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Ricarda Lang: "Die Ritualisierung des Frauentags frustriert mich"


Ricarda Lang zum 8. März
"Die Ritualisierung des Frauentags frustriert mich"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

08.03.2021Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Ricarda Lang, stellvertretende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Grünen: "Die Tür ist immer noch offen für Parität."Vergrößern des Bildes
Ricarda Lang, stellvertretende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Grünen: "Die Tür ist immer noch offen für Parität." (Quelle: Thomas Koehler/photothek.de/imago-images-bilder)

"Der Frauentag ist wichtig", sagt Ricarda Lang von den Grünen. Doch die Pandemie verschärfe bestehende Probleme weiter. Ein Gespräch über Scheinheiligkeit, Frauenhass und eine Quote für das Parlament.

Deutschland feiert den Frauentag, es werden Blumen überreicht und Reden gehalten. Doch eigentlich ist wenig Grund zu feiern, das zeigen gerade veröffentlichte Untersuchungen und Datenauswertungen: Nach wie vor verdienen Frauen weniger in Vollzeit, in der Corona-Krise sind sie häufiger arbeitslos geworden. Wichtige Diskussionen sind wieder verebbt, politische Vorstöße hängen fest. Vom Applaus zu Anfang der Krise ist wenig geblieben.

Was nun? – ist die Frage bei vielen frauenpolitischen Baustellen in der Bundesrepublik. Ein Gespräch mit Ricarda Lang, stellvertretende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Grünen, über Frauenhass im Netz, schlechte Bezahlung in der Pflege und eine verpflichtende Frauenquote im Parlament.

t-online: Frau Lang, Frauentag, ein Jahr nach Beginn der Corona-Krise. Wo steht Deutschland in Sachen Gleichberechtigung, wie hat das Virus die Lage für Frauen verändert?

Ricarda Lang: Ich glaube, es ist tatsächlich vielen klar geworden, wie sehr unser gesellschaftlicher Zusammenhalt und auch unser Wohlstand darauf beruhen, dass Frauen sich kümmern – oft unterbezahlt und unbezahlt. Sie tragen häufig die doppelte Last von Homeschooling und Arbeit, sind bei den steuerlichen Leistungen weiterhin schlechter gestellt und in der Pflege sind die Mehrheit der Beschäftigten Frauen. Wenn es um konkrete Entscheidungen ging, sind Frauen immer wieder hinten runtergefallen. Ich fürchte, dass die Corona-Krise deswegen bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verschärft. Aber das muss nicht so bleiben. Die Politik ist gefragt, diese Strukturen zu verändern.

Ricarda Lang, 27 Jahre alt, ist seit November 2019 stellvertretende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Grünen. Sie war vorher Sprecherin der Grünen Jugend. Aufgewachsen ist Lang in Baden-Württemberg.

Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, beklagen scharfe Attacken im Netz, verstärkt auch in der Krise. Sie waren selbst schon oft Ziel von Anfeindungen – wie haben Sie die letzten Monate erlebt?

Wir haben tatsächlich noch einmal eine Verstärkung erlebt. Wo gesellschaftlicher Frust, auch gesellschaftliche Perspektivlosigkeit zunimmt, entlädt sie sich – besonders gerne dort, wo schon Diskriminierung besteht. Das trifft oft Migranten, das trifft oft Frauen. Es ist nicht unbedingt etwas Neues, aber die Quantität und die Qualität hat in der Krise noch einmal zugenommen. Ich erhalte unfassbar viele Hassnachrichten, Morddrohungen, Gewaltfantasien. Besonders dann, wenn es um wissenschaftliche Fakten geht.

Ein Beispiel?

Ich bin gegen voreilige und unvorbereitete Lockerungen in der Corona-Krise, weil sie sich nicht mit unserem Wissen über die Pandemie vereinbaren lassen. Und ich vertrete diese Haltung selbstbewusst. Das macht viele Rechte, viele selbsternannte Querdenker wütend. Da treffen sich Wissenschaftsfeindlichkeit und Frauenhass. Die Gesellschaft muss verstehen, dass das Gewalt ist. Massive psychische Gewalt, die im schlimmsten Fall auch in körperliche Gewalt münden kann.

Ein Gesetz gegen Hass im Netz ist auf den Weg gebracht. Aber besonders die grün-mitregierten Länder haben im Bundesrat in der vergangenen Woche gegen eine dafür notwendige Vorlage gestimmt, die Union und SPD vorgelegt haben. Die Union wirft Ihnen "Doppelbödigkeit" vor. Sind die Grünen da scheinheilig?

