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Nord Stream 2: Merkels Rolle bei den Verhandlungen um russisches Gas


Neue Dokumente
Kommt ein Merkel-Untersuchungsausschuss?

Von t-online, jaf

19.05.2025 - 11:21 UhrLesedauer: 5 Min.
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Altkanzlerin Merkel (Archivbild): Welche Rolle spielte die Kanzlerin beim Bau von Nord Stream 2? (Quelle: Moritz Frankenberg/dpa/dpa-bilder)
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Angela Merkel hat stets versucht, ihre Rolle beim Bau von Nord Stream 2 herunterzuspielen. Neue Dokumente zeigen, welche Rolle das Kanzleramt tatsächlich spielte.

Kaum ein westlicher Regierungschef hat so häufig mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin geredet wie Angela Merkel. Die ehemalige Kanzlerin spricht Russisch, der Kreml-Chef beherrscht die deutsche Sprache. Eine besondere Beziehung zu Putin stritt Merkel allerdings immer ab.

Ob sie einen besonderen Draht zu Putin habe, wurde sie einst gefragt. "Ich weiß nicht, ich habe erst mal eine ganz normale Telefonverbindung zu ihm", antwortete sie scherzhaft ausweichend. Ein ähnliches Verhalten zeigte die frühere Bundeskanzlerin auch hinsichtlich russischer Gaslieferungen und dem Bau der Pipeline Nord Stream 2. Merkel versuchte stets, ihren Einfluss herunterzuspielen – insbesondere nachdem Russland 2022 die Ukraine angegriffen hatte und Deutschland vor einer Gasmangellage stand.

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Doch nun zeigen von der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlichte Papiere, dass Merkels Befürwortung des Projekts im Hintergrund offenbar doch größer war, als sie zunächst zugeben wollte. Die Zeitung hat die Papiere juristisch erstritten, nachdem das Bundeskanzleramt diese zunächst nicht hatte herausgeben wollen.

Doppelstrategie des Kanzleramts

Die Dokumente zeigen eine Doppelstrategie des Kanzleramts. So legte das Kanzleramt einerseits großen Wert darauf, die eigene Rolle herunterzuspielen, obwohl es andererseits "intensiv" in die Entscheidungsprozesse eingebunden war. "Die BReg [Bundesregierung] sollte ihre neutrale Position beibehalten", heißt es in einem internen Vermerk. Das Ziel war es, die Unterstützung für Nord Stream 2 diskret voranzutreiben, ohne politisch angreifbar zu sein.

Die Gaspipeline Nord Stream 2 sollte mit zwei weiteren Röhren Gas vom russischen Ust-Luga ins deutsche Lubmin transportieren. Nach einem Anschlag wurde sie allerdings nie in Betrieb genommen. Bereits 2015 hatte der deutsche Konzern BASF im Rahmen des Baus Anteile an westsibirischen Gasfeldern erhalten. Im Gegenzug übernahm der russische Gaskonzern Gazprom das deutsche Gasspeichergeschäft der BASF-Tochter Wintershall – und damit auch die Kontrolle über zahlreiche deutsche Speicher.

Nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine waren diese plötzlich leer. Deutschland stand vor einer großen Herausforderung, die Energieversorgung für den Winter zu sichern. Die Abhängigkeit von Russland stellte sich als fatal heraus.

Wurde Gazproms Rolle unterschätzt?

Das Kanzleramt hatte dies 2015 offenbar noch deutlich anders eingeschätzt. Das Risiko wurde zwar in einem internen Vermerk thematisiert, wie die Dokumente der "Süddeutschen Zeitung" zeigen. "Durch Kontrolle wichtiger Gasspeicher (Befüllung, Funktionsfähigkeit) wird Gazprom für die Versorgungssicherheit der Kunden unmittelbar verantwortlich", heißt es in dem Vermerk. Das Wort "Versorgungssicherheit" ist im Dokument gefettet – ein Hinweis auf die strategische Bedeutung dieses Schritts.

Beamte des Kanzleramts bewerteten den Deal dennoch zunächst als unbedenklich: "Materiell dürfte der Asset-Tausch nach wie vor jedoch unbedenklich sein, da Gazprom bereits substanziell an den betroffenen deutschen Gasaktivitäten beteiligt ist."

Im September 2021, kurz vor Merkels Ausscheiden aus dem Amt, wurde ein weiterer Vermerk angefertigt, der auf die "verhältnismäßig niedrigen Füllstände der europäischen Gasspeicher" hinwies. Trotzdem sah das Wirtschaftsministerium "keinen Anlass zur Sorge", solange Russland stabil lieferte.

Die Abhängigkeit der Ukraine als Transitland wurde damals noch nicht kritisch gesehen. Die Ukraine versäume es "schon seit Jahren", ihr Gastransportsystem zu modernisieren, so ein Vermerk.

