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Wie der CDU-Chef Söder ausbremste: Armin Laschet – der Python


Wie der CDU-Chef Söder ausbremste
Armin Laschet, der Python


Aktualisiert am 21.04.2021Lesedauer: 7 Min.
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Strahlender Sieger: Armin Laschet wird Kanzlerkandidat der Union.Vergrößern des Bildes
Strahlender Sieger: Armin Laschet wird Kanzlerkandidat der Union. (Quelle: imago-images-bilder)

Allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz hat sich Armin Laschet gegen den wohl machthungrigsten Politiker der Republik durchgesetzt. Wie hat er das Kunststück vollbracht? Rekonstruktion eines Pyrrhussiegs.

Sonntag vor einer Woche, 11. April, um 15.28 Uhr in Berlin: Markus Söder lächelt. Er schaut intensiv in die Fernsehkameras und sagt: "Ich habe das für mich selbst gewogen und meine Bereitschaft heute erklärt." Gemeint ist die eigene Kanzlerkandidatur. Söder setzt aber hinzu: "Wenn die große Schwester sagt: Das ist nicht ihr Vorschlag, sie hat einen anderen Vorschlag, dann würden wir das auch akzeptieren." Mit der großen Schwester ist die CDU gemeint. Söder sieht selbstbewusst aus, also alles wie immer.

Dann, der gestrige Dienstag, 20. April, kurz nach 12 Uhr in München: Markus Söder wirkt erschöpft, doch er kommt sofort zum Punkt: "Die Würfel sind gefallen. Armin Laschet wird Kanzlerkandidat der Union." Söder liest selbst solche einfachen Sätze von einem Blatt vor sich ab. Er bedankt sich bei "den Mutigen" der Partei, gemeint sind vor allem seine zahlreichen Unterstützer. Kurz darauf ist die Pressekonferenz beendet und Söder wieder verschwunden.

Die beiden Aussagen von Markus Söder setzen den Rahmen einer spektakulären Auseinandersetzung: Dazwischen liegen die 212 Stunden des dramatischsten Machtkampfs in der Geschichte von CDU und CSU. Fast hätte es die Union dabei zerrissen. Und noch ist völlig offen, ob alle Wunden wieder heilen.

Dass ausgerechnet Armin Laschet den Umfragekönig Söder aus München niederrang, bedeutet einen beispiellosen politischen Sieg. Der ewig Unterschätzte hat es dem wohl machthungrigsten Politiker der Republik gezeigt. Wahrscheinlich auch zu dessen Überraschung.

Was der Sieg wert ist, wird sich aller Voraussicht nach erst bei der Bundestagswahl klären. Doch was jetzt schon bekannt ist: Die Art und Weise, wie das machiavellistische Kunststück gelang. Laschet nutzte die Technik der Würgeschlange, er drückte Söder am Schluss politisch die Luft ab. Deshalb hatte der CSU-Chef letztlich keine Wahl. Er musste zurückziehen.

Danach sah es lange nicht aus. Denn zwischen dem Sonntag der vergangenen Woche und gestern gab es vier entscheidende Wendepunkte.

1. Söders Überraschungscoup: Der Kampf ist eröffnet

"Wird spannend, wie unsere Eliten darauf reagieren." (SMS eines CDU-Bundestagsabgeordneten über Söders Bereitschaft zur Kanzlerkandidatur)

"Es war ein historischer Moment." (SMS eines Mitglieds der Fraktionsspitze über die Eröffnung des Duells)

Monatelang waren Armin Laschet und Markus Söder um die Kanzlerkandidatur herumgeschlichen wie zwei Katzen um eine Maus. Die Frage war: Wer schlägt zuerst zu? Am Sonntag vor einer Woche wird klar: Beide. Und zwar gleichzeitig.

Vor den Spitzen der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag erklären Laschet und Söder, dass sie kandidieren wollen. Söder plädiert aber dafür, die CDU müsse ihn "breit unterstützen". Wenn die CDU ihn nicht wolle, dann bleibe "kein Groll".

Eigentlich hat Laschet das sogenannte Erstzugriffsrecht auf die Kandidatur, weil er der Chef der zwar leiseren, aber viel größeren Partei ist. Doch Laschet hat nach seiner Wahl zum CDU-Chef im Januar lange gezögert, es verging der Februar und der März. Laschet sagte nichts – und plötzlich war Markus Söder in Berlin: Hier sitze ich, ich kann nicht anders.

Dieser Sonntag markiert die Eröffnung des Machtkampfs.