Wir wollen ein Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hass im Netz – und zwar ein wirksames. Die Bundesregierung hat es aber über Jahre verpasst, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz anzupassen und dann plötzlich ein neues Gesetz vorgelegt, von dem Expertinnen und Experten sagen, dass es verfassungswidrig ist. Zur Erinnerung: Die Bundesregierung ist zuvor bereits zweimal vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Ein Gesetz, das in einem Jahr in Karlsruhe kassiert wird, hilft den Betroffenen rein gar nicht. Wir brauchen dringend eine sichere rechtliche Grundlage. Dazu haben wir auch konstruktive Vorschläge gemacht. Wer den Einsatz gegen Frauenhass im Netz ernst meint, sollte mehr Ernsthaftigkeit und Sorgfalt an den Tag legen, als die Bundesregierung das tut.

Ist das aber nicht ein sehr deutscher Einwand: Datensicherheit über das schnelle Eingreifen zu stellen?

Es geht hier doch nicht um Datensicherheit. Sondern darum, dass das Bundeskriminalamt als neue Zentralstelle nicht mit derartig vielen Fällen überschüttet wird, dass es nicht mehr arbeitsfähig ist. Damit wäre niemandem geholfen. Aber natürlich sind auch Freiheitsrechte im Netz wichtig. Die Union, auch die Bundesregierung nimmt immer den größtmöglichen Hammer, um den Nagel in der Wand zu treffen, anstatt zu schauen, was das tatsächlich passende Werkzeug wäre.

Das da wäre?

Es gibt andere, viel klügere Vorschläge: Zum Beispiel, Accounts direkt juristisch verfolgbar zu machen, auch wenn sie nicht unter Klarnamen laufen. Der Vorschlag der Bundesregierung ist vor allem Ausdruck von Hilfslosigkeit.

Stichwort Hilflosigkeit: Der Tarifvertrag für den gerade so zentralen Pflegebereich ist Ende Februar geplatzt und damit die Chance für mehr als eine Million Beschäftigte auf verbindliche Löhnemehr als 70 Prozent von ihnen Frauen – weil die Caritas Eingriffe in ihre Tarife ablehnt.

Das Scheitern des allgemeingültigen Tarifvertrags ist ein herber Rückschlag. Die Aufwertung der Altenpflege wäre extrem wichtig gewesen, auch um dem Pflegenotstand entgegenzuwirken. Und es wäre ein wichtiges Zeichen an die vielen Pflegekräfte gewesen, die während Corona Unfassbares leisten. Über das Scheitern können sich eigentlich nur diejenigen privaten Pflegeanbieter freuen, die mit niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen den Pflegenotstand noch befeuern.

Und jetzt? Ist das Thema wieder vom Tisch, wird es keinen Tarifvertrag für die Pflege geben?

Auf keinen Fall, wir schlagen jetzt einen anderen Weg vor: Die gesetzliche Pflegeversicherung muss verpflichtet werden, nur noch mit Arbeitgebern zusammenzuarbeiten, die nach Tarif bezahlen. Über diesen Hebel schaffen wir es trotzdem, eine flächendeckende Tarifbindung hinzubekommen, steigern die Löhne in dem Bereich und stärken so die Pflege insgesamt.

Still und leise ist in der Pandemie ein anderes grünes und linkes Frauen-Lieblingsprojekt in der Versenkung verschwunden: Paritätsgesetze, also eine Frauenquote für die Parlamente. Im Oktober urteilte ein Gericht über den Brandenburger Vorstoß: verfassungswidrig. Seither ist auch vom rot-rot-grünen Paritätsentwurf in Berlin nichts mehr zu hören. Ist da überhaupt nochmal was zu erwarten?

Nicht mehr in dieser Legislatur. Die große Koalition hat sich bewusst gegen eine gemeinsame Kommission entschieden, die an einem verfassungsgemäßen Gesetz arbeiten sollte.

Von 709 Abgeordneten im Bundestag sind nur 223 Frauen – 31,4 Prozent. Besonders niedrig ist der Frauenanteil in den Fraktionen der AfD (10,2 Prozent), CDU/CSU (20,7 Prozent) und FDP (23,8 Prozent). Die Grünen verzeichnen 56,7 Prozent Frauen, die Linken 53,6 Prozent. 2013 lag der Frauenanteil im Bundestag noch bei 37,3 Prozent.

Das Brandenburger Paritätsgesetz wurde wie der Berliner Vorstoß von den Grünen mitgestaltet und vorangetrieben. Was, wenn es bei dem Urteil bleibt, dass der Brandenburger Ansatz verfassungswidrig ist?

Die Tür ist immer noch offen für Parität. Aber wir müssen noch einen Weg finden, wie sie genau umzusetzen ist. Wir wollen diesen Weg weiter suchen – und wir denken, dass das eine fraktionsübergreifende Aufgabe ist.

