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Tag der Vereidigung: Neue Regierung in drei Akten


Neue Regierung vereidigt
Merkel IV beginnt mit einer Enttäuschung

Von Parlamentsreporter Jonas Schaible

Aktualisiert am 14.03.2018Lesedauer: 5 Min.
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Angela Merkel bei ihrer Vereidigung: Zum vierten Mal ist die CDU-Politikerin Bundeskanzlerin.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel bei ihrer Vereidigung: Zum vierten Mal ist die CDU-Politikerin Bundeskanzlerin. (Quelle: Kai Pfaffenbach/reuters)

Mit dem Schwur vor dem Parlament endet die längste Regierungsbildung in der deutschen Nachkriegsgeschichte. In drei Akten zelebriert der demokratische Staat sich selbst. Doch die leise Ahnung, dass etwas anders ist als sonst, bleibt.

Um 13.56 Uhr ist der Plenarsaal im Reichstagsgebäude wieder leer. Es ist fast still. Die letzten Grüppchen von Abgeordneten haben den Raum gerade verlassen – zum Schluss der gut gelaunte gerade vereidigte Kanzleramtsminister Helge Braun und der neue Staatssekretär im Finanzministerium Wolfgang Schmidt.

Nach ihnen gingen noch Helfer durch die Sitzreihen, um für Ordnung zu sorgen – ganz so, als sei nichts geschehen. Zuletzt trugen sie das Mikrofon nach draußen, in das Merkel gesprochen hatte, um den Eid abzulegen.

"Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“

Knapper die Minister: "Ich schwöre es". "So wahr mir Gott helfe", sagen die meisten, drei lassen es weg.

Vorbei die profane Kompromissfindung

Damit ist es geschafft. Damit endet die längste Regierungsbildung der deutschen Nachkriegsgeschichte, 171 Tage nach der Bundestagswahl. Deutschland hat wieder eine vereidigte Regierung. Es enden aber auch drei Tage des Zeremonischen, der symbolischen Wiederherstellung der Ordnung durch das Ritual.

Vorbei die Wochen der Verhandlungen in wechselnden Parteizentralen, vorbei die durchwachten Winternächte, die Eilduschen in Verhandlungspausen, der Minutenschlaf auf zusammengeschobenen Stühlen, die Zigaretten auf dem Balkon, vorbei eben die ganze profane Kompromissfindung.

Vorbei auch die historische Situation, dass sich keine Partner finden für eine Kanzlerin, die weit auf ihre Partner zuzugehen bereit ist. Vorbei also auch das, endgültig vorbei. Eine Einigung steht, jetzt muss sie noch formal besiegelt werden. Deutschland hat wieder politische Normalität. Zumindest so etwas Ähnliches. Denn nicht alles ist wie gewohnt in diesen drei Tagen.

Erster Akt, Fragen und Antworten

Der erste Akt beginnt am Montag um 9 Uhr im Haus der Bundespressekonferenz. Nach und nach finden sich die Parteichefs der Oppositionsparteien ein, um zu erklären, dass sie der Regierung Glück wünschen, aber auch skeptisch seien. Die Presse fragt, Politiker antworten, meistens so, wie erwartet. Auch das ist ein Ritual, auch das gehört zur Regierungsbildung dazu. Die Politik verantwortet sich vor der Öffentlichkeit.

Auffallend: Die AfD-Pressekonferenz ist deutlich besser besucht als die der FDP, der Grünen und der Linken. Sicher, sie findet direkt vor dem Auftritt der neuen Koalitionäre statt, aber der Eindruck bleibt. Der Normbruch zieht das Scheinwerferlicht an.

Dann stellen sich die Parteichefs der neuen Koalitionspartner den Fragen, bevor sie hinübereilen ins Paul-Löbe-Haus gegenüber, am anderen Ufer der Spree, zum zweiten Akt.

Zweiter Akt, Unterzeichnung des Vertrags

Das Paul-Löbe-Haus ist nicht pompös-barock wie das Französische Parlament und nicht herrschaftlich wie das US-Kapitol. Es ist eines dieser Parlamentsgebäude, die nicht herrschaftlich wirken sollen, sondern transparent.

Von mehreren Etagen blicken Menschen hinunter in den lichthellen, schlauchartigen Mittelgang. Dort sind Stuhlreihen aufgebaut, vor ihnen steht eine Bühne, auf ihr drei Stühle und ein Tisch. Der Koalitionsvertrag ist kein Vertrag im rechtlichen Sinne. Er bindet die Parteien nicht, es ist kein formaler Akt des Parlaments. Und so ist auch das Arrangement feierlich, aber doch irgendwie provisorisch. Mehr Hochzeitsfest als Staatsakt.

Erst kommen die Generalsekretäre der drei Regierungsparteien auf die Bühne. Annegret Kramp-Karrenbauer für die CDU, Lars Klingbeil für die SPD, Andreas Scheuer für die CSU, setzten sich auf die drei Stühle, jeder hat vor sich ein Exemplar des Koalitionsvertrags. Sie unterschreiben, warten, bis Helferinnen die Bücher ausgetauscht haben, unterschreiben das zweite, warten, unterschreiben das dritte. Drei von neun.

