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"Anne Will" zu Diesel-Fahrverboten: "Wie kann man das Recht so biegen?"


TV-Kritik "Anne Will"
"Wie kann man das Recht so biegen?"

Von Nina Jerzy

Aktualisiert am 28.01.2019Lesedauer: 4 Min.
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Talkrunde bei "Anne Will": Die Gäste diskutierten über Grenzwerte und Diesel-Fahrverbote.Vergrößern des Bildes
Talkrunde bei "Anne Will": Die Gäste diskutierten über Grenzwerte und Diesel-Fahrverbote. (Quelle: ARD)

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Die Gäste

  • Annalena Baerbock, Parteivorsitzende Bündnis 90/Die Grünen
  • Steffen Bilger (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur
  • Judith Skudelny, umweltpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion
  • Dieter Köhler, Facharzt für Lungenheilkunde, ehemaliger Präsident der Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V.
  • Heinz-Erich Wichmann, Epidemiologe, ehemaliger Direktor des Instituts für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München

Die Positionen

Für die Bundesminister ist der Gesprächsbedarf-Grenzwert offenbar längst überschritten. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und auch Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hätten leider keine Zeit gehabt, sagte Anne Will zu Beginn. So blieb die Manege weitgehend frei für die zwei großen Kontrahenten des Abends. Dieter Köhler mischt gerade die Bundespolitik auf. Der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) hat mit knapp über 100 Lungenexperten den Sinn der hiesigen Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide grundlegend in Zweifel gezogen und Scheuer damit neue Munition geliefert.

Köhler hielt es schön simpel, als er sein Misstrauen gegenüber den Studien begründete, auf denen die Richtwerte der Weltgesundheitsorganisation WHO fußen. "Die Epidemiologen zeigen ja nur, da ist ein Verdacht, mehr nicht", meinte er mit Blick auf den Zusammenhang von Schadstoffbelastung und Lebenserwartung in der Stadt oder auf dem Land. Das sei in etwa so, als würde man beim gehäuften Vorkommen von Kindern und Störchen darauf schließen, dass Störche Kinder bringen.

Epidemiologe Heinz-Erich Wichmann hat für die WHO an der Erarbeitung der Richtwerte mitgewirkt. Er fand deutliche Worte für Köhler. Der werde von anderen Experten als krasser Außenseiter betrachtet und besitze keinerlei Rückhalt in der Fachgemeinschaft. Er verwies dabei unter anderem auf eine Stellungnahme des Bundesverbands der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner (BdP). Der hatte mitgeteilt: "Verstörend ist es, wenn Ärzte nicht eindeutig für saubere Luft für Patienten und Gesunde eintreten."

Steffen Bilger freute sich stellvertretend für seinen Chef über die neu aufgeflammte Debatte über den Sinn oder Unsinn der Grenzwerte. "Die Zweifel an den Grenzwerten bestehen seit vielen Jahren", meinte der CDU-Politiker. Er betonte wiederholt: "Die Luft in Deutschland ist so sauber wie seit Jahren und Jahrzehnten nicht." Judith Skudelny von der FDP knüpfte daran an. Sie meinte mit Blick auf Fahrverbote in Stuttgart: "Die Luft ist so gut wie nie, die Menschen werden kalt enteignet."

Baerbock hingegen attestierte der politischen Gegenseite eine seltsame Auffassung von Rechtsstaatlichkeit. Es sei befremdlich, dass auf Grundlage der Stellungnahme von 100 Lungenärzten neue Grenzwerte diskutiert würden. "Wir können nicht einfach so geltendes Recht beiseite wischen", warnte die Grünen-Parteichefin. "Ich verstehe nicht, wie man das Recht so biegen kann." Sie präsentierte die Einhaltung von Schadstoffgrenzen selbst an viel befahrenen Straßen auch als Frage der sozialen Gerechtigkeit. Denn nicht jeder könne sich nun mal ein Haus in frischer Landluft leisten.

Der Aufreger des Abends

Eigentlich endete jede Wortmeldung von Köhler oder Wichmann in einem Aufreger. Köhler wies auf Nachfrage Wills den Vorwurf weit von sich, dass er Schadstoffe generell nicht für schädlich halte. Aber er betonte ein ums andere Mal: "NO2 (Stickstoffdioxid) ist in diesem Grenzwert überhaupt nicht plausibel." Als Antwort auf die Frage nach einem guten Wert verwies Köhler auf die Grenze von 100 Mikrogramm pro Kubikmeter in den USA. Das wäre mehr als der doppelte Wert in Deutschland.

"Wir sind hier ja nicht auf dem Gesundheitsbasar", widersprach Wichmann. "Sie sind ein wissenschaftlicher Exot, denn solchen Unfug werden Sie von niemandem, der sich ernsthaft mit solchen Fragen beschäftigt, unterschrieben bekommen." Ihm zufolge arbeitet die WHO gerade an neuen Feinstaubempfehlungen. Hier sei sogar mit einer Verschärfung der Werte zu rechnen. Denn nach Ansicht von beteiligten Experten seien die Gefahren durch Feinstaub bislang sogar noch unterschätzt worden.

Das Zitat des Abends

Bundesverkehrsminister Scheuer hat beim Streit um Grenzwerte von einer "masochistischen Debatte" gesprochen. Deutschland schade und belaste sich mit immer schärferen Grenzwerten selbst. "Forderungen, die Zorn, Verärgerung, Belastungen auslösen oder unseren Wohlstand gefährden, werden nicht Realität und lehne ich ab", zitierte ihn die "Bild"-Zeitung. Will fragte: "Was zeigt sich hier eigentlich für ein Politikverständnis, das sich nur an der guten Laune der Bürgerinnen und Bürger ausrichtet?" Ebenso gab es von ihr aber auch eine Niveau-Frage beim Grünen-Politiker Dieter Janecek, der Union und FDP in der Debatte "Reichsbürger-Niveau" unterstellt hatte.

Der Faktencheck

Immer wieder wurde von Bilger betont: "Die Luft wird immer besser." Das stimmt. Aber ist das wirklich Grund zum Aufatmen? Das Umweltbundesamt, die zentrale Umweltbehörde in Deutschland, hat zuletzt für das Jahr 2017 die bundesweite Luftqualität beurteilt. Nach Auswertung der vorläufigen eigenen Messdaten und denen der Länder lautete das Fazit: "Auch 2017 war die Luft in deutschen Städten zu stark mit Stickstoffdioxid belastet ... An 44 Prozent der verkehrsnahen Messstationen wurde der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel überschritten."


Dabei geht der Trend tatsächlich in die richtige Richtung. Die Belastung mit Stickstoffoxid sinkt laut Umweltbundesamt seit 2010. Beim Feinstaub gehörte 2017 mit den beiden Vorjahren zu den am geringsten belasteten Jahren, hieß es weiter. Auch die Ozonkonzentrationen seien im Vergleich der vergangenen 20 Jahren "eher niedrig". Den Maßstäben der WHO genügt dies jedoch noch nicht. "Für Ozon und Feinstaub werden aber weiter die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Werte deutlich überschritten; diese sind wesentlich strenger als die geltenden EU-Grenzwerte", bilanzierte das Umweltbundesamt.

Verwendete Quellen
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