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Öffnung des Corona-Lockdowns: Niemand blickt mehr durch


Öffnung des Corona-Lockdowns
Niemand blickt mehr durch

MeinungVon Patrick Diekmann

25.02.2021Lesedauer: 7 Min.
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Angela Merkel bei einer Pressekonferenz: Die Kanzlerin hat angekündigt, einen Öffnungsplan ausarbeiten zu lassen.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel bei einer Pressekonferenz: Die Kanzlerin hat angekündigt, einen Öffnungsplan ausarbeiten zu lassen. (Quelle: Reuters-bilder)

Deutschland sucht nach einer Öffnungsstrategie. Trotz der nächsten Corona-Welle preschen Bundesländer vorschnell mit eigenen Lockerungen und Plänen vor, mal wieder. Das Vorgehen kostet Vertrauen.

Die große Verkündung von Öffnungsplänen ist in der Corona-Pandemie ein gefährliches Spiel mit den Hoffnungen der Menschen. Viele Bundesländer veröffentlichten in dieser Woche ihre eigenen Strategien, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) lässt einen Stufenplan ausarbeiten und auch das Robert Koch-Institut (RKI) vertritt eigene Vorstellungen.

Das Problem: Die Öffnungspläne haben ein brüchiges Fundament. Die Maßnahmen werden ausgerechnet in der Zeit gelockert, in der die nächste Corona-Welle auf Deutschland trifft. Niemand kann verlässlich voraussagen, wie sich diese Welle und die zunehmende Dominanz der Mutationen auf die Pandemie auswirken. Niemand weiß, ob die Infektionszahlen mit Hilfe der Corona-Schnelltests eingedämmt werden können. Trotz dieser Ungewissheit öffnet die Politik den Lockdown teilweise, gefährdet damit die Erfolge der massiven Einschränkungen der letzten Monate – und weitere Menschenleben. Das kostet Vertrauen.

Bund und Länder gehen hohes Risiko ein

Dabei ist der politische Impuls, Öffnungspläne auszuarbeiten, richtig und wichtig. Die Bevölkerung leidet zunehmend unter dem Lockdown, wirtschaftlich und psychisch. Der Druck auf die Politik – endlich einen Ausweg aus dem Dilemma zu präsentieren – wächst zunehmend. Eine Exit-Strategie kann den Menschen Hoffnung geben. Ein gemeinsames Vorgehen und eine ehrliche Kommunikation wären dabei entscheidend. Denn die Wut in der Bevölkerung wird immer größer, wenn die Pläne nicht funktionieren. Das stellte zuletzt Gesundheitsminister Jens Spahn fest, als er den Start von kostenlosen Corona-Schnelltests doch noch einmal verschieben musste. Auch das kostete Vertrauen.

Bund und Länder gehen demnach mit ihrer Öffnungs- und Lockerungspolitik hohe Risiken ein. Zusätzlich ist diese Strategie verwirrend für die Bevölkerung: Einerseits wird gelockert, anderseits wird vor einer neuen Pandemie durch die gefährlichen Mutanten B.1.1.7 und B.1.351 gewarnt. Wenn die Kanzlerin oder der bayerische Ministerpräsident Markus Söder in einer Pressekonferenz von der ernsten Bedrohung durch die Mutanten sprechen und gleichzeitig Lockerungspläne verkünden, passt das nicht zusammen.

Es droht ein Flickenteppich

Damit die Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung nicht größer wird, müssen Bund und Länder sich auf eine gemeinsame, bundesweite Öffnungsstrategie einigen. Einen beispielhaften Überblick über die unterschiedlichen Maßnahmen finden Sie am Ende dieses Textes. Er zeigt einige Probleme:

Die Bundesländer setzen mit der Öffnung von Schulen und Friseurläden hauptsächlich Beschlüsse des letzten Corona-Gipfels am 10. Februar um. Alles darüber hinaus – wie beispielsweise die Öffnung von Baumärkten und Gartencentern – sind individuelle Vorstöße.

Ein Flickenteppich ist es momentan aber vor allem deshalb, weil die Länder eigene Öffnungspläne erarbeiten – in der Hoffnung, dass sich auf Grundlage dieser Pläne eine gemeinsame Strategie beim nächsten Corona-Gipfel am 3. März finden lässt. Das bedeutet aber auch: Aktuell könnten Pläne verkündet werden, die dann auf dem Gipfel vielleicht wieder einkassiert werden. Maximal verwirrend.

Abkehr von der Sieben-Tage-Inzidenz 35

In jedem Fall muss die Pandemie weiter eingedämmt werden, bevor ein Öffnungsplan überhaupt aktiviert wird. Dabei kündigt sich ein Abschied von der Sieben-Tage-Inzidenz als zentraler Indikator für Lockerungen an. Kanzlerin Merkel versteckte diesen politischen Sprengsatz gut im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Derzeit rücke das Erreichen der für weitere Corona-Lockerungen vorgesehene Inzidenzwert von 35 angesichts der Ausbreitung der Virus-Mutationen "wieder in größere Ferne", sagt die Kanzlerin erst. "Ob wir mit einer deutlich größeren Zahl von Schnelltests einen Puffer schaffen können, werde ich mit den Ministerpräsidenten und -präsidentinnen am 3. März beraten", fügt sie hinzu.