Vor den Fernsehkameras wird zwar versichert, die Sache in aller Freundschaft zu klären. Doch ab diesem Zeitpunkt stellen Laschet und Söder ihre Truppen auf, beide führen zahlreiche Gespräche mit den wichtigsten Akteuren ihrer Parteien. Es wird jetzt ernst, sehr ernst. So viel ist klar.

Am nächsten Tag stellt sich das CDU-Präsidium mit dem Vorstand hinter Laschet. Der Druck auf Söder wächst, eigentlich müsste er seinen eigenen Worten zufolge jetzt schon zurückziehen.

Doch so schnell gibt ein Markus Söder nicht auf. Er entscheidet sich statt eines Rückzugs für eine Attacke: Man müsse tiefer in die CDU hineinhorchen, um herauszufinden, wer Kanzlerkandidat werden solle, sagt er. Und benutzt am Montag ein Wort, das später noch eine große Rolle spielen wird: "Hinterzimmer". Er meint damit Präsidium und Vorstand der CDU, immerhin ein paar Dutzend demokratisch gewählte Politiker.

Es ist die erste scharfe Attacke. Söder, der Liebling der Massen, setzt auf die Macht der Basis. Eine Bewegung von unten soll ihn ins Kanzleramt tragen.

Trotzdem wähnt sich Laschet noch weitgehend in Sicherheit. Er ist ein Vollblutpolitiker: Laschet weiß um die Macht von Gremien, er vertraut auf die große Unterstützung der wichtigsten Politiker in der CDU. Kein Grund zur Sorge, findet er. Schließlich gab es im Spitzengremium der Partei keine Revolte gegen ihn. Daher glaubt Laschet: Soll Söder in München doch poltern, wie er will, Berlin ist weit weg.

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2. Die Fraktion begehrt auf: Laschet schlingert

"Glaubt der liberale Laschet im Ernst, er wirft uns ein paar Brocken hin und dann halten wir den Mund?" (Internes Zitat eines Mitglieds des konservativen CDU-Wirtschaftsflügels während der laufenden Fraktionssitzung)

Doch dann zeigt sich, dass Laschet seine Gewissheit wenig hilft. Montagnacht wird klar, dass Söder am Dienstag in die Unions-Bundestagsfraktion kommen will. Dort sitzen viele seiner Unterstützer, es soll eine Machtdemonstration werden. Söder sucht den Showdown.

So etwas ist überhaupt nicht Laschets Sache. Im Gegenteil: Er gilt als Meister des Taktierens, des Abwägens, da ist er nah bei Angela Merkel. Doch Laschet kann nicht anders, er muss mit in die Fraktion.

Und es kommt wie erwartet: Viele Abgeordnete sprechen sich für Söder aus, es ist eine schallende Ohrfeige für Laschet. Die Abgeordneten haben Angst vor den schlechten Umfragewerten. Denn die könnten für viele den Jobverlust bedeuten, sollten sie sich an der Wahlurne bewahrheiten.

Das Unions-Deutschland ist gespalten: Im Süden, nicht nur in Bayern, ist die Sehnsucht nach Söder groß. In Nordrhein-Westfalen halten sie zu Laschet, so wie im Norden. Der Osten wiederum neigt zu Söder. Klar ist: Söder hat wahrscheinlich auch in der CDU mehr Unterstützer als der eigene Chef.

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Der Druck, so schildern es Laschet-Anhänger, steigt an diesem Tag beträchtlich. Söder spürt nun erheblichen Rückenwind. Und Laschet? Der macht erst mal nichts. Kein Statement, kein Interview, keine Äußerung. Nach dem Punktsieg von Söder einigen sich die Kontrahenten nur darauf, dass der Streit bis zum Wochenende gelöst werden soll.

3. Die CDU ist geschlossen – oder doch nicht?

"Laschet und Söder sollte man in einen Raum einsperren und erst wieder rauslassen, wenn sie sich geeinigt haben" (Zitat eines CDU-Abgeordneten in einem internen Gespräch)

"Die Beharrungskräfte sind sehr hoch. Fraglich, ob Söder wirklich bis zum Ende durchzieht." (SMS eines CDU-Abgeordneten)

Eigentlich rechnen viele in der CDU damit, dass es nun sehr schnell geht: Der Druck auf Laschet wächst von Stunde zu Stunde, Söder muss praktisch in München nichts weiter tun, als abzuwarten.

So vergeht der Mittwoch, es entstehen Stunden des Vakuums. Die Spannung ist enorm, doch: Nichts passiert. Damit wird auch allen in der Partei klar, dass Laschet nicht aufgeben will.

Und so entsteht eine neue Dynamik.