In Memoiren stellt sich Merkel kritisch dar

In ihren Memoiren "Freiheit", die sie 2024 veröffentlichte, schreibt Merkel dann: "Die Ukraine war auf die Einnahmen aus den Transitgebühren angewiesen." Deshalb habe sie Putin "seit unserem ersten Gespräch über Nord Stream 2 deutlich gemacht, dass ich eine Inbetriebnahme der Pipeline nur dann akzeptieren würde, wenn die Ukraine auch nach dem Auslaufen ihres damals gültigen Transitvertrags 2019 einen Anschlussvertrag mit Gazprom abschließen konnte."

Generell stellt sie sich als kritischer gegenüber dem Vorhaben dar: "Während ich 2005 bei Nord Stream 1 keine Bedenken gehabt hatte, war mir bei Nord Stream 2 klar, dass es mehr zu berücksichtigen galt als die Argumente der am Bau beteiligten Unternehmen und der Wirtschaft insgesamt."

Allerdings zeigen die der "Süddeutschen Zeitung" vorliegenden Papiere, dass das Kanzleramt unter Merkel wenig unternommen hat, um das Projekt ernsthaft zu gefährden. So argumentieren Beamte aus dem Kanzleramt in einem Papier, Nord Stream 2 falle nicht unter die nach der Krim-Annexion 2014 beschlossenen Sanktionen gegen Russland, und auch das Außenwirtschaftsgesetz biete keine Handhabe. Eine Alternative wird nicht aufgezeigt. Merkel winkte den Deal letztlich durch.

Merkel wahrte neutrale Rolle gegenüber Partnern

Dementsprechend war man sich im Kanzleramt bewusst, vorsichtig vorgehen zu müssen. "Wir sollten (…) aktiv und transparent ggü. diesen Partnern die Hintergründe (mangelnde rechtliche Handhabe, unternehmerische Entscheidung) kommunizieren", heißt es. Merkel unterstrich das Wort "transparent" mit grüner Kanzlertinte. Zudem sollte offenbar in der EU für die deutsche Position geworben werden, was letztlich ohne Erfolg blieb.

Als die USA im Jahr 2020 härtere Sanktionen gegen Nord Stream 2 vorbereiteten, empfahlen Merkels Berater, öffentliche Reaktionen zu vermeiden: "Daher erscheinen öffentlichkeitswirksame Reaktionen Deutschlands auf die neuen US-Sanktionspläne derzeit nicht zielführend." Stattdessen sollte die Bundesregierung "vorsichtig" agieren, um keine negative Aufmerksamkeit zu erregen. In einem Vermerk heißt es weiter, dass die Reaktionen besser auf EU-Ebene erfolgen sollten, um die Erwartungen von Nord Stream 2 und der beteiligten Unternehmen zu "dämpfen." Erst als Joe Biden US-Präsident wurde, entspannte sich die Lage für Nord Stream 2.

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Merkel verteidigte ihr Vorgehen auch nach Beginn des russischen Angriffskriegs. Es sei "sehr rational und nachvollziehbar" gewesen, russisches Gas zu beziehen. Ferner sei Russland "selbst im Kalten Krieg (...) ein verlässlicher Energielieferant" gewesen, sagte sie 2022. "Und insofern bereue ich Entscheidungen überhaupt nicht, sondern glaube, dass das aus der damaligen Perspektive richtig war."

Die neuen Dokumente zeigen allerdings auch, dass mögliche Risiken dem Kanzleramt bewusst waren. Sie könnten die Aussagen der Ex-Kanzlerin in ein neues Licht rücken.

Deutliche Kritik an Merkels Vorgehen

Das Vorgehen löst bei der Opposition Kritik aus. Michael Kellner (Grüne), ehemaliger Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, sagte der "Süddeutschen Zeitung", das "fadenscheinige Kartenhaus vom angeblich privatwirtschaftlichen Projekt Nord Stream" sei zusammengebrochen. Er fordert: "Friedrich Merz möchte vieles anders machen. Er sollte damit anfangen, dass er aktiv aufklärt, was seine Vorgänger im Kanzleramt getan haben."

Grünen-Parteichef Felix Banaszak fordert derweil gar einen Untersuchungsausschuss: "Ohne ernsthafte parlamentarische Aufklärung werden die bis heute offenen Fragen nicht zu klären sein."

Es ist aber fraglich, ob es dazu kommt. Dafür bräuchte es einen Antrag von einem Viertel der Abgeordneten. Diese Zahl würden die Grünen gemeinsam mit der Linken knapp verpassen. Die Regierungsparteien der Union und SPD dürften sich dem Vorhaben verweigern, da eigene Politiker involviert sind. Und auf Stimmen der AfD wollen Grüne und Linke nicht angewiesen sein.

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