Im Klartext: Merkel räumt erstmals ein, dass es in der Lockerungsdebatte nicht mehr beim Beschluss vom 10. Februar bleiben dürfte, dass der Einzelhandel erst ab einer "stabilen" Sieben-Tage-Inzidenz von 35 öffnen kann. Auch das ist nach den letzten zwei Monaten mit dem ausschließlichen Fokus auf diesen Wert wenig verständlich.

Es wäre ein Paradigmenwechsel, der sich nach Angaben aus Regierungskreisen durch zwei Entwicklungen erklären lässt. Zum einen weist Merkel selbst darauf hin, dass heute, anders als nach der ersten Welle 2020, mehr Maßnahmen zur Verfügung stehen, um Öffnungsschritte so abzusichern, dass die Infektionszahlen nicht sofort wieder in die Höhe schießen müssen. Zum anderen gilt wegen der fortschreitenden Impfung der Älteren nicht mehr, dass fast automatisch ein gewisser Prozentsatz an Infizierten auf der Intensivstation landet und dann stirbt.

Unheil durch falsche Versprechungen

Vor dem möglicherweise richtungsweisenden Corona-Gipfel stecken die politischen Entscheidungsträger im Dilemma. Wenn sie nicht haltbare Hoffnungen wecken, können sie viel Unheil anrichten. Wir wissen noch nicht, wie Selbsttests die Pandemie in Deutschland beeinflussen. Wir wissen nicht, welche Konsequenz die Ausbreitung der Mutationen hat. Deswegen stehen Hoffnungen der Politik den Hoffnungen der Bevölkerung gegenüber, die Lockerungen immer stärker herbeisehnen.

Aber wenn die Politik mit ihren Plänen, Ankündigungen und Versprechen nicht enttäuschen möchte, braucht es vor allem Klarheit in den politischen Entscheidungen. Neben der Hoffnung auf ein Ende der Pandemie sehnt sich ein großer Teil der Bevölkerung auch nach einer gewissen Planbarkeit. Werden Hoffnungen weiterhin erst geweckt und dann enttäuscht, Pläne umgeworfen, neue Grenzwerte ausgegeben, schadet das unserem engsten Verbündeten in dieser Krise: der Eigenverantwortung der Menschen.

Ein beispielhafter Überblick über den Flickenteppich der Lockerungsmaßnahmen (Stand: 25. Februar):

Baden-Württemberg

  • Friseure, Baumärkte, Gartencenter und Blumenläden dürfen ab dem 1. März öffnen.
  • Weitere "leichte Öffnungen" könne es auch geben, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz unter 35 pro 100.000 Menschen sinke, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
  • Kretschmann kann sich die Lockerung der Kontaktbeschränkungen auf zwei Haushalte vorstellen.
  • "Click and Meet"-Konzept ist möglich: Kunden können Termine mit Einzelhändlern für Ladenbesuche und Anproben vereinbaren.

Bayern:

  • Söder kündigte die Öffnung von Baumärkten, Gartencentern, Friseuren und Nagelstudios ab dem 1. März an.
  • Musikschulen dürfen Einzelunterricht anbieten, wenn in ihrem Gebiet die Sieben-Tage-Inzidenz unter 100 liegt.

Berlin

  • Senat ist gegen rasche Lockerungen, wegen der Ausbreitung der Mutationen.
  • Schulen und Friseure dürfen ab dem 1. März öffnen.
  • Stufenplan sieht Lockerungsschritte erst ab einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche vor.

Brandenburg

  • Friseursalons, Gartenmärkte und Blumenläden dürfen ab 1. März wieder öffnen.
  • Ministerpräsident Dietmar Woidke setzt auf die Politik der kleinen Schritte.
  • Zoos und Tierparks sind schon seit Mitte Februar geöffnet.

Bremen

  • Kitas gehen ab dem 1. März in den Regelbetrieb zurück.
  • Grundschulen sollen ab demselben Datum in voller Klassenstärke zum Präsenzbetrieb zurückkehren. An weiterführenden Schulen gibt es weiterhin Unterricht in Halbgruppen im Wechselsystem.

Hamburg

  • Ab dem Wochenende gilt an allen Orten eine Maskenpflicht, an denen Mindestabstände nicht eingehalten werden können.
  • Keine Öffnung von Blumenläden und Gartencentern.
  • Anstieg der Neuinfektionen führte zu Verschärfung der Maßnahmen.

