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Klimawandel: AfD versucht's mit Klima – Ist die populistische Welle gebrochen?


AfD versucht's mit Klima
Ist die populistische Welle gebrochen?

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

Aktualisiert am 03.10.2019Lesedauer: 5 Min.
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AfD-Politikerinnen Gauland und Weidel: "Heute redet die Welt nur noch vom Klimaschutz, nun wird das eben Markenkern der Partei."Vergrößern des Bildes
AfD-Politikerinnen Gauland und Weidel: "Heute redet die Welt nur noch vom Klimaschutz, nun wird das eben Markenkern der Partei." (Quelle: imago-images-bilder)

Die AfD will den Widerstand gegen die Klimaschutz-Pläne zu ihrem neuen Hauptthema machen. In Europa stürzen ihre Brüder und Schwestern im Geiste reihenweise ab. Hat der (Rechts-)Populismus fertig?

Nach dem Kampf gegen Euro- und Zuwanderer kommt der Kampf gegen Klimaschutz-Politik. Die Anti-Greta-Bewegung soll die AfD in die Zukunft tragen. Das hat Parteichef Gauland jetzt angekündigt. Populism at its best: Als die Europolitik in der Öffentlichkeit das Hauptthema war, stürzte sich die AfD darauf. Als die sogenannte "Flüchtlingskrise" inklusive pegidistischer Hetze ab 2015 alle umtrieb, sprangen sie rasch auf diesen Zug auf. Heute redet die Welt nur noch vom Klimaschutz, nun wird das eben Markenkern der Partei.

Dass die AfD freilich die berechtigten Sorgen vor möglicherweise zu hohen Belastungen oder zu starken Einschränkungen durch die Klimaschutzmaßnahmen abfangen könnte, verspricht ebenso erfolglos zu werden, wie ihre einstigen Bemühungen um eine Änderung der Euro-Politik.

Lässt die AfD Muslime jetzt in Frieden?

Hat ihr lautstarkes Getrommel irgendetwas in ihrem Sinne erwirkt? Nein. Die Euro-Rettung lief exakt so ab, wie Wolfgang Schäuble es als Bundesfinanzminister damals wollte. Die AfD hat hier gar nichts erreicht. Seit den Abgängen von Parteigründer Bernd Lucke und seinem Stellvertreter Hans-Olaf Henkel vor vier Jahren ist es hinsichtlich der Euro-Rettung auf Seiten der AfD ziemlich, ziemlich still geworden. Erstaunlich? Mitnichten. In einer populistischen Partei, die seismografisch den Erschütterungen in Teilen der Gesellschaft nachspürt, regt sich eben nichts mehr, wenn ein Thema keine Konjunktur mehr hat.

Aber Moment mal. Bedeutet das etwa auch eine Flaute in der Islam-Konjunktur? Wenn die AfD auf Anti-Klimaschutz einschwenkt, ist ihre Auseinandersetzung mit Islam, Flüchtlinge, Einwanderung etc. dann etwa tot?

Die breite Masse scheint genervt

Man könnte auf den Gedanken kommen. Islambücher verkaufen sich nicht mehr so gut wie noch vor Jahren. Medienberichte zum Islam werden oft nur noch von den üblichen Verdächtigen gelesen, kommentiert und geliked. Die breite Masse scheint von "Islam" bloß genervt zu sein, was nach fast 20 Jahren Dauerdebatten mit Diffamierungen, Vorurteilen, Halbwahrheiten, Lügen, Krakeelerei sowie Relativierungen, Klarstellungen, Berichtigungen, Versachlichungen im Gegenzug und unzähligen Redundanzen bei den tatsächlichen Problemen nur allzu verständlich wäre. Ähnlich scheint es beim Thema Flüchtlinge zu sein, was auch kein Selbstläufer der Aufmerksamkeitsökonomie mehr ist.

Es ist somit folgerichtig, wenn die AfD jetzt auf Antiklimaschutz umsattelt. Ein Abschwung ihrer Kernthemen schickt zwangsläufig auch ihren politischen Kurs auf Sinkflug, auf anderen politischen Gebieten hat sie bekanntlich nichts zu bieten.

Höckes "Goebbels-Imitation" zieht auch nicht mehr so

Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg vor einem Monat blieben die ganz großen Erfolge aus: Die AfD konnte absolut gesehen weniger Bürgerinnen und Bürger überzeugen als bei der Bundestagswahl 2017, erklärte Forsa-Chef Manfred Güllner. Und auch Björn Höcke mit seiner "Goebbels-Imitation", wie es Jan Fleischhauer jüngst für den Focus ganz trefflich ausdrückte, wird Ende Oktober nicht das Ergebnis bei der Landtagswahl in Thüringen einfahren, was er sich insgeheim erhofft.