Eine besondere Rolle spielt dafür das Selbstverständnis der CDU. Die Parteioberen wollen sich von Söder nicht vorführen lassen. Und nun, in den Stunden des Schweigens, brodelt die Wut hoch. Nun wird das "Hinterzimmer" wieder Thema. Viele CDU-Größen empfanden Söders Formulierung als eine besondere Unverschämtheit. Wolfgang Schäuble, der Bundestagspräsident, der auch in der CSU sehr angesehen ist, verurteilt sie scharf. Andere wettern, Söder habe den "gemeinsamen Weg verlassen".

Die Auseinandersetzung zwischen Laschet und Söder entscheidet sich eben auch an einzelnen Begriffen. Im Söder-Lager ist mittlerweile klar: Den höchsten Parteizirkel der CDU so zu verunglimpfen, wenn man von diesen Funktionären in den Sattel befördert werden will – das war keine gute Idee.

Am Donnerstag und Freitag setzt dann eine Bewegung für Laschet ein. Sein Beharrungsvermögen zahlt sich aus. Außer Schäuble äußern sich auch Jens Spahn, Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer, die Schwergewichte der CDU. Reiner Haseloff, Regierungschef in Sachsen-Anhalt, und Tobias Hans, CDU-Ministerpräsident im Saarland, reden jedoch auch – und erstmals mehr oder weniger vorsichtig pro Söder.

Damit ist klar: Die Stimmung im Vorstand ist nicht so eindeutig, wie es am Montag aussah. Laschets Rückhalt beginnt zu bröckeln. Ihm wird klar, dass er nun schnell handeln muss. Je länger es dauert, desto besser für Söder.

4. Der Showdown: Söder knickt ein, Laschet setzt sich doch noch durch

"Morgen wissen wir, wie es geregelt wird: im Friedensvölkerrecht oder im Kriegsvölkerrecht" (SMS eines Mitglieds der Bundesregierung am Sonntagabend während des Krisengipfels von Laschet und Söder)

"Hier herrscht blankes Entsetzen und tiefe Enttäuschung." (Aus einem internen Gespräch einer Kreisvorsitzenden und CDU-Abgeordneten über die Stimmung an der Basis)

Söder, der Mann des Showdowns, gibt allerdings auch noch nicht auf. Am Sonntagabend fliegt er im Privatjet nach Berlin, diskutiert bis in die Nacht mit Laschet. Erst gegen 1.30 Uhr brausen die schwarzen Limousinen davon. Und wieder: keine Einigung.

Söder ist dem Kanzleramt an diesem Abend zwar sehr nahe. Aber vor allem, weil er mit Laschet im Gebäude des Bundestags verhandelt. Der CSU-Chef nimmt aus dieser Nacht auch mit, dass Laschet nicht aufgeben wird. Und theoretisch sitzt der damit am längeren Hebel. Jetzt ist nur noch die Frage, ob Laschet dieser Hebel etwas nützt.

Söder, inzwischen wieder in München, gibt am Montag eine Pressekonferenz. Dabei macht er klar: Nun sucht Laschet den Showdown. Und wenn die CDU sich für ihren Chef entscheide, sagt er noch, wolle er das akzeptieren.

Laschet weiß, dass dieses Versprechen von Söder eine einmalige Chance für ihn ist – und wahrscheinlich auch seine letzte. Er hat Söder nun genau dort, wo er ihn haben wollte: im politischen Würgegriff.

Mehr als sechs Stunden dauert die Sitzung des CDU-Vorstands am Abend, es geht hin und her, doch Laschet erzwingt um kurz nach Mitternacht eine Abstimmung über ihn. Am Ende bekommt er mehr als 77 Prozent Zustimmung. Es ist kein schlechter Wert, auch wenn er davon profitiert, dass Enthaltungen bei der CDU nicht mitgezählt werden.

Laschet weiß am Dienstagmorgen: Wenn jetzt keine große Revolte der Basis mehr losbricht und Söder noch ein Mindestmaß an politischem Anstand besitzt, ist die Sache klar: Dann ist er Kanzlerkandidat der Union – und nicht Söder.

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Der CSU-Chef gibt am Mittag eine Pressekonferenz, fängt damit an, dass die "Würfel gefallen sind". Ein paar Sticheleien kann er sich zwar nicht verkneifen, die bösesten Sätze lässt er aber seinen Generalsekretär sagen: Söders Kandidatur sei ein Angebot an die CDU gewesen, sagte Markus Blume. Diese habe es nicht gewollt, aber: "Es war ein verdammt gutes Angebot."

Dann sagt er noch einen Satz, der im Wahlkampf noch eine Rolle spielen dürfte: "Markus Söder war erkennbar der Kandidat der Herzen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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