Erwarten Sie, dass Union, AfD und FDP an einem Paritätsgesetz mitwirken? Sie würden bei ihren niedrigen Frauenanteilen erhebliche Nachteile für sich selbst schaffen.

Naja, wenn CDU und CSU auf der Höhe der Zeit sein wollen, würde ich das schon erwarten. Bislang bremsen sie sowohl im Bund als auch in den Ländern bei vielen gleichstellungspolitischen Fragen. Aber es gibt Frauen in der Union, die erkannt haben, dass es nicht reicht, auf Freiwilligkeit und Selbstverpflichtung zu setzen. Dazu genügt der Blick in die eigenen Reihen. Da gibt es bei vielen, nicht nur Frauen, die Erkenntnis: Hier braucht es politisches Handeln. Denen reichen wir die Hand.

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Und den Frauen bei der AfD, reichen Sie denen die Hand?

Die AfD ist für mich eine offen frauenfeindliche Partei, die Frauenrechte angreift, Frauenhass schürt. Unabhängig vom Geschlecht: Mit Rechtsextremen arbeitet man nicht zusammen.

Ein radikales Paritätsgesetz würde aber auch die AfD zu 50 Prozent Frauen verpflichten. Warum wollen die Grünen das überhaupt – wenn die Partei es doch selbst nicht will, wenn ihre Inhalte Frauen vielleicht auch stärker abstoßen?

Die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern ist im Grundgesetz verankert, als Pflicht für den Gesetzgeber, nicht als Nice-to-have. Als Demokratin denke ich, dass das die Leitlinie unserer Politik sein sollte. Nicht irgendwelche Einzelmeinungen.

Warum erhöhen sie in der Grünen-Fraktion nicht den Frauenanteil, werben für sich als Super-Frauenpartei – und die Oppositionsparteien bleiben bei ihren niedrigen Werten? Auch so wäre doch Ergebnisparität im Parlament möglich.

Weil wir nicht das Feigenblatt für das gleichstellungspolitische Versagen der anderen Parteien sind. Es geht um mehr als Parteitaktik oder unsinnige Rechenspiele. Die Demokratie bleibt unvollendet, solange die Hälfte der Bevölkerung nicht wirklich repräsentiert ist. Wir haben als Partei den Anspruch, Politik für die ganze Gesellschaft zu machen.

Was bringt der Frauentag bei konkreten Problemen wie Pflege, Parität? Die Autorin Margarete Stokowski hat getwittert: Sie kenne keine Frau, die zu feministischen Themen arbeite und sich über Anfragen zum Frauentag freue.

Ich bin auch frustriert angesichts der Ritualisierung dieses Tages, angesichts von Blumen und Dankesworten, die am nächsten Tag wieder vergessen sind. Aber ich halte diesen Tag dennoch für wichtig. Einerseits, weil er uns daran erinnert, was schon erreicht wurde. Bis 1962 durften Frauen zum Beispiel ohne Zustimmung ihres Ehemanns kein eigenes Bankkonto eröffnen. Das klingt mittelalterlich, ist aber nur 60 Jahre her. Gleichzeitig ist heute ein guter Tag, sich daran zu erinnern, dass es noch viel zu tun gibt. Die Diskriminierungen heute sind weniger offensichtlich als vor 60, 70 Jahren, das macht sie schwerer zu fassen, auch schwerer politisch zu ergreifen. Aber sie sind immer noch da.

Mit Blick auf die Bundestagswahl im Herbst: Kommt für Sie als Frauenpolitikerin bei den Grünen eine Koalition mit der Union überhaupt in Frage?

Die Union versperrt sich dem Fortschritt, auch bei fast allen frauenpolitischen Fragen, beispielsweise bei der Abschaffung des Paragraphen 219a oder echter Lohngleichheit. Wir fordern sie auch deswegen heraus und kämpfen um die Führung.

Schließt das eine schwarz-grüne Koalition für Sie also aus?

Wenn ich mir was wünschen könnte, wäre das ein grün-rotes Bündnis. Die Frage einer Koalition hängt aber am Ende immer vom Wahlergebnis ab.

Nach Ostern wollen die Grünen-Vorsitzenden entscheiden, wer als Kanzlerkandidat ins Rennen zieht: Kommt für Sie nur Annalena Baerbock in Frage oder darf es auch Robert Habeck sein?

Beide stehen für eine Politik der Gleichberechtigung – und sie entscheiden das im Team. Ich will vor allem, dass wir das Unwahrscheinliche möglich machen: dass wir dieses Land von der Spitze aus führen.

Verwendete Quellen
  • Videotelefonat mit Ricarda Lang
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