Flankiert werden diese Momentaufnahmen der AfD durch das Abschmieren der FPÖ am vergangenen Sonntag in Österreich und das spätsommerliche Scheitern des Mateo Salvini in Italien. Selbst in der Schweiz muss die Mutter aller rechtspopulistischen Parteien, die SVP, mit Stimmenverlusten bei den Nationalratswahlen in zwei Wochen rechnen – während den Grünen deutliche Stimmenzuwächse winken.

Wer kennt noch Geert Wilders?

Die Griechen haben im Juli die linkspopulistische Syriza gestutzt, auch wenn deren Chef Alexis Tsipras als Regierungschef alles andere als "radikal" war. In der Slowakei gewann Zuzana Caputová im April ganz ohne Hetze die Präsidentschaftswahl gegen die Populisten in ihrem Land. Recep Erdogan laufen die Weggefährten weg, in Istanbul wurde seine AKP im Sommer gleich zweimal unter dem Triumphgeschrei der politischen Gegner aus dem Rathaus getrieben. Hat eigentlich noch mal jemand etwas von Geert Wilders in den Niederlanden gehört?

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In London stümpert Boris Johnson bei der Umsetzung des Brexit; mit ungewissem Ausgang. Und über den großen Teich kommen die unendlichen erschreckenden Nachrichten von Donald Trump und Jair Bolsonaro, die ihren Ländern bloß Ärger machen.

Vorsicht: Die Rechten werden nicht aufgeben

Haben wir also den Scheitelpunkt der populistischen Parabel im 21. Jahrhundert vielleicht schon durchlaufen? Haben die Populisten abgewirtschaftet? Sich selbst aufs Kreuz gelegt? Ihre mangelnden Fähigkeiten endlich unter Beweis gestellt? Man könnte glatt auf diese hoffnungsvolle Idee kommen, wenn man sich umschaut. Doch Vorsicht. Es ist zu schön, um wahr zu sein.

Die Populisten haben leider noch lange nicht fertig. Ihre EU-Feindlichkeit werden sie nicht aufgeben. Rassismus ist fester Bestandteil aller Gesellschaften; selbst nach den grausamen Erfahrungen des 19. und 20. Jahrhunderts ist es nicht gelungen, ihn zu überwinden. Nach wie vor gepflegt wird das Feindbild Islam. Vergangene Woche haben wir eine quantitative Teilstudie unseres Forschungsprojekts zur Islamfeindlichkeit im Jugendalter an der Universität Duisburg-Essen unter dem Titel "Muslime ja, Islam nein?" veröffentlicht, und die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Denkmuster der Erwachsenen von jungen Leuten weiter in die Zukunft getragen werden.

Die Populisten könnten jederzeit neu auftrumpfen

Die jüngsten Niederlagen der Populisten vermitteln eine trügerische Ruhe. Sie könnten jederzeit neu auftrumpfen, mancherorts sind sie allenfalls ein schlummernder Riese. Die Gefahr des Islamismus ist nicht aus der Welt, ein, zwei, drei größere Vorfälle und der Riese könnte wieder erwachen.

Flucht und Vertreibung wird uns weiterhin beschäftigten – vor allem wenn der Klimawandel die Ursachen in den kommenden Jahren noch verschärft. Italiens Schuldenberg ist gigantisch und die Gefahr einer neuen Eurokrise nicht ausgeschlossen. Das ist der Stoff, aus dem die Träume der Populisten gemacht sind.

Populismus bleibt DIE politische Herausforderung

Und vergessen wir am Ende nicht, in Spanien ist die Vox-Partei im April mit wehenden Fahnen erstmals in ein Abgeordnetenhaus eingezogen. Bei der Europawahl in Frankreich wurde Marine Le Pens Rassemblement National (RN) stärkste Kraft. Viktor Orban hält sich tapfer in Ungarn, und in Polen winkt der PiS nächste Woche ein weiterer großer Wahlerfolg.


Das Potenzial des Populismus und insbesondere des Rechtspopulismus bleibt neben Klima- und Umweltschutz DIE politische Herausforderung unserer Zeit. Niemand sollte sich darauf freuen, die Hände in den Schoß legen zu können.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir geschrieben, dass Vox erstmals in ein Unterhaus eingezogen ist. Richtig ist, dass es ein Abgeordnetenhaus war. Wir haben den Text entsprechend korrigiert.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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