Nahles sitzt am falschen Platz

Alles ist durchgeplant. In der Mitte sitzt die CDU, vom Publikum aus links die SPD, vom Publikum aus rechts die CSU. So steht es auf einem Zettel auf dem Tisch.

Dann folgen die Fraktionschefs: Volker Kauder für die CDU, Andrea Nahles für die SPD, Alexander Dobrindt für die CSU. Kurze Irritation: Nahles nimmt in der Mitte Platz. Machtgeste oder Verwirrung? Egal, Kauder fügt sich. Sie unterschreiben. Sechs von neun.

Als schließlich die Parteichefs dran sind, hat wieder alles seine Ordnung. Merkel sitzt in der Mitte, Olaf Scholz und Horst Seehofer neben ihr. Sie unterschreiben. Neun von neun. Es gibt Häppchen und Sekt oder Orangensaft, man plaudert kurz an Stehtischen.

Dann geht es an die Arbeit. Die neue Staatsministerin für Digitales Dorothee Bär etwa eilt davon. Sie muss eine Besuchergruppe empfangen. Alltag eben.

Dritter Akt, die Vereidigung

Der dritte Akt beginnt am Mittwoch, wieder um 9 Uhr. Wer früh zelebriert, kann früh wieder ans Werk.

Auf der Tribüne sitzen Ehrengäste: Die künftigen Bundesminister, die kein Bundestagsmandat haben. Die engsten Vertrauten der Kanzlerin: Ihre Büroleiterin. Ihre Mutter, wie immer. Und ihr Mann Joachim Sauer, zum ersten Mal.

Ohne viele Worte zu verlieren, eröffnet Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble den ersten Tagesordnungspunkt: "Wahl der Bundeskanzlerin". Die Abstimmung werde geheim stattfinden, erklärt er. Die Abgeordneten machen ein Kreuz in der Wahlkabine und werfen ihren Stimmzettel in eine durchsichtige Urne im Plenarsaal.

Die neue Koalition hat 399 Sitze, einer ist krank, einer fehlt unentschuldigt, bleiben 397, davon braucht Merkel 355, um wieder gewählt zu sein. Das wird sie schaffen, daran zweifelt niemand. Die Frage ist: Wie viele aus den eigenen Reihen verweigern ihr die Gefolgschaft? Es sind: überraschend viele.

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Wer stimmte gegen die Kanzlerin?

Nur 364 Stimmen bekommt Merkel, neun mehr als notwendig. Es bleiben mindestens 33 Abweichler, vielleicht sogar mehr, falls Abgeordnete der FDP oder der Grünen für Merkel gestimmt haben sollten. Und niemand will es gewesen sein: Aus der SPD heißt es, die Abgeordneten hielten sich ans Mitgliedervotum. Es müsse an der Union liegen. Zumindest der radikale Groko-Gegner Marco Bülow von der SPD hat allerdings auf Twitter erklärt, nach langem Hadern gegen Merkel gestimmt zu haben. Aus der CSU heißt es, man habe keinerlei Vorbehalte gegen die Koalition. Aus der CDU heißt es, es liege sicher an der SPD.

Irgendetwas kann also nicht stimmen. Was deshalb bleibt: großes Misstrauen innerhalb der Koalition. Die Kanzlerin wurde gewählt, aber gerade noch so. Sie ist eine Kanzlerin, die sich zwölf Jahre bewährt hat und die jetzt auf Bewährung gesetzt wurde.

Das ist auch ein Bruch, da wird erkennbar, dass nicht alles ist wie immer.

Kalkulierte Provokationen der AfD

Die AfD trägt ihren Teil dazu bei, diesen Eindruck zu stärken. Zwischendurch ist die Kanzlerin nach Schloss Bellevue geeilt, hat dort ihre Ernennungsurkunde abgeholt, ist wieder ins Parlament gekommen, um ihren Eid abzulegen.

Ein Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten entrollt auf der Besuchertribüne ein Transparent. "Merkel muss weg", steht darauf. Ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung. Er wird aus dem Saal geleitet. Der Abgeordnete Petr Bystron wird gerügt, weil er ein Foto seines Stimmzettels auf Twitter veröffentlicht hat. Ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung. 1.000 Euro Ordnungsgeld.

Es sind kalkulierte Provokationen. Die AfD will das Ritual stören, die Zeremonie, die symbolische Herstellung der Ordnung. Das fällt auf, aber es gelingt nur kurz.

Ein unwahrscheinliches Duo

Nach der Vereidigung, nach dem feierlichen Höhepunkt des dritten Aktes, wandern die Abgeordneten und die frisch vereidigten Minister durch den Plenarsaal. Gratulieren, drücken sich, plaudern. Die scheidende Umweltministerin Barbara Hendricks von der SPD und ihr früherer Kabinettskollege Alexander Dobrindt von der CSU sprechen lange. Sie nimmt seine Hände in ihre, so stehen sie, für ein paar Sekunden. Die spröde Sozialdemokratin und der junge konservative Krawallmacher, ein unwahrscheinliches Duo, und doch ist da Zugewandtheit zu sehen. Zum Abschied legt sie eine Hand auf seine Schulter.

Kurz darauf lösen sich die Gruppen auf. Der Saal leert sich. Stille kehrt ein. Das Ritual ist vorbei.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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