Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Absturz in Ostdeutschland "Die CDU ist träge und faul geworden"
Vor allem in Ostdeutschland hat die CDU massiv an Wählergunst verloren. Zwei Namen fallen immer wieder als Hauptschuldige. Doch es liegt nicht nur an Personen. Die Gründe liegen tiefer.
34,5 Prozent – mit diesem Ergebnis ist Sepp Müller der CDU-Stimmenkönig im Osten. Kein anderer Christdemokrat holte dort mehr Erststimmen, eigentlich ein Grund zum Feiern. Fragt sich nur: mit wem?
Viele Parteikollegen dürften nicht dabei sein. Statt neun Abgeordneten kommen im neuen Bundestag nur noch vier Abgeordnete aus seiner Heimat Sachsen-Anhalt: "Ich freue mich sehr über mein persönliches Wahlergebnis, aber nicht über das historisch schlechte Ergebnis meiner Partei", sagt der CDU-Politiker t-online am Telefon, während er in seinem Wahlkreis Dessau-Wittenberg gerade seine Plakate abhängt.
Nirgends zeigt sich das desaströse Wahlergebnis der CDU stärker als im Osten Deutschlands: Auch in Thüringen und Sachsen verlor die Partei zahlreiche Wahlkreise, vor allem an die AfD. In Mecklenburg-Vorpommern mussten die Christdemokraten gleich alle sechs Direktmandate an die SPD abgeben. "Das Wahlergebnis ist ein Desaster für die CDU insgesamt, aber vor allem im Osten", resümiert der Thüringer Landeschef Christian Hirte im Gespräch mit t-online. Wie konnte es dazu kommen?
Zwei Namen fallen immer wieder
Wer in den Landesverbänden nachfragt, hört immer wieder zwei Namen: "Armin Laschet war eine Belastung im Wahlkampf", sagt etwa Hirte. Zwar habe man auch eigene Fehler gemacht: Hirte nennt etwa die kurzzeitige Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten mit Stimmen von CDU und AfD. Auch in die sogenannte Maskenaffäre war mit Mark Hauptmann ein CDU-Abgeordneter aus Thüringen verwickelt. Der Kanzlerkandidat sei allerdings einer der Hauptgründe für das schwache Abschneiden, so Hirte.
Im Osten gab es für Laschet schon länger Gegenwind: Im Kampf um den Parteivorsitz war dort Friedrich Merz der Favorit vieler Parteianhänger. Später warben die Ministerpräsidenten Reiner Haseloff und Michael Kretschmer mehr oder weniger direkt für Markus Söder als Kanzlerkandidaten.
Der andere Name, der bei der Suche nach einem Schuldigen häufig genannt wird, ist Marco Wanderwitz: Der Ostbeauftragte der Bundesregierung ging als Spitzenkandidat der sächsischen CDU ins Rennen – und scheiterte deutlich. Zwar konnte Wanderwitz über die Landesliste erneut in den Bundestag einziehen, seinen Wahlkreis im Erzgebirge verlor er aber klar gegen den AfD’ler Mike Moncsek.
"Sympathien eindeutig bei Söder"
Wohl noch mehr Ärger brachte Wanderwitz allerdings eine Äußerung Ende Mai ein: In einem Podcast der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erklärte der CDU-Politiker die Wahl rechtsradikaler Parteien in Ostdeutschland damit, dass Menschen dort teilweise "diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind". Darüber hinaus sei nur ein geringer Teil der Wähler der AfD "potentiell rückholbar".
"Nicht hilfreich" nannte Sachsens Ministerpräsident Kretschmer die Äußerungen einen Tag nach der Wahl in der "Leipziger Volkszeitung". Als Konsequenz ist Wanderwitz seinen Posten als Chef der sächsischen Landesgruppe in Berlin los. Zu seiner Entmachtung und den Wahlergebnissen wollte sich Wanderwitz gegenüber t-online nicht äußern.