Hessen

  • Friseure dürfen ab dem 1. März wieder öffnen.
  • Schon ab dem 22. Februar gibt es Wechselunterricht an Schulen bis zur 7. Klasse.
  • "Click and Meet"-Konzept ist möglich: Kunden können Termine mit Einzelhändlern für Ladenbesuche und Anproben vereinbaren.

Mecklenburg-Vorpommern

  • Friseursalons und Gartenbaucenter dürfen ab dem 1. März wieder öffnen.
  • In Regionen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von unter 35 je 100.000 Einwohner dürfen auch Kosmetiker, Fußpfleger und Nagelstudios wieder Kunden empfangen.
  • In den übrigen Regionen treten diese Regelungen eine Woche später, am 8. März, in Kraft. Dann dürfen Besucher auch wieder in die Außenbereiche der Zoos kommen.
  • Der Einzelhandel soll mit begrenzter Kundenzahl wieder öffnen, sobald landesweit der Inzidenzwert stabil unter 35 liegt. Öffentliche und private Schulen sollen dann generell wieder zum Regelbetrieb übergehen. Etwas später können auch Museen öffnen und Märkte abgehalten werden.
  • Zeitversetzt sollen später Gaststätten und Hotels zunächst nur für Gäste aus Mecklenburg-Vorpommern öffnen. Konkrete Starttermine wurden nicht genannt.

Niedersachsen

  • Kitas und Grundschulen sind seit dem 22. Februar geöffnet.
  • Weiterführende Schulen bleiben geschlossen – ausgenommen Abschlussklassen.
  • Friseurläden öffnen ab dem 1. März wieder.

Nordrhein-Westfalen

  • Auch in NRW dürfen Friseure ab dem 1. März wieder öffnen.
  • Seit dem 22. Februar ist Sport an Anlagen im Freien und Einzelunterricht in Musikschulen wieder erlaubt.
  • Auch der Unterricht an Grundschulen und für Abschlussklassen wurde seit dem 22. Februar teilweise zu Präsenzunterricht umgestellt.

Rheinland-Pfalz

  • Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer sprach sich im Interview mit t-online für eine Lockerung der Kontaktbeschränkungen aus: "Wir sollten zur alten Regel zurück: Es dürfen sich zwei Familien oder Hausstände, maximal fünf Personen treffen, ohne dass die Kinder mitzählen."
  • Einkaufen im Bekleidungsgeschäft ist ab 1. März nach Terminvereinbarung erlaubt.
  • Öffnung der Friseure und Fahrschulen kommt zum 1. März.
  • Grundschulen sind ab dem 22. Februar geöffnet.

Saarland

  • In Schulen startet der Wechselunterricht ab dem 8. März.
  • Grundschulen bieten schon ab dem 22. Februar Wechselunterricht an.
  • Ab dem 15. März soll es auch ab Klasse 11 der Gymnasium und der Klasse 12 an Gesamtschulen Präsenzunterricht geben.

Sachsen

  • Schon seit dem 15. Februar sind Kitas und Grundschulen wieder geöffnet.
  • Friseure öffnen am 1. März wieder, auch Fahrschulen können besucht werden, wenn die Ausbildung unbedingt erforderlich ist.
  • Wenn die Inzidenz unter 100 liegt, dürfen Kommunen den 15-Kilometer-Radius und Ausgangsbeschränkungen lockern.
  • Im Einzelhandel wird "Click & Collect" möglich sein.
  • In Einzelfällen darf der Unterricht an Musikschulen für Einzelpersonen erlaubt werden.

Sachsen-Anhalt

  • "Wir müssen raus aus dem Lockdown", sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff.
  • In Sachsen-Anhalt dürfen neben den Schulen und Friseuren ab 1. März auch mehrere Wirtschaftszweige wieder öffnen.
  • Gartenmärkte, Gärtnereien, Blumenläden sowie Baumärkte, Fahr- und Flugschulen könnten ab kommender Woche wieder den Betrieb aufnehmen.

Schleswig-Holstein

  • Seit dem 22. Februar sind Kitas und Grundschulen dort wieder geöffnet, wo die Inzidenz unter 100 liegt.
  • Friseure und Nagelstudios können ab dem 1. März wieder besucht werden.
  • Außerdem ist auch ab März Individualsport wieder möglich, draußen und in Hallen.
  • Ab März öffnen Blumenläden, Gartencenter, Wildparks und Zoos.

Thüringen

  • Ab dem 1. März dürfen auch in Thüringen Friseure und Gärtnereien wieder öffnen.
  • Außerdem können seit dem 22. Februar Grundschüler und Kindergartenkinder wieder in die Einrichtungen, die im eingeschränkten Regelbetrieb arbeiten.
  • Allerdings stoppte die Landesregierung eine Rückkehr der Kinder in die Schulen und Kitas in jenen Landkreisen, die Infektionszahlen von mehr als 200 Neuinfektionen pro 100.000 haben.
Verwendete Quellen
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