgemeinschaft. Damals konnte er nach der Abwahl seines Vorgängers Donald Trump verkünden: "America is back". Das war kurz nach dem desolaten Abzug der USA aus Afghanistan. Die Weltlage ist seither nicht besser. Im Gegenteil.

"Lassen Sie uns Klartext sprechen", eröffnet Biden um kurz nach 11 Uhr. "Ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist in ein Land eingefallen und hat versucht, einen souveränen Staat von der Landkarte zu tilgen." Russland habe schamlos gegen die Grundprinzipien der Charta der Vereinten Nationen verstoßen.

Die UN-Charta, die Institution der Vereinten Nationen – es wird Bidens Hauptthema, das sich durch die ganze Rede zieht. Am Ende breitet Biden die Arme aus, wie ein Prediger spricht er zu den Zuhörern. Die Vereinten Nationen seien nicht weniger als "ein Akt unerschrockener Hoffnung", geschaffen nach einem brutalen Weltkrieg und dem unbeschreiblichen Verbrechen des Holocaust.

Putin, der Kriegsverbrecher

Putins aktuelle Eskalation ist für Biden so etwas wie eine große Lüge. "Putin behauptet, er habe handeln müssen, weil er bedroht wurde." Niemand aber habe Russland bedroht. Putins nukleare Drohungen geißelt Biden mit den Worten: "Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen und darf niemals geführt werden!"

Der US-Präsident zählt die russischen Kriegsverbrechen auf, die Massaker, die Folterungen und die Versuche, die ukrainische Kultur auszulöschen. "Wer Sie auch sind, wo Sie auch leben, woran auch immer Sie glauben, das sollte Ihnen das Blut in den Adern gefrieren lassen."

Biden, Scholz und die Verbündeten wissen, dass sie Russland nur international isolieren können, wenn die Welt mitzieht. "Russland verbreitet Lügen", ruft Biden und spricht über die russische Erzählung, die westlichen Sanktionen seien verantwortlich für die Nahrungsmittelkrise des globalen Südens.

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Der US-Präsident weiß, dass er genau diese Staaten überzeugen muss, in denen Russland und China ihren Einfluss schon lange ausgebaut haben. "Es gibt nichts Schlimmeres als Eltern, die ihre Kinder nicht ernähren können", sagt er. Russlands Krieg sei "ein brutaler, ein nutzloser Krieg", so Biden, "beschlossen von einem einzigen Mann".

Seine Worte, sie sollen Stärke signalisieren. Aber sie wirken auch flehend.

Verwendete Quellen
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