Sind die schwachen Ergebnisse aber wirklich nur auf zwei Personalien zurückzuführen? Auch Hans Vorländer von der TU Dresden ist der Meinung, dass Armin Laschet als Kanzlerkandidat die falsche Wahl war: "Die Sympathien der ostdeutschen Basis waren eindeutig bei Söder", sagte der Politikwissenschaftler t-online. Laschet sei im Wahlkampf überhaupt nicht im Osten angekommen. Wanderwitz sei dagegen ein Bauernopfer. Der Ostbeauftragte werde "jetzt als Sündenbock dargestellt, um über die eigenen Versäumnisse hinwegzutäuschen." Wanderwitz' Äußerungen habe die AfD instrumentalisiert, um ein Feindbild aufzubauen, während seine eigene Partei ihn nicht geschützt habe.
"Träge und faul"
Vorländer sieht allerdings noch weitere Ursachen. Gerade in Sachsen und Thüringen habe sich die CDU auf vergangenen Erfolgen ausgeruht: "In beiden Ländern hat die CDU in vielen Jahren eine dominierende Rolle gespielt, das hat die Partei verwöhnt. Die CDU ist träge und faul geworden. Über Jahrzehnte wollte man das nicht wahrhaben." Dadurch sei eine Lücke entstanden, die etwa die AfD an vielen Orten eingenommen hat.
Diese Lücke wollte Sepp Müller anderen Parteien offenbar nicht überlassen. Müller glaubt, sein Wahlergebnis habe er vor allem durch Bürgernähe erzielen können: Während der Corona-Pandemie haben er und seine Mitarbeiter zwei Wochen beim Gesundheitsamt ausgeholfen und nach Infektionsketten gesucht. Alle drei Monate hospitierte er in den vergangenen vier Jahren für einen Tag bei einem Betrieb in der Region: "Sei es das Wegfahren von Biomüll oder das Einpacken von Zigaretten an der Tankstelle: So kommt man mit den Menschen ins Gespräch."
Mehr Bürgernähe als Schlüssel?
Wenn er als Bundestagsabgeordneter eingeladen werde, treffe er ansonsten häufig nur auf das Führungspersonal der Unternehmen: "Wir waren sehr viel außerhalb der eigenen Blase unterwegs." Müller suchte dabei das Gespräch sowohl mit Fridays-for-Future-Aktivisten als auch mit Kritikern von Corona-Maßnahmen. Das sei im Osten umso wichtiger, da in der Region die Wählerbindung an Parteien immer weiter abnehme. "Es wird stattdessen wichtiger, wie jeder Einzelkandidat ankommt", glaubt Müller.
Ähnlich sieht es auch Politologe Hans Vorländer: Gerade weil im Osten kaum eine Partei ihrer Wähler sicher sein kann, komme es umso stärker auf das Personal an. In der Spitze sei die CDU gar nicht schlecht aufgestellt, allerdings fehle es in den unteren Ebenen: "Herr Kretschmer ist ein wirklicher Kümmerer, aber er ist eine Ein-Mann-Show."
Könnte auch eine programmatische Wende der Partei helfen, um gegen die AfD zu punkten? Mit dem Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen war die CDU in Südthüringen jedenfalls nicht erfolgreich. Landeschef Christian Hirte empfiehlt daher eine andere Strategie: "Unser Anspruch als CDU muss es sein, um die politische Mitte zu werben, aber auch starke Flügel zu haben: sozial, konservativ und liberal." Ob dafür Parteichef Armin Laschet noch der richtige Mann sei, antwortet Hirte lediglich: "Wir brauchen eine Neuaufstellung in der Partei. Das dürfen wir aber nicht überstürzen."
- Eigene Recherche
- Interview mit Sepp Müller, Michael Hirte und Hans Vorländer am 30.09.2021
- Nachrichtenagentur dpa
